Bayerischer VGH, Beschluss vom 06.02.2013 - 2 ZB 11.2321
Fundstelle
openJur 2013, 5671
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 58.200,-- EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht vorliegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Ergebnis im Rahmen der dargelegten Zulassungsgründe keinen ernstlichen Zweifeln (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Erteilung einer Baugenehmigung, weil sein Vorhaben öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die beantragte teilweise Nutzungsänderung der im Jahr 1974 genehmigten Gaststätte in eine Spielhalle mit Billiardraum und Internet-Café ist planungsrechtlich nicht zulässig, da das Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspricht (Art. 59 Abs. 1 Nr. 1 BayBO i.V.m. § 30 Abs. 1 BauGB).

a) Das Baugrundstück lag im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 10 M vom 19. Oktober 1981 in der Fassung der Änderung vom 12. August 1988. Der Bebauungsplan war wegen eines Ausfertigungsmangels unwirksam. Er wurde jedoch mit Bekanntmachung vom 23. November 2011 erneut mit Rückwirkung zum 27. November 1981 bekannt gemacht (vgl. Anlage zum Schreiben des Beklagten vom 13.1.2012, Bl. 48 der Gerichtsakte). Der Bebauungsplan setzte für das Baugrundstück (Baubereich K) ein allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO 1977 fest. Zugelassen ist nach A. 3. a) der Satzung eine Nutzung gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1977 (Wohngebäude). Im unmittelbar anschließenden Baubereich J war für die heutigen Gebäude „A...“ ebenfalls ein allgemeines Wohngebiet festgesetzt. Nach A. 3. b) der Satzung war hier im Erdgeschoß nur eine Nutzung gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO 1977 zulässig (Die der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften, sowie nicht störende Handwerksbetriebe). Ausweislich dieser Festsetzung konnte zudem in den Baubereichen J und K ausnahmsweise im ersten Obergeschoß, bezogen auf den Einzelbaufall eine Art der Nutzung für Büro und Praxisräume zugelassen werden. Vergnügungsstätten waren damit weder allgemein noch ausnahmsweise im allgemeinen Wohngebiet zulässig, so dass das klägerische Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 10 M widersprach.

Am 8. November 2011 wurde zudem die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 123 seitens der Beigeladenen beschlossen, der für das Baugrundstück den Bebauungsplan Nr. 10 M ersetzt (vgl. Anlage zum Schreiben des Beklagten vom 13.1.2012, Bl. 48 der Gerichtsakte). Der Bebauungsplan wurde am 29. März 2012 amtlich bekanntgemacht und ist seitdem in Kraft. Dieser Bebauungsplan weist weiterhin ein allgemeines Wohngebiet für das Baugrundstück aus. Im Sinn einer vertikalen Gliederung nach § 1 Abs. 7 BauNVO wird die geschoßweise Zulässigkeit einzelner Nutzungen in A) 02. festgesetzt: „In den Obergeschossen ist nur eine Wohnnutzung gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO zulässig; ausnahmsweise können Büro- und Praxisräume für sonstige nicht störende Gewerbebetriebe sowie für freie Berufe nach § 13 BauNVO zugelassen werden. Nicht zulässig sind Anlagen für Gartenbaubetriebe und Tankstellen.“ Auch nach § 4 BauNVO 1990 sind Vergnügungsstätten weder allgemein noch ausnahmsweise in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig. Weder wurde die Gültigkeit dieses Bebauungsplans im Berufungszulassungsverfahren angegriffen, noch ergeben sich für den Senat Anhaltspunkte dafür, dass dieser offensichtlich unwirksam sein könnte. Das klägerische Vorhaben widerspricht somit auch den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 123.

Für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB gibt es keinerlei Anhaltspunkte noch erfolgte diesbezüglich ein substantiierter Vortrag.

b) Selbst wenn von einer Unwirksamkeit des neuen Bebauungsplans Nr. 123 auszugehen wäre, wie dies noch im Entscheidungszeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils hinsichtlich des Bebauungsplans Nr. 10 M der Fall war, und zugunsten des Kläger anzunehmen wäre, dass die fragliche nähere Umgebung für die planungsrechtliche Beurteilung nach § 34 Abs. 2 BauGB als faktisches Mischgebiet einzustufen ist, bestünden keine ernstlichen Zweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Nach § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1990 sind Vergnügungsstätten nur in den Teilen des Mischgebiets zulässig, die überwiegend durch gewerbliche Nutzung geprägt sind. Das Verwaltungsgericht ist nach Einnahme eines Augenscheins zu der Auffassung gelangt, dass das Vorhaben nicht in einem Teil eines faktischen Mischgebiets zur Ausführung gelangen würde, welches im Sinn von § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO überwiegend durch gewerbliche Nutzung geprägt wäre. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zwar ist die Frage der überwiegenden Prägung durch gewerbliche Nutzungen nicht stets dann schon zu verneinen, wenn der prozentuale Anteil der jeweils grundstücksbezogen ermittelten gewerblich genutzten Geschoßflächen gegenüber dem Anteil der der Wohnnutzung dienenden Geschoßflächen rechnerisch kein Übergewicht hat (vgl. BVerwG, B.v. 7.2.1994 – 4 B 179.93UPR 1994, 262). Vielmehr kommt es auch qualitativ darauf an, um welche Art von Gewerbe es sich handelt und wie dieses in dem Gebiet und in den einzelnen Gebäuden verteilt ist (vgl. BayVGH, U.v. 18.8.1995 – 26 B 94.952 – juris). Erforderlich ist eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung aller gebietsprägenden Faktoren, aus der sich ergibt, ob die gewerblichen Nutzungen im betreffenden Gebietsteil vorherrschen (vgl. BayVGH, U.v. 17.3.2005 – 25 B 01.624 – juris). Dabei kann auch von Bedeutung sein, in welchem Maß die Erdgeschoßebene gewerblich genutzt wird und inwieweit die gewerbliche Nutzung bis in die Obergeschosse reicht (vgl. BVerwG, B.v. 7.2.1994 – 4 B 179.93UPR 1994, 262; BayVGH, U.v. 17.3.2005 – 25 B 01.624 – juris). Andererseits kann nicht allein wegen einer gewerblichen Nutzung der Erdgeschosse schon eine überwiegende Prägung angenommen werden (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2007 – 2 ZB 07.1996 – juris). Die unterschiedlichen Geschosse können dabei nicht als Teile des Baugebiets angesehen werden (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2007 – 2 ZB 07.1996 – juris).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden. In dem vom Erstgericht zugrunde gelegten Gebietsumgriff, der von Klägerseite nicht beanstandet wurde, findet sich eine gewerbliche Nutzung überwiegend nur in den Erdgeschossen. Dabei handelt es sich um einzelne Büros, Läden und Restaurants. Im Gebäude P... Straße 28 befinden sich in den Obergeschossen ein Hotel, im Erdgeschoß zwei Läden. Dies ist das einzige vollständig gewerblich genutzte Gebäude im Gebietsumgriff. Im Gebäude B...straße1/P... Straße 30 befindet sich ein Immobilienbüro im Erdgeschoß sowie ein Altenpflegeheim (betreutes Wohnen). Im Gebäude P... Straße 34 sind ein Verlag (auch in den Obergeschossen) sowie vier Wohnungen zu finden. Im Gebäude P... Straße 26 (Baugrundstück) standen die Ladeneinheiten im Erdgeschoß zum Zeitpunkt des Augenscheins des Verwaltungsgerichts leer. In den Obergeschossen befindet sich eine Zahnarztpraxis (wohl nur eine und nicht zwei, da beide Zahnärzte dieselbe Telefonnummer nutzen). Im Gebietsumgriff befinden sich zudem jedoch zahlreiche Gebäude, die ausschließlich wohngenutzt sind. In den Gebäuden A... 32 bis 44 findet im Erdgeschoß gewerbliche Nutzung statt, in den Obergeschossen fast ausschließlich Wohnnutzung. Zusammenfassend kann daher nicht von einem Überwiegen der gewerblichen Nutzung gesprochen werden. Mit Ausnahme eines Gebäudes, das ausschließlich gewerblich genutzt wird (Läden und Hotel), findet in allen anderen Gebäuden in den Obergeschossen Wohnnutzung statt. Dazu kommen zahlreiche Gebäude, die ausschließlich wohngenutzt werden. Vereinzelt ist eine gewerbliche oder freiberufliche (§ 13 BauNVO) Nutzung in Obergeschossen festzustellen. Hierbei handelt es sich aber in der Regel um Büronutzung oder Arztpraxen. Weder erstreckt sich die gewerbliche Nutzung regelmäßig auch auf die Obergeschosse, noch sind alle Erdgeschoßflächen rein gewerblich genutzt. Zudem handelt es sich bei der gewerblichen Nutzung überwiegend um Nutzungen, die der Versorgung des Gebiets dienen wie Bäckerei, Friseur, Drogeriemarkt, Gemüseladen, Optiker, Blumenladen, Schuhgeschäft, und daher nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO auch im allgemeinen Wohngebiet zulässig wären. Ausnahmsweise ist auch das Hotel als Beherbergungsbetrieb (§ 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO) zulässig. Insoweit kann daher auch nicht aus qualitativer Sicht von einem Überwiegen der gewerblichen Nutzung gesprochen werden. Die von der Klägerseite vertretene „horizontale Gebietsteilung“ findet weder rechtlich (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2007 – 2 ZB 07.1996 – juris) noch tatsächlich eine Stütze, da jedenfalls nicht durchgängig im Gebietsumgriff eine gewerbliche Nutzung im Erdgeschoßbereich besteht.

Mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Ausnahme nach § 34 Abs. 2 2. Halbsatz, § 31 Abs. 1 BauGB, § 6 Abs. 3 BauNVO hat sich der Kläger nicht substantiiert auseinandergesetzt.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Im Berufungszulassungsverfahren sind die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen in der Regel nicht aus Billigkeitsgründen der unterliegenden Partei aufzuerlegen (vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2001 – 8 ZB 01.1789 - BayVBl 2002, 378). Ein Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.