BGH, Urteil vom 15.01.2013 - VI ZR 103/12
Fundstelle
openJur 2013, 4639
  • Rkr:
Tenor

Die Revision der Beklagten zu 1 gegen das Urteil des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 19. Januar 2012 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der in der Türkei ansässigen Beklagten zu 1 (künftig: Beklagte) gesamtschuldnerisch mit dem Beklagten zu 2, gegen den der Rechtsstreit rechtskräftig beendet ist, Schadensersatz wegen des Erwerbs von Beteiligungen an der K. Holding S.A. Luxemburg.

Nach Eingang der Klage vom 8. Dezember 2009 hat der Vorsitzende der mit der Sache befassten Zivilkammer des Landgerichts durch Beschluss vom 20. Januar 2010 in Zusammenhang mit der Zustellung der Klageschrift nach § 183 ZPO angeordnet, dass der Beklagten im Hinblick auf das angeordnete schriftliche Vorverfahren eine Notfrist von einem Monat zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft und von einem weiteren Monat zur Klageerwiderung gesetzt werde sowie dass sie innerhalb eines Monats gemäß § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen im Inland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen habe. Auf die anderenfalls eintretenden rechtlichen Folgen der Zustellung von 1 Schriftstücken durch Aufgabe zur Post unter der Anschrift der Beklagten hat der Vorsitzende hingewiesen. Die Verfügung und die Klageschrift sind der Beklagten am 30. Juli 2010 nach Maßgabe des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15. November 1965 (BGBl. 1977 II S. 1452, 1453; im Folgenden HZÜ) zugestellt worden. Am 11. November 2010 hat das Landgericht ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren erlassen. Dieses ist aufgrund richterlicher Verfügung vom 16. November 2010 durch am 19. November 2010 erfolgte Aufgabe zur Post der Beklagten zugestellt worden.

Auf Verlangen des Klägers, das Urteil der Beklagten förmlich nach dem Haager Übereinkommen zuzustellen, hat der Vorsitzende der Zivilkammer mit Verfügung vom 14. Dezember 2010 darauf hingewiesen, dass die Zustellung des Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post als Inlandszustellung wirksam und für die Berechnung der Einspruchsfrist bedeutsam sei. Um der klagenden Partei die Vollstreckung in der Türkei zu ermöglichen, solle das Versäumnisurteil förmlich nach dem Haager Übereinkommen zugestellt werden. Die Beklagte hat am 30. März 2011 Einspruch eingelegt und vorgetragen, ihr sei das Versäumnisurteil am 23. März 2011 zugestellt worden. Mit Urteil vom 13. April 2011 hat das Landgericht den Einspruch als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte, das Berufungsurteil und das Urteil des Landgerichts vom 13. April 2011 aufzuheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen. 3

Gründe

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Landgericht habe den Einspruch gegen das Versäumnisurteil zu Recht als unzulässig verworfen, weil er nicht fristgemäß eingelegt worden sei. Das Versäumnisurteil sei der Beklagten mit Wirkung zum 3. Dezember 2010 zugestellt worden. Maßgeblich sei die vom Gericht festgesetzte Einspruchsfrist von einem Monat. Bei der Zustellung des Versäumnisurteils handle es sich nicht um eine Auslandszustellung, sondern um eine fingierte Form der Zustellung im Inland, so dass keine rechtlichen Bedenken im Hinblick auf Art. 25 GG gegen die Vereinbarkeit der Norm mit den allgemeinen Regeln des Völkerrechts beständen. Das Abkommen vom 28. Mai 1929 über den Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen sowie das spätere Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15. November 1965 (sog. Haager Zustellungsübereinkommen - HZÜ 1965; BGBl. 1977 II S. 1452, 1453) stünden einer Anwendung des § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht entgegen, weil dort nur die Modalitäten einer Auslandszustellung geregelt würden, nicht aber die Frage, ob überhaupt eine förmliche Zustellung im Ausland vorzunehmen sei. Die Abkommen gäben den Prozessparteien in Fällen mit Auslandsbezug nicht das Recht auf eine bestimmte Form der Urteilszustellung; vielmehr bestimme sich allein nach autonomem deutschen Prozessrecht, in welchen Fällen die Zustellung im Ausland bewirkt werden müsse.

Durch die gemäß § 184 ZPO erfolgte Zustellung habe die Beklagte Gelegenheit gehabt, sich gegen die Klage zu verteidigen. Die Anordnung nach § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO sei nicht ermessensfehlerhaft. Sie solle den Verzögerungen begegnen, die durch eine Vielzahl von notwendigen Auslandszustellungen innerhalb eines Verfahrens sonst entstünden. Die Klageschrift vom 8. De-4 zember 2009 sei der Beklagten erst am 30. Juli 2010, mehrere Monate nach der am 23. Dezember 2009 begründeten Anhängigkeit, förmlich zugestellt worden. Für die Anordnung nach § 184 ZPO genüge die Anordnung des Vorsitzenden. Durch die spätere förmliche Auslandszustellung werde die einmal abgelaufene Einspruchsfrist nicht noch einmal in Gang gesetzt.

II.

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

1. Das Landgericht hatte auf den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil gemäß § 341 Abs. 1 Satz 1 ZPO zunächst nur zu prüfen, ob der Einspruch an sich statthaft und in der ordnungsgemäßen Form und Frist eingelegt worden ist. Da die Beklagte die Einspruchsfrist nicht gewahrt hat, musste der Einspruch gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO ohne Sachprüfung und ohne Rücksicht auf das ordnungsgemäße Zustandekommen des Versäumnisurteils verworfen werden (BGH, Beschluss vom 5. März 2007 - II ZB 4/06, NJW-RR 2007, 1363 Rn. 9 ff.; Saenger/Pukall, ZPO, 4. Aufl., § 341 Rn. 1).

2. Zutreffend hat das Berufungsgericht die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, durch den Vorsitzenden der zuständigen Zivilkammer des Landgerichts für wirksam erachtet. Die Regelung des § 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO, die eine Zustellung durch Aufgabe zur Post unter der Anschrift des außerhalb des Bundesgebiets und außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten ("Zustellung von Schriftstücken") und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 (ABl. 2007 L 324, S. 79; im Folgenden: EuZVO) ansässigen Zu-6 stellungsadressaten erlaubt, ist im Streitfall weder durch völkerrechtliche Vereinbarungen ausgeschlossen noch verletzt sie Verfahrensgrundrechte der Beklagten oder verstößt gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK. Rechtlich ist auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Zustellung des Versäumnisurteils im Inland durch Aufgabe zur Post für wirksam erachtet hat, obwohl der Vorsitzende und nicht der Spruchkörper der zuständigen Zivilkammer, die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, getroffen hat. Zur Frage, auf deren Klärungsbedürftigkeit die Zulassung der Revision gestützt worden ist, ob der Vorsitzende der zuständigen Kammer oder der Spruchkörper die Anordnung nach § 184 Abs. 1 ZPO zu treffen habe, hat sich der erkennende Senat zwischenzeitlich in mehreren Urteilen umfassend geäußert (vgl. Urteile vom 26. Juni 2012 - VI ZR 241/11, WM 2012, 1499; vom 3. Juli 2012 - VI ZR 227/11 und - VI ZR 239/11 sowie vom 17. Juli 2012 - VI ZR 222/11, - VI ZR 226/11 und - VI ZR 288/11, juris). Insoweit wird auf die entsprechenden Ausführungen in den Urteilsgründen (so - VI ZR 226/11, juris Rn. 14 bis 22 und - VI ZR 288/11, juris Rn. 18 bis 27, vom 18. September 2012 - VI ZR 223/11) zur Vermeidung gleichlautender Wiederholungen Bezug genommen.

3. Entgegen der Auffassung der Revision vermochte der Hinweis des Klägers, dass sämtliche Zustellungen förmlich erfolgen müssen (auch Versäumnisurteile), da ansonsten Probleme bei der Anerkennung der Entscheidung im Anerkenntnisverfahren in der Türkei entständen, nicht einen Ermessensfehler des nicht an die Anregung der Partei gebundenen Richters bei der Anordnung gemäß § 184 Abs. 1 ZPO zu begründen. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass den Prozessparteien in Fällen mit Auslandsbezug nicht das Recht auf eine bestimmte Form der Urteilszustellung zusteht, vielmehr sich allein nach dem autonomen deutschen Prozessrecht bestimmt, in welchen Fällen die Zustellung im Ausland bewirkt werden muss. Da die förmliche Zustellung zu erheblichen Verzögerungen im Prozessablauf führen kann, wodurch der 9 Justizgewährungsanspruch der betroffenen Partei maßgeblich beeinträchtigt würde, ist der Richter gehalten, vermeidbaren Verzögerungen mit den ihm gegebenen prozessrechtlichen Möglichkeiten entgegen zu wirken.

4. Die förmliche Zustellung vermag die bereits eingetretene Rechtskraft des Versäumnisurteils nicht zu durchbrechen. Die Anordnung der erneuten Zustellung lässt die Wirkung der zuvor erfolgten Zustellung gemäß § 184 Abs. 2 ZPO unberührt; sie setzt eine bereits abgelaufene Frist nicht nochmals in Lauf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2005 - IX ZB 147/01, NJW-RR 2006, 563, 564; vom 20. November 2006 - NotZ 35/06, juris Rn. 7; Urteil vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 27/09, NJW 2011, 522 Rn. 20; OLG Stuttgart, NJW-RR 2011, 1631, 1632; OLG Hamm, Urteile vom 10. August 2011 - I-8 U 3/11, juris Rn. 40 und - 8 U 31/11, NJW-RR 2012, 62, 64). Entgegen der Auffassung der Revision ändert daran nichts, dass mit der förmlichen Zustellung auch eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung über die Möglichkeit des Einspruchs erteilt worden ist. Einem Vertrauensschutz der im Ausland ansässigen Partei aufgrund der unrichtigen Belehrung steht zwingend die eingetretene formelle Rechtskraft entgegen, die ohne rechtlichen Grund im Hinblick auf die Interessen der Gegenpartei nicht durchbrochen werden darf. Daran ändert sich nichts dadurch, dass das am 3. Dezember 2010 zugestellte Urteil nicht mit einer Übersetzung der Entscheidung verbunden war. Die Beklagte war über den Inhalt des Rechtsstreits hinreichend durch die förmliche Zustellung der Klageschrift informiert. Trotz Kenntnis der gegen sie rechtshängigen Klage und der Hinweise des Gerichts auf die Folgen bei Nichtbenennung eines Zustellungsbevollmächtigten ist die Beklagte nach dem nicht zweifelhaften Zugang des Versäumnisurteils untätig geblieben. Von einer bewussten Irreführung der Beklagten durch das Berufungsgericht aufgrund einer mit der förmlichen Zustellung 10 fälschlich verbundenen Rechtsmittelbelehrung kann unter diesen Umständen nicht die Rede sein.

Galke Zoll Diederichsen Stöhr von Pentz Vorinstanzen:

LG Bochum, Entscheidung vom 13.04.2011 - I-3 O 491/09 -

OLG Hamm, Entscheidung vom 19.01.2012 - I-27 U 96/11 -