Bayerischer VGH, Beschluss vom 20.09.2012 - 19 ZB 12.1396
Fundstelle
openJur 2013, 4262
  • Rkr:

(Rückwirkende) Rücknahme von – zum Zweck der Eheführung – erteilter Aufenthaltstitel wegen bigamistischer Ehe (Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG);Frage eines Rechtsmittelbedürfnisses wegen zwischenzeitlicher Erledigung eines ausländerrechtlichen Aufenthaltstitels aufgrund Einbürgerung des Klägers; kein Wiederaufleben bei (rückwirkender) Rücknahme der Einbürgerung (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2011 – 1 C 2/10);Wirksam geschlossene und nicht aufgelöste Ehe in Pakistan im Zeitpunkt der weiteren Eheschließung in der Bundesrepublik mit deutscher Staatsangehöriger;Kein Hinderungsgrund gemäß Art. 48 Abs. 2 Sätze 1, 3 Nrn. 1 bis 3 BayVwVfG wegen (kausaler) Täuschung der Ausländerbehörde;Ausreichende Ausübung des Rücknahmeermessens durch die Ausländerbehörde; zulässige Ergänzung der Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren aufgrund weiteren Vorbringens des Klägers (§ 114 Satz 2 VwGO);Besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) weder hinreichend dargetan noch sonst erkennbar

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1. Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die rückwirkende Rücknahme von ihm zunächst befristet und seit 8. November 1999 unbefristet erteilten Aufenthaltserlaubnissen.

Der im Jahr 1991 eingereiste Kläger hat zunächst ein Asylverfahren ohne Erfolg betrieben. Im Jahr 1995 hat er eine deutsche Staatsangehörige geheiratet; ein bereits kurz danach eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Doppelehe wurde ebenso nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wie ein weiteres im Jahr 1997 betriebenes Ermittlungsverfahren. Im Jahr 2004 ist der Kläger eingebürgert worden; im gleichen Jahr wurde die Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen, die im darauffolgenden Jahr verstorben ist, geschieden. Im Juli 2007 beteiligte das Bundesverwaltungsamt das Landratsamt P. in einem Verfahren auf Familiennachzug einer pakistanischen Ehefrau und drei Kindern. Nach den vorgelegten Urkunden hätten die Eheleute im Jahr 1984 geheiratet, seien im Jahr 1993 geschieden worden und hätten im Jahr 2006 erneut geheiratet; aufgrund Ermittlungen in Pakistan gab die deutsche Botschaft in Islamabad im Februar 2008 an, die Eheschließung habe im Juli 1984 stattgefunden, eine Scheidung sei seither nicht erfolgt und die vorgelegten Urkunden seien Fälschungen.

Nach Anhörung hat das Landratsamt P. zunächst die Einbürgerung zurückgenommen; eine dagegen gerichtete Klage wurde abgewiesen (RN 9 K 08.1058) und ein vom Verwaltungsgericht zugelassenes Berufungsverfahren beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (5 BV 09.1619) wurde im Hinblick auf den gegenständlichen Rechtsstreit ausgesetzt.

Mit Bescheid vom 30. November 2009 hat das Landratsamt P. die dem Kläger in den Jahren 1995 bis 1999 erteilten Aufenthaltserlaubnisse rückwirkend zurückgenommen; auf die Begründung wird Bezug genommen.

2. Dagegen hat der Kläger am 12. Januar 2010 Klage erheben lassen (RN 9 K 10.48); auf die Begründung wird ebenfalls Bezug genommen.

Ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung ist mit Beschluss vom 29. Dezember 2011 abgelehnt worden; eine dagegen gerichtete Beschwerde wurde mit Beschluss des Senats vom 28. März 2012 (19 C 12.456) zurückgewiesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 9. Mai 2012 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Klage sei zulässig, insbesondere sei ein Rechtsschutzbedürfnis anzunehmen, auch wenn sich durch die Einbürgerung der zuvor erteilte unbefristete Aufenthaltstitel erledigt habe und auch durch die rückwirkende Rücknahme nicht wieder auflebe. Sie erweise sich als unbegründet, da die Ausländerbehörde die Aufenthaltstitel gemäß Art. 48 BayVwVfG frei von Rechts- und Ermessensfehlern vorsorglich zurückgenommen habe. Die erteilten Aufenthaltstitel seien rechtswidrig gewesen, da der Kläger gegen das Bigamieverbot verstoßen, die Ehe deshalb keinen aufenthaltsrechtlichen Schutz genossen habe und insoweit auch ein Ausweisungsgrund verwirklicht war. Eine vom Kläger angeblich aus Deutschland per Telefon ausgesprochene sog. Talaq-Scheidung wäre rechtlich unbeachtlich, zudem sei die im Jahr 1984 in Pakistan geschlossene Ehe zu keinem Zeitpunkt aufgelöst worden. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger wegen jahrelanger arglistiger Täuschung gegenüber deutschen Behörden nicht berufen. Fehler bei der Ermessensausübung seien nicht ersichtlich, insbesondere stehe der Rücknahme keine gelungene Integration des Klägers in Deutschland entgegen. Auf die Jahresfrist ab Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen komme es wegen arglistiger Täuschung nicht an.

3. Daraufhin hat der Kläger am 11. Juni 2012 Antrag auf Berufung stellen lassen; mit weiterem Schriftsatz vom 11. Juli 2012 wurden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsbescheides und besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache geltend gemacht.

Die Landesanwaltschaft Bayern ist dem mit Schreiben vom 20. August 2012 entgegengetreten.

Auf die jeweiligen Ausführungen der Beteiligten im Zulassungsantragsverfahren wird Bezug genommen.

II.

Der statthafte und fristgerecht gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung (§ 124 a Abs. 4 VwGO) bleibt ohne Erfolg, weil geltend gemachte Zulassungsgründe – soweit sie überhaupt im Sinne § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO hinreichend dargelegt wurden – nicht vorliegen.

1. Der Kläger beruft sich primär auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Gerichtsbescheides (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilten, was innerhalb offener Begründungsfrist dargelegt wird (§ 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).

1.1 Vorliegend ist bereits zweifelhaft, ob der Zulassungsgrund in einer dem Erfordernis des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise hinreichend dargelegt wurde. Hierzu bedarf es einer konkreten Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids und einer Darlegung im Einzelnen, weshalb diese ernstlichen Zweifeln begegnen. Mit den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids vom 9. Mai 2012 hat der Klägerbevollmächtigte sich jedoch nicht substantiiert auseinandergesetzt, sondern in der Antragsbegründung vom 11. Juli 2012 ganz überwiegend wörtlich die Klagebegründung vom 25. Februar 2010 einschließlich Ergänzung vom 6. Juni 2010 wiederholt, was dem Darlegungserfordernis des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO grundsätzlich nicht genügt. Unabhängig davon bestehen auch angesichts des erneuten Vorbringens im Zulassungsantragsverfahren keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Gerichtsbescheides:

1.2 Auch wenn man von einem Rechtsschutzbedürfnis und damit der Zulässigkeit der Klage ausgeht, wäre sie bereits deshalb unbegründet, weil der Kläger keinen Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz mehr besitzt und die angefochtene vorsorgliche Rücknahme einen solchen nicht mehr beseitigen konnte. Durch die Einbürgerung des Klägers mit Urkunde vom 21. Januar 2004 hat sich die zuvor erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis gemäß Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG „auf andere Weise“ erledigt, da der Kläger als deutscher Staatsangehöriger nicht mehr in den Anwendungsbereich des früheren Ausländergesetzes bzw. nunmehr des Aufenthaltsgesetzes fiel (vgl. § 1 Abs. 2 AuslG 1990 bzw. § 1 AufenthG 2004). Dieser Aufenthaltstitel lebte aber auch durch die rückwirkende Rücknahme der Einbürgerung mit Bescheid vom 22. August 2008 nicht wieder auf (vgl. BVerwG, U. v. 19.4.2011 – 1 C 2/10). Für den Wegfall des Aufenthaltsrechtes kommt es deshalb nicht entscheidungserheblich darauf an, ob sich die Rücknahme der Einbürgerung als rechtmäßig erweist oder nicht.

1.3 Aber auch hinsichtlich der verfügten Rückwirkung der Rücknahme der Aufenthaltstitel bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des klageabweisenden Gerichtsbescheides vom 9. Mai 2012.

1.3.1 Die Ausländerbehörde hat den streitigen Bescheid vom 30. November 2009 zutreffend auf Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG gestützt, wonach rechtswidrige Verwaltungsakte auch nach Unanfechtbarkeit (auch) mit Wirkung für die Vergangenheit (Art. 38 Abs. 2 Satz 4 BayVwVfG) zurückgenommen werden können. Dass die jeweils erteilten Aufenthaltstitel rechtswidrig waren, wird vom Kläger nicht mehr substantiiert in Frage gestellt. In der Begründungsschrift vom 11. Juli 2012 wird durchaus eingeräumt, dass er vor der Heirat mit der deutschen Ehefrau im Jahr 1995 bereits im Jahr 1984 in Pakistan eine Ehe eingegangen ist. Einen Nachweis dafür, dass diese Ehe aufgelöst worden wäre, hat der Kläger nicht erbracht, vielmehr sprechen gewichtige Anhaltspunkte dagegen: So hat die von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Islamabad in Auftrag gegebene Untersuchung durch einen Vertrauensanwalt vom 19. Februar 2008 (Bl. 31 ff.; Übersetzung Bl. 35 ff VG-Akte) ergeben, dass weder in der Familie noch im sozialen Umfeld des Klägers in Pakistan eine Scheidung bekannt war und auch die befragte Ehefrau angab, dass trotz einer mündlichen Scheidung im Jahr 1993 die jeweiligen Familien eine Versöhnung herbeigeführt haben und kein Scheidungsverfahren angestrengt worden sei. Eine Aussage zur Bestätigung, dass sie und ihr Ehemann tatsächlich nie geschieden wurden, hat die ältere Tochter der Ehefrau aufgeschrieben, versehen mit Unterschrift und Daumenabdruck beider Frauen. Eine vom Kläger vorgelegte Scheidungsurkunde des Unionsrates vom 29. September 1993 stellte sich als Fälschung heraus, die erst im Jahr 2007 durch den jüngeren Bruder der Ehefrau beschafft wurde. Auch der Umstand, dass der Kläger eine angebliche Neuverheiratung mit seiner Ehefrau in Pakistan mit einer Fälschung zu belegen versuchte, stellt ein Indiz dafür dar, dass er selbst von dem Fortbestand der bereits im Jahr 1984 geschlossenen früheren Ehe ausging.

Aber selbst wenn man von einer zunächst angeblich per Telefon von Deutschland aus ausgesprochenen sog. Talaq-Scheidung ausginge, wäre diese gemäß Art. 17 Abs. 2 EGBGB rechtlich unbeachtlich.

Die dem Kläger erteilten Aufenthaltstitel waren somit (zumindest) rechtswidrig, weil sie gegen das Bigamieverbot (früher § 20 EheG, jetzt § 1306 BGB) verstießen. Eine bigamisch geschlossene Ehe hindert die Erteilung eines Aufenthaltstitels, da die ausländerrechtlichen Vorschriften bei der Definition einer Ehe an den Schutzbereich des Art. 6 GG und damit an das Prinzip der Einehe anknüpfen (vgl. VGH BW, U. v. 11.1.2006 – 13 S 2345/05 und B. v. 21.8.2007 – 11 S 995/07, OVG NRW, U. v. 3.12.2009 – 18 A 1787/06 und OVG SL, U. v. 11.3.2010 – 2 A 491/09). Die rechtswidrig erteilten Aufenthaltstitel konnten deshalb grundsätzlich gemäß Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG zurückgenommen werden.

1.3.2 Der Kläger macht im Zulassungsantragsverfahren im Wesentlichen noch geltend, dass er nicht über entscheidungserhebliche Tatsachen getäuscht habe bzw. eine etwaige Täuschung nicht kausal für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gewesen sei, da er subjektiv von einer Scheidung von seiner früheren pakistanischen Ehefrau ausgegangen sei und von ihm keine fundierten Kenntnisse des internationalen Privatrechts erwartet werden könnten; dagegen spräche auch nicht die Tatsache, dass er in Formularen keine Angaben zu früheren Ehen gemacht habe.

Damit soll offenbar ein Hinderungsgrund für eine Rücknahme gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 1, Satz 3 Nrn. 1 - 3 BayVwVfG geltend gemacht werden. Das entsprechende Vorbringen verfängt jedoch nicht, weil der Kläger gegenüber der Ausländerbehörde mehrfach wahre Tatsachen verschwiegen und dadurch bei den behördlichen Entscheidungsträgern einen Irrtum in dem Bewusstsein hervorgerufen hat, diese durch die Täuschung zu einer günstigen – objektiv jedoch rechtswidrigen – Entscheidung zu bestimmen (vgl. Kopp/Raumsauer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 11. Aufl. 2010, RNr. 112 zu § 48 des gleichlautenden Bundesgesetzes).

So hat er bei der ersten Antragstellung für einen Aufenthaltstitel am 27. Juni 1995 als Familienstand lediglich „verheiratet … seit 10.6.95“ angegeben, jedoch „geschieden … seit …“ unausgefüllt gelassen; in der Spalte „Kinder“ hat er keinerlei Angaben gemacht. Gleichartiges gilt für seine Anträge vom 11. Juni 1996, 5. Mai 1997, 23. Dezember 1997, 22. Juni 1999, 21. Juli 1998 und 23. September 1999. Es ist nämlich von wesentlicher rechtlicher Bedeutung, ob jemand nur einmal oder mehrmals verheiratet ist; dies musste auch dem Kläger aus seinem Kulturkreis bewusst sein. In den Antragsformularen gab es auch keinen Hinweis darauf, dass nur die zuletzt geheiratete Ehefrau anzugeben sei. Gerade die in den Jahren 1995 und 1997 gegen den Kläger eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Doppelehe sprechen dagegen, dass ihm ein entsprechendes Bewusstsein, absichtlich zu täuschen, fehlte. Dass der Kläger bei Beantragung der ehebezogenen Aufenthaltserlaubnisse nicht irrtümlich handelte, sondern die zuständige Ausländerbehörde über seine gültige Ehe in Pakistan täuschen wollte, ergibt sich auch daraus, dass er konstant und systematisch gegenüber verschiedenen deutschen Behörden unzutreffende Angaben zu seinem Familienstand gemacht und die im Jahr 1984 in Pakistan geschlossene Ehe sowie die daraus entstandenen, in den Jahren 1989, 1991 und 1992 geborenen Kinder verschwiegen hat, um zu verhindern, dass die Ausländerbehörde diesbezüglich Nachforschungen anstellt. So hat er bereits in den Jahren 1991 bis Juli 1993 im Asylverfahren und gegenüber den Meldebehörden als Familienstand „ledig“ angegeben, also in einem Zeitraum, als er eine angebliche Scheidung noch gar nicht ausgesprochen hatte. Gleiches gilt, soweit der Kläger bei Aufnahme eines Fingerabdruckbogens bei der Polizei am 29. Januar 1992 als Familienstand „ledig“ angegeben hat. Obwohl dem Kläger – wie aus der Untersuchung des Vertrauensanwaltes vom 19. Februar 2008 ersichtlich – bekannt sein musste, dass es nicht zu einer Scheidung von seiner pakistanischen Ehefrau gekommen war, hat er auch in der Folgezeit über seinen Familienstand getäuscht: Bei der Aufgebotsbestellung am 16. Mai 1995 hat er als Familienstand wiederum „ledig“ angegeben und nicht „geschieden“, wie es nach seinen behaupteten Selbstverständnis zutreffend gewesen wäre, und darüber hinaus fälschlicherweise erklärt, dass er bisher noch nicht verheiratet gewesen sei und für kein minderjähriges Kind zu sorgen habe. Im Antrag auf Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses vom selben Tag hat er als Familienstand ebenfalls nur „ledig“ angegeben. Auch in der eidesstattlichen Versicherung vor dem Standesamt vom 31. Mai 1995 gab er als Familienstand „ledig“ an und in der weiter eingeforderten eidesstattlichen Versicherung vom 10. Juni 1995 hat er erneut fälschlicherweise erklärt, dass er noch nie verheiratet war und keine Kinder habe. Durch seine Berufung auf die daraufhin geschlossene Ehe als Rechtsgrund für ein Aufenthaltsrecht hat der Kläger ebenfalls die Tatsache der bereits im Jahr 1984 in Pakistan geschlossenen und weiterhin bestehenden Ehe verschwiegen und bei der Ausländerbehörde einen Irrtum hervorgerufen, der diese zur Erteilung von Aufenthaltstiteln bewog.

Die Erklärungen bzw. fehlenden Angaben zur früheren Ehe waren schließlich auch kausal für die Fehlerhaftigkeit der zurückgenommenen Aufenthaltstitel. Hätte die Ausländerbehörde von der bigamistischen Ehe gewusst, wären dem Kläger nicht – rechtswidrige – Aufenthaltserlaubnisse zur Eheführung in Deutschland erteilt worden.

1.3.3 Da der Kläger die zurückgenommenen Aufenthaltstitel – wie unter Ziff. 1.3.2 ausgeführt – durch arglistige Täuschung erwirkt hat, gilt die Rücknahmefrist innerhalb eines Jahres seit Kenntnisnahme der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen nicht (Art. 48 Abs. 4 Sätze 1, 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BayVwVfG), ohne dass es noch darauf ankäme, zu welchem Zeitpunkt die Ausländerbehörde tatsächlich vollständige Kenntnis der (auch rechtlichen) Tatsachen für die Rücknahme der aufenthaltsrechtlichen Verwaltungsakte hatte, welcher auch nicht mit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme im Einbürgerungsverfahren identisch sein muss.

1.4 Aus den unter Ziff. 1.2. und 1.3 genannten Gründen waren die dem Kläger erteilten Aufenthaltstitel auch deshalb rechtswidrig, weil er seinerzeit Ausweisungsgründe im Sinne § 46 Nr. 2 AuslG 1990 verwirklichte, da er sich wegen Führens einer Doppelehe gemäß § 171 StGB a.F., später § 172 StGB und gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 1990 strafbar gemacht hat.

1.5 Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten hat die Ausländerbehörde ihr Rücknahmeermessen auch hinreichend und fehlerfrei ausgeübt (vgl. insoweit bereits Beschluss des Senats vom 28.3.2012 – 19 C 12.456). Es trifft offensichtlich nicht zu, dass gar keine Ermessensausübung stattgefunden habe, vielmehr ist der Formulierung auf Seite 4 des angefochtenen Bescheides vom 30. November 2009 zwanglos zu entnehmen, dass die Ausländerbehörde sich einer Ermessensentscheidung bewusst war und – wenn auch in knapper Form – öffentliche Interessen und schutzwürdige private Belange – soweit sie vorgetragen bzw. erkennbar waren – in eine Abwägung eingebracht hat. Dabei ist sie zutreffend davon ausgegangen, dass aufgrund der bigamischen Eheschließung dem daraufhin ermöglichten Aufenthalt des Klägers weniger Gewicht zukam; andere Integrationsleistungen des Klägers – dessen Lebensunterhalt ausweislich der Akten über längere Zeiträume durch öffentliche Leistungen gesichert wurde – waren mangels Äußerungen bzw. Geltendmachung im Anhörungsverfahren nicht erkennbar. Des weiteren wurde die Ermessensentscheidung damit begründet, dass der langjährige Aufenthalt des Klägers nach der dort zitierten Rechtsprechung des VG des Saarlandes (U. v. 11.3.2009 – 5 K 1724/08) der Rücknahme der Aufenthaltstitel nicht entgegenstehe; entgegen der Darstellung des Klägerbevollmächtigten verhält sich dieses Urteil durchaus zu einem gleichartigen Tatbestand (Vorliegen einer Doppelehe).

1.6 Soweit der Kläger erstmals im Zulassungsantragsverfahren weitere Integrationsleistungen, nämlich eine nahezu 10-jährige Ehe mit einer Deutschen, für eine Einbürgerung ausreichende Kenntnisse der Sprache und der deutschen Gesellschaft sowie eine jahrelange Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet geltend macht, hat der Beklagte in der Antragserwiderung seine Ermessenserwägungen zulässigerweise gemäß § 114 Satz 2 VwGO ergänzt, ohne dass der Kläger dem noch entgegengetreten wäre. Darin werden die nur zeitweisen Erwerbstätigkeiten des Klägers gegenüber den übersteigenden Zeiten einer Erwerbslosigkeit und die Beantragung von Arbeitslosengeld bei der Frage einer wirtschaftlichen Integration ebenso gewürdigt wie fehlende familiäre Kontakte des Klägers in Deutschland (der kurze Zeit nach der Einbürgerung geschieden wurde und dessen geschiedene Frau danach verstarb) und seine nach wie vor intensiven Kontakte zu seiner Ehefrau und den drei Kindern in Pakistan, die er während seines Aufenthaltes in Deutschland finanziell unterstützt und mehrfach besucht hat, sowie dass allein ausreichende Sprachkenntnisse ein besonderes öffentliches Interesse, einen durch wahrheitswidrige Angaben zu Unrecht erwirkten Aufenthalt zu beenden, nicht überwiegten.

Diese Ermessenserwägungen sind rechtlich nicht zu beanstanden.

2. Der des weiteren geltend gemachte Zulassungsgrund besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist weder hinreichend dargelegt noch sonst erkennbar.

Die diesbezüglichen Ausführungen des Klägerbevollmächtigten betreffen gänzlich andere Sachverhalte. Während vorliegend der Kläger bereits im Ausland verheiratet war und hier unter Täuschung hierüber eine weitere Ehe geschlossen hat, betrifft § 30 Abs. 4 AufenthG den Fall, dass ein Ausländer nach dem Recht seines Heimatlandes dort in Mehrehe lebte und regelt auch nur das Zugangsrecht des weiteren Ehegatten. Es geht im vorliegenden Verfahren auch nicht um die Rechtsposition des „hier lebenden deutschen Ehegatten“ bzw. ob einer Person, deren möglicher Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels von einem in Mehrehe lebenden Ausländer vermittelt wird, ein Aufenthaltstitel erteilt werden dürfte, da vorliegend die einen möglichen Anspruch vermittelnde deutsche Ehefrau selbst nicht in Mehrehe lebte und es sich lediglich um ein Zuzugs- bzw. Aufenthaltsrecht des Klägers als bereits im Ausland verheirateten Ausländers handelt. Die vom Klägerbevollmächtigten des weiteren problematisierte Frage der zivilrechtlichen Wirksamkeit oder Aufhebbarkeit einer Doppelehe ist im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich, sondern allein deren aufenthaltsrechtliche Wirkungen. Diese Frage konnte im Hinblick auf die gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. Ziff. 1.3.1) ohne weiteres im Zulassungsantragsverfahren behandelt werden und bedarf keiner Klärung im Berufungsverfahren.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2, 47 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 GKG). Mit seinem Zugang wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).