Bayerischer VGH, Beschluss vom 10.01.2013 - 8 B 12.305
Fundstelle
openJur 2013, 3696
  • Rkr:

Auch im bayerischen Straßen- und Wegerecht bleibt nach der Verjährung eines Folgenbeseitigungsanspruchs der vom Straßenbaulastträger geschaffene Zustand eines Überbaus der Straßenfläche in nicht gewidmete Grundstücke hinein rechtswidrig. Er kann deshalb von dem betroffenen Anlieger auf eigene Kosten beseitigt werden.Selbsthilferecht des in seinem Eigentum Gestörten im Fall der Verjährung Folgenbeseitigungsanspruch, Verjährung,

Tenor

I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 26. Oktober 2010 wird geändert. Die Beklagte wird verurteilt, es zu dulden, dass der Kläger die Verkehrsfläche der Straße L... aus seinen Grundstücken Fl.Nr. 795 und 802 der Gemarkung L... entfernt, soweit sie nicht gewidmet ist.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III. Der Beschluss ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird auf 15.000 Euro festgesetzt. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 26. Oktober 2010 wird insoweit geändert.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Beseitigung von Straßenteilstücken, die in straßenrechtlich nicht gewidmeten Grundstücken des Klägers liegen.

Gegenstand des Streits ist der Verlauf der Gemeindeverbindungsstraße der Beklagten im Bereich S... bei P... Die Straße wurde im Zuge der Rechtsbereinigung nach Art. 67 Abs. 3 BayStrWG durch Verfügung vom 2. November 1962 erstmals in das Bestandsverzeichnis eingetragen. Im Bereich S... bei P... müsste die Straße an sich auf der Fl.Nr. 801 der Gemarkung L... verlaufen. Nach Unstimmigkeiten zwischen den Beteiligten, wohl ausgelöst durch ein Bauvorhaben des Klägers, hat das Vermessungsamt T... laut einem Auszug aus dem Katasterwerk vom 23. November 2009 festgestellt, dass die Straße tatsächlich teilweise in Nachbargrundstücken des Klägers verläuft (Fl.Nr. 795 und 802 der Gemarkung L...). Insgesamt handelt es sich um eine Überbauung von etwa 700 m².

Nach weiteren Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten und anschließender Klageerhebung zum Verwaltungsgericht hat dieses die Beseitigungsklage des Klägers mit Urteil vom 26. Oktober 2010 abgewiesen. Ein Anspruch auf Folgenbeseitigung, der auf einen Eingriff beim Ausbau der Gemeindeverbindungsstraße etwa im Jahr 1970 zurückzuführen sei, sei wegen Verjährung erloschen. Ferner hat es auch hilfsweise geltend gemachte Ansprüche des Klägers auf Duldung der Entfernung und Herausgabe abgewiesen, weil sie der „öffentlichen Zweckbestimmung“ der Straße widersprächen.

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, nach Eintritt der Verjährung könne sich die Beklagte zwar der Verpflichtung entziehen, selbst tätig zu werden und das Straßenteilstück auf ihre Kosten zu entfernen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bleibe es dem Kläger jedoch unbenommen, die infolge des Folgenbeseitigungsanspruchs rechtswidrig bestehende Anlage selbst zu beseitigen.

Der Kläger stellt folgende Klageanträge:

Die Beklagte wird verurteilt, es zu dulden, dass der Kläger die tatsächliche öffentliche Verkehrsfläche der Straße L...-... aus seinen Grundstücken Fl.Nr. 795 und 802 der Gemarkung L... entfernt, soweit sie nicht gewidmet ist.

Hilfsweise:

Die Beklagte wird verurteilt, die Teilflächen der Grundstücke Fl.Nr. 795 und 802 der Gemarkung L..., soweit sie ohne Widmung tatsächlich als Straßenflächen in Anspruch genommen werden, an den Kläger herauszugeben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Folgenbeseitigungsanspruch beruhe auf speziellen Rechtsgrundlagen. Der Hinweis auf zivilrechtliche Vorschriften gehe fehl und sei nicht weiterführend. Ein Herausgabeanspruch habe nicht den Inhalt, den der Kläger ihm beilegen wolle.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

II.

Nach Anhörung der Beteiligten kann der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren nach § 130a VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Im Übrigen haben die Beteiligten dem Verfahren zugestimmt.

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat zwar zu Recht entschieden, dass sich der Folgenbeseitigungsanspruch, auf den der Kläger sein ursprüngliches Beseitigungsbegehren gestützt hat, verjährt ist. Die Begründung des Verwaltungsgerichts, mit der es ihm auch die Möglichkeit versagt hat, die nicht gewidmeten Straßenteile auf den Grundstücken Fl.Nr. 795 und 802 selbst und auf eigene Kosten zu beseitigen, ist jedoch nicht tragfähig. Deshalb greift der im Berufungsverfahren gestellte Hauptantrag durch. Der im ersten Rechtszug gestellte (Haupt-)Antrag, die Beklagte selbst zur Beseitigung zu verurteilen, wurde im Berufungsverfahren nicht mehr gestellt. Diese Antragstellung ist aber nach § 128 VwGO unbedenklich (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 128 Rn. 1 ff.).

1. Zutreffend führt das Erstgericht aus, der Folgenbeseitigungsanspruch sei verjährt. Die entsprechende Begründung des Erstgerichts (UA S. 7 ff., Nr. 1 der Entscheidungsgründe) trifft im Wesentlichen zu. Gemäß § 130b Satz 2 VwGO wird hierauf verwiesen. Ergänzend wird lediglich angemerkt, dass der Senat in seiner Rechtsprechung zur Verjährungsdauer nach altem Recht vor der Schuldrechtsreform entschieden hatte, der Folgenbeseitigungsanspruch verjähre „längstens“ in 30 Jahren (vgl. BayVGH, U.v. 4.8.1998 - 8 B 97.62 - NJW 1999, 666 f.). Da hier der Eingriff etwa 1970 erfolgt ist, ist von einer Verjährung spätestens um das Jahr 2000, also noch im Geltungsbereich des alten Rechts (vgl. Art. 229 § 6 EGBGB) auszugehen.

2. Nicht haltbar ist allerdings die Entscheidung des Erstgerichts zu Nr. 2 der Entscheidungsgründe (UA S. 9 f.), wo es gemeint hat, der Beseitigung der nicht gewidmeten, also nicht nach Art. 6 Abs. 5 BayStrWG geschützten Straßenteile auf dem im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücken stehe die „öffentliche Zweckbestimmung der Straße“ entgegen.

Auch wenn das Institut der Verjährung, wie das Erstgericht zutreffend ausführt, ein Erlöschen des Anspruchs bewirkt (vgl. BayVGH, U.v. 4.8.1998 - 8 B 97.62 - NJW 1999, 666/667) steht dieser Umstand der vom Kläger beabsichtigten Beseitigung durch ihn selbst und auf eigene Kosten nicht entgegen. Die Rechtsstellung eines Eigentümers als Anlieger einer öffentlichen Straße hat zum Inhalt, dass von der Straße keine Beeinträchtigungen ausgehen dürfen, für die keine (ausreichende) Rechtsgrundlage besteht (vgl. BVerwG, U.v. 26.8.1993 - 4 C 24.91 - BVerwGE 94, 100/119). Liegt eine Straßenfläche auf nicht gewidmetem Straßengrund und wird sie infolgedessen nicht durch Art. 6 Abs. 5 BayStrWG (hier in Verbindung mit Art. 67 Abs. 4 BayStrWG) geschützt, wonach die öffentlich-rechtliche Widmung das private Eigentumsrecht überlagert, bleibt daher der Grundtatbestand des rechtswidrigen Eindringens in private Rechte bestehen. Diese Rechtswidrigkeit des Eingriffs wird auch durch das Erlöschen des Folgenbeseitigungsanspruchs selbst nicht ausgeräumt (vgl. BGH, U.v. 28.1.2011 - V ZR 141/10 - NJW 2011, 1068/1069).

Hinzu kommt, dass eine Gemeinde wie hier die Beklagte, die für die betroffene Straße Straßenbaubehörde ist (Art. 58 Abs. 2 Nr. 3 BayStrWG), aufgrund von Art. 10 Abs. 1 BayStrWG die Verantwortung dafür trägt, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die allgemein anerkannten Regeln der Technik eingehalten werden. Diese Verantwortung hat insbesondere die Verpflichtung zum Inhalt, den Bestand einer Straße und ihren Verbleib in dem gewidmeten Wegegrundstück regelmäßig zu kontrollieren und gegebenenfalls dafür Sorge zu tragen, dass die Wegefläche im Fall einer Verlagerung in das gewidmete Wegegrundstück hinein zurückverlegt wird (vgl. zum Ganzen BayVGH, U.v. 15.9.1999 - 8 B 97.1349 - BayVBl 2000, 345 ff.). Auch insoweit bewirkt ein Ausgreifen oder eine Verlagerung der Straßenfläche in nicht gewidmete Grundstücke einen rechtswidrigen Zustand, der andauert.

Sowohl in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu als öffentlich-rechtlich zu beurteilenden Anlagen, die rechtswidrig verlegt oder errichtet wurden, als auch in der strukturähnlichen Rechtsprechung der Zivilgerichte zu rechtswidrig geschaffenen privatrechtlichen Anlagen in Verbindung mit dem Beseitigungsanspruch gegen den Störer nach § 1004 BGB und dessen Verjährung ist geklärt, dass der Gestörte nach Eintritt der Verjährung die Beseitigung des rechtswidrig geschaffenen Zustands auf eigene Kosten durchführen darf (vgl. BayVGH, U.v. 8.2.2012 - 4 B 11.175 - FStBay 2012 Rn. 265, S. 812 f. m.w.N.; BGH, U.v. 28.1.2011 - V ZR 141/10 - NJW 2011, 1068/1069 m.w.N.). Weshalb dies bei nicht gewidmeten Straßenteilen anders sein sollte, ist nicht ersichtlich. Zumutbarkeitserwägungen aus der Sicht des Trägers der Straßenbaulast vermögen der Rechtswidrigkeit des (Überbau-)Zustands nicht entgegengehalten zu werden (vgl. dazu ausführlich BVerwG, U.v. 26.8.1993 - 4 C 24.91 - BVerwGE 94, 100/115 ff.). Ein „Vorrang der öffentlich-rechtlichen Zweckbestimmung“ vermag mithin das Beseitigungsrecht des Klägers nicht auszuschließen, abgesehen davon, dass der Senat nicht zu erkennen vermag, dass es eine solche Rechtsfigur überhaupt gibt.

Dem Kläger ist es lediglich nicht gestattet, eine verbotene Selbsthilfe (§ 229 BGB) vorzunehmen (st. Rspr.; vgl. etwa BayVGH, B.v. 11.1.2005 - 8 CS 04.3275 - NuR 2005, 463/464). Durch das vorliegende Gerichtsverfahren mit der Untersuchung des vom Kläger zur Entscheidung gestellten Duldungsanspruchs wird dies indes gerade ausgeschlossen.

3. Über den Hilfsantrag war nicht mehr zu entscheiden. Auf die von der Beklagten aufgeworfenen Fragen (insbesondere zu § 985 BGB) kommt es nicht an.

Kostenentscheidung: § 154 Abs. 1 VwGO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: Es handelt sich hier um eine allgemeine Leistungsklage; § 167 Abs. 2 VwGO gilt nicht. Zur Anwendung kommen § 167 Abs. 1 VwGO, § 708 Nr. 10 ZPO.

Streitwertfestsetzung: § 47, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 1 GKG i.V.m. Tz. II.43.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Fassung vom 7./8.7.2004, NVwZ 2004, 1327).