Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 18.01.2013 - 13 ME 267/12
Fundstelle
openJur 2013, 3361
  • Rkr:
Gründe

I.

Der Antragsteller betreibt eine Bäckerei. Am 4. Oktober 2012 wurde dieser Betrieb einer lebensmittelrechtlichen Routinekontrolle unterzogen, bei der sich umfangreiche Verstöße gegen § 3 Satz 1 LMHV herausstellten. Aus diesem Grunde wurde der Antragsteller mit Bescheid des Antragsgegners vom 1. November 2012 mit einem Bußgeld von 750,-- Euro belegt. Über den dagegen gerichteten Einspruch ist noch nicht entschieden. Mit Schreiben des Antragsgegners vom 31. Oktober 2012 wurde der Antragsteller zu einer beabsichtigten Veröffentlichung gem. § 40 Abs. 1a LFGB angehört. Den von Ihm dagegen gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. November abgelehnt. Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigt keine vom Beschluss des Verwaltungsgerichts abweichende Entscheidung.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Derjenige, der vorläufigen Rechtsschutz begehrt, muss gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft machen, dass ihm der geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch) und dass ein Grund für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht (Anordnungsgrund). Das ist dem Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren nicht gelungen. Insbesondere besteht kein (Anordnungs-) Anspruch auf Unterlassung der beabsichtigten Veröffentlichung

Der Antragsgegner beabsichtigt die Veröffentlichung der im Betrieb des Antragstellers festgestellten Mängel auf der Grundlage des § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB. Gegen dieses Vorgehen bestehen keine durchgreifenden Bedenken.

Nach § 40 Abs. 1a LFGB informiert die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels sowie unter Nennung des Lebensmittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen hinreichend begründete Verdacht besteht, dass gegen Vorschriften im Anwendungsbereich des LFGB, die dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens dreihundertfünfzig Euro zu erwarten ist.

Die Frage, ob die Regelung des § 40 Abs. 1a LFGB verfassungs- und europarechtskonform ist, hat der Antragsteller ausdrücklich nicht zum Gegenstand seiner Beschwerde gemacht und ist vom Senat aus diesem Grunde auch nicht zu prüfen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB liegen vor.

Die bei der Kontrolle des Bäckereibetriebs des Antragstellers am 4. Oktober 2012 festgestellten umfangreichen Verstöße gegen § 3 Satz 1 der Lebensmittelhygiene-Verordnung werden vom Antragsteller nicht bestritten. Wegen dieser Mängel ist gegen den Antragsteller ein Bußgeld in Höhe von 750,-- Euro verhängt worden. Obgleich über den gegen den Bußgeldbescheid eingelegten Einspruch noch nicht entschieden ist, unterliegt es keinen ernsthaften Zweifeln, dass angesichts des Umfangs der Verstöße und des bis 50.000,-- Euro reichenden Bußgeldrahmens (§ 60 Abs. 5 Nr. 2 LFGB) eine Bußgeldhöhe von deutlich über 350,-- Euro gerechtfertigt ist, zumal gegen den Antragsteller wegen eines gleichartigen Verstoßes unter dem 4. Januar 2010 schon einmal ein Bußgeld in Höhe von 500,--Euro verhängt worden war.

Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1a LFGB vor, so ist die zuständige Behörde zur Veröffentlichung verpflichtet. Ihr steht insoweit kein Ermessen zu. Die Pflicht zur Veröffentlichung wird nur durch allgemeine rechtsstaatliche Bindungen - insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - begrenzt. Unter diesem Gesichtspunkt unterliegt die geplante Veröffentlichung keinen durchgreifenden Bedenken.

Dies gilt insbesondere auch insoweit, als die ursprünglich festgestellten Mängel zwischenzeitlich unstreitig beseitigt worden sind. Eine Veröffentlichung ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht nur zulässig, solange die festgestellten Mängel andauern. Dem Wortlaut des § 40 Abs. 1a LFGB lässt sich insoweit keine Einschränkung entnehmen. Auch ist die Information über Mängel der jüngeren Vergangenheit geeignet, der Zielsetzung des Gesetzes zu dienen. Wie aus der Regelung des § 1 LFGB hervorgeht, dient dieses Gesetz nicht nur der Abwehr von Gesundheitsgefahren bei Lebensmitteln, Futtermitteln, kosmetischen Mitteln und Bedarfsgegenständen sowie der Risikovorsorge (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 LFGB), sondern darüber hinaus auch dem Ziel, die Unterrichtung der Wirtschaftsbeteiligten und der Verbraucher beim Verkehr mit Lebensmitteln, kosmetischen Mitteln und Bedarfsgegenständen sicherzustellen (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) LFGB). Diesen Zwecken dient es, den Verbrauchern durch entsprechende Informationen eine eigenverantwortliche Kaufentscheidung zu erleichtern und vermittelt durch ein diese Informationen berücksichtigendes Kundenverhalten Unregelmäßigkeiten bei der Herstellung, Lagerung und Lieferung von Lebensmitteln einzudämmen. Dieses Ziel kann auch durch eine Veröffentlichung nach Behebung der festgestellten Mängel noch erreicht werden. Die lebensmittelrechtliche Unzuverlässigkeit eines Herstellers in der jüngeren Vergangenheit kann durchaus eine für die Konsumentenentscheidung des Verbrauchers in Gegenwart und Zukunft relevante Tatsache darstellen, auch wenn die festgestellten Verstöße zwischenzeitlich beseitigt wurden. Es bleibt dem Verbraucher überlassen, welche Schlussfolgerungen er aus einer entsprechenden Eintragung zieht. Zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist es in diesen Fällen ausreichend aber auch erforderlich, in der Veröffentlichung auf die zwischenzeitlich erfolgte Mängelbeseitigung eindeutig hinzuweisen. Zudem dürfte mit der Behebung der beanstandeten Mängel zwar dem spezialpräventiven Zweck des § 40 Abs. 1a LFGB weitgehend Rechnung getragen sein, dies gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die generalpräventive Komponente dieser Vorschrift. Die vorgesehene Veröffentlichung der festgestellten Verstöße ist nur dann geeignet, die gewünschte Wirkung auf das Verhalten der Lebens- und Futtermittelunternehmer in ihrer Gesamtheit zu entfalten, wenn eine Veröffentlichung der festgestellten nicht nur unerheblichen Mängel auch nach deren Beseitigung noch möglich bleibt. Der mit einer Internetveröffentlichung verbundene „Prangereffekt“ ist erkennbar geeignet, auf die Motivation der Lebens- und Futtermittelunternehmer einzuwirken und diese von Anfang an zur Einhaltung der in § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB genannten Vorschriften anzuhalten. Diese Wirkung ginge weitgehend verloren, wenn es der betroffene Unternehmer nach einer durchgeführten Kontrolle in der Hand hätte, durch nunmehr einsetzende Bemühungen um eine Beseitigung der festgestellten Mängel, begleitet von Anträgen auf vorläufigen Rechtsschutz, eine Veröffentlichung noch zu verhindern. Die Möglichkeit eines derartigen „Wettlaufs“ zwischen Mängelbeseitigung und Veröffentlichung nähme der Vorschrift viel von ihrer beabsichtigten Schärfe (vgl. OVG des Saarlandes, Beschl. v. 3. Februar 2011 - 3 A 270/10-, NVwZ 2011, 632, zu § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG a.F.; VG Würzburg, Beschl v. 12. Dezember 2012 - W 6 E 12.994 -, juris, Rdnr. 50; Gurlit, NVwZ 2011, 1052; Schoch, NJW 2012, 2844; kritisch: Holzner, NVwZ 2010, 489; Ossenbühl, NVwZ 2011, 1357). Auch die vom Antragsteller geforderte teleologische Reduktion des § 40 Abs. 1a LFGB auf Fälle vor Veröffentlichung nicht erfolgter Mängelbeseitigung kommt aus den vorgenannten Gründen nicht in Betracht.

Für dieses Ergebnis streitet auch der aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift erkennbare gesetzgeberische Wille. In seiner bis zum 9. November 2007 geltenden Fassung lautete § 40 Abs. 4 LFGB:

„Eine Information der Öffentlichkeit darf nicht mehr ergehen, wenn das Erzeugnis nicht mehr in den Verkehr gelangt und nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass es, soweit es in den Verkehr gelangt ist, bereits verbraucht ist. Abweichend von Satz 1 darf eine Information der Öffentlichkeit ergehen, wenn eine konkrete Gesundheitsgefahr vorliegt oder vorgelegen hat und eine Information für medizinische Maßnahmen angezeigt ist.“

Diese Bestimmung ist mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation vom 5. November 2007 (BGBL I, S. 2258) gestrichen worden. Damit sollte gewährleistet werden, dass eine Information der Öffentlichkeit auch dann noch grundsätzlich möglich ist, wenn die betroffenen Erzeugnisse bereits verbraucht wurden bzw. unklar ist, ob entgegen der Lebenserfahrung vielleicht doch noch Erzeugnisse am Markt oder bei den Verbrauchern vorhanden sind. Um den Risiken für die betroffenen - häufig mittelständischen - Unternehmen Rechnung zu tragen, seien bei der Güterabwägung besonders strenge Anforderungen an das Informationsinteresse zu stellen. Eine nachträgliche Information der Öffentlichkeit werde nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Dies gelte insbesondere bei „Ausreißern“ von Unternehmen, die sich ansonsten gesetzeskonform verhielten. Ziel der Neuregelung sei es, die Namen von Unternehmern und deren Produkten nennen zu können, um ein Funktionieren der Märkte aufrecht zu erhalten, ein hohes Maß an markterheblichen Informationen zu ermöglichen und damit auch redliche Unternehmer sowie die Verbraucher zu schützen (vgl. BT-Drs. 16/5404, S. 14). Mit dem Gesetz zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 15. März 2012 (BGBL I, S. 476), das am 1. September 2012 in Kraft getreten ist, wurde der Abs. 1a in § 40 LFGB eingefügt. Damit sollten die bei den Geschehnissen im Zusammenhang mit Dioxin in Futtermitteln von Ende 2010/Anfang 2011 erkennbar gewordenen Unsicherheiten der zuständigen Behörden bei Anwendung des § 40 Abs. 1 LFGB beseitigt werden. Es sollte im Gesetz selbst klargestellt werden, dass bestimmte herausgehobene Rechtsverstöße unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 LFGB zu veröffentlichen seien, (BT-Drs. 17/7374, S. 19 f.). Auch die Abwägungsklausel des § 40 Abs. 1 Satz 3 LFGB findet im Rahmen des § 40 Abs. 1a LFGB keine Anwendung. Daraus wird ersichtlich, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die in § 40 Abs. 1a LFGB genannten Verstößen eine weitere Erleichterung der Veröffentlichung und damit auch eine Schärfung des Eingriffsrechts beabsichtigt hat. Die Interessen der betroffenen Unternehmen, die bislang eine nachträgliche Information der Öffentlichkeit nur ausnahmsweise gestatten sollten, können dieser jetzt nicht mehr mit Erfolg entgegengehalten werden. Nach dem daraus erkennbaren Willen des Gesetzgebers ist die nachträgliche Veröffentlichung festgestellter Verstöße nunmehr im Interesse der Verbraucher an behördlichen Informationen über das Marktumfeld unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ohne weitere Einschränkungen zulässig.

Im vorliegenden Fall ist durch den beabsichtigten Hinweis auf die bei der Nachkontrolle am 1. November 2012 festgestellte Mängelbeseitigung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in ausreichender Weise Rechnung getragen worden. Die Veröffentlichung der abgestellten Mängel ist auch deshalb gerechtfertigt, weil im Betrieb des Antragstellers bereits bei einer Kontrolle am 2. Dezember 2009 gleichartige Verstöße gegen § 3 Satz 1 LMHV festgestellt worden waren und der Antragsteller aus diesem Grunde mit Bescheid vom 4. Januar 2010 schon einmal mit einem Bußgeld von 500,-- Euro belegt worden war. Vor diesem Hintergrund bestehen Zweifel, ob der Antragsteller sich durch die schlichte Verhängung eines Bußgelds zu einer dauerhaften Einhaltung der ihn treffenden Gesundheits- und Hygienevorschriften bewegen ließe.

Der Beschwerde bleibt auch insoweit der Erfolg versagt, als der Antragsteller die Bezeichnung des von den festgestellten Verstößen betroffenen Produkts mit „Backwaren aus eigener Herstellung“ rügt. Es ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, dass das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang über den Antrag des Antragstellers hinausgegangen wäre. Die nunmehr beabsichtigte Bezeichnung schränkt die vom Antragsgegner ursprünglich gewählte Produktbezeichnung „Backwaren“ eindeutig ein, indem sie die im Betrieb des Antragstellers ebenfalls erfolgte Veräußerung von Backwaren aus fremder Produktion aus der veröffentlichten Beanstandung ausnimmt. Soweit der Antragsteller rügt, die gewählte Formulierung lege zu Unrecht den Schluss nahe, das gesamte Backwarensortiment aus eigener Produktion sei zu beanstanden gewesen, kann er damit nicht durchdringen. Im Hinblick auf den Schädlingsbefall des Mehlsilos und der Betriebsräume sowie der umfangreichen Verunreinigungen der Betriebs-, Kühl- und Tiefkühlräume und der dortigen zur Produktion der Backwaren verwendeten Gerätschaften ist davon auszugehen, dass sämtliche dort hergestellten Backwaren von den Hygienemängeln betroffen waren. Der Antragsteller hat im Rahmen der Beschwerdebegründung auch selber nicht vorgetragen, welche konkreten Produkte aus eigener Herstellung von der Beanstandung auszunehmen gewesen wären.