LG Passau, Beschluss vom 28.02.2012 - 2 T 22/12
Fundstelle
openJur 2013, 3354
  • Rkr:
Tenor

I. Der Beschluss des Amtsgerichts Passau vom 07.12.2011 wird aufgehoben.

II. Der Verkehrswert des zu versteigernden Objektes einschließlich des gesetzlichen Zubehörs wird auf 122.000,00 € festgesetzt.

III. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I. Die Beteiligten zu 1-3) sowie Herr … , dessen Rechte durch die Beteiligte zu 4) als Treuhänderin über dessen Vermögen wahrgenommen werden, sind Eigentümer in ungeteilter Erbengemeinschaft des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … HsNr. …, Gebäude- und Freifläche zu … qm, vorgetragen im Grundbuch des Amtsgerichts … von …, Blatt …. Der Beteiligte zu 1) betreibt zum Zwecke der Aufhebung der Gemeinschaft die Zwangsversteigerung dieses Grundbesitzes, die mit Beschluss des Amtsgerichts Passau vom 03.11.2010 angeordnet wurde.

In einem vom Amtsgericht Passau erholten Gutachten vom 10.06.2011 hat der Sachverständige Dipl. Ing. (FH) … einen Verkehrswert des vorgenannten Grundbesitzes in Höhe von 86.000,00 € ermittelt. Auf dem Dach des in erster Linie zu Wohnzwecken genutzten Gebäudes befinden sich zwei Photovoltaikanlagen, die als sogenannte Aufdachanlagen konstruiert sind, d.h. die Photovoltaikmodule sind auf einer Unterkonstruktion montiert, welche wiederum mit Dachankern am vorhandenen Dach befestigt wurden, wobei die Dachkonstruktion die Dacheindeckung nicht beeinträchtigt. Der von den Solaranlagen produzierte Strom wird ausschließlich in das öffentliche Stromnetz eingespeist. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten den Verkehrswert der beiden Photovoltaikanlagen mit 12.000,00 € bzw. 24.000,00 € ermittelt.

Mit Beschluss vom 07.12.2011 hat das Amtsgericht Passau den Verkehrswert für das zu versteigernde Objekt auf 86.000,00 € festgesetzt. Die Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, die beiden Photovoltaikanlagen seien mangels Einspeisung des erzeugten Stromes in den eigenen Stromkreis nicht als Zubehör und auch nicht als Bestandteil des zu versteigernden Grundstücks zu bewerten und somit im Rahmen der Verkehrswertfestsetzung nicht zu berücksichtigen.

Gegen den am 14.12.2011 zugestellten Beschluss hat die Beteiligte zu 4) mit Schriftsatz vom 19.12.2011, eingegangen am 22.12.2011, sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, den Verkehrswert des zu versteigernden Objektes unter Berücksichtigung der beiden Photovoltaikanlagen auf 122.000,00 € festzusetzen. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts seien auf dem Dach von Gebäuden angebrachte Photovoltaikanlagen wesentliche Bestandteile, zumindest aber Zubehör des Gebäudes.

Das Amtsgericht Passau hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und ausgeführt, an der Bestandteilseigenschaft fehle es schon deshalb, weil die Anlage jederzeit ohne Zerstörung der Hauptsache entfernt werden könne. Gesetzliches Zubehör liege ebenfalls nicht vor, weil mangels Einspeisung in den eigenen Stromkreis keinerlei Zweckbindung zum Objekt erkennbar sei.

II. Die zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

1. Gemäß § 74 a Abs. 5 Satz 1 ZVG wird der Grundstückswert (Verkehrswert) vom Vollstreckungsgericht, nötigenfalls nach Anhörung von Sachverständigen, festgesetzt. Gemäß § 74 a Abs. 5 Satz 2 ZVG ist der Wert der beweglichen Gegenstände, auf die sich die Versteigerung erstreckt, unter Würdigung aller Verhältnisse frei zu schätzen. Nach § 55 Abs. 1 ZVG erstreckt sich die Versteigerung auf alle Gegenstände, deren Beschlagnahme noch wirksam ist. Gemäß § 20 Abs. 2 ZVG sind damit auch diejenigen Gegenstände umfasst, auf welche sich bei einem Grundstück die Hypothek erstreckt. Dies wiederum bestimmt sich nach § 1120 BGB, wonach sich die Hypothek auf die von dem Grundstück getrennten Erzeugnisse und sonstigen Bestandteile erstreckt, soweit sie nicht mit der Trennung nach §§ 954 bis 957 BGB in das Eigentum eines anderen als des Eigentümers oder des Eigenbesitzers des Grundstücks gelangt sind, sowie auf das Zubehör des Grundstücks mit Ausnahme derjenigen Zubehörstücke, welche nicht in das Eigentum des Eigentümers des Grundstücks gelangt sind. Die letztgenannte Einschränkung wird durch § 55 Abs. 2 ZVG dahingehend modifiziert, dass sich die Versteigerung auf Zubehörstücke, die sich im Besitz des Schuldners oder eines neu eingetretenen Eigentümers befinden, auch dann erstreckt, wenn sie einem Dritten gehören, es sei denn, dass dieser sein Recht nach Maßgabe des § 37 Nr. 5 ZVG geltend gemacht hat.

2. Nach Maßgabe dieser Vorschriften sind die Photovoltaikanlagen in die Verkehrswertfestsetzung einzubeziehen, da es sich bei ihnen um Zubehör des zu versteigernden Grundstücks im Sinne des § 97 BGB handelt.

a) Die Photovoltaikanlagen sind nicht Bestandteile der Hauptsache. Bestandteile einer Sache sind sowohl die Teile einer natürlichen Sacheinheit als auch die einer zusammengesetzten Sache, die durch Verbindung miteinander ihre Selbständigkeit verloren haben. Maßgeblich für die Beurteilung, ob es sich um einen Bestandteil, eine selbständige Sache innerhalb einer Sachgesamtheit oder um ein Zubehörstück handelt, sind die Verkehrsauffassung sowie die natürliche Betrachtung unter Zugrundelegung eines technisch-wirtschaftlichen Standpunktes (BGH 20, 154). Beurteilungskriterien sind Art und beabsichtigte Dauer der Verbindung, der Grad der Anpassung der bisher selbständigen Sachen aneinander und ihr wirtschaftlicher Zusammenhang (RG 158, 370). Maßgeblich ist letztlich die Verkehrsauffassung.

Photovoltaikanlagen, die als sogenannte Aufdachanlagen konstruiert sind, lassen sich leicht und beschädigungsfrei von der Gebäudesubstanz trennen. Zwar werden sie mit Tragankern an dem Gebäude befestigt, die Gebäudehülle wird hierdurch jedoch nicht beeinträchtigt, insbesondere werden sie jedenfalls dann, wenn der Strom nicht für das Gebäude selbst erzeugt wird, auch nicht im Sinne des § 94 Abs. 2 BGB zur Herstellung des Gebäudes eingefügt, was sogar eine Eigenschaft als wesentlicher Bestandteil begründen würde. Vielmehr handelt es sich nach der Verkehrsanschauung bei Aufdachsolaranlagen um eigenständige Sachen und nicht um Bestandteile eines Gebäudes.

b) Allerdings sind derartige Aufdachanlagen bewegliche Sachen, die dem wirtschaftlichen Zweck der Hauptsache im Sinne des § 97 Abs. 1 Satz 1 BGB zu dienen bestimmt sind. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der von den Anlagen erzeugte Strom in das öffentliche Stromnetz eingespeist und nicht im Gebäude selbst verbraucht wird. Die Auffassung des Amtsgerichts, die Zubehöreigenschaft der Photovoltaikanlagen sei schon aus diesem Grunde zu verneinen, greift zu kurz.

Übersehen wird dabei nämlich, dass das Grundstück in dem Moment, in dem auf ihm eine Photovoltaikanlage in Betrieb genommen wird, nicht mehr nur allein zu Wohnzwecken genutzt wird. Vielmehr begründet der Betrieb der Solaranlage eine auch gewerbliche Nutzung des fraglichen Grundstücks, insbesondere der auf dem Gebäude befindlichen Dachflächen. Wird aber ein Grundstück in verschiedener Weise genutzt (beispielweise als Wohn- und Geschäftshaus), kann es für jeden Nutzungszweck unterschiedliches Zubehör haben (BGH 85, 234/37), Das Zubehör dient dem Zweck der Hauptsache, wenn es deren zweckentsprechende Verwendung ermöglicht oder fördert. Insbesondere stellt das Inventar, das einem bestimmten gewerblichen Betrieb auf Dauer dienen soll, regelmäßig Zubehör dar. Die Solaranlage ermöglicht die Nutzung der Dachflächen zur Gewinnung von Strom, dient somit der Gewinnerzielung und folglich der gewerblichen Nutzung des Grundstücks.

Die Situation ist vergleichbar damit, dass in einem bisher nur zu Wohnzwecken genutzten Gebäude ein Teil der Räumlichkeiten fortan zu gewerblichen Zwecken genutzt wird, deren Inventar damit auch Zubehör des Grundstücks wird.

Das zwischen der Hauptsache und dem Zubehör erforderliche Über- und Unterordnungsverhältnis ist gegeben, insbesondere ist das Grundstück nach seiner objektiven Beschaffenheit (insbesondere der Dachausrichtung) dauerhaft für den gewerblichen Betrieb eingerichtet. Zwar erfolgt die Erzeugung des Stroms letztlich durch die Solarkollektoren, maßgeblich bleibt aber, dass für die Erzeugung des Stroms eine gewisse (Dach)fläche erforderlich ist, so dass das geforderte Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen den letztlich zur Stromerzeugung erforderlichen Geräten und der primär zur Stromgenerierung erforderlichen Grundstücksfläche gegeben ist.

c) Dadurch, dass die Solaranlagen mit dem Dach des Gebäudes verschraubt sind, besteht auch der von § 97 Abs. 1 Satz 1 BGB geforderte räumliche Zusammenhang zwischen den Modulen und der Hauptsache.

d) Die Einschränkung in § 97 Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach eine Sache dann nicht Zubehör ist, wenn sie im Verkehr nicht als Zubehör angesehen wird, greift hier nicht ein. Eine entsprechende Verkehrsanschauung hat sich bislang nicht herausgebildet.

e) Bei den Solaranlagen handelt es sich auch nicht um Scheinzubehör im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 1 BGB. Danach begründet die vorübergehende Benutzung einer Sache für den wirtschaftlichen Zweck einer anderen nicht die Zubehöreigenschaft. Die Solaranlagen dienen hier der dauerhaften Stromerzeugung. Eine zeitliche Einschränkung der Nutzung ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere handeln die Benutzer hier auch nicht in Ausübung eines zeitlich begrenzten Nutzungsrechts, was ebenso wie im Rahmen des § 95 Abs. 2 BGB die Vermutung begründen würde, dass lediglich eine vorübergehende Verbindung beabsichtigt ist.

f) er Einordnung der Solaranlagen als Zubehör steht auch § 68 Bewertungsgesetz nicht entgegen. Zwar sind gemäß § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Bewertungsgesetz Maschinen und sonstige Vorrichtungen aller Art, die zu einer Betriebsanlage gehören (Betriebsvorrichtungen) nicht in das Grundvermögen einzubeziehen. Die Vorschriften des Bewertungsgesetzes sind jedoch für die zivilrechtliche Einordnung nicht von Relevanz, wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Bewertungsgesetz ergibt, wonach Betriebsvorrichtungen sogar dann nicht in das Grundvermögen einzubeziehen sind, wenn es sich um wesentliche Bestandteile handelt. Zudem gelten die besonderen Bewertungsvorschriften gemäß § 17 Bewertungsgesetz allein nach Maßgabe der jeweiligen Einzelsteuergesetze, eine zivil rechtliche Relevanz fehlt.

3. Gegen die von dem Sachverständigen ermittelten Einzelwerte für die Photovoltaikanlagen und das Grundstück selbst wurden von der Beschwerde keine Einwendungen erhoben. Es sind insoweit auch keine Fehler ersichtlich, so dass die Verkehrswertfestsetzung in Anlehnung an das Sachverständigengutachten erfolgen konnte.

III. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst. Gerichtskosten fallen nicht an, außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten, weil es sich nicht um ein kontradiktorisches Verfahren handelt.

IV. Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob Photovoltaikanlagen Gegenstand der Zwangsversteigerung sind, sofern sie als Aufdachanlagen konstruiert sind und ihre Nutzungsdauer nicht durch entsprechende Vereinbarungen eingeschränkt ist, stellt sich in einer Vielzahl von Fällen. Eine ober-oder höchstrichterliche Klärung dieser Frage liegt bislang nicht vor.