OLG München, Urteil vom 12.09.2012 - 20 U 1600/12
Fundstelle
openJur 2013, 3313
  • Rkr:
Tenor

I. Auf die Berufung der Kläger wird das Endurteil des Landgerichts Landshut vom 29.03.2012, AZ: 74 O 2723/11, in Ziffer I. aufgehoben und im Übrigen dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, den auf dem Grundstück der Kläger, vorgetragen im Grundbuch des Amtsgericht Landshut, Gemarkung R., Gemeinde R., FlNr.: ...08, erfolgten Überbau zu beseitigen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf EUR 76.060.- festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien sind die Eigentümer benachbarter Grundstücke in der Gemeinde R. bei L. Im Streit steht ein Überbau durch die Beklagte auf das klägerische Grundstück.

Die Beklagte errichtete in den Jahren 2010/2011 auf ihrem Grundstück mit der Fl.Nr.: ...08/72 ein Einfamilienhaus mit Doppelgarage, wobei die Doppelgarage auf die Grenze zum klägerischen Grundstück mit der Fl.Nr.: ...08 gebaut werden sollte. Geplant wurde der Bau vom Architekten Thomas D. Auf der Planzeichnung befand sich die Garage innerhalb der Grundstücksgrenze der Beklagten, welche ordnungsgemäß eingezeichnet war. Das Bauvorhaben wurde nach behördlicher Genehmigung vom Bauunternehmer S. an Hand der genehmigten Pläne durchgeführt. Bei der Durchführung wurde das klägerische Grundstück versehentlich teilweise mit der Garage überbaut.

Die Kläger trugen vor, der Überbau sei von der Beklagten grob fahrlässig verursacht worden, weil sie den durchführenden Bauunternehmer nicht hinreichend genau über den Grenzverlauf informiert und während der Bebauung die Grenzeinhaltung nicht überwacht habe. Der Überbau sei daher zu entfernen.

Ihr Grundstück, für welches ein genehmigter Bauplan für ein 16-Parteien-Haus vorliege, habe durch den Überbau stark an Wert verloren, da diese Planung so nicht mehr umgesetzt werden könne. Eine angemessene Entschädigung liege bei EUR 160.- pro überbautem Quadratmeter. 28 m² seien zu entschädigen.

Die Kläger beantragten daher, die Beklagte zur Beseitigung des Überbaus zu verurteilen, hilfsweise zu einer angemessenen Entschädigung in Geld Zug um Zug gegen Übertragung des zur Legalisierung notwendigen Grundstücksstreifens von ca. 28m².

Die Beklagte beantragte Klageabweisung, hilfsweise den Ausspruch einer Entschädigungszahlung in Höhe von EUR 2.940.- zzgl. der erforderlichen Notarkosten Zug um Zug gegen Übertragung des zur Legalisierung notwendigen Grundstücksstreifens.

Sie bestritt grob fahrlässig oder gar vorsätzlich gehandelt zu haben. Der Bauunternehmer S. habe versehentlich bei der Bauausführung geringfügig die klägerische Grenze überbaut. Der Bauunternehmer habe einen korrekten Bauplan vorliegen gehabt. Die Zeugen O. und K. hätten dem Bauunternehmer den Grenzstein an der nord-östlichen Ecke des Grundstücks der Beklagten Fl.Nr.: ...08/72 gezeigt. Von diesem Grenzstein aus habe der Bauunternehmer die Grundstücksgrenze in Richtung A.-Straße hin gesetzt und hierbei versehentlich auf dem Bürgersteig eine falsche Kennzeichnung als Bezugspunkt verwendet, die ihm von der Beklagten nicht gezeigt worden sei. Hierdurch sei der Grenzverlauf irrtümlich auf das klägerische Grundstück verrückt worden.

Mit Schriftsatz vom 02.02.2012 verkündete die Beklagte dem Bauunternehmer Schmidmüller den Streit, der dem Rechtsstreit jedoch nicht beitrat.

Ergänzend wird hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat den Hauptantrag auf Beseitigung des Überbaus abgewiesen und dem Hilfsantrag auf Entschädigung in Höhe von EUR 2.940.- zzgl. erforderlicher Notarkosten Zug um Zug gegen Übertragung eines Grundstücksstreifens von 28m² stattgegeben.

Der Überbau sei unstreitig. Ein Beseitigungsanspruch stehe den Klägern aber nicht zu. Sie hätten den Überbau gemäß § 912 BGB zu dulden, da sie dem Überbau nicht sofort nach der Grenzüberschreitung widersprochen hätten und der Beklagten weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Überbauung anzulasten sei. Sie habe dem Bauunternehmer S. einen Plan übergeben, der die richtige Grenzziehung enthalten habe. Ferner hätten zur Überzeugung des Gerichts die Zeugen O. und K. dem Bauunternehmer den Grenzstein am von der A.-Straße aus gesehen linken hinteren Eckpunkt des Grundstücks gezeigt. Die Grenzüberschreitung sei dadurch zustande gekommen, dass der Bauunternehmer sich im vorderen linken Eckpunkt geirrt, nämlich eine falsche Markierung auf dem Gehsteig herangezogen habe. Diese aber habe die Beklagte ihm nicht genannt, weshalb sie zum Irrtum des Bauunternehmers und damit der grenzüberschreitenden Bebauung nicht grob fahrlässig beigetragen habe.

Ergänzend wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger, die die Verletzung materiellen Rechts rügen.

Das Landgericht habe die Voraussetzungen grober Fahrlässigkeit im Sinne des § 912 BGB verkannt.

Die Beklagte habe dem Bauunternehmer Schmidmüller weder den vollständigen Grenzverlauf in Natur gezeigt noch während der Bauzeit die Bauarbeiten beaufsichtigt und insbesondere an der Grenze zum klägerischen Grundstück die Einhaltung der Grenze nicht überprüft oder von einem Fachmann überprüfen lassen. Da sich die Beklagte der - planmäßig gewollten - Bebauung auf der Grenze bewusst gewesen sei, habe sie mit diesem Verhalten ihre Sorgfaltspflichten zur Wahrung der Grenze grob fahrlässig verletzt.

Die Kläger beantragen daher,

1. Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, den auf dem Grundstück der Kläger, vorgetragen im Grundbuch des Amtsgerichts L. Gemarkung R., Gemeinde R., Fl.Nr.: ...08, erfolgten Überbau zu beseitigen.

2. Das Endurteil des Landgerichts Landshut, 74 O 2723/11, vom 29.03.2012 wird in Ziffer I-III aufgehoben.

Hilfsweise:

3. Das Endurteil des Landgerichts Landshut, 74 O 2723/11, vom 29.03.2012 wird aufgehoben, soweit von der erstinstanzlich beantragten angemessenen Entschädigung i.H.v. EUR 79.000.- ein Teilbetrag von EUR 76.060.- Zug um Zug gegen Übertragung des zur Legalisierung notwendigen Grundstücksstreifens von ca. 28 m² vom Grundstück der Kläger an die Beklagte nicht zugesprochen wurde.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil als richtig und schließt sich den Ausführungen des Landgerichts an. Ein Fehlverhalten könne allenfalls dem Bauunternehmer Schmidmüller angelastet werden, da er die Grenze bedenkenlos und ohne Rückfrage festgelegt habe. Auf die Sachkunde des Bauunternehmers habe die Beklagte sich verlassen dürfen.

Zum Hilfsantrag rügt die Beklagte, dass die geforderte Entschädigung weit übersetzt sei.

Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle und die gerichtlichen Hinweise Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Kläger ist begründet. Den Klägern steht ein Anspruch auf Beseitigung des Überbaus durch die Garage der Beklagten sowie auf Herausgabe der überbauten Flächen gemäß §§ 1004 Abs. 1 Satz 1, 985 BGB zu. Die Kläger sind nicht nach § 912 BGB zur Duldung verpflichtet, die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier nicht vor, weil die Beklagte bei der Überbauung grob fahrlässig gehandelt hat.

27Wer ein Grundstück bebaut, darf sich als Eigentümer grundsätzlich ohne weiteres für zum Bau berechtigt halten. Das gilt aber nicht, wenn dem Eigentümer bewusst ist, im Bereich der Grenze zu bauen. Dann hat er vor der Bauausführung nochmals festzustellen, ob der für die Bebauung vorgesehene Grund auch ihm gehört und während der Bauausführung darauf zu achten, dass er die Grenzen seines Grundstücks zum Nachbarn tatsächlich nicht überschreitet. Hierzu hat er gegebenenfalls einen Vermessungsingenieur hinzuziehen. Eine Verletzung dieser Pflicht begründet grobe Fahrlässigkeit iSv § 912 Abs. 1 BGB (BGH vom 19.09.2008 - V ZR 152/07 - RZ 12; BGH vom 19.09.2003 - V ZR 360/02 - RZ 8; Bassenge in Palandt BGB 71. Aufl. § 912 Rn. 9). Dies ist hier der Fall.

Nach den Angaben der Beklagten und den vorgelegten Planunterlagen war von vornherein beabsichtigt, die streitgegenständliche Garage auf die Grenze zum benachbarten Grundstück der Kläger zu bauen. Damit besteht nach den oben dargelegten Grundsätzen, denen sich der Senat in vollem Umfang anschließt, eine Verpflichtung der Beklagten sich vor und während des Baues - gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Vermessungsingenieurs - zu vergewissern, dass die Bebauung die Grenze zum Grundstück der Kläger tatsächlich nicht überschreitet. Dies hat die Beklagte bereits nach ihrem eigenen Vortrag nicht getan. Sie hat dem ausführenden Bauunternehmer durch die Zeugen K. und O. lediglich einen für die streitgegenständliche Grundstücksgrenze maßgeblichen Grenzstein zeigen lassen, nämlich den östlichen Eckpunkt der Nordgrenze ihres Grundstückes Fl.Nr.: ...08/72 zum Grundstück der Kläger markierenden Grenzstein. Bezüglich des westlichen Eckpunktes der Nordgrenze ihres Grundstückes Fl.Nr.: ...08/72 zum Grundstück der Kläger wurde dem Bauunternehmer nach Angaben der Beklagten nichts gezeigt. Dort soll es keinen Grenzstein gegeben haben. Auf dem an der Westgrenze der Grundstücke der Parteien verlaufenden Gehweg gab es statt dessen zwei in Frage kommende Markierungen, eine Farbmarkierung und eine eingekerbte Markierung. Der Bauunternehmer wählte die - falsche - eingekerbte Markierung und zog zwischen diesem Punkt und dem Grenzstein die zu bebauende Grenze. Diese Entscheidung des Bauunternehmers ließ die Beklagten unstreitig zu keinem Zeitpunkt durch einen Fachmann überprüfen. Eigenem Vortrag zufolge hat sie die Auswahl der Markierung auch nicht selbst kontrolliert oder durch die Zeugen K. und O. kontrollieren lassen. Sie hat allein darauf vertraut, dass der Bauunternehmer den korrekten Grenzverlauf finden und einhalten werde. Dies aber ist bei einer gezielten Bebauung auf der Grenze nicht ausreichend, sondern stellt ein grob fahrlässiges Verhalten dar, welches die Duldungspflicht des § 912 BGB entfallen lässt.

Ausführungen zum Hilfsantrag sind entbehrlich, da der Hauptantrag begründet ist.

III.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit nach §§ 708 Nr. 10 S. 1, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen dafür liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Revisionsgerichtes.