OLG München, Urteil vom 30.10.2012 - 9 U 202/12 Bau
Fundstelle
openJur 2013, 3310
  • Rkr:
Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 15.12.2011, Az. 11 O 15619/11, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin ist ein baugewerblicher Fachverband und verlangt nach § 1 UKlaG von der beklagten Herstellerin von Betonfertigteilen die Unterlassung der Verwendung einer Klausel in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wonach die Beklagte zusätzlich zu dem tatsächlich verwendeten und abzurechnenden Stahl einen Zuschlag von 10 % für Verschnitt berechnen darf.

In ihren Angeboten bietet die Beklagte regelmäßig für "Stahl eingebaut" einen "Einheitspreis pro Tonne" an und verweist am Ende ihrer Angebote als "Vertragsgrundlage" auf Preislisten sowie auf "beiliegende Liefer- und Zahlungsbedingungen" (so wörtlich und beispielhaft Angebot Anlage K 3). Die Liefer- und Zahlungsbedingungen der Beklagten enthalten am Textende ohne Hervorhebung unter Ziffer XIV Nr. 4 die beanstandete Klausel.

Das Landgericht hat durch Urteil vom 15.12.2011 die Beklagte antragsgemäß verurteilt und ihr die Verwendung der folgenden sowie inhaltsgleicher Klauseln in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen untersagt: "Bei Decken und Wänden wird der benötigte Stahl (bei Elementdecken und Doppelwänden inkl. Gitterträger) nach Gewicht zzgl. 10 % Verschnitt nach unseren Abrechnungslisten verrechnet." Das Landgericht sieht in der Klausel eine Preisnebenabrede, die das Transparenzgebot des § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB verletzt. Dies würde selbst durch Branchenüblichkeit der Klausel nicht ausgeräumt.

Mit ihrer Berufung beantragt die Beklagte die Klageabweisung.

Sie hat ihre Liefer- und Zahlungsbedingungen zwischenzeitlich geändert und stark gekürzt (Anlage B 1). Der Text füllt nach wie vor eine DIN A 4 Seite. Er ist wegen einer größeren – immer noch kleinen – Schriftart jedoch besser lesbar geworden. Am Ende des oberen Viertels der Seite enthält der Text nach der Überschrift "III. Abrechnungsmodalitäten – Preisberechnung" unter anderem folgende durch Fettdruck hervorgehobene Formulierungen: "... Bei Decken und Wänden wird der benötigte Stahl (inklusive Gitterträger) nach Gewicht zuzüglich 10 % Verschnitt nach unseren Stahllisten verrechnet."

Die Beklagte meint, damit etwaige Transparenzdefizite ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen behoben zu haben.

Die Klägerin sieht darin keine wesentliche Verbesserung der Transparenz und beantragt weiterhin die Zurückweisung der Berufung.

Im Übrigen wird von der Darstellung eines Tatbestandes abgesehen (§ 313 a Absatz 1 ZPO).

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

Auf die zutreffende Sachverhaltsdarstellung im angefochtenen Urteil wird ergänzend Bezug genommen (§ 540 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

1.

Die vorgenommenen geringen Umformulierungen haben den Inhalt der streitgegenständlichen Klausel unberührt gelassen. Die Beklagte beabsichtigt weiterhin die Verwendung der Klausel ohne speziellen Hinweis in ihren Angeboten. Demzufolge ist die Begründetheit des Klageanspruchs an der geänderten Klausel zu prüfen.

Die Klausel stellt eine Allgemeine Geschäftsbedingung dar, weil sie für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert ist (§ 305 Absatz 1 BGB). Sie steht nicht in unmittelbarem oder deutlichem Textzusammenhang mit der Preisvereinbarung; sie ist deshalb nicht infolge der geltenden Vertragsfreiheit als Teil der Preisvereinbarung der gesetzlichen Inhaltskontrolle nach §§ 307 bis 309 BGB entzogen (BGH MDR 2012, 983). Es handelt sich der Sache nach um eine eigenständige, von der Preisvereinbarung verschiedene und daher der Inhaltskontrolle unterworfene Preisnebenabrede (Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl. 2012, § 307 Rdnr. 47).

2.

Prüfungsmaßstab sind nach § 1 UKlaG nur die in §§ 307 bis 309 BGB enthaltenen Regelungen. Der Gesetzeszweck erfordert aber eine erweiternde Auslegung auf sonstige Verstöße gegen zwingendes Recht (Palandt/Bassenge, BGB, 71. Aufl. 2012, § 1 UKlaG Rdnr. 6; Niebling, Aktuelle Fragen des UKlaG im AGB-Recht, MDR 2012, 1071). Als solcher Art zwingendes Recht kommt ausnahmsweise auch § 305 b BGB (Vorrang der Individualabrede; früher § 4 AGBG) in Betracht.

a)

Zu einer Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Fertighausherstellers, die den individuell vereinbarten Liefertermin um 6 Wochen hinausschieben sollte, hat der BGH wörtlich im Urteil vom 28.06.1984 ausgeführt (BGHZ 92, 24, 26):

"Allerdings ist in Rechtsprechung und Schrifttum allgemein anerkannt, daß die Unwirksamkeit einer Klausel gemäß § 4 AGBG grundsätzlich nicht im Unterlassungsverfahren ... festgestellt werden kann. Denn Schutzobjekt des Verfahrens ... ist nicht der einzelne, von einer möglicherweise unzulässigen Klausel betroffene Verbraucher, sondern der Rechtsverkehr, der allgemein von der Verwendung derartiger Klauseln frei gehalten werden soll (BGH NJW 1983, 1853 m. Nachw.). ... Die hier in Frage stehende Klausel verfolgt jedoch den Zweck, die Bindung der Beklagten an jedwede Terminszusage zu beseitigen und ihr eine an keinerlei Bedingungen geknüpfte zusätzliche Lieferfrist von 6 Wochen einzuräumen. Damit wendet sich die Klausel gezielt gegen die Maßgeblichkeit entsprechender Individualvereinbarungen, indem sie zwar einerseits eine bestimmte Lieferzeitvereinbarung voraussetzt, andererseits aber deren Bedeutung zu Lasten des Kunden erheblich einschränkt. Auch bei abstrakter Betrachtungsweise erlaubt diese Klausel deshalb die Feststellung, daß mit ihr der in § 4 AGBG enthaltene Grundsatz des Vorrangs der Individualabrede im Bereich der Lieferfrist verdrängt bzw. ausgehöhlt werden soll. Auf die näheren Umstände des Einzelfalls kommt es insoweit nicht an. Mit dieser Zielrichtung ist die angegriffene Klausel aber generell geeignet, die Vertragspartner der Beklagten wider Treu und Glauben unangemessen zu benachteiligen. Sie verstößt mithin gegen § 9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AGBG und ist daher unwirksam ...".

b)

Der hier vorliegende Fall, in dem es nicht um Terminszusagen, sondern um Preiszusagen geht, ist im Grundsatz gleich gelagert und daher genauso zu beurteilen: Der individuell vereinbarte Einheitspreis pro Tonne verwendeten Stahls wird bei abstrakter Betrachtungsweise gezielt durch die Klausel zu Lasten des Kunden erheblich abgeändert. Die Klausel soll zwar nach ihrem Wortlaut nur die abzurechnende Stahlmenge um 10 % erhöhen, bewirkt aber einzig und allein eine Preiserhöhung um 10 %. Dies stellt eine erhebliche und für den Käufer nachteilige Abweichung von der Vereinbarung des Einheitspreises pro Tonne eingebauten Stahls dar. Daher ist die Klausel auch in ihrer geänderten Form unwirksam.

Die Behauptung der Beklagten, dass bei der Herstellung von Betonfertigteilen regelmäßig Stahlverschnitt anfällt und dies Materialkosten verursacht, ist unstreitig und einleuchtend. Ebenso berechtigt ist das Interesse der Beklagten, den Stahlverschnitt nicht konkret für jedes produzierte Fertigteil bestimmen zu müssen (etwa unter Berücksichtigung der weiteren Verwendbarkeit des Verschnitts), sondern pauschal eine angemessene Verschnittmenge ansetzen zu dürfen. Dagegen ist es der Beklagten nicht gestattet, dem Kunden einen festen Einheitspreis zu nennen, von der Verbindlichkeit dieser Zusage aber in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen wieder abzurücken (BGHZ 92, 24, 27).

Demnach müßte die Beklagte den Verschnittmengenzuschlag zum Gegenstand der Preisvereinbarung machen, indem sie etwa den Zuschlag in ihre Preislisten einrechnet oder "Einheitspreise pro Tonne zuzüglich 10 % Verschnitt" anbietet. Selbst formularmäßige Abreden sind von der gesetzlichen Inhaltskontrolle nach §§ 307 bis 309 BGB ausgenommen, wenn sie die für die vertragliche Hauptleistung zu erbringende Vergütung unmittelbar bestimmen (BGH MDR 2012, 983).

3.

Darüber hinaus verstößt die Klausel gegen das Transparenzgebot, wie vom Landgericht ausgeführt (§ 307 Absatz 1 Satz 2). Sie ist auch deshalb unwirksam.

Trotz möglicher Branchenüblichkeit der Klausel ist bei abstrakter Betrachtungsweise zu erwarten, dass unerfahrene Vertragspartner der Beklagten die Klausel nicht kennen, nicht mit ihr rechnen und auf den vereinbarten Einheitspreis pro Tonne eingebauten Stahls vertrauen. Die von der Beklagten verwendete Klausel ist auch in ihrer geänderten Form nicht der Inhaltskontrolle entzogen und nicht transparent, weil der Verschnittmengenzuschlag nicht unmittelbar mit der Definition der dem Einheitspreis zu Grunde liegenden Einheit verbunden ist, sondern an räumlich entfernter Stelle im Text der Liefer- und Zahlungsbedingungen versteckt ist. Zumindest fehlt ein spezieller Hinweis auf den Zuschlag bei dem in den Angeboten genannten Preis. Insbesondere bei neuen Marktteilnehmern und bei Kunden, die nur ausnahmsweise Betonfertigteile bestellen, würde sich die fehlende Transparenz auswirken. Auf die Ausführungen des Landgerichts wird ergänzend Bezug genommen (§ 540 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO).

III.

Kosten, vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 543 ZPO nicht vorliegen. Die Sache hat keine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung. Die wesentlichen Rechtsfragen sind durch die beiden zitierten Urteile des BGH geklärt.

Streitwert: §§ 63 Absatz 2, 47, 48 GKG, § 5 UKlaG, § 12 Absatz 4 UWG