SG Düsseldorf, Urteil vom 20.11.2012 - S 4 KR 28/11
Fundstelle
openJur 2013, 2670
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die teilweise Rückzahlung der Vergütung vollstationärer Behandlung wegen ihrer Auffassung nach unzutreffender Codierung einer Nasenseptumdeviations-Operation.

Der bei der Klägerin Versicherte, am 00.00.1982 geborene U1 U2, wurde im Krankenhaus der Beklagten stationär vom 10.06.2010 bis 13.06.2010 behandelt. Der einweisende HNO-Arzt Q stellte die Diagnose Deviation des Nasenseptums. Im Krankenhaus der Beklagten wurde am 10.06.2010 eine operative plastische Septumkorrektur nach Cottle und eine Conchotomie durchgeführt. Im Entlassungsbericht vom 12.06.2010 wurde als Diagnose angegeben:

"Angeborene Deviation des Nasenseptums (Q 67.4). Hypertrophie der Nasenmuschel (J 34.3)".

Die Beklagte berechnete der Klägerin mit Rechnung vom 24.06.2010 2.279,05 EUR und legte dieser Berechnung die DRG: I 28 B ("mäßig komplexe Eingriffe am Bindegewebe") zugrunde. Die Klägerin hat diese Rechnung beglichen. Der von der Klägerin eingeschaltete MDK vertrat jedoch in seinem Gutachten vom 18.08.2010 die Auffassung, dass als Hauptdiagnose nicht: Q 67.4, sondern J 34.2 (Nasenseptumdeviation, Verbiegung oder Subluxation des Nasenseptums, erworben") zutreffend gewesen wäre. Die Beklagte hätte daher bei der Berechnung nicht die DRG: I 28 B, sondern die DRG: D 38.Z ("mäßig komplexe Eingriffe an der Nase") zugrunde legen müssen. Die Rechnung sei daher um 727,38 EUR zu kürzen.

Die Beklagte weigerte sich, diesen Betrag zu erstatten, da weder anamnestisch noch intraoperativ ein Trauma oder ein entsprechender Folgezustand vorgelegen hätte. Es hätte sich daher hier um eine angeborene Septumdeviation gehandelt, die korrekt mit Q 67.4 zu codieren gewesen wäre.

Die Klägerin hat daraufhin am 07.01.2011 Klage auf Zahlung des Differenzbetrages i.H.v. 727,38 EUR nebst Zinsen i.H.v. 2 Prozentpunkten über dem Basissatz seit dem 27.09.2010 erhoben. Zur Begründung trägt die Klägerin vor, nur bei ca. 2 bis 3 Prozent der Neugeborenen läge eine wesentliche Deviation der äußeren knorpeligen Nase und des Septums vor, die sich in der überwiegenden Zahl der Fälle spontan zurückbilden würde. Daher sei eine Nasenseptumsdeviation in der Regel erworben. Somit gehörten zu den erworbenen Deviationen auch solche, die während des Wachstums entstanden wären.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin den Betrag von 727,38 EUR nebst 2 % Zinsen über dem Basissatz seit dem 27.09.2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf ein Gutachten des E vom 15.01.2010, das in einem Verfahren vor dem Sozialgericht Leipzig eingeholt wurde: Dort heiße es: "Im Falle der Septumdeviation ist jede Deviation als angeboren zu bezeichnen, die ohne äußere Einflüsse entstanden ist. Der Phänotyp, also die sichtbare Ausprägung kann zeitlebens entstehen, muss also nicht schon bei Geburt sichtbar sein ..."

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Gründe

Die von der Klägerin erhobene echte Leistungsklage ist zulässig. Die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkasse und Krankenhaus sind öffentlich rechtlicher Natur. Es handelt sich um einen Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen ist und keine Klagefrist zu beachten ist.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung des Differenzbetrages i.H.v. 727,38 EUR. Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Zahlungsanspruchs ist der öffentlichrechtliche Erstattungsanspruch. Anstelle des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruches nach § 812 BGB tritt hier der öffentlichrechtliche Erstattungsanspruch. Er ist aus allgemeinen Grundsätzen des Vewaltungsrechts, insbesondere der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung herzuleiten (BSG E 102, 10). Er setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne Rechtsgrund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind (BSG E 16, 151, 156). Seine Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen entsprechen zwar, soweit sie nicht spezialgesetzlich geregelt sind, denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruches (vgl. BSG E 102, 10).

Die Beklagte hat hier jedoch zu Recht die stationäre Behandlung des Versicherten U1 U2 vom 10.06.2010 bis 13,.06.2010 mit 2.972,05 EUR abgerechnet und dabei die DRG I 28 B zugrunde gelegt. Die Klägerin ist somit nicht ungerechtfertigt bereichert.

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruches der Beklagten gegen die Klägerin ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. dem zwar gekündigten aber von den Beteiligten weiterhin angewandten Krankenhausvertrag NRW. Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht unabhängig von einer schriftlichen Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistungen durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist. Im vorliegenden Fall besteht ein Streit darüber, dass die stationäre Behandlung vom 10. bis 13.06.2010 erforderlich in diesem Sinne war.

Streitig ist ausschließlich die Frage, ob die von der Beklagten angegebene Hauptdiagnose Q 67.4 korrekt ist und damit die DRG: I 28 B der Berechnung zugrundezulegen war oder ob entsprechend der Rechtsauffassung der Klägerin als Hauptdiagnose J.34.2 zugrundezulegen war und somit die DRG: D 38 Z abzurechnen war. Die ICD-10-Ziffer Q 67.4 bezieht sich auf sonstige angeborene Deformitäten des Schädels, des Gesichtes und des Kiefers, Deviationen des Nasenseptums, angeboren ... Demgegenüber wird die ICD-Ziffer J 34.2 wie folgt definiert: "Nasenseptumdeviation, Verbiegung oder Subluxation des Nasenseptums (erworben)". Zu Unrecht nimmt die Klägerin an, dass im vorliegenden Fall eine erworbene Nasenseptumsdeviation vorlag. Die in den Codierrichtlinien und im Fallpauschalenkatalog verwendeten Begriffe und Definitionen sind als Normenverträge für die Krankenhausvergütung vereinbart und streng nach Wortlaut und Normsystematik unter Achtung des Spezialitätsgrundsatzes auszulegen (so BSG Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R). Da im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Nasenseptumsdeviation durch äußere Ereignisse – wie z.B. ein Trauma – hervorgerufen wurde und andererseits kein Hinweis darauf vorliegt, dass diese Deviation schon bei Geburt vorhanden war, stellt sich die Frage, ob Nasenseptumsdeviationen, die sich erst während der Wachstumsphase entwickelt haben, als angeboren oder erworben einzustufen sind. Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass alles erworben ist, was bei Geburt noch nicht vorhanden war, während die Beklagte die Auffassung vertritt, dass unter angeborenen Deviationen auch solche zu verstehen sind, die zwar bei Geburt noch nicht ersichtlich waren, die jedoch aufgrund einer bei Geburt vorhandenen Anlage sich im Verlaufe des Wachstums herausgebildet haben. Zur Festlegung des Inhaltes dieser beiden Begriffe ist zunächst auf die allgemein sprachlichen Begriffsbestimmungen abzustellen: Nach Wikipedia sind unter angeboren alle Eigenschaften von Lebewesen zu verstehen, die bereits bei ihrer Geburt angelegt sind. Auf der Internetseite Woxikon sind als Synonyme für angeboren u.a. angegeben, erblich, genuin, vererbt, von Geburt an vorhanden. Demgegenüber finden sich in den Synonymen für den Begriff erworben nur solche Begriffe, die auf einen besonderen "Erwerbungsakt wie: gekauft, gelernt, übernommen abstellen." Entsprechendes wird auch in der medizinischen Wissenschaft vertreten. So führt E in dem angeführten Gutachten u.a. aus, dass in der medizinischen Wissenschaft für den Begriff angeboren die Bezeichnungen konnatal oder kongenital synonym benutzt würden, obwohl zwischen beiden eine Unterscheidung möglich sei (Roche Lexikon Medizin 2. Auflage). Als konnatal würden Eigenschaften bezeichnet, die durch intrauterine Einflüsse, d.h. im Mutterleib oder während der Geburt erworben sind, schließt jedoch erblich bedingte Eigenschaften ein. Kongenital bedeute angeboren, bei der Geburt vorhanden im Sinne von erblich bedingt ... Im Falle einer Wachstumstörung sei streng medizinisch eine solche als angeboren zu bezeichnen, wenn sie nicht durch äußere Faktoren hervorgerufen wäre. Im Falle der Septumdeviation sei jede Deviation als angeboren zu bezeichnen, die ohne äußere Einflüsse entstanden sei. Der Phänotyp, also die sichtbare Ausprägung könne zeitlebens entstehen, müsse also nicht schon bei Geburt sichtbar sein. Daher sei die Mehrzahl der Septumdeviationen tatsächlich angeboren und über den genetischen Wachstumscode determiniert. Entsprechendes findet sich auch in anderen Bereichen, so im Bereich der Zahnmedizin: Dort zählen zu den erworbenen Fehlstellungen solche Anomalien, die durch bestimmte Ereignisse – wie dem frühzeitigen Verlust der Milchzähne - , das Lutschen am Finger, das Einsaugen oder Beißen auf die Unerlippe oder ein Zungenpressen zu Fehlstellungen geführt haben, die vorher nicht vorhanden waren. Die bei dem Versicherten U1 U2 bestehende Septumdeviation muss daher hier als angeboren bewertet werden. Die von der Beklagten vorgenommene Codierung war daher zutreffend.

Die Klage musste daher abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der VwGO.

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