Hamburgisches OVG, Urteil vom 22.04.2010 - 4 Bf 220/03.A
Fundstelle
openJur 2013, 1224
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2003 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg geändert.

Die Klage wird vollen Umfangs abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt der Kläger. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Hinsichtlich der Kosten des gesamten Verfahrens ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der auf Grund des Urteils vollstreckbaren Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte oder der Beteiligte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe der jeweils zu vollstreckenden Koten leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger, der nach eigenen Angaben am 6. Oktober 1976 in der Nähe von Abidjan/ Côte d’Ivoire geboren worden ist, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG und (hilfsweise) subsidiären Schutz nach § 60 Abs. 2, 3 4, 5 oder 7 AufenthG.

Der Kläger, der nach späteren Angaben dem Volk der Djoula angehört und Moslem ist, reiste erstmals im Dezember 1992 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. In der Niederschrift zu seinem Asylbegehren gab er seine Staatsangehörigkeit mit „Ivorisch“ und seine Volkszugehörigkeit mit „Ivorer“ an. Zur Begründung seines Asylantrags trug der Kläger vor, er sei einfaches Mitglied der FPI (Front Populaire Ivorien) und habe diese Partei und ihren Vorsitzenden Laurent Gbagbo unterstützt. Deswegen sei er sieben Monate in Haft gewesen. Nach der Entlassung sei er sogleich ausgereist. In Hamburg gehöre er der hiesigen Sektion der FPI an. Mit Bescheid vom 21. November 1994 lehnte die Beklagte den Asylantrag ab, verneinte das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 AuslG und von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG. Zugleich drohte sie dem Kläger für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Côte d’Ivoire an. Die gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Hamburg mit Urteil vom 27. Februar 1998 zurück (16 VG 388/96): Der Kläger habe seinen Heimatstaat nicht als politisch Verfolgter verlassen. Die behauptete Inhaftierung sei nicht glaubhaft. Den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts lehnte das OVG Hamburg mit Beschluss vom 20. April 1998 ab (6 Bf 225/98.A).

Der Kläger wurde im Dezember 1999 nach Côte d’Ivoire abgeschoben. Nach eigenen Angaben verließ er seinen Heimatstaat erneut im Dezember 2001. Er reiste mit gefälschten Personaldokumenten auf dem Seeweg über Frankreich in das Bundesgebiet ein.

Unter dem 5. März 2002 beantragte der Kläger erneut seine Anerkennung als Asylberechtigter. Als Volkszugehörigkeit gab er „Dioula“ und als Sprachen „Mandingo“ (1. Sprache, später als „mandinka“ bezeichnet, Bl.10 der Asylakte) und Französisch (2. Sprache) an. Bei seiner Anhörung am 26. Juni 2002 erklärte der Kläger, er habe nur kurze Zeit eine Koranschule besucht und gehöre „zum Stamm der Dioula“. Er habe sich vor seiner letzten Ausreise in Abidjan aufgehalten und von seinem Einkommen als Händler leben können. Seine Mutter lebe ebenfalls dort, sein Vater sei bereits verstorben. Sein Zwillingsbruder A. T. halte sich wie er als Asylbewerber in Hamburg auf. Nach seiner Abschiebung im Dezember 1999 sei er vom Flughafen von Abidjan zum Polizeipräsidium gebracht und dort vier Tage festgehalten worden. Die Polizei habe ihn nach den Gründen für seinen Asylantrag im Bundesgebiet befragt. Er habe nur Kekse zu essen bekommen, sei aber nicht geschlagen worden. Bei seiner Entlassung habe man ihm eine Vorladung für ein Gericht in Abidjan ausgehändigt und ihn aufgefordert, dort zwei Tage später zu erscheinen. Dieser Vorladung sei er aus Angst vor erneuter Inhaftierung nicht gefolgt. Er habe sich in Abidjan und Umgebung bei verschiedenen Bekannten versteckt. Da nach ihm gesucht worden sei, habe er sich entschlossen, erneut auszureisen. Durch verschiedene Kontakte sei ihm im Dezember 2001 die Ausreise auf dem Schiffsweg von Abidjan aus gelungen. Über Marseille sei er nach Hamburg gelangt. Den Asylantrag habe er erst im März des Folgejahres aus Angst vor erneuter Abschiebung gestellt.

Die Beklagte lehnte die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens mit Bescheid vom 17. Juli 2002 ab. Weiter lehnte sie es ab, den Bescheid vom 23. November 1994 (gemeint ist: 21. November 1994) bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG zu ändern. Zugleich drohte die Beklagte dem Kläger für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in die Republik Elfenbeinküste (Côte d’Ivoire) an.

Gegen den Bescheid hat der Kläger am 30. Juli 2002 Klage erhoben. Den zugleich gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19. August 2002 abgelehnt (16 VG A 769/2002). Der Kläger hat zur Begründung seines Begehrens auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Wesentlichen geltend gemacht, in seinem Heimatstaat herrsche Bürgerkrieg und jeder könne zu jedem Zeitpunkt Opfer einer Gewalttat werden.

Am 22. Mai 2003 hat das Verwaltungsgericht in dieser Sache mündlich verhandelt und den Kläger zu seinem Begehren angehört. Der Kläger hat erklärt, sein Vater sei früh verstorben, seine Mutter habe Abidjan nach den Unruhen von 2002 verlassen. Derzeit habe er keinen Kontakt zu Personen in Côte d’Ivoire. Er habe diesen Staat wegen der dort herrschenden unerträglichen Umstände verlassen. Er trage den Nachnahmen T. , den es auch in den Nachbarstaaten Guinea, Mali, Senegal und Burkina Faso gebe. Trägern dieses Namens werde in Côte d’Ivoire vorgeworfen, Ausländer zu sein. Sie seien „Djular“, d.h. Mohammedaner. Sie hätten sich „zusammengetan, damit sie uns nichts tun können, zum Beispiel in der Nacht.“ Ihre Ausweise seien zerrissen worden. Seit dem Tod von Félix Houphouët-Boigny stünden alle Djular unter Druck. Unter seinem Nachfolger Konan Bédié habe es ausländerfeindliche Strömungen gegeben. Er sei nach seiner Rückkehr nach Côte d’Ivoire genau wie alle anderen für die RDR (Rassemblement des Republicains) aktiv gewesen und habe am 18. Februar 2001 an einer Demonstration für deren Führer, Alassane Ouattara, teilgenommen. Soweit er in seinem ersten Asylver-fahren angegeben habe, FPI-Sympathisant gewesen, jetzt aber der RDR zugetan zu sein, sei darauf hinzuweisen, dass beide Parteien anfangs derselben Bewegung, der Front Republicain, angehört hätten. Beides seien oppositionelle Parteien gewesen. Die Lage in seinem Heimatstaat sei nach wie vor unsicher. Der derzeitige Präsident Côte d’Ivoires, Laurent Gbagbo, respektiere das in Frankreich zwischen den Rebellen und der Regierungspartei geschlossene Abkommen nicht (gemeint war das im Januar 2003 in Linas-Marcoussis geschlossene Friedensabkommen).

Der Kläger hat beantragt,

unter Aufhebung des Bescheids vom 17. Juli 2002 und des Bescheides vom 23. November 1994 (gemeint ist: 21. November 1994) – soweit dieser entgegensteht - die Beklagte zu verpflichten,

festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen,

hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 53 AuslG vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 22. Mai 2003 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17. Juli 2002 und des Bescheides vom 23. November 1994 (gemeint ist: 21. November 1994) – soweit dieser entgegensteht – verpflichtet festzustellen, dass im Fall des Klägers die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe einen Anspruch auf Durchführung eines Asylfolgeverfahrens. Unter Berücksichtigung der politischen Entwicklung in Côte d’Ivoire seit der Entscheidung über den ersten Asylantrag des Klägers (1994), insbesondere den Bürgerkriegsereignissen im Jahre 2002, habe sich die Sach- und Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Klägers geändert. Insoweit sei für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens ausreichend, dass sich aufgrund der veränderten Situation in dem Heimatstaat des Klägers für diesen eine Gefährdung ergeben könne. Das Asylbegehren des Klägers, der (untergeordneter) RDR-Anhänger, Djoula und Moslem sei, müsse deshalb neu geprüft werden. Diese Prüfung ergebe, dass der Kläger einen Anspruch auf Feststellung der Beklagten habe, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Es sei zwar nicht davon auszugehen, dass dem Kläger, der unverfolgt ausgereist sei, politische Verfolgung aus individuellen Gründen drohe. Die viertägige Festnahme nach seiner Abschiebung im Dezember 1999 stelle keine politische Verfolgung, sondern nur eine „Standartmaßnahme“ der ivorischen Behörden gegenüber zurückkehrenden Asylbewerbern dar. Ein staatliches Verfolgungsinteresse an der Person des Klägers, der in Côte d’Ivoire nicht als politisch aktiver Oppositioneller bekannt sei und sich dort unbehelligt habe aufhalten können, bestehe nicht. Dagegen laufe der Kläger in asylerheblicher Weise Gefahr, „als Djoula und Moslem“ bei der Rückkehr in seinen Heimatstaat Opfer einer Gruppenverfolgung zu werden. Insoweit sei für die Regelvermutung einer gruppengerichteten Verfolgung erforderlich, dass eine solche Verfolgung die Angehörigen der Gruppe mit einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfasst, d.h. wenn eine gewisse Verfolgungsdichte festzustellen sei. Hier sei trotz der Größe der bedrohten Gruppe – bestehend insbesondere aus Ausländern, aber auch inländischen ethnischen Volksgruppen aus dem Norden, vorzugsweise moslemischen Glaubens – angesichts der aktuellen Bürgerkriegsereignisse in Côte d’Ivoire mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von einer Gruppenverfolgung der „Moslem oder Djoula“ auszugehen. Nach aktuellen Erkenntnissen werde in den von der Regierung noch beherrschten südlichen Landesteilen pauschal Ivorern mit muslimischen Namen sowie Immigranten die Unterstützung der Rebellengruppen vorgeworfen. Dass diese Bevölkerungsgruppen aus dem von der Regierung kontrollierten Staatsgebiet fliehen würden, sei nicht allein auf die durch den Bürgerkrieg allgemein verschlechterten Leibensverhältnisse zurückzuführen. Vielmehr habe sich über die typischen Bürgerkriegsgefahren hinaus die Verfolgungslage für moslemische Ivorer, insbesondere Djoula, derart verdichtet, dass eine Gruppenverfolgung bejaht werden müsse. Der Kläger werde im Falle einer Abschiebung nach Abidjan anhand seines Familiennamens und seiner Sprache als Djoula erkannt und hätte in der dortigen überwiegend christlichen Umgebung aufgrund seiner Volkszuge-hörigkeit ständig Übergriffe zu befürchten. Diese seien auch der ivorischen Regierung zuzurechnen. Die Willkürakte gegen aus dem Norden kommende Ivorer und Anhänger der RDR würden unmittelbar von Sicherheitskräften begangen, und Übergriffe Dritter gegen Ausländer und Moslems würden geduldet bzw. nicht konsequent mit staatlichen Mitteln unterdrückt. Ein Moslem könne aber auch in anderen Teilen Côte d’Ivoires keine Zuflucht finden. Im Westen des Landes seien Übergriffe nicht auszuschließen, da es auch dort schon Übergriffe auf die muslimische Bevölkerung gegeben habe. Den von den Rebellen besetzten Norden Côte d’Ivoires werde der Kläger wegen der anhaltenden feindlichen Auseinandersetzungen voraussichtlich nicht erreichen können. Darüber hinaus verschlechtere sich dort durch den Bürgerkrieg die Versorgungslage erheblich, sodass das Existenzminimum des Klägers bei einem Aufenthalt in diesem Landesteil gefährdet sei.

Gegen das am 18. Juni 2003 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts hat die Beklagte am 30. Juni 2003 die Zulassung der Berufung beantragt: Es bedürfe grundsätzlicher Klärung, ob der Kläger als Djoula und Moslem bei Rückkehr in sein Heimatland Gruppenverfolgung zu befürchten habe und für den Fall, dass dies zu bejahen sei, ob es in Côte d’Ivoire keine inländische Fluchtalternative gebe.

Mit Beschluss vom 2. September 2003 hat das Berufungsgericht die Berufung wegen der von der Beklagten dargelegten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Zur Begründung der Berufung hat die Beklagte (unter weitgehender Bezugnahme auf ihren Zulassungsantrag) im Wesentlichen vorgetragen: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hätte der Kläger bei einer Rückkehr nach Côte d’Ivoire keine Gruppenverfolgung zu befürchten. Das Verwaltungsgericht habe bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass die Volksgruppe der Djoula, die der Malinke-Gruppe zuzu-rechnen sei, rund ein Zehntel der 16 Millionen Einwohner Côte d’Ivoires umfasse. Zudem sei davon ein Drittel Ausländer, von denen wiederum ein Großteil Djoula seien. Zirka 30 bis 40 % der Bevölkerung seien Moslems. Bei den Ausschreitungen gegen diese Bevölkerungsgruppen handele es sich nicht um Gruppenverfolgung, sondern um allgemeine Auswirkungen des Bürgerkriegs. Anfang 2003 habe sich außerdem nach der Entsendung von französischen und westafrikanischen Friedenstruppen die Lage in Côte d’Ivoire beruhigt. Diese hätten im Norden des Landes und an der Grenze zu Liberia Stellung bezogen. Dort bestehe für den Kläger eine inländische Fluchtalternative.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 22. Mai 2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg zurückzuweisen.

Der Kläger bezieht sich auf das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts und die dort genannten Gründe.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung auf Anregung des Berufungsgerichts erklärt, er halte seine Klage mit den folgenden Anträgen aufrecht,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Juli 2002 zu verpflichten,

1. festzustellen, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist,

hilfsweise,

2. festzustellen, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG vorliegt,

weiter hilfsweise,

3. festzustellen, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Asylakte und die Ausländerakte des Klägers, die Gerichtsakte des früheren Verfahrens 16 VG 366/96 und die in der Ladung bezeichneten Erkenntnisquellen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Gründe

Die zugelassene und fristgerecht begründete Berufung der Beklagten hat Erfolg.

Der Kläger kann in Bezug auf seinen Heimatstaat Côte d’Ivoire weder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch subsidiären Abschiebungsschutz verlangen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist deshalb zu ändern und die Klage abzuweisen.

A.

Nach den im Laufe des Verfahrens zweiter Instanz eingetretenen Rechtsänderungen und der hierauf bezogenen Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ist Gegenstand des Berufungsverfahrens das Begehren des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise - für den Fall der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigen-schaft - auf Feststellung eines gemeinschaftsrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG, weiter hilfsweise eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Dagegen ist nach dem Antrag des Klägers die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG nicht Gegenstand des anhängi-gen Verfahrens.

B.

Die mit den genannten Streitgegenständen im Berufungsverfahren in zulässiger Wiese aufrecht erhaltene Klage ist unbegründet. Der Kläger kann die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 1 AuslG und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht beanspruchen. Insoweit ist das Urteil des Verwaltungs-gerichts auf die Berufung der Beklagten zu ändern und die Klage abzuweisen (I.). Dem Kläger steht der für diesen Fall hilfsweise begehrte Abschiebungsschutz ebenfalls nicht zu (II. und III.).

I.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 und 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798) sowie § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162).

Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - , wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staaten-loser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EG Nr. L 304 S. 12) – Richtlinie 2004/83/EG – ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). Nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG gelten als Verfolgung in diesem Sinne Handlungen, die aufgrund ihrer Art und Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - keine Abweichung zulässig ist (Buchstabe a)), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise betroffen ist (Buchstabe b)).

Durch Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG ist ferner bestimmt, dass eine Verknüpfung zwischen den in Artikel 10 genannten Verfolgungsgründen und den in Art. 9 Abs. 1 als Verfolgung eingestuften Handlungen bestehen muss. Der Begriff der Verfolgungshandlung setzt dabei nicht nur voraus, dass ein bestimmtes Verhalten des potentiellen Verfolgers für die schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts oder eine vergleichbar schwere Rechtsverletzung durch Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen (Art. 9 Abs. 1 Buchstabe a und b der Richtlinie) ursächlich ist, sondern erfordert auch ein auf die Verletzung eines derart geschützten Rechtsguts zielendes Verhalten. Dies entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur asylerheblichen Verfolgung, wonach eine gezielte Rechtsverletzung, d.h. ein gezielter Eingriff in ein asylrechtlich geschütztes Rechtsgut erforderlich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.1.2009, NVwZ 2009, 982; juris Rn.22; dort Hinweis auf Grundsatzentscheidung BVerfG, Beschl.v. 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315, 334 f.). Die Zielgerichtetheit bezieht sich nicht nur auf die asylerheblichen Merkmale bzw. jetzt auf die Verfolgungsgründe im Sinne von Art. 10 der Richtlinie 2004/83/EG, an die die Handlung anknüpfen muss (vgl. Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie), sondern auch auf die durch die Handlung bewirkte Rechtsgutsverletzung selbst (BVerwG, Urt. v. 19.1.2009, a.a.O, dort zur Verweigerung einer behördlichen Registrierung als Voraussetzung staatlicher Gesundheitsleistungen).

Ferner ist bei der Frage, nach welchem Prognosemaßstab eine Rückkehrverfolgung zu beurteilen ist, die dem Schutzsuchenden gegebenenfalls im Zeitpunkt der (letzten) gerichtlichen Entscheidung droht, gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 und 5 AufenthG die Beweiserleichterung für Vorverfolgte nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG zu berücksichtigen. Nach dieser Bestimmung ist - soweit es um die Flüchtlingsanerkennung geht - die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Insoweit darf im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung nach der Richtlinie 2004/83/EG eine etwaige Vorverfolgung nicht mehr (wie dies von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bisher angenommen worden ist) wegen einer zum Zeitpunkt der Ausreise bestehenden Fluchtalternative in einem anderen Teil des Herkunftsstaates verneint werden. Denn bereits aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ergibt sich, dass einem Antragsteller, der im Herkunftsstaat Verfolgung erlitten hat oder dort unmittelbar von Verfolgung bedroht war, die Beweiserleichterung nach Maßgabe dieser Vorschrift unabhängig davon zugute kommen soll, ob er zum Zeitpunkt der Ausreise auch in einem anderen Teil seines Heimatlandes hätte Zuflucht finden können (BVerwG, Urt. v. 19.1.2009, a.a.O.).

Soweit eine Vorverfolgung eines Schutzsuchenden im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG festzustellen ist und damit die Beweiserleichterung nach dieser Vorschrift bei der Beurteilung der Rückkehrverfolgung zu berücksichtigen ist, ist dem durch die Zugrundelegung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes und der Feststellung einer hinreichenden Sicherheit vor solcher Verfolgung im Ergebnis regelmäßig Genüge getan (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.1.2009, a.a.O. Rn 30; [Vorlage-]Beschl. v. 14.10.2008, BVerwGE 132, 79 ff., juris Rn. 14, m.w.N.).

Ist der Schutzsuchende dagegen unverfolgt ausgereist, muss er glaubhaft machen, dass ihm wegen seiner Nachfluchtgründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung droht, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt. Dieser Maßstab entspricht im Wesentlichen dem von der Richtlinie 2004/83/EG vorausgesetzten und auch in der Flüchtlingsdefinition (Art. 2 Buchstabe c der Richtlinie) angelegten Maßstab (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.3.2007, BVerwGE 128, 199, 210 Rn. 24; OVG Saarlouis, Urt. v. 26.6.2007, InfAuslR 2008, 183, juris Rn. 37; VGH München, Urt. v. 23.10.2007, DÖV 2008, 164, juris Rn. 21; VGH Mannheim, Urt. v. 20.5.2008 , AuAS 2008, 213, juris Rn. 123-125; OVG Münster, Beschl. v. 30.7.2009, 5 A 982/07.A, juris).

Nach diesen Grundsätzen ist zunächst zu entscheiden, ob der Kläger die Côte d’Ivoire im Dezember 2001 im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG vorverfolgt verlassen hat und deshalb die Gefahr einer Rückkehrverfolgung nach dem herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu beurteilen ist. Nach den Feststellungen des Berufungs-gerichts liegt jedoch eine Vorverfolgung weder in Form einer Individualverfolgung noch als Gruppenverfolgung vor (1.). Dem Kläger kann die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG danach nur zuerkannt werden, wenn ihm derzeit eine Rückkehrverfolgung - als Einzelperson oder als Angehöriger einer bestimmten ethnischen oder sozialen Gruppe - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht; davon ist nach Auswertung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen ebenfalls nicht auszugehen (2.).

1. Der Kläger war in der Zeit nach seiner Abschiebung im Dezember 1999 bis zu seiner erneuten Ausreise aus der Côte d’Ivoire im Dezember 2001 (Verfolgungszeitraum) nicht als Individuum Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG ausgesetzt oder von solchen Handlungen unmittelbar bedroht (a)). Er war auch als Moslem und Angehöriger des Volkes der Djoula solchen Handlungen weder ausgesetzt noch davon unmittelbar bedroht (b.)). Eine Vorverfolgung ergibt sich schließlich auch nicht bei Berücksichtigung einer Anhängerschaft zur Oppositionspartei RDR (c)).

a) Die Angaben des Klägers zu dem Aufenthalt in seinem Heimatstaat im potentiellen Verfolgungszeitraum belegen keine Vorverfolgung durch gegen ihn gerichtete Maßnahmen (sogenannte anlassgeprägte Einzelverfolgung). Der Kläger unterlag in Côte d’Ivoire vor seiner letztmaligen Ausreise im Dezember 2001 insbesondere keinen Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG. Dazu im Einzelnen:

Bei seiner Anhörung durch die Beklagte hat der Kläger im Wesentlichen erklärt, er sei nach seiner Abschiebung im Dezember 1999 vom Flughafen von Abidjan zum Polizeipräsidium gebracht und dort vier Tage festgehalten worden. Die Polizei habe ihn nach den Gründen für seinen Asylantrag im Bundesgebiet befragt, ihn aber nicht geschlagen oder sonst misshandelt. Bei seiner Entlassung habe man ihm eine Vorladung für ein Gericht in Abidjan ausgehändigt und ihn aufgefordert, dort zwei Tage später zu erscheinen. Dieser Vorladung sei er aus Angst vor erneuter Inhaftierung nicht gefolgt. Er habe sich in Abidjan und einer anderen Stadt bei verschiedenen Bekannten versteckt. Den Gegenstand der Vorladung oder das entsprechende Gericht hat der Kläger nicht näher erläutert und auch nicht erklärt, dass deren Nichtbefolgung gerichtliche bzw. behördliche Folgen für seinen weiteren Aufenthalt in Côte d’Ivoire hatte oder dass ihm solche Folgen angedroht worden seien.

Das Vorbringen des Klägers belegt keine Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 und Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG. Die letztgenannte Norm bestimmt, unter welchen Voraussetzungen von einer (bereits erlittenen oder gegebenenfalls drohenden) Verfolgung im Sinne des europäischen Flüchtlingsrechts und damit auch im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG auszugehen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.3.2009, BVerwGE 133, 221, 225). Nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG gelten als Verfolgung in diesem Sinne insbesondere Handlungen, die aufgrund ihrer Art und Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK - keine Abweichung zulässig ist.

Der viertägige Gewahrsam des Klägers auf dem Polizeipräsidium in Abidjan nach seiner Ankunft auf dem Flughafen erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Diese Maßnahme der Freiheitsentziehung im Zusammenhang mit der Einreise und der Überprüfung der Person stellt unabhängig davon, ob dafür ausreichende polizeiliche Gründe vorlagen, für sich genommen (noch) keine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte dar. Der Kläger ist nach eigenen Angaben über die Gewahrsamnahme hinaus nicht misshandelt oder drangsaliert worden. Im Übrigen lassen die Angaben des Klägers auch nicht die Feststellung zu, dass eine nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG notwendige Verknüpfung der behaupteten kurzfristigen Freiheitsentziehung mit einem Verfolgungsgrund im Sinne von Art. 10 der Richtlinie 2004/83/EG bestanden hat. Dass die fragliche polizeiliche Maßnahme wegen politischer Aktivitäten oder einer ethnischen und/oder religiösen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe erfolgt ist, hat der Kläger nicht dargelegt und dies ist auch sonst nicht erkennbar. Die Ingewahrsamnahme dürfte - wie vom Verwaltungsgericht angenommen – vorrangig dem Zweck gedient haben, die Identität des Klägers zu klären.

Der Kläger ist aber auch nicht deshalb als vorverfolgt anzusehen, weil nach seinem Vortrag im Anschluss an den Polizeigewahrsam nach ihm gefahndet worden sei und weil er seine Verhaftung befürchtet habe. Insoweit setzt eine unmittelbar - d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - drohende Verfolgung, die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellen ist, eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen musste (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.1993, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166 S. 403, 404 ff; Urt. v. 24.11.2009, 10 C 24/08, juris, Rn. 14 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Dem Vortrag des Klägers lässt sich schon kein überzeugender Grund dafür entnehmen, dass - und warum – die Polizei den Kläger, den sie nach eigenen Angaben gerade aus dem Gewahrsam entlassen hatte, unmittelbar danach wieder mit der Absicht suchen sollte, ihn längerfristig seiner physischen Freiheit zu berauben oder ihn in sonstiger schwerwiegender Weise in seinen grundlegenden Rechten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG zu verletzten. Der Kläger hatte nur angegeben, er habe nach der Entlassung aus dem Polizeigewahrsam eine Vorladung für ein Gericht in Abidjan nicht befolgt und sich anschließend in Abidjan und einer anderen Stadt bei verschiedenen Bekannten versteckt. Einen Grund für die Vorladung hat er weder genannt noch das entsprechende Gericht näher bezeichnet. Ebenso wenig hat der Kläger erklärt, dass ihm für den Fall des Nichterscheinens gegebenenfalls freiheitsbeschränkende Maßnahmen angedroht worden seien.

Unabhängig davon, dass es danach in Bezug auf die behauptete Fahndung an einer substantiierten Darlegung unmittelbar drohender Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG fehlt, sind dem Vortrag des Klägers auch keine Anhaltspunkte für die Feststellung zu entnehmen, dass die Fahndung nach dem Kläger im hier fraglichen Zeitraum gerade wegen der Rasse, seiner Religion, seiner Staatsan-gehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung erfolgt ist. Denn eine (unmittelbar drohende) Verfolgungshand-lung ist auch gemeinschaftsrechtlich für die Flüchtlingsanerkennung nur dann relevant, wenn sie an einen der in Art. 10 der Richtlinie 2004/83/EG genannten Verfolgungsgründe anknüpft (Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie). Der Kläger hat aber nicht dargelegt, dass nach ihm wegen etwaiger politischer Aktivitäten gesucht worden sei oder dass die damaligen Machthaber ihn als politischen Gegner angesehen und deshalb gesucht haben.

b) Der Kläger war im Zeitpunkt seiner letzten Ausreise im Dezember 2001 in seinem Heimatstaat Côte d’Ivoire nicht als Djoula (und Moslem) einer Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen. Er ist deshalb auch nicht aus diesem Grund als vorverfolgt anzusehen. Dabei geht das Berufungsgericht zunächst davon aus, dass mit der Bezeichnung „Djoula“ (bzw. Dioula) eine von ihrer Umgebung ausreichend deutlich abgrenzbare Gruppe ivorischer Staatsangehöriger erfasst ist, die für ihre Person im Grundsatz Verfolgungsgründe im Sinne von Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG geltend machen können und die sich insoweit gegebenenfalls darauf berufen können, ihren Heimatstaat (gruppen-)vorverfolgt verlassen zu haben (aa)). Auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen lässt sich jedoch nicht feststellen, dass der Kläger als Mitglied dieser Gruppe in dem hier fraglichen Zeitraum in Côte d’Ivoire einer Gruppenverfolgung ausgesetzt oder von einer solchen Verfolgung unmittelbar bedroht war (bb)).

aa) Bei der (Volks-)Gruppe der Djoula handelt es sich nach den vorliegenden Auskünften nicht um eine Ethnie im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 2004/83/EG. Das Institut für Afrika-Kunde (Hamburg) hat dazu im Gutachten vom 18. Februar 2002 für das Verwaltungsgericht Aachen ausgeführt, die Bezeichnung "Djoula" als Benennung eines Volksstamms sei wissenschaftlich nicht korrekt. Diese Bezeichnung beziehe sich eher auf die umgangssprachliche Zuordnung aller Muslime des Nordens der Côte d’Ivoire und der Migranten aus den nördlichen Nachbarländern (Mali und Burkina Faso), die sich alle der „lingua franca“ des Nordens, des "Djoula", bedienten. Die ethnischen Großgruppen im Norden der Côte d’Ivoire seien dagegen die Nord-Mande (Malinke), die 16 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes stellten, die Süd-Mande (11 Prozent) sowie die Volta-Völker (16 Prozent). Die Spaltung der ivorischen Gesellschaft in die im Norden lebenden muslimischen Bevölkerungsgruppen und die christlichen Bewohner des Südens habe sich noch dadurch intensiviert, dass sich die Ausgrenzung nicht nur gegen die afrikanischen Ausländer, sondern zunehmend auch gegen die muslimische Bevölkerung des Landes zu richten begonnen habe, die hauptsächlich im Norden des Landes angesiedelt sei. Dieser Bevölkerungsteil sei ethnisch eng mit Bevölkerungsgruppen in den Nachbarländern Burkina Faso und Mali verbunden und auch in der Wirtschaftsmetropole Abidjan sowie anderen größeren Städten des Landes präsent. Diese Bewohner machten knapp die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus und würden als "Djoulas" bezeichnet.

Diese (Volksgruppen-)Einschätzung entspricht der Länderdarstellung des Auswärtigen Amtes (Internet, Stand September 2009) betreffend die verschiedenen Religionen und Ethnien in der Côte d’Ivoire, die gemäß ihrer Verfassung ein laizistischer Staat ist. Danach besteht die Bevölkerung zu etwa 40 Prozent aus Muslimen, zu 30 Prozent aus Christen und zu 30 Prozent aus Anhängern traditioneller afrikanischer Religionen und leben in dem Land ca. 60 Ethnien, die sich in fünf Kulturkreise gliedern:

- 25 Prozent Akan-Gruppe (darunter Baoulé - vor allem im Zentrum des Landes und im Großraum Abidjan)- 12 Prozent Kru (vorwiegend Bété - im Südwesten und im Zentrum)- 11 Prozent Volta-Gruppe (hier vor allem Senoufou, im Norden ansässig)- 10 Prozent Malinké (ebenfalls im Norden)-   8 Prozent Mandé-Gruppe (im Westen).Eine (Volks-)gruppe der Dj(i)oula als eigenständige Ethnie erwähnt das Auswärtige Amt nicht. Es weist nur noch darauf hin, dass in Côte d’Ivoire noch über vier Millionen zumeist westafrikanische Zuwanderer (ca. 26 Prozent der Bevölkerung), davon etwa drei Millionen. burkinischer Herkunft, leben.

Zuvor hatte das Auswärtige Amt in der Auskunft vom 22. September 1994 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf ausgeführt, „Dioula“ sei (nur) ein Sammelbegriff für mehrere Stämme im Norden der Côte d’Ivoire und zugleich Verkehrssprache. Auch in den angrenzenden Nachbarstaaten gebe es „Dioula“. In einer neueren Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 8. Januar 2007 an das Verwaltungsgericht Karlsruhe heißt es (inhaltlich vergleichbar), im Norden der Côte d’Ivoire lebten neben den mehrheitlich christlich orientierten Senoufo vor allem die muslimisch orientierte Volksgruppe der Malinke, die im Nordosten wie im Süden häufig als „Dioula“ bezeichnet werde. Im Lauf der vergangenen Jahre seien viele dieser Dioula wie auch der mit ihnen ethnisch verwandten Bevölkerungsgruppen aus den nördlichen Nachbarstaaten Mali und Burkina Faso in die südliche Hälfte der Côte d’Ivoire zugewandert und arbeiteten dort auf Kakao- und Kaffeeplantagen oder sonst in der Landwirtschaft.

Vor dem Hintergrund dieser Auskünfte ist die Bezeichnung Dj(i)oula einmal in einem engeren – ethnisch geprägten – Sinn verstehen. Damit wird (nur) die muslimisch orientierte Volksgruppe (bzw. der Volksstamm) der Nord-Mande/Malinke erfasst (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 8.1.2007). Deren Angehörige leben (neben anderen, verwandten Stämmen bzw. Volksgruppen) im Norden der Côte d’Ivoire. Dieser Bevölke-rungsteil stellt nach den genannten Auskünften zwischen 10 und 16 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes dar (zurzeit hat die Côte d’Ivoire zirka 20,6 Millionen Einwohner, vgl. CIA, The World Factbook, Côte d’Ivoire, Seite 2).

Daneben wird die Bezeichnung Djoula für einen Bewohner Côte d’Ivoires allein umgangssprachlich verstanden werden; dies ist im Alltagsgebrauch nach den genannten Erkenntnisquellen die Regel. In diesem Sinne sind mit „Djoula/Dioula“ alle Muslime der im Norden der Côte d’Ivoire angesiedelten Ethnien einschließlich der muslimischen Migranten aus den nördlichen Nachbarländern (Mali und Burkina Faso) gemeint, welche die Verkehrssprache Djoula sprechen. Danach ist etwa die Hälfte der Bewohner der Côte d’Ivoire als "Djoula" anzusehen (siehe das o.g. Gutachten vom 18.2.2002). Ein Teil der Djoula (Ivorer und Staatsangehörige aus den genannten Nachbarländern) lebt als Zuwanderer (und deren Abkömmlinge) im Süden der Côte d’Ivoire (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 8.1.2007).

Djoula im dargestellten umgangssprachlichen Sinn sind – trotz ihrer großen, fast die Hälfte Bevölkerung der Côte d’Ivoire umfassenden Anzahl – jedenfalls in Bezug auf den hier in Frage kommenden südlichen Teil dieses Staates (noch) als „bestimmte soziale Gruppe“ im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Buchstabe d) der Richtlinie 2004/83/EG anzusehen. Eine solche Feststellung ist nach dem europäischen Flüchtlingsrecht Voraussetzung dafür, dass eine Verknüpfung im Sinne von Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG zwischen einzelnen Verfolgungshandlungen nach Abs. 1 dieser Norm und dem Verfolgungsgrund nach Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG hergestellt und den Angehörigen dieser Gruppe die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden kann. Nach Buchstabe d dieser Norm gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine „bestimmte soziale Gruppe“, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Dieser (Gruppen-) Begriff ist weit gefasst; er ist entwicklungsoffen für die vielfältigen und sich wandelnden Erscheinungsformen von Gruppen in verschiedenen Gesellschaften. Insoweit kann es ausreichen, dass die Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe durch ein gemeinsames Merkmal gekennzeichnet sind und sie von der umgebenden Gesellschaft als fest umrissene Gruppe wahrgenommen werden (vgl. dazu Anmerkungen des UNHCR zur Richtlinie 2004/83/EG, Teil 1, Rn. 71 ff.).

Bei Anlegung dieses Maßstabs können die aus dem Norden der Côte d’Ivoire kommenden bzw. von einer der dort lebenden Ethnie abstammenden Djoula, die sich im Süden dieses Staates niedergelassen haben, dort als bestimmte soziale Gruppe im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchstabe d) der Richtlinie 2004/83/EG ansehen werden. Nach den genannten Quellen ist den Angehörigen dieser Gruppe gemeinsam, dass sie aus dem Norden zugezogen sind und Djoula als Verkehrssprache verwenden und moslemischen Glaubens sind. Djoula werden insoweit nach den genannten Erkenntnisquellen in den christlich geprägten südlichen Landesteilen trotz ihrer großen Anzahl von anderen als eine fest umrissene Gruppe wahrgenommen, und ihre Angehörigen werden dort als solche „identifiziert“.

Das Berufungsgericht geht auf der Grundlage der Angaben des Klägers davon aus, dass er der Gruppe der Djoula in dem dargestellten weiten Sinn zuzurechnen ist. Eine Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der im Norden der Côte d’Ivoire lebenden Nord-Mande bzw. Malinke hat der Kläger, der im Süden dieses Staates geboren und dort aufgewachsen ist, nicht geltend gemacht und hierfür liegen auch sonst tragfähige Anhaltspunkte nicht vor. Im Übrigen sind – und waren - nach den eingeführten Erkenntnisquellen im hier fraglichen Zeitraum ethnische Djuola in Côte d’Ivoire keiner höheren Verfolgungsgefahr als Djoula im umgangssprachlichen Sinn ausgesetzt (siehe dazu unten).

bb) Auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen lässt sich jedoch nicht feststellen, dass Mitglieder der Gruppe der Djoula in dem hier fraglichen Zeitraum in Côte d’Ivoire einer Gruppenverfolgung ausgesetzt oder von einer solchen Verfolgung unmittelbar bedroht waren. Diese Frage ist auf der Grundlage der vom Bundesverwaltungsgericht hierzu entwickelten Maßstäbe zu prüfen (Urt. v. 18.7.2006, BVerwGE 126, 243, 249 und v. 1.2.2007, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30, jeweils m.w.N.). Danach kann sich die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 5.7.1994, BVerwGE 96, 200, 204) - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die „Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. Urt. v. 18.7.2006, a.a.O., Rn. 20). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen" eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (BVerwG, Urt. v. 5.7.1994, a.a.O.).

Diese ursprünglich für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 21.4.2009, InfAuslR 2009, 315; juris Rn. 14) prinzipiell auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie nunmehr durch § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c AufenthG (entsprechend Art. 6 Buchstabe c der Richtlinie) ausdrücklich als Schutz begründend geregelt ist. Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist von den Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urt. vom 21.4.2009, a.a.O., Rn. 15).

An den für die Gruppenverfolgung entwickelten Maßstäben ist auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG festzuhalten. Das Bundesverwaltungsgericht führt insoweit aus, das Konzept der Gruppenverfolgung stelle der Sache nach eine Beweiserleichterung für den Asylsuchenden dar und stehe insoweit mit den Grundgedanken sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Richtlinie 2004/83/EG in Einklang (BVerwG, Urt. v. 21.4.2009, a.a.O., Rn. 16). Die relevanten Verfolgungshandlungen würden in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG und die asylerheblichen Merkmale als Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie 2004/83/EG definiert. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt insoweit Bezug auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 17. Februar 2009 (Rechtssache C 465/07 - Elgafaji - Rn. 37 ff., InfAusIR 2009, 138), nach dem im Ergebnis der Grad der Bedrohung für die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe eines Landes zur individuellen Bedrohung der einzelnen Person in Beziehung gesetzt wird (dort im Rahmen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchstabe c der Richtlinie).

Nach diesen Grundsätzen ist für die Beurteilung einer möglichen Verfolgung der Gruppe der Djoula zunächst die Ermittlung der Zahl der Angehörigen dieser Gruppe nötig, die in dem hier fraglichen Verfolgungszeitraum (1999 bis 2001) im Verfolgungsgebiet (südlicher Landesteil) gelebt haben und die gegebenenfalls Opfer von Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/ EG gewesen sind bzw. hätten werden können. Diese Feststellung ist hier anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen für einen bereits verstrichenen Zeitraum zu treffen. Das Berufungsgericht geht insoweit im Rahmen der Beurteilung der Verfolgungsdichte zugunsten des Klägers davon aus, dass damals (nur) eine Million Djoula - ivorischer und nichtivorischer Staatsangehörigkeit - im Süden der Côte d’Ivoire gelebt haben. Die Feststellung dieser (Mindest-)Zahl der Gruppenmitglieder stützt sich auf folgende Anhaltspunkte:

Nach dem Gutachten des Instituts für Afrikakunde vom 18. Februar 2002 an das Verwaltungsgericht Aachen stellen die umgangssprachlich als Djoula bezeichneten Angehörigen nördlicher Ethnien mit muslimischen Glauben knapp die Hälfte der Bewohner der gesamten Côte d’Ivoire (also annähernd zehn Millionen Einwohner). In dem weiteren Gutachten vom 31. März 2003 an das Verwaltungsgericht Oldenburg heißt es, es lasse sich nicht annähernd schätzen, wie viele Menschen nördlich-muslimischer Herkunft in der südlichen Landeshälfte und speziell im Großraum Abidjan lebten. Im Zuge der Land-Stadt-Migration, ausgelöst durch die wirtschaftliche Anziehungskraft der Städte, habe sich der Anteil dieser Bevölkerungsgruppe auf jeden Fall stark erhöht. Bei dieser Gruppe handele es sich zwar nicht um die regionale Bevölkerungsmehrheit, sehr wohl aber um eine starke, inzwischen auch politisch artikulationskräftige Minderheit, die nicht zu übersehen sei.

Nach der Darstellung des Auswärtigen Amtes (Länderbericht September 2009) leben in Côte d’Ivoire u.a. drei Millionen Zuwanderer burkinischer Herkunft, bei denen es sich ebenfalls um moslemische Djoula handelt. Nach Darstellung der Schweizer Flüchtlingshilfe (Update 13.10.2005, Seite 4) leben In einigen Stadtvierteln Abidjans beispielsweise überwiegend muslimische Bewohner aus dem Norden und muslimische Immigranten. Rückschlüsse auf die Größe der hier fraglichen Gruppe lassen sich zudem aus der Zahl der Djoula ziehen, die mit Beginn des Bürgerkriegs im September 2002 in die Nachbarstaaten geflüchtet sind. Das waren nach dem Gutachten des Instituts für Afrikakunde vom 31.3.2003 an das Verwaltungsgericht Oldenburg bis zu einer Million Menschen.

Auf der Grundlage dieser quantitativen Feststellung zur Anzahl der Mitglieder der potentiell verfolgten Gruppe ist sodann zu entscheiden, ob Angehörige der Gruppe der Djoula im hier fraglichen Verfolgungszeitraum in Côte d’Ivoire in einem solchen Umfang und einer solchen Häufigkeit Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 200/83/EG ausgesetzt waren, dass auch für den Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise (Dezember 2001) unter Anwendung der genannten Grundsätze des Bundesverwaltungsgerichts von einer drohenden Gruppenverfolgung auszugehen war. Dazu ist zunächst die politische und gesellschaftliche Entwicklung der Côte d’Ivoire – in einem ersten (Grob-)Überblick - darzustellen:

Die Côte d’ Ivoire (offizieller Name: Republique de Côte d’Ivoire), die am 7. August 1960 die volle Unabhängigkeit von Frankreich erhielt, ist ein Zentralstaat mit der politischen Hauptstadt Yamoussoukro und der Wirtschaftsmetropole und nach wie vor de-facto-Hauptstadt Abidjan. Das Land ist in 19 Regionen unterteilt (Agneby, Bafing, Bas-Sassandra, Denguele, Dix-Huit Montagnes, Fromager, Haut-Sassandra, Lacs, Lagunes, Marahoue, Moyen-Cavally, Moyen-Comoe, N'zi-Comoe, Savanes, Sud-Bandama, Sud-Comoe, Vallee du Bandama, Worodougou, Zanzan). Wichtigste Verwaltungseinheiten auf örtlicher Ebene - vergleichbar den Landkreisen in Deutschland - sind die sous-préfectures. Französisch ist die offizielle (amtliche) Sprache; daneben werden 60 Dialekte gesprochen, wobei Djoula am häufigsten verwendet wird. Das Land wurde zunächst von Félix Houphouët-Boigny bis zu seinem Tode 1993 als Staatspräsident (ab 1990 auch als Regierungschef) geführt. Houphouët-Boigny, der auch die Einheitspartei „Parti Democratique de Côte d’Ivoire“ (PDCI) gegründet hatte, verfolgte eine prowestliche Politik. Er verfügte auch, dass die „Elfenbeinküste“, so benannt nach ihrem einst wichtigsten Exportprodukt, seit Ende der 1980er Jahre nur noch mit dem französischen Kolonialnamen Côte d’Ivoire bezeichnet werden darf. Unruhen unter der Bevölkerung führten dazu, dass 1990 erstmals Oppositionsparteien zur Wahl zugelassen sowie das Amt des Ministerpräsidenten eingeführt wurden. Im Jahr 1993 wurde Henri Konan Bédié (PDCI) Nachfolger des (zuvor im Fünfjahresrhythmus wiedergewählten) Präsidenten, der im selben Jahr gestorben war. Die von der Opposition boykottierten Wahlen im Oktober 1995 bestätigten Bédié im Präsidentenamt (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 14.5.1994 an Verwaltungsgericht Ansbach; Gutachten Institut für Afrika-Kunde vom 14.12.1995 für das Verwaltungsgericht Ansbach).

Der Verfall der Kakaopreise und weitere wirtschaftliche Schwierigkeiten führten in der Folgezeit in Côte d’Ivoire zu Unruhen und Auseinandersetzungen zwischen der Opposition und den Sicherheitskräften. Im Dezember 1999 wurde Bédié, der oppositionelle Kreise zunehmend unterdrückt hatte, in einem unblutigen Putsch vom Militär unter Führung von General Robert Guéï gestürzt („Weihnachtsputsch“). Das Land fiel danach in eine tiefe Krise. Unter dem Schlagwort Ivoirité kam es erstmals zu ausländerfeindlichen Tendenzen und zur Diskriminierung der im Norden des Landes ansässigen Ethnien. Seit der Wahl vom 26. Oktober 2000 ist Laurent Gbagbo das auf fünf Jahre gewählte, mit erheblicher Machtfülle ausgestattete Staatsoberhaupt, sein Vertreter ist Parlamentspräsident Mamadou Koulibaly (beide Front Populaire Ivorien [FPI]). Das ebenfalls im fünfjährigen Turnus gewählte Einkammerparlament hat 225 Abgeordnete. Bei der letzten Wahl im Dezember 2000 ging die FPI mit 96 Sitzen als stärkste Partei hervor. Der Kandidat der Oppositionspartei Rassemblement des Republicains (RDR), Alassane Dramene Ouattara, war zuvor wegen angeblich nicht ivorischer Abstammung von der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen worden. Nach bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen im September 2002 wurde das Land faktisch geteilt. Nach dem Abkommen von Ouagadougou vom März 2007 zwischen der Regierung und den Rebellen, die den Norden Côte d’Ivoires unter ihrer Kontrolle hielten, und der Bildung einer gemeinsamen Regierung ist diese Teilung teilweise überwunden. Die in dem Abkommen vorgesehenen Neuwahlen haben bisher nicht stattgefunden (vgl. zum Vorstehenden: Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 4.4.1996, vom 20.4.1998 und vom 14.5.1999; Darstellung der innenpolitischen Entwicklung der Côte d’Ivoire des Auswärtigen Amtes, Stand September 2009, sowie dessen Reise- und Sicherheitshinweise vom 30.9.2009; Konrad-Adenauer-Stiftung, Die Côte d’Ivoire zwischen Aufbruchstimmung und Skepsis, Stand Mai 2007; CIA, The World Factbook, Côte d’Ivoire).

Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Entwicklung stellen sich die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Côte d’Ivoire in dem hier fraglichen Zeitraum (Abschiebung des Klägers im Dezember 1999, erneute Ausreise im Dezember 2001) im Hinblick auf eine mögliche Gruppenverfolgung der Djoula im Einzelnen wie folgt dar:

Hintergrund und Nährboden der politischen Spannungen in der Côte d’Ivoire, die sich immer wieder in gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften sowie Angehörigen verschiedener Volksgruppen entluden und zu Verfolgungsmaßnahmen unter anderem gegen Angehörige bestimmter Ethnien und Aktivisten der RDR sowie zu mehreren Putschversuchen und schließlich bürgerkriegsähnlichen, bewaffneten Konflikten führten, ist der Gegensatz zwischen dem benachteiligten Norden mit seiner überwiegend muslimischen Bevölkerung und dem Süden des Landes mit nicht-muslimischen, überwiegend christlichen Bevölkerungsgruppen. Die FPI vertritt dabei vorrangig die Interessen des christlich geprägten, wirtschaftlich besser gestellten Südens. Diese Partei steht für die sogenannte "Ivoirité" als einer nationalen Vorstellung einer (süd-) ivorisch geprägten Identität. Nicht in das Konzept der "Ivoirité" passen danach die Millionen von vorwiegend aus Burkina Faso und Mali stammenden Arbeitskräfte, welche die ivorische Wirtschaft in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs ins Land geholt hatte, sowie die mit ihnen in ethnischer, regionaler und religiöser Hinsicht verwandten, ebenfalls nach Millionen zählenden nord-ivorischen Bevölkerungsgruppen.

Dagegen kann die RDR als Vertreterin der vorwiegend muslimischen Bewohner des Nordens der Côte d’Ivoire angesehen werden. Diese Partei begreift sich in der Tradition des 1993 verstorbenen Staatsgründers Houphouët-Boigny, dessen Herrschaftskonzept ("Houphouetismus") darauf abgestellt war, alle kooperationswilligen Kräfte des Landes, gleich welcher ethnischen, regionalen oder religiösen Zugehörigkeit, in das Machtgefüge einzubinden.

Dieser (Grund-)Konflikt zwischen dem vorwiegend christlich geprägten südlichen Teil der Côte d’Ivoire sowie dem muslimisch geprägten Norden – und entsprechend zwischen FPI und RDR - zeigte sich in dem hier interessierenden Zeitraum in der Auseinandersetzung um den Vorsitzenden der RDR, Allassane Ouattara. Dieser hat zwar familiäre Wurzeln auch in Burkina-Faso, wurde aber 1942 in der Cote d`Ivoire geboren. Gleichwohl betrieb die damalige ivorische Regierung unter Hinweis auf eine angebliche ungeklärte Staatsangehörigkeit frühzeitig den Ausschluss Ouattaras von den für Oktober 2000 geplanten Präsidentschaftswahlen. Daraufhin kam es zu Protestmärschen der Anhänger Ouattaras, die zumeist gewaltsam durch Sicherheitskräfte aufgelöst wurden. Seine Anhänger sahen hinter den Bestrebungen der Regierung, Ouattara von den Wahlen auszuschließen, die Absicht, eine politische Teilhabe der im Norden des Landes siedelnden muslimischen Bevölkerung, als deren Vertreter Ouattara galt (und weiter gilt), zu verhindern.

Diese politische Entwicklung und der Streit um die Kandidatur Ouattaras wurden durch den sogenannten „Weihnachtsputsch“ von General Robert Guéi am 23./24. Dezember 1999 unterbrochen. General Guéi wurde mit Unterstützung des Militärs zum Präsidenten einer Übergangsregierung unter Bildung des Conseil National de Salut Public (CNSP) ernannt. Da er baldige Präsidentschaftswahlen, eine Reform der Verfassung und die Bekämpfung der Korruption in Aussicht stellte, kam es zunächst zu einer gewissen Beruhigung der Lage.

Am 4./5. Juli 2000 wurden jedoch Abidjan und andere große Städte, z.B. Bouaké, zum Schauplatz einer Rebellion von Militärangehörigen, die durch General Guéi als Putschversuch gewertet wurde. Daraufhin wurden etliche Führer der RDR vorübergehend inhaftiert. Zugleich kam es in den Monaten Juli bis September 2000 im Südwesten von Côte d’Ivoire zu ethnischen Auseinandersetzungen, bei denen etliche Menschen zu Tode kamen und mehrere Hundert vertrieben wurden.

Am 15. September 2000 verbreitete sich das Gerücht, Ouattara solle verhaftet werden, was seine Anhänger auf die Straßen trieb. In der Nacht vom 17. auf den 18. September 2000 wurde die Residenz des Präsidenten attackiert mit - nach Angaben Guéis - dem Ziel seiner Tötung. Sämtliche dieser Ereignisse führten zu gewalttätigen Protesten der jeweiligen politischen Anhänger und zahlreichen Übergriffen durch die ivorischen Sicherheitskräfte.

Schließlich wurde Ouattara neben weiteren Bewerbern - unter ihnen auch der frühere Präsident Bédié - durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 6. Oktober 2000 von den für denselben Monat festgesetzten Wahlen ausgeschlossen. Die Wahlen wurden daraufhin im muslimischen Norden des Landes - der politischen Heimat der RDR und Ouattaras - weitgehend boykottiert. Die wichtigsten verbliebenen Gegner im Wahlkampf waren somit General Guéi und der Vorsitzende der FPI, Laurent Gbagbo.

Im Verlauf der Wahlen vom 22. Oktober 2000 kam es zu erheblichen Unregelmäßigkeiten und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Noch vor Bekanntgabe der offiziellen Wahlergebnisse traten sowohl Guéi als auch Gbagbo an die Öffentlichkeit und erklärten sich jeweils zum Sieger der Wahlen. Am 26. Oktober 2000 löste schließlich das Innenministerium die Wahlkommission auf und erklärte General Guéi zum Sieger, obgleich alles auf einen Wahlsieg Gbagbos hingedeutet hatte (tatsächlich hatte Laurent Gbagbo (FPI) 1.065.597 Stimmen (59.4%) und Robert Guéi 587.267 Stimmen (32.7%) erhalten; offizielles Ergebnis unter: http://africanelections.tripod.com/ci.html). Nach der Bekanntgabe des (falschen) Wahlergebnisses kam es zu mehrtägigen Demonstrationen von mehreren Tausend Personen in Abidjan, begleitet von gewaltsamen Übergriffen der Sicherheitskräfte. Nach Angaben aus ivorischen Menschenrechtskreisen sollen bei den Protesten während und nach den Präsidentschaftswahlen mehr als 500 Personen zu Tode gekommen und mehr als 800 Personen verletzt worden sein. Auch die Entdeckung von 57 männlichen Leichen in einem Massengrab in Yopougon, bei denen es sich Berichten zufolge um RDR-Anhänger gehandelt haben soll, sorgte für weitere Unruhen. Die Regierung Guéi geriet zunehmend unter Druck des Militärs und wurde auch international isoliert (insbesondere durch die US-Regierung und Frankreich). Schließlich wurde Laurent Gbagbo durch den Obersten Gerichtshof zum Sieger der Präsidentschaftswahlen vom Oktober 2000 erklärt. Die RDR und andere Oppositionskräfte gaben sich damit jedoch nicht zufrieden und forderten Neuwahlen.

Auch von den Parlamentswahlen am 10. Dezember 2000 wurde Ouattara erneut durch Gerichtsbeschluss ausgeschlossen. Die Wahlen wurden deshalb von der RDR boykottiert und mehrere Führer der RDR wurden auf Grund ihrer öffentlichen Protestaktionen gegen den Ausschluss Ouattaras festgenommen. Kurz zuvor - am 6. Dezember 2000 - war der Privatsekretär Ouattaras, Abou Coulibaly, durch die Präsidentengarde festgenommen und so schwer misshandelt worden, dass er am 7. Dezember 2000 in einem Krankenhaus verstarb. Ebenfalls am 6. Dezember 2000 verhängte Präsident Gbagbo vor dem Hintergrund der fortdauernden Ausschreitungen den Ausnahmezustand sowie eine Ausgangssperre bis zum 12. Dezember 2000. Wahlsieger wurde die FPI, die 96 Sitze errang; es folgte die PDCI mit 94 Sitzen und die RDR mit 5 Sitzen. Weitere Sitze erhielten die PIT (4 Sitze), die UDCI und die MFA (je ein Sitz) sowie „Independents“ 22 Sitze (offizielles Ergebnis unter: ttp://africanelections.tripod.com/ci.html).

Am 8. Januar 2001 wurde ein neuerlicher Putschversuch unternommen und dabei der staatliche Fernseh- und Radiosender RTI gestürmt. Dieser Putsch wurde jedoch noch am selben Tag niedergeschlagen, führte aber zunächst zu weiteren gewalttätigen Übergriffen. Im Februar 2001 beruhigte sich die Lage langsam, und bei den Kommunalwahlen im März 2001 konnte die RDR in mehreren wichtigen Gemeinden die Stimmenmehrheit erzielen. Dagegen musste die Regierungspartei FPI eine Wahlniederlage hinnehmen. In den darauf folgenden Monaten wurden auch die vor den Parlamentswahlen festgenommenen Führer der RDR wieder auf freien Fuß gesetzt.

Von Oktober bis Dezember 2001 fand in Abidjan sodann ein nationales Versöhnungsforum statt, an dem neben der FPI u.a. auch die RDR teilnahm. Wie zum Abschluss des Forums angekündigt, trafen sich Anfang Januar 2002 Präsident Gbagbo (FPI), der RDR-Vorsitzende Ouattara und der PDCI-Vorsitzende Bédié in Abidjan. Der Dialog der Parteiführer mit dem Präsidenten sollte dazu beitragen, eine friedliche Entwicklung in der Côte d’Ivoire zu gewährleisten. Auch die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit unter Beteiligung der RDR wurde erörtert. Infolge dieser Gespräche und der vorangegangenen Kommunalwahlen trat im Land eine gewisse Lageberuhigung ein (vgl. zu dem Vorstehenden: Auskunft des UNHCR vom 29.10.2001 an das Verwaltungsgericht Hamburg; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28.1.2002 an das Verwaltungsgericht Hannover, vom 25.5.2001 an das Verwaltungsgericht Ansbach, und vom 4.9.2001 an das Verwaltungsgericht Aachen; Länderinformation Côte d’Ivoire des Auswärtigen Amtes, Stand Januar 2001; Gutachten des Instituts für Afrika-Kunde vom 3.5.2002 [Verwaltungsgericht Hannover], und vom 18.2.2002 [Verwaltungsgericht Aachen]; Gutachten Amnesty International vom 9.4.2001 und 24.7.2001 [Verwaltungsgericht Hamburg]; J. Hettmann, Friedrich-Ebert-Stiftung, „Die Côte d’Ivoire nach dem Abkommen von Marcoussis vom 7.2.2003; Schweizer Flüchtlingshilfe, Basisinformation Côte d’Ivoire, Stand Februar 2004; Update vom 13.10.2005; Konrad-Adenauer-Stiftung, Die Côte d’Ivoire zwischen Aufbruchstimmung und Skepsis, Stand Mai 2007).

Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Côte d’Ivoire ist zur Beurteilung der Frage, ob der Kläger als Djoula vor seiner Ausreise einer Gruppenverfolgung ausgesetzt oder davon bedroht war, näher auf diejenigen Bedingungen und Verfolgungshandlungen sowie Bedrohungen einzugehen, denen Angehörige dieser Gruppe im hier fraglichen Zeitraum ausgesetzt waren:

Nach den Auskünften des Instituts für Afrika-Kunde an das Verwaltungsgericht Hannover vom 3. Mai 2002 und an das Verwaltungsgericht Aachen vom 18. Februar 2002 hat seit Mitte der 90er Jahre in der politischen Auseinandersetzung in Côte d’Ivoire der fremdenfeindliche Gedanke der „Ivorität“ zunehmende Bedeutung erfahren. Er habe sich vor allem gegen die in den Jahren wirtschaftlichen Aufschwungs in das Land gekommenen zahlreichen Einwanderer aus anderen westafrikanischen Staaten gerichtet. Diese Ausgrenzung habe sich im Laufe der Zeit auch auf die muslimische Bevölkerung des Nordens mit ivorischer Staatsangehörigkeit ausgeweitet. Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen fremdenfeindlichen Entwicklung, die insbesondere von der Regierungspartei FPI begünstigt worden sei, sei es in der Zeit von Anfang 2000 bis etwa März 2001 in den städtischen Zentren des Südens zu staatlichen und nichtstaatlichen Übergriffen u.a. gegen die ivorische und ausländische muslimische Bevölkerung gekommen. Die jahrelange und systematische Benachteiligung und Ausgrenzung der ethnisch und religiös definierten Opposition habe ihren Höhepunkt in den massiven Ausschreitungen von Polizei und FPI-Anhängern nach den Präsidentschaftswahlen vom Oktober 2000 und dem Sturz der Militärherrschaft von Robert Guéi gefunden. Dabei seien nach offiziellen Angaben 200, nach Angaben von Menschenrechtsgruppen 500 Personen gestorben. Der schlimmste Einzelvorfall habe sich am 26. Oktober 2000 ereignet, als die Polizei in Abidjan 57 Menschen umgebracht und im Stadtteil Yopougon in einem Massengrab verscharrte habe (Institut für Afrika-Kunde, a.a.O., siehe dazu auch die im Wesentlichen inhaltsgleiche Auskunft von Amnesty International vom 9.4.2001 an das Verwaltungsgericht Hamburg).

In einem weiteren Gutachten des Instituts für Afrika-Kunde vom 31. Oktober 2002 an das Verwaltungsgericht Hannover wird u.a. zu den erwähnten Ereignissen vom 26. Oktober 2000 in Abidjan ein Bericht der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" wiedergegeben. Darin heißt es (Übersetzung aus dem Englischen):

"Nachdem General Guéi aus dem Land geflohen war, intensivierte sich die vom Staat hervorgebrachte Gewalt der vorangegangenen zwei Tage und entwickelte einen eindeutigen ethnischen und religiösen Fokus. Die Haupttäter waren paramilitärische Gendarmen und Polizisten, und die von ihnen ausgeübte Gewalt zielte grundsätzlich auf Unterstützer von Alassane Ouattaras RDR-Partei. Ouattaras Anhänger, meist aus dem muslimischen Norden, strömten in die Straßen, um die Annullierung der (Präsidenten-) Wahl zu verlangen, in der General Guéi Ouattara von der Kandidatur ausgeschlossen hatte. Als RDR-Anhänger sich der nationalen Fernsehstation näherten, wurden sie auf der Straße zusammengeschossen, von Gendarmen und Polizisten zusammengetrieben und von einem mit Macheten, Messern, Steinen und Eisenstangen bewaffneten Straßenmob von Anhängern der Gbagbo-Partei FPI attackiert.

Ein erheblicher Teil der Tötungen durch Gendarmen fand statt, nachdem einer ihrer Leutnants auf einer Patrouille durch das "Derriere-Rails-Gebiet“ von Abobo, einem (nördlichen) Vorort von Abidjan, getötet worden war. Nachdem die Nachricht von seinem Tod sich verbreitet hatte, gingen die Gendarmen auf einen Mordzug durch Abobo, jagten Muslime, Ausländer und junge Dioula-Männer aus dem Norden (der Côte d’Ivoire). Die Gendarmen erschossen dreißig bis vierzig junge Männer, die im Abobo-Lagerkommando festgehalten wurden; danach trieben sie elf bis dreizehn weitere Dioula-Männer zusammen und missbrauchten sie als Träger, um die Leichen und Sterbenden auf einen Lkw zu laden. Nachdem die Leichen in einem Wald außerhalb von Abidjan abgelegt worden waren, wurden die Träger und andere Zeugen nach Berichten von Überlebenden ebenfalls getötet. Es gab mindestens zwei weitere Massaker in "Derriere-Rails", bei denen fünf von sieben bzw. dreizehn Männer starben. Die Opfer, die aus ihren Häusern geholt oder auf dem Heimweg von der Arbeit oder von Besuchen bei Freunden festgenommen wurden, wurden geschlagen und in manchen Fällen ausgezogen, bevor sie erschossen wurden. Die Täter trugen anschließend die Leichen der getöteten Männer fort."

Weiter wird in den o.g. Gutachten des Instituts für Afrika-Kunde ausgeführt, es habe schon im Herbst 1999 in den ländlichen Regionen des Südwestens der Côte d’Ivoire blutige Zusammenstöße zwischen der einheimischen Bevölkerung und primär Gastarbeitern aus Burkina Faso und Mali gegeben, die sich an Streitigkeiten über Landbesitz und Landverfügungsrechte entzündet hätten. Nach weitgehend störungsfreier Durchführung der Kommunalwahlen im März 2001 und dem Abschluss des Forums für nationale Versöhnung im Dezember desselben Jahres habe sich die Lage zunehmend entspannt. Die wichtigen multilateralen Geber - Internationaler Währungsfonds, Weltbank und Europäische Union - hätten ihre Entwicklungszusammenarbeit mit der Côte d’Ivoire, die nach dem Putsch von Ende 1999 ausgesetzt worden sei, inzwischen wieder aufgenommen. Ein Wiederaufleben der Repressionen gegen Moslems könne angesichts der Instabilität des Landes jedoch nicht ausgeschlossen werden.

Nach Auskunft des UNHCR vom 29. Oktober 2001 an das Verwaltungsgericht Hamburg wurde am 8. Januar 2001 der staatliche Fernseh- und Radiosenders RTI gestürmt und ein neuerlicher Putschversuch unternommen. Dafür habe die Regierung Gbagbo die nördlichen Nachbarländer, Militärangehörige aus dem Norden der Côte d’Ivoire und die RDR unter Ouattara verantwortlich gemacht. Infolge dieses Putschversuches sei es zu schweren Übergriffen gekommen, insbesondere gegen ausländische Bürger seitens der Bevölkerung, vor allem in Abidjan (vgl. dazu auch Auskunft von Amnesty International vom 9.4.2001 an das Verwaltungsgericht Hamburg; Länderreport Bundesamt Juli 2001). Nach den Kommunalwahlen im März 2001 sei grundsätzlich von einer weitgehend ungehinderten politischen Betätigungsmöglichkeit für RDR-Anhänger auszugehen. Diese Aussage müsse jedoch in dem Kontext gesehen werden, dass im Laufe der vorstehend geschilderten Ereignisse die Ursachen der Spannungen zunehmend eine religiös-ethnische Komponente angenommen hätten.

Das Auswärtige Amt hat in der Auskunft an das Verwaltungsgericht Aachen vom 4. September 2001 ausgeführt, es habe im Nachgang zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen Übergriffe und teilweise gezielte Verfolgung von RDR-Anhängern und (vermeintlichen) Ausländern aus nördlichen Nachbarstaaten der Côte d’Ivoire gegeben. Weiter habe es im Nachgang zu den Ereignissen vom 7./8. Januar 2001 (Putschversuch) Ausschreitungen und teilweise gezielte Verfolgung von afrikanischen Ausländern und Angehörigen der im Norden Côte d’Ivoires lebenden Ethnien gegeben. Die Verfolgungsmaßnahmen hätten dabei von Lynchmord an vermeintlichen Feinden, Verjagen der Betroffenen aus ihren Wohngebieten und widerrechtlichen Freiheitsberaubungen bis zu Eigentumsdelikten gereicht. Die Lage habe sich jedoch ab Februar 2001 beruhigt.

In der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. Januar 2002 an Verwaltungsgericht Hannover heißt es dazu weiter, von Oktober bis Dezember 2001 habe in Abidjan ein nationales Versöhnungsforum stattgefunden, an dem neben der FPI u.a. auch die RDR teilgenommen habe. Wie zum Abschluss des Forums angekündigt, hätten sich Anfang Januar 2002 Präsident Gbagbo (FPI), der RDR-Vorsitzende Ouattara und der PDCI-Vorsitzende Bédié in Abidjan getroffen. Das nächste Treffen sei für den 22. Januar 2002 in Yamoussoukro vorgesehen. Der Dialog der Parteiführer mit dem Präsidenten solle dazu beitragen, eine friedliche Entwicklung in der Côte d’Ivoire zu gewährleisten. Auch über die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit unter Beteiligung der RDR werde dem Vernehmen nach gesprochen.

Auf der Grundlage der genannten Erkenntnisquellen kann nicht festgestellt werden, dass Djoula in Côte d’Ivoire in dem Zeitraum, in welchem der Kläger seinen Heimatstaat verlassen hat, einer Gruppenverfolgung ausgesetzt waren. Zwar ist nach diesen Quellen davon auszugehen, dass es vor allem im Süden der Côte d’Ivoire im fraglichen Zeitraum zu Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG gegen Mitglieder dieser Gruppe gekommen ist und dass insoweit auch eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund im Sinne von Art. 9 Abs. 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Buchstabe d der Richtlinie 2004/83/EG gegeben war. Daneben ist jedoch für die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung notwendig – soweit es wie hier nach Quellenlage offenkundig an einem staatlichen Verfolgungsprogramm fehlt - , dass eine bestimmte "Verfolgungsdichte" gegeben ist, welche die „Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.7.2006, a.a.O., Rn. 20).

An dieser „Verfolgungsdichte“ fehlt es in dem hier fraglichen Zeitraum in Bezug auf Angehörige der Gruppe der Djoula, die seinerzeit im Süden der Côte d’Ivoire gelebt haben. Denn es lässt sich nicht feststellen, dass es sich bei den oben im Einzelnen dargestellten Verfolgungshandlungen nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe gehandelt hat, sondern dass diese Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum auf alle sich im Verfolgungsgebiet aufhaltenden Gruppenmitglieder zielten und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiteten, wiederholten und um sich griffen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entstanden war.

Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass den Übergriffen gegen – sowohl ivorische als auch nicht ivorische - Zuwanderer aus moslemischen Ethnien aus dem Norden der oben dargestellte (Grund-)Konflikt zwischen dem reicheren, christlich geprägten und den Großteil der Regierungselite stellenden Süden und dem ärmeren, moslemisch geprägten Norden Côte d’Ivoires zugrunde lag und dass dieser Gegensatz auch (Mit-)Ursache sowie Triebfeder der in den Quellen genannten Verfolgungshandlungen gewesen ist. Insoweit war jedenfalls im hier fraglichen Zeitraum das politische und gesellschaftliche Klima in der Côte d’Ivoire nachhaltig durch die nationalistische Ideologie der "Ivoiritè" geprägt, derer sich die damaligen Regierungsparteien und deren Repräsentanten in ihrer Auseinandersetzung mit der jeweiligen Opposition und auch in ethnisch begründeten Auseinandersetzungen bedienten. Durch diese nationalistisch gefärbte Ideologie wurden die moslemischen Zuwanderer aus den nördlichen Volksstämmen sowie die Einwanderer aus anderen westafrikanischen Ländern, die nach Quellenlage knapp die Hälfte der Gesamtbevölkerung des Landes und im Süden eine größere Minderheit darstellten, offenbar systematisch benachteiligt. In diesem Zusammenhang ist auch nicht zu verkennen, dass diese ethnisch und religiös bedingte, jahrelange und systematische Benachteiligung und Ausgrenzung der Djoula (im weiten Sinne), die mit einem weitgehenden Ausschluss der politisch-gesellschaftlichen Eliten des Nordens vom Zugang zu Ressourcen und Macht einher ging, in dem hier fraglichen Verfolgungszeitraum ein erhebliches Konflikt- und Gewaltpotenzial begründete (vgl. zu alledem Gutachten des Instituts für Afrika-Kunde vom 31.10.2002 und vom 18.2.2002).

Gleichwohl ergibt eine nähere Betrachtung der oben dargestellten Verfolgungshandlungen gegen inländische oder ausländische Djoula im Süden der Côte d’Ivoire, dass diese Übergriffe nicht permanent, sondern in Folge bestimmter Einzelereignisse aufgetreten sind. Eine systematische Verfolgung, mit denen Angehörige der Gruppe in dem hier fraglichen Zeitraum durchgängig und unabhängig von bestimmten politischen oder sonstigen Anlässen in der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geforderten Dichte konfrontiert gewesen wären, lässt sich nicht feststellen. Auffallend ist insoweit zunächst, dass bei bestimmten krisenhaften Zuspitzungen, die mit wirtschaftlichen und sozialen Einschränkungen für die gesamte ivorische Bevölkerung verbunden waren, von den daraus resultierenden Auseinandersetzungen nach den genannten Quellen vorrangig nicht Djoula mit ivorischer Staatsangehörigkeit betroffen waren. Ziel der Übergriffe waren vielmehr - entsprechend dem Konzept der von der Regierungspartei vertretenen Idee der „Ivoirité“ - in erster Linie die nicht ivorischen, moslemischen Zuwanderer („Gastarbeiter“), die als „Sündenböcke“ für Fehlentwicklungen herhalten mussten. Diese nicht ivorischen Djoula stellten insoweit häufig recht- und wehrlose Opfer dar, gegen die sich in Krisen der Unmut von Teilen der Bevölkerung vorwiegend im Süden des Landes richtete. Allerdings ist dabei nicht zu übersehen, dass die Verfolger - neben staatlichen Stellen auch Teile der christlichen Bevölkerung insbesondere der größeren Städte wie Abidjan – bei gewaltsamen Auseinandersetzungen und Ausschreitungen zunehmend nicht (mehr) unterschieden zwischen ivorischen und nicht ivorischen Djoula. Insoweit steht außer Frage, dass Angehörige beider Gruppen in dem hier fraglichen Zeitraum in einer nicht geringen Zahl von Fällen von schweren Menschenrechtsverletzungen bis hin zu extralegalen Tötungen betroffen waren.

Aber auch unter der Annahme, dass alle Verfolgungsschläge gegen Angehörige der Gruppe der Djoula, soweit darüber in den oben genannten Quellen im Einzelnen berichtet wird, bei der Prüfung einer möglichen Gruppenverfolgung unterschiedslos zu berücksichtigen sind, lässt sich gleichwohl nicht die - für die Annahme einer Gruppenverfolgung notwendige - Verfolgungsdichte im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts feststellen. Dabei geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Verfolgungshandlungen gegen Angehörige der genannten Gruppe im Süden der Côte d’Ivoire und insbesondere den größeren Städten (dort vorrangig in muslimisch geprägten Stadtteilen wie etwa in Abidjan) das in den genannten Auskünften dargestellte Ausmaß hatten und dass es insoweit in einer Vielzahl von Fällen zu schweren Schäden bis hin zur Tötung einer größeren Anzahl von Menschen gekommen ist (vgl. etwa den Bericht über die Erschießung von dreißig bis vierzig jungen Männern, wahrscheinlich Djoula, am 26.10.2000 im Gutachten des Instituts für Afrika-Kunde vom 31.10.2002, siehe auch Darstellung der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch"). Ebenso kann davon ausgegangen werden, dass die von "Human Rights Watch" erwähnten zwei weiteren Massaker im "Derriere-Rails-Gebiet“ von Abobo, einem (nördlichen) Vorort von Abidjan, stattgefunden haben, bei denen fünf bzw. dreizehn Männer (wahrscheinlich Djoula) getötet worden sind.

Bei der Beurteilung der hier entscheidenden Frage, ob angesichts dieser Vorfälle die für die Feststellung der Gruppenverfolgung notwendige Verfolgungsdichte erreicht ist, ist die Größe der potentiell verfolgten Gruppe in Bezug zu nehmen. Wie oben dargelegt, stellte die Gruppe (moslemischer) Djoula in den südlichen Landesteilen Côte d’Ivoires eine starke Minderheit dar, die mindestens die Millionengrenze erreichte. Das daraus folgende Verhältnis der Zahl der Verfolgungsschläge im Verfolgungszeitraum, wie sie nach den oben genannten Quellen als gesichert angesehen werden kann, zu der großen Zahl der im Verfolgungsgebiet lebenden Gruppenangehörigen ließ offenkundig nicht für jeden Djoula ohne weiteres die aktuelle Gefahr entstehen, im Verfolgungsgebiet jederzeit und ohne äußeren Anlass nur wegen seiner Gruppenzugehörigkeit Opfer schwerer Menschenrechtsverletzung bzw. von Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG zu werden. Da sich insoweit eine entsprechende Verfolgungsdichte nicht feststellen lässt, ist der Kläger im Dezember 2001 auch nicht aus begründeter Furcht vor einer ihn gegebenenfalls treffenden Gruppenverfolgung ausgereist.

cc) Schließlich ist eine Vorverfolgung des Klägers nicht anders zu beurteilen, wenn – neben der Zugehörigkeit zur Gruppe der moslemischen Djoula – noch berücksichtigt wird, dass er (schon) im hier fraglichen Verfolgungszeitraum Anhänger der (Oppositions-)Partei RDR gewesen ist.

Die Frage kann unabhängig davon zu entscheiden werden, ob dem Kläger seine Anhängerschaft zu der genannten Partei abzunehmen ist. Denn nach den genannten Quellen wurde (und wird) in der politischen, ethnischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit der Côte d’Ivoire ein in den südlichen Landesteilen lebender moslemischer Angehöriger einer nördlichen Ethnie, der Djoula spricht, unabhängig von seiner individuellen (politischen) Einstellung als Anhänger der islamisch orientierten Oppositionspartei RDR angesehen und regelmäßig auch als solcher behandelt (und gegebenenfalls verfolgt). Denn diese Partei repräsentierte (und repräsentiert noch) die vor allem im Norden der Côte d’Ivoire lebenden Muslime (vgl. Gutachten Amnesty International vom 9.4.2001 an das Verwaltungsgericht Hamburg; Auskunft Schweizer Flüchtlingshilfe vom 19.1.2007, Gefährdung von Mitgliedern der RDR; Gutachten des Instituts für Afrika-Kunde vom 2.5.2005 an das Verwaltungsgericht Gera und vom 18.2.2002 an das Verwaltungsgericht Aachen). Aus diesem Grund bestand im fraglichen Verfolgungszeitraum aus der Sicht derjenigen Akteure im Sinne von Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG, von denen Verfolgungshandlungen nach Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG gegen muslimische Zu- oder Einwanderer aus dem Norden ausgegangen sind, praktisch Identität zwischen der Gruppe der Djoula und der Anhängerschaft der RDR. Mit anderen Worten: Die Zugehörigkeit zur Gruppe der Djoula wurde (und wird) mit einer Anhängerschaft der RDR gleichgesetzt (so ausdrücklich Amnesty International, Gutachten vom 2.1.2006 an das Verwaltungsgericht Gera). Nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG ist aber auf die Sicht der potentiellen Verfolger - und nicht auf die tatsächliche Inhaberschaft bestimmter ethnischer, sozialer oder politischer Merkmale einer Person - bei der Beurteilung der Frage abzustellen, ob die Furcht des Schutzsuchenden vor Verfolgung begründet ist.

Aus dieser Gruppenidentität – Djoulas sind aus Sicht potentieller Verfolger zugleich Anhänger der RDR und umgekehrt – ergibt sich, dass die Frage einer (Gruppen-)Vorverfolgung der RDR-Anhängerschaft mit der Frage der (Gruppen-)Vorverfolgung der Djoulas im Grundsatz identisch ist. Das heißt, dass ein RDR-Anhänger im gleichen Umfang wie ein Djoula gefährdet war, von Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG betroffen zu werden und umgekehrt. Das bedeutet zugleich, dass sich die Verfolgungsgefahr für Angehörige der Gruppe der Djoula grundsätzlich nicht durch eine Anhängerschaft zur RDR erhöhte, weil diese Anhängerschaft bei moslemischen Zu- und Einwanderern aus dem Norden von potentiellen Verfolgern ohnehin unterstellt worden ist (und weiter unterstellt wird).

In diesem Zusammenhang ist nicht zu entscheiden, ob die Gefahr einer (Vor-)Verfolgung dann anders zu beurteilen wäre, wenn ein Djoula – über die bloße Anhängerschaft zur RDR hinaus – auch formal Mitglied dieser Partei gewesen wäre und innerhalb dieser Organisation gegebenenfalls eine höhere Funktion bekleidet oder besondere politische Aktivitäten entwickelt hätte (vgl. dazu Verwaltungsgericht Oldenburg, Urt. v. 22.2.2008, 7 A 2266/05, beck-online). Eine Mitgliedschaft in der RDR oder eine Funktionärstätigkeit bzw. besondere politische Aktivitäten für diese Partei hat der Kläger nicht geltend gemacht.

2. Auf der Grundlage dieser (negativen) Feststellung zur Vorverfolgung kann dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. nach Art. 13 i.V.m. Art. 9, 10 der Richtlinie 2004/83/EG nur zuerkannt werden, sofern ihm derzeit in Côte d’Ivoire eine Rückkehrverfolgung im Sinne dieser Normen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Der Kläger muss in seinem Heimatstaat jedoch weder als Einzelperson (a)) noch als Angehöriger der Gruppe der Djoula bzw. als RDR-Anhänger Rückkehrverfolgung mit dem hier notwendigen Wahrscheinlichkeitsgrad befürchten (b)). Der Möglichkeit internen Schutzes im Sinne von Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG ist deshalb nicht nachzugehen (c)).

a) Dem Vorbringen des Klägers lassen sich keine Anhaltspunkte für die Annahme entnehmen, dass ihm wegen individueller Gründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer (Einzel-)Verfolgung droht, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt (zu diesem Maßstab auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG siehe BVerwG, Urt. v. 20.3.2007, BVerwGE 128, 199, 210 Rn 24, m.w.N). Eine solche Gefährdung lässt sich insbesondere nicht aus der Schilderung des Klägers über eine viertägige polizeiliche Gewahrsamnahme nach Wiedereinreise im Dezember 1999 und eine sodann erfolgte gerichtliche Vorladung, deren Einzelheiten nicht genannt wurden, herleiten. Auch die behauptete Anhängerschaft zur RDR, die für Angehörige der Gruppe der Djoula in Côte d’Ivoire von potentiellen Verfolgern ohnehin unterstellt wird (siehe oben), begründet keine Rückkehrgefährdung. Dazu wird auf die nachfolgenden Ausführungen zu dieser Gruppe verwiesen. Schließlich liegen auch keine Anhaltspunkte für die Annahme vor, der Kläger könne allein wegen seines Asylbegehrens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Rückkehrverfolgung ausgesetzt sein (vgl. auch VG Minden, Urt. v. 1.7.2008, 10 K 372/08, juris Rn. 61; VG Oldenburg, Urt. v. 9.1.2008, 7 A 2446/05, juris).

b) Dem Kläger drohen bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, weil er Djoula und RDR-Anhänger ist.

Dazu ist zunächst die politische und gesellschaftliche Entwicklung der Côte d’Ivoire im Anschluss an den oben bei der Prüfung der Vorverfolgung geschilderten Stand bis zur Gegenwart zusammengefasst darzustellen:

Vor dem Hintergrund des bereits erwähnten Gegensatzes zwischen dem sich benachteiligt fühlenden muslimischen Norden und dem reicheren christlichem Süden sowie des Streits um die ivorische Identität und die daraus folgenden staatsbürgerlichen Rechte kam es am 19. September 2002 zu einer bewaffneten Rebellion gegen Präsident Gbagbo, die insbesondere von Angehörigen der Streitkräfte aus dem Norden der Côte d’Ivoire getragen wurde. Im Zuge der mehrtägigen Kämpfe eroberten die Rebellen des Mouvement Patriotique de Côte d`Ivoire (MPCI, heute: Forces Nouvelles [FN], Anführer Guillaume Soro) weite Teile des Nordens des Landes. Dagegen wurden die Rebellen aus den südlichen Landesteilen von - dem Präsidenten ergebenen -Truppen zurückgeschlagen. Seither ist die Côte d’Ivoire faktisch in einen von den Regierungstruppen gehaltenen südlichen und einen von den Rebellen der FN beherrschten nördlichen Landesteil geteilt. Dazwischen verläuft eine von West nach Ost reichende „Vertrauenszone“, die mittlerweile durch internationale Streitkräfte gesichert ist (Einzelheiten und zwischenzeitliche Veränderungen siehe unten).

Ende November 2002 komplizierte sich die Konfliktlage in Côte d’Ivoire noch zusätzlich durch das Auftreten zweier kleinerer Rebellengruppen im Westen des Landes und nahe der liberianischen Grenze. Sie bezeichneten sich als Mouvement pour la Justice et la Paix (MJP) und als Mouvement Populaire du Grand Ouest (MPIGO). Beide Gruppen hielten jeweils Teilgebiete besetzt und zeichneten sich durch ein äußerst gewaltsames Auftreten aus (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28.2.2007 an das Verwaltungsgericht Aachen; Auswärtiges Amt, Länderreport Côte d’Ivoire, Stand September 2009; Auskunft Schweizer Flüchtlingshilfe vom 19.1.2007; Gutachten des Instituts für Afrika-Kunde vom 31.3.2003 an das Verwaltungsgericht Aachen; Gutachten Amnesty International vom 3.4.2003 an das Verwaltungsgericht Oldenburg).

Ende Januar 2003 kam es auf Druck Frankreichs in der Nähe von Paris zu Verhandlungen und zu einem Friedensabkommen, an dem sich formell alle wichtigen zivilen politischen Parteien und die drei Rebellenorganisationen beteiligten. Vereinbart wurde u.a. die Bildung einer Regierung der nationalen Versöhnung (Abkommen von Linas-Marcoussis). Der aus dem muslimischen Norden des Landes stammende Seydou Diarra wurde zum Premierminister ernannt und mit der Regierungsbildung beauftragt. In der Regierung sollten die Ministerposten wie folgt verteilt werden: FPI 10, PDCI 10, RDR 7, MPCI 7, zivile Kleinparteien 5, MJP und MPIGO je 1. Die Regierungsbildung gestaltete sich jedoch aufgrund starker Differenzen der in Abidjan dominierenden Parteien mit den Rebellenorganisationen, insbesondere dem MPCI, außerordentlich schwierig. Erst am 17. März 2003 konnte Diarra das Kabinett vorstellen. Die Rebellenorganisationen blieben jedoch den ersten Kabinettsitzungen fern. Die Regierung in Abidjan besetzte interimistisch die Posten des Verteidigungs- und Innenministers mit Vertretern von FPI und RDR, während das MPCI genau diese Posten für sich beanspruchte. Der zwischenzeitlich vereinbarte Waffenstillstand wurde zunächst von (auf 3.000 Mann aufgestockten) Truppen der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich überwacht und an einzelnen Punkten auch militärisch robust gesichert. Nach dem Abkommen sollte die Überwachung des Waffenstillstandes und die Flankierung von dessen Umwandlung in einen Friedensprozess auf eine multinationale Streitmacht der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS übergehen.

Seit April 2004 sicherten etwa 7.000 Soldaten, welche die Vereinten Nationen im Rahmen der Mission UNOCI nach Côte d’Ivoire entsandt hatte, das Land vor erneuten gewaltsamen Auseinandersetzungen. Sie wurden dabei von französischen Soldaten der Operation „Licorne“ unterstützt. Am 21. Oktober 2005 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 1633 (2005). Darin war u.a. vorgesehen, dass Präsident Laurent Gbagbo nach Ablauf seines regulären Mandats im Oktober 2005 bis zu einem weiteren Jahr im Amt bleiben solle. Zudem sollte eine neue, in ihren Kompetenzen gestärkte Regierung der nationalen Versöhnung gebildet werden. Infolge dieser Resolution wurde Konan Banny (seinerzeit Vorsitzender der Afrikanischen Union und der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten) zum Premierminister ernannt. Der Sicherheitsrat verlängerte zugleich die Präsenz der in Côte d’Ivoire stationierten UNOCI-Mission.

Zuvor war die Lage in Côte d’Ivoire erneut eskaliert. Am 4. November 2004 griffen Regierungstruppen Ziele im Norden des Landes aus der Luft an. Gleichzeitig wurden in Abidjan Büros von Oppositionsparteien und unabhängigen Zeitungen verwüstet. Als bei diesen Luftangriffe am dritten Tag neun französische Soldaten ums Leben kamen, zerstörten französische Streitkräfte die gesamte ivorische Luftwaffe (zwei Kampfflugzeuge, fünf Kampfhubschrauber). Dies hatte tagelange Ausschreitung von Teilen der Bevölkerung gegen ausländische, insbesondere französischen Bürger und Einrichtungen in den südlichen Städten Côte d’Ivoires, vor allem in Abidjan, zur Folge. Bis Mitte November 2004 wurden daraufhin rund 6000 Ausländer via Luftbrücke evakuiert.

Nach weitgehender Beruhigung der Situation einigten sich unter südafrikanischer Vermittlung Armee und Rebellen am 9. Juli 2005 erneut auf ein Entwaffnungs- und Machtteilungsabkommen. Die Konfliktparteien erklärten den Bürgerkrieg zum wiederholten Mal für beendet. Dadurch sollte der Weg zu Präsidentschaftswahlen am 30. Oktober 2005 freigemacht werden. Tatsächlich wurden aber weder die Entwaffnung vollzogen noch Wahlen durchgeführt. Gründe dafür waren u.a. Unstimmigkeiten bei der Vorgehensweise zur Erfassung der Wähler und über das Ausstellen von Identitätspapieren.

Am 4. März 2007 wurde nach langwierigen Verhandlungen zwischen Präsident Laurent Gbagbo und dem Rebellenführer Guillaume Soro unter Vermittlung des burkinischen Präsidenten Blaise Compaoré ein neuer Friedensvertrag unterzeichnet („Abkommen von Ouagadougou“). Dieser Vertrag sieht - im Unterschied zu den vorherigen Abkommen - neben einer Machtteilung zwischen bisheriger Regierung und FN sowie den Oppositionsparteien auch einen Ständigen Konzertierungsausschuss („Le Cadre permanent de concertation“ [CPC]) vor, in welchem neben Gbagbo, Soro und Compaoré auch Bédié (Vorsitzender der PDCI) und Ouattara (Vorsitzender der RDR) vertreten sind. Soro wurde zum Premierminister der neu zu bildenden Regierung ernannt. Der Vertrag von Ouagadougou regelt ferner das Abhalten von Wahlen (bis Dezember 2007), die Wiederaufnahme der Verwaltung im Norden des Landes, die Vereinigung der regierungstreuen Streitkräfte und der (Rebellen-)Truppen aus dem Norden. Zudem enthält das Abkommen detaillierte Vereinbarungen zur Ausgabe von Identitätspapieren, zur Aufstellung des Wählerverzeichnisses sowie zur Bildung einer nationalen Armee. Diese (Kern-)Punkte entsprechen im Wesentlichen der Resolution 1721 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 1. November 2006, die insoweit den Weg zum Frieden und zur Wiedervereinigung der Côte d'Ivoire vorgezeichnet hatte.

Wenige Wochen nach Vertragsabschluss wurde bereits mit dem Abbau der Pufferzone begonnen, und es gab erste gemeinsame Patrouillen von Regierungssoldaten und Rebellen der FN. Im Juli 2007 besuchte Präsident Gbagbo zum ersten Mal seit fünf Jahren den von den Rebellen gehaltenen Norden. Er nahm dort zusammen mit dem früheren Rebellenführer Guillaume Soro (seit März 2007 Premierminister) an einer offiziellen Friedenszeremonie in Bouaké teil, bei der in Anwesenheit zahlreicher afrikanischer Staatschefs Waffen verbrannt wurden (vgl. zu alledem: Auskünfte des Auswärtige Amtes vom 22.4.2003 an das Verwaltungsgericht Oldenburg, vom 8.1.2007 an das VG Karlsruhe; vom 28.2.2007 an das Verwaltungsgericht Aachen und vom 20.8.2008 an das Bundesamt; Auswärtigen Amt, Länderreport Juli 2001 und Oktober 2003; Gutachten Amnesty International vom 2.1.2006 an das Verwaltungsgericht Gera; UNHCR, update Côte d’Ivoire, Juli 2007 (englisch); Resolution des Sicherheitsrates Nr. 1765 (2007) vom 16.7.2007; Darstellung der innenpolitischen Entwicklung der Côte d’Ivoire des Auswärtigen Amtes, Stand September 2009, sowie Reise- und Sicherheitshinweise vom 30.9.2009; Friedrich-Ebert-Stiftung, Friedensschluss in Ouagadougou, 5.3.2007; Konrad-Adenauer-Stiftung, Die Côte d’Ivoire zwischen Aufbruchstimmung und Skepsis, Stand Mai 2007; Konrad-Adenauer-Stiftung, „Das Abkommen von Ouagadougou“ vom 9.1.2009; FAZ vom 31.7.2007, vom 7.8.2007 und vom 27.3.2007; NZZ vom 1.5.2007; SZ vom 16.4.2007; TAZ vom 6.3.2007).

In den letzten beiden Jahren, denen im Hinblick auf eine mögliche Rückkehrverfolgung des Klägers besondere Bedeutung zukommt, haben sich der begonnene Friedens- und Aussöhnungsprozess und die sonstigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Côte d’Ivoire bis in die Gegenwart hinein im Einzelnen wie folgt entwickelt:

Am 24. Januar 2008 trafen sich zum zweiten Mal die Mitglieder des Ständigen Komitees zur Umsetzung des Friedensprozesses („Comité d’évaluation et d’accompagnement“ [CEA]), dem neben Laurent Gbagbo und Guillaume Soro auch Henri Konan Bédié (PDCI) sowie Alassane Ouattara (RDR) angehören, um mit dem offiziellen Schlichter, dem burkinischen Staatspräsidenten Blaise Compaoré, anstehende Fragen zu erörtern (u.a. die anstehenden allgemeinen Wahlen). Nach dem gemeinsamen Schlusskommuniqué sollte der Wahlprozess beschleunigt werden, bei der Eintragung in die Wählerlisten sollte es Erleichterungen geben, damit die Listen im Internet zugänglich sind. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verlängerte am 15. Januar 2008 einstimmig das Mandat der Friedenstruppen UNOCI bis einschließlich 30. Juli 2008 (Resolution 1795 [2008]). Frankreich kündigte wegen der verbesserten allgemeinen Sicherheitslage die Verminderung seiner in Côte d’Ivoire stationierten Truppen um 25% an. Im selben Zeitraum berief Premierminister Guillaume Soro ein Komitee, das Vorschläge zu einer auch steuerrechtlichen Wiedervereinigung des Landes und für die 2008 durchzuführende landesweite Wiedereinrichtung der Verwaltung vorlegen sollte. Davor hatte der Vorsitzende der Regierungspartei (FPI), Pascal Affi N’Guessan gerügt, dass das Land trotz relativ kurzfristiger Aufhebung der entmilitarisierten Zone tatsächlich weiter in zwei Hälften geteilt und die Verwaltung im Norden des Landes noch nicht wieder vollständig eingerichtet sei. Die Rebellen seien dort weiter präsent und sie zögen stellenweise noch Steuern ein. Auch seien sowohl die Demobilisierung der Rebellen und deren Wiedereingliederung in die reguläre Armee als auch die Identifizierung der Bevölkerung als unabdingbare Voraussetzungen für die Wahldurchführung noch immer nicht abgeschlossen. Nach einem Bericht der Vereinten Nationen sollten die im Bürgerkrieg 2002 als Soldaten rekrutierten Kinder (mindestens 4.000), die sich größtenteils noch immer bei den Truppen aufhielten, in das normale Leben integriert werden und eine Schul- und Berufsausbildung erhalten. Seit Januar 2008 erteilte Israel ivorischen Flüchtlingen aufgrund der zwischenzeitlich verbesserten politischen Lage in Côte d’Ivoire keine Arbeitsgenehmigungen mehr und forderte sie auf, bis spätestens Ende 2008 in ihr Heimatland zurückzukehren (vgl. zu alledem: Hans-Seidel-Stiftung, Monatsberichte Elfenbeinküste Januar und Februar 2008).

Im April 2008 teilte die Regierung mit, die seit Ende 2005 regelmäßig verschobenen Präsidentschaftswahlen sollten nun am 30. November 2008 stattfinden. Dazu wurden gleichzeitig Dekrete und Verordnungen erlassen, die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen dem französischen Privatunternehmen SAGEM, das den Zuschlag für die Erstellung der Wählerlisten und die Ausgabe der Wahlausweise erhalten hatte, und dem Nationalen Statistischen Institut (INS) klären sollten. Für die Finanzierung der Wahlen wurde im Staatshaushalt eine größere Summe (ca. 61 Millionen Euro) bereit gestellt, und die internationale Gemeinschaft erklärte sich bereit, die Wahlen mit 27 Millionen Euro zu unterstützen. Im Zusammenhang mit Demonstrationen am 1. April 2008 gegen die allgemeine Teuerung wurde ein jugendlicher Demonstrant von Sicherheitskräften erschossen. Die Regierung beschloss noch am selben Tag u.a. die zeitweilige Aufhebung der Einfuhrzölle sowie Steuererleichterungen für mehrere Grundnahrungsmittel und Produkte des täglichen Bedarfs sowie ein konsequentes Vorgehen gegen das Erheben von Wegzöllen und anderen nicht legalen Abgaben auf den Überlandstraßen. Vom 23. bis 24. April 2008 besuchte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, die Côte d’Ivoire. Er nahm u.a. an der feierlichen Unterzeichnung eines von der Nationalen Unabhängigen Wahlkommission (CEI) erstellten Verhaltenskodex teil. Darin hatten sich die politischen Parteien und die Regierung zur Einhaltung ethischer Normen vor, während und nach der Wahl verpflichtet. Der Kodex untersagt insbesondere jede Andeutung bezüglich ethnischer Abstammung und religiöser Zugehörigkeit während der Wahlperiode. Die reguläre Armee legte im Verlauf einer feierlichen Zeremonie am 13. April 2008 vor Staatspräsident Laurent Gbagbo symbolisch die Waffen nieder, um sich dann in die Kasernen zurückzuziehen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) kündigte zwischenzeitlich eine Budgethilfe in Höhe von 66,2 Millionen US-Dollar im Rahmen der Post-Konflikt-Hilfe an. Bereits im August 2007 hatte der IWF eine erste Rate von 45 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und damit gleichzeitig die Wiederaufnahme seiner seit 2004 suspendierten Beziehungen zum ivorischen Staat bestätigt (vgl. zu alledem: Hans-Seidel-Stiftung, Monatsberichte Elfenbeinküste März und April 2008).

Am 1. Juli 2008 besuchte Premierminister Guillaume Soro die Städte Séguéla und Vavoua (Nordwesten / ehemaliges Gebiet der Ex-Rebellion), wo es nach der Absetzung des dortigen Kommandanten zu Meutereien gekommen war. An den Treffen Soros mit dem Generalstab nahmen auch Vertreter des burkinischen Staatspräsidenten sowie der Geberländer und –organisationen teil. Am 14. Juli 2008 besuchte auch Staatspräsident Laurent Gbagbo die beiden Städte. Nachdem er am 22. Juli 2008 eine Regierungsumbildung angekündigt hatte, widersprachen dem die in der RHDP („Rassemblement des Houphouëtistes pour la démocratie et la paix“) zusammengeschlossenen Oppositionsparteien, insbesondere deren Vorsitzende Henri Konan Bédié und Alassane Ouattara. Sie erinnerten daran, dass die aktuelle Regierung aus den politischen Vereinbarungen des Ouagadougou-Abkommens hervorgegangen und daher nicht ausschließlich von dem Willen des Staatschefs abhängig sei. Auch sei das Mandat des Staatspräsidenten bereits seit Oktober 2005 beendet. Im Oktober 2008 wurden die vorgesehenen Präsidentschaftswahlen offiziell auf das kommende Jahr verschoben, da die Vorbereitungsarbeiten, insbesondere die Aktualisierung der aus dem Jahr 2000 (letzte Wahlen) stammenden Wählerliste sowie die Ausgabe der Wählerausweise, nur sehr schleppend vorangingen. Rund 12 Millionen Personen, darunter 9 Millionen Wahlberechtigte, sollten sich registrieren lassen und neben den Wählerausweisen auch Personalausweise erhalten. Solche Dokumente wurden in Côte d’Ivoire seit 1999 nicht mehr ausgestellt. Am 29. Oktober 2008 verlängerte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die bestehenden Sanktionen gegen Côte d’Ivoire (Embargo für Waffenimport, Exportverbot für Rohdiamanten) um ein weiteres Jahr. Der Sicherheitsrat erklärte gleichzeitig seine Bereitschaft, diese Entscheidung nach der Durchführung freier und transparenter Wahlen erneut zu überprüfen (Resolution 1842 [2008]). Im November 2008 kam es in der ehemaligen Rebellenzone (Norden des Landes) wieder zu Gewalttaten. In Man (über 600 km nordwestlich von Abidjan) sollen Häftlinge aus dem Gefängnis entflohen sein, am vorhergehenden Wochenende hatten nicht identifizierte, bewaffnete Personen in der Stadt Séguéla (rund 150 km von Man entfernt), das Munitionslager der früheren Rebellen angegriffen und danach Häftlinge befreit. Bei diesem Vorfall gab es Tote und Verletzte, auch unter der Zivilbevölkerung. Zu einem weiteren Zusammenstoß kam es in Guibéroua, ebenfalls im Westen des Landes, dem Herkunftsort des Führers der Gbagbo-treuen „Young Patriots“, Charles Blé Goudé, zwischen Anhängern dieser Bewegung und Mitgliedern der Jugendorganisation der PDCI (ehemalige Einheitspartei). Die PDCI hatte ein Treffen veranstaltetet, um ihre Anhänger dazu anzuhalten, sich in die Wählerlisten einzutragen (vgl. zu alledem: Hans-Seidel-Stiftung, Monatsbericht Elfenbeinküste Oktober und November 2008).

Am 4. März 2009 (2. Jahrestag der Unterzeichnung des Abkommens von Ouagadougou), zu dem im Dezember 2008 ein weiterer Zusatz abgeschlossen worden war (Ouaga IV), begann im ehemaligen Rebellengebiet offiziell die Übergabe der militärischen Verwaltung an die wieder eingerichtete zivile Verwaltung (Präfekturen). Dieses Ereignis war verbunden mit der Wiederaufnahme regulärer Steuereinnahmen. Über das Ouaga IV-Abkommen sollte auch die mehrfach zögerlich begonnene Wiedereingliederung der ca. 5.000 Mitglieder der Ex-Rebellion sowie der ca. 12.000 regierungstreuen Milizen in die reguläre Armee umgesetzt werden. Nachdem Ende Januar 2009 der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das UNOCI-Mandat bis Anfang Juli 2009 verlängert und gleichzeitig dessen Umfang verringert hatte (Resolution 1865 [2009]), begann Anfang März 2009 auch Frankreich, seine dort stationierten Truppen weiter zu reduzieren (auf noch 900 Soldaten). Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds erklärten, sie wollten ab 2010 mit einem umfangreichen Begleitprogramm die von dem Land unternommenen Reformen - u.a. verantwortungsvolle Wirtschaftsführung (Transparenz im Erdölsektor), Investitionen in Infrastrukturen, Restrukturierung wichtiger landwirtschaftlicher Sektoren (Kakao) - unterstützen. Jean-Louis Billion, Vorsitzender der ivorischen Industrie- und Handelskammer (CCI) plädierte im Januar 2009 für eine verstärkte Wiederbelebung der ivorischen Wirtschaft und erklärte u.a., dass sich diese mit einem Wachstum von 2,9% (2008), langsam wieder erhole, obwohl im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg nahezu die Hälfte der Arbeitsplätze zerstört und ca. 50% der Unternehmen verschwunden seien. Im Februar 2009 besuchte erstmals seit 1986 ein französischer Außenhandelsminister die Côte d’Ivoire und erklärte, dass Frankreich sich aktiv am Wiederaufbau und wirtschaftlichen Aufschwung des Landes beteiligen wolle. Nach offiziellen Angaben sollen die rund 600 französischen Unternehmen in Côte d’Ivoire 360.000 Personen beschäftigen und 30% des ivorischen Bruttosozialprodukts erwirtschaften (vgl. zu alledem: Hans-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht Elfenbeinküste Januar bis März 2009).

Im Mai 2009 sicherte Staatspräsident Laurent Gbagbo anlässlich des Treffens der Mitglieder des – im Ouagadougou-Abkommen vorgesehenen - Ständigen Konzertierungsausschusses die Einhaltung des neu festgesetzten Wahltermins (29.11.2009) zu. Die Wählerlisten sollten im September 2009 veröffentlicht werden, die Wahlkampagne Mitte November 2009 beginnen. Die Übergabe der Kompetenzen der „Zonenkommandanten“ der Ex-Rebellion an die zivile Administration und die Wiederaufnahme regulärer Steuereinnahmen fand nach mehrmaligem Verschieben am 26. Mai 2009 symbolisch in Bouaké (ehemaliges Hauptquartier der Ex-Rebellion) statt (vgl. zu alledem: Hans-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht Elfenbeinküste April bis Juni 2009).

Anfang August 2009 ernannte Staatspräsident Laurent Gbagbo einen seiner engsten Vertrauten, den ehemaligen Innenminister, Paul Yao-N’Dré, Professor für Rechts- und Politikwissenschaften, zum Vorsitzenden des Verfassungsrats. Diese Ernennung führte zu Protesten der Opposition, die sich in dieser Angelegenheit an den offiziellen Schlichter, den burkinischen Staatspräsidenten Blaise Compaoré wandte. Die NRO (International Crisis Group) erklärte dazu am 21. August 2009, diese Funktion sollte von einer politisch neutralen Person besetzt sein, da es dem Verfassungsrat zukomme, die Wählbarkeit der Kandidaten zu prüfen, über Anfechtungen zu entscheiden sowie das endgültige Wahlergebnis zu verkünden. Die Nationale Unabhängige Wahlkommission (CEI) legte für die Abgabe der Präsidentschaftskandidaturen den Zeitraum vom 25. August bis 15. Oktober 2009 fest. Dabei sollten die Bestimmungen von in den Vorjahren geschlossenen Abkommen zur Geltung kommen. So werde für Kandidaten, deren Parteien das Abkommen von Linas-Marcoussis (2003) unterzeichnet haben, eine einfache Erklärung zu ihrer Nationalität ausreichen, alle übrigen müssten diese nachweisen. Die Veröffentlichung des vorläufigen Wählerverzeichnisses wurde schließlich auf Anfang Oktober 2009 verschoben. Wie das Nationale Statistikamt mitteilte, sei die Eingabe der Daten der eingeschriebenen Wähler nur zu 95% beendet. Von offizieller Seite wurde, trotz bestehender technischer Probleme, an dem Wahltermin (29.11.2009) festgehalten. Auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen befasste sich in seiner Sitzung vom 29. September 2009 mit den bevorstehenden Wahlen in Côte d’Ivoire. Der Sicherheitsrat brachte in einer einstimmig angenommenen Erklärung seine Befürchtungen aufgrund der Verzögerungen im Wahlprozess (insbesondere die noch nicht erfolgte Veröffentlichung des Wählerverzeichnisses) zum Ausdruck und ermahnte die politischen Akteure zur Einhaltung des Wahltermins (vgl. zu alledem: Hans-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht Elfenbeinküste Juli bis September 2009; Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrat vom 29.9.2009).

Tatsächlich sind die für den 29. November 2009 vorgesehenen Wahlen kurzfristig - nach Regierungsangaben wegen Schwierigkeiten bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit einer größeren Zahl von Einwohnern und deshalb noch nicht vollständig geklärter Wählerlisten – erneut verschoben worden. Unter den insgesamt 6,3 Millionen eingetragenen Wahlberechtigten sollen sich über eine Million strittige Fälle befinden. Anfang Dezember 2009 trafen sich daraufhin die Mitglieder des Ständigen Konzertierungsausschusses (CPC) und vereinbarten in einem gemeinsamen Schlusskommuniqué einen neuen Fahrplan u.a. für die Ausgabe von Wahlausweisen und die Durchführung der Wahl im Jahr 2010. Im Februar 2010 berief Präsident Gbagbo einen neuen Leiter der Unabhängigen Wahlkommission (CEI). Yusuf Bakayoko ist wie sein Vorgänger Mitglied der Oppositionspartei PDCI. Zeitgleich löste Gbagbo die bisherige Regierung auf. Der seit Anfang März 2010 amtierenden neuen Regierung gehören erneut Mitglieder der Oppositionsparteien an (elf Minister PDCI und der RDR). In Zusammenhang mit der Regierungsauflösung war es Mitte Februar 2010 zu örtlich begrenzten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen, bei denen sieben Personen getötet wurden und die innerhalb weniger Tage wieder abebbten (vgl. Robert/Caspers, Konrad-Adenauer-Stiftung, „Siebenmal verschoben..., Die Präsidentschaftswahlen in der Elfenbeinküste, Januar 2010; Hans-Seidel-Stiftung. Quartalsbericht Elfenbeinküste Oktober bis Dezember 2009; Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes, Stand 22.3.2010, unverändert seit 23.2.2010; FAZ vom 6.11.2009, 15.2.2010, 24.2.2010, 1.3.2010; NZZ vom 24.2.2010; SZ vom 1.3.2010).

Zu der dargestellten Entwicklung der Verhältnisse in Côte d’Ivoire seit 2002 und insbesondere in den letzten Jahren liegen hinsichtlich einer möglichen Verfolgung von muslimischen Djoula und Anhängern der RDR im Wesentlichen noch folgende speziellen Erkenntnisse vor:

Nach der Auskunft des Instituts für Afrika-Kunde vom 31. März 2003 an das Verwaltungsgericht Oldenburg kam es während des Bürgerkrieges im Herbst 2002 im südlichen Landesteil zu schweren Pogromen u.a. durch sogenannte Todesschwadronen gegen Menschen muslimischen Glaubens aus dem Norden. Bei den Todesschwadronen habe es sich um bewaffnete Kräfte aus dem Umfeld der Regierung gehandelt, die mit und ohne Wissen dieser Regierung massive Gewalt gegen deren Gegner ausgeübt hätten. Opfer seien Menschen gewesen, die oft als "Dioula" bezeichnet würden. Bei gewaltsamen Übergriffen, die sich allerdings primär gegen Staatsangehörige aus Burkina Faso und Mali gerichtet hätten, sei eine unbekannte Zahl von Menschen zu Schaden gekommen bzw. getötet worden. Schätzungen reichten in den vierstelligen Bereich. Kriterium für Übergriffe sei die ethnisch-religiös-regionale Zuordnung der Opfer und ideologische Grundlage das staatlicherseits aggressiv verfolgtes Konzept der "Ivoiritè" gewesen. Während der gewaltsamen Exzesse sei es auch zu Massenfluchten gekommen (bis zu einer Million Menschen).

In dem Gutachten vom 2. Mai 2005 an das Verwaltungsgericht Gera führt das Institut für Afrika-Kunde ferner aus, für Anhänger und Aktivisten der RDR bestünde unter den gegenwärtigen Bedingungen politischer Spannungen eine erhöhte Gefahr politisch motivierter Verfolgung. Täter seien nicht nur staatliche Akteure, sondern seit Herbst 2002 zunehmend auch militante Sympathisanten der von Präsident Gbagbo geführten Regierung. Dabei sei im Einzelfall schwer durchschaubar, ob Übergriffe nichtstaatlicher Akteure mit staatlicher Billigung stattfänden. Auch die formelle Beteiligung an der "Regierung der nationalen Versöhnung" im Rahmen des 2003 geschlossenen Friedensabkommens von Linas-Marcoussis habe die Betroffenen nicht vor Verfolgung geschützt. Sodann werden in diesem Gutachten - unter Bezugnahme auf den Menschenrechtsbericht der US-Regierung über die Côte d`Ivoire für das Jahr 2004 - folgende Sachverhalte und Vorfälle wiedergegeben:

„- Das ganze Jahr 2004 über setzten staatliche Sicherheitskräfte die in den Vorjahren geübte Praktik fort, Personen nordivorischer Herkunft zu verhaften, zu verhören und einzuschüchtern.- Am 18. März 2004 wurden zwei RDR-Sicherheitsangestellte verhaftet und an einen unbekannten Ort verbracht, bevor sie nach einem Protest der Parteiorganisation wieder frei gelassen wurden.- Anfang April 2004 misshandelten vier Polizisten in der Hauptstadt Yamoussoukro einen anderen Polizisten, den sie aufgrund seiner Herkunft verdächtigten, Mitglied der RDR-Partei zu sein.- Am 18. April wurde der RDR-Bürgermeister von Abidjans Stadtteil Abobo, C, bei seiner Ankunft am Flughafen von Abidjan vorübergehend festgenommen (Abobo ist sozusagen die "Hochburg" der RDR-Partei in Abidjan.)- Am 16. Juni nahmen Sicherheitskräfte in Sinfra mehrere Aktivisten der lokalen RDR-Jugendorganisation vorübergehend in Haft.- Am 16. Juli wurden zwei RDR-Mitglieder in Abobo ebenfalls verhaftet. Zunächst wurde ihnen jeder Kontakt selbst zu Familienangehörigen verweigert, sie kamen aber später ebenfalls wieder frei.- Am 23. Juli wurde D, ein pensionierter Offizier und gegenwärtiger stellvertretender Bürgermeister der zweitgrößten Stadt Bouake, unter dem Vorwurf verhaftet, Rebellen zu beherbergen. Erst am 5. August wurde er aus der Haft entlassen.- Am 4. Oktober 2004 überfielen bewaffnete Männer den Gärtner und drei weitere Hausangestellte von Ouattaras Haus in Abidjan. Der Gärtner wurde getötet, die anderen drei Personen durch Schläge misshandelt. RDR-Vertreter behaupteten anschließend, die Täter stammten aus den Reihen der "Republikanischen Garde" der Regierung.- Am 5. und 6. November 2004 überfielen und plünderten Aktivisten der "Jungen Patrioten", radikale Jugendliche aus dem Umfeld der FPI-Partei von Präsident Gbagbo, das Hauptquartier der RDR-Partei und Häuser von RDR-Offiziellen in Abidjan.- Angehörige der "Jungen Patrioten" verhinderten in der Region um Gagnoa, der Heimat von Präsident Gbagbo, gewaltsam den Verkauf von Zeitungen, die mit anderen Parteien als Gbagbos FPI sympathisierten. Aus dem Umfeld der RDR-Partei waren die Blätter Le Patriote, Le Front und Le Liberal betroffen.- Wiederholt wurde von Todesdrohungen gegen Anhänger und Aktivisten der RDR-Partei berichtet.“Ferner heißt es in dem Gutachten des Instituts für Afrika-Kunde vom 2. Mai 2005, die Organisation Human Rights Watch (USA) habe nach eigenen Untersuchungen Anhaltspunkte dafür gewonnen, dass Übergriffe gegen Zivilisten durch paramilitärische Gruppen in Daloa und an anderen Orten oft dadurch möglich geworden seien, dass Angehörige ethnischer Bevölkerungsgruppen aus dem Umfeld Gbagbos sie unter Hinweis auf ihre Zugehörigkeit zur RDR und/oder zu nordivorischen Bevölkerungsgruppen denunziert hätten. Daher deuteten zahlreiche Indizien darauf hin, dass die Zugehörigkeit zur RDR, zu nordivorischen Bevölkerungsgruppen (u.a. Djoula) und zum muslimischen Glauben mit erheblichen Gefahren für Leib und Leben verbunden sein könne. Als ein Lichtblick für die Zukunft würden aktuelle Friedensgespräche und die Ansetzung von Wahlen für Ende Oktober 2005 gesehen.

Amnesty International hat in seinem Gutachten vom 3. April 2003 an das Verwaltungsgericht Oldenburg ausgeführt, nach Beginn der Rebellion im September 2002 sei es vor allem in Abidjan zu gewaltsamen Ausschreitungen gegenüber Ivorern mit moslemischem Namen und Einwanderern aus Burkina Faso, Ghana, Mali, Guinea, Benin und anderen Ländern gekommen. Ihre Unterkünfte seien von Sicherheitskräften zerstört, sie seien bedroht, festgenommen, misshandelt und zum Teil auch getötet worden. So seien mindestens 50 Zivilisten von Personen in Kampfanzügen extralegal hingerichtet worden, als Regierungstruppen im Oktober 2002 die im Westen des Landes gelegene Stadt Daloa zurückeroberten hätten. Die Ermordeten seien Ivorer mit moslemischem Namen (muslimische Dioula) und Staatsbürger aus den Nachbarländern, vor allem aus Mali, Burkina Faso und Guinea gewesen. Diese seien pauschal der Unterstützung der MPCI verdächtigt worden. Die staatlichen Medien hätten die fremdenfeindliche Stimmung durch gezielte Ausländerhetze geschürt und die in Cote d`Ivoire lebenden Muslime und Ausländer pauschal der Unterstützung der Rebellengruppen verdächtigt. Die Politik der ethnischen Spaltung bestehe vor allem darin, dass Präsident Gbagbo den Immigranten das in der ivorischen Verfassung verbriefte Recht, nach fünf Jahren die ivorische Staatsbürgerschaft anzunehmen, verweigere und sich für ein ausländerfeindliches Bodenrecht stark mache. Zwar habe Präsident Gbagbo in einer Fernsehansprache am 8. Oktober 2002 befohlen, Attacken gegen Fremde einzustellen. Auch habe er die Untersuchung des Massakers von Daloa angeordnet. Die ivorischen Behörden hätten die Tötungen auch eingeräumt, aber behauptet, für die Vorfälle nicht verantwortlich zu sein. Augenzeugen hätten jedoch bekundet, die Mörder seien mit Panzern und Militärfahrzeugen angerückt. Ernsthafte Untersuchungen seien nicht eingeleitet und die Täter bisher nicht bestraft worden.

In einem weiteren Gutachten von Amnesty International vom 2. Januar 2006 an das Verwaltungsgericht Gera heißt es, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass RDR-Anhängern sowie Angehörigen der Djoula aufgrund der andauernden ethnischen Konflikte und politischen Konfrontation in dem von der Regierung kontrollierten Südteil des Landes Menschenrechtsverletzungen drohten. Der Oberbegriff Djoula bezeichne Menschen muslimischen Glaubens, die in der Elfenbeinküste lebten. Dabei werde nicht unterschieden, ob die Person ursprünglich aus Côte d’Ivoire stamme oder ob es sich um einen Einwanderer aus Ländern wie Mali, Burkina Faso, Guinea oder dem Senegal handele. Die RDR werde von den Djoula unterstützt, und eine Zugehörigkeit zur Gruppe der Djoula werde mit einer Anhängerschaft der RDR gleichgesetzt. Muslimen werde seitens der Regierungsanhänger pauschal die Unterstützung der Rebellen unterstellt, und ihnen werde die Schuld für den Ausbruch des Aufstandes vom September 2002 zugewiesen. Das größte Massaker in den letzten Jahren habe sich am 1. Juni 2005 ereignet. Dabei seien 47 Angehörige der ethnischen Gruppe der Guere in der von der Regierung kontrollierten Region um Duekoue von bisher nicht identifizierten Personen, die mit Messern und Jagdgewehren bewaffnet gewesen seien, getötet worden. In der nächsten Nacht seien im Zentrum von Duekoue zwölf Menschen erschossen und erstochen worden. Hierbei habe es sich wahrscheinlich um einen Racheangriff auf Angehörige der Dioula gehandelt. Dem Massaker hätten Landkonflikte zwischen Einheimischen aus dem westlichen Teil des Landes und Zugezogenen aus dem nördlichen Teil und anderen Ländern zugrunde gelegen. Schon vor diesem Massaker sei es - insbesondere im Westen des Landes- wegen Streitigkeiten über die Eigentumsverhältnisse an Ackerboden zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen ethnischen Gruppen gekommen. Im ersten Halbjahr 2005 sei die sogenannte allogene Bevölkerung, also die Zugezogenen aus dem Norden der Elfenbeinküste bzw. aus anderen Ländern, in einigen Dörfern gezwungen worden, ihre Grundstücke zu verlassen. Einheimische (Autochtone) hätten deren Grund und Boden übernommen. Zwar sei von offizieller Seite zur Ruhe aufgerufen und für ein konfliktfreies Miteinander geworben worden, die Spannungen seien aber erhalten geblieben.

Im Länderreport Côte d’Ivoire 2009 berichtet Amnesty International von Demonstrationen im März und April 2008 in Abidjan gegen die Verteuerung von Grundnahrungsmitteln. Hunderte von Demonstranten hätten Barrikaden errichtet und Autoreifen angezündet. Die Bereitschaftspolizei habe Tränengas und scharfe Munition eingesetzt. Dabei seien zwei Personen getötet und zehn verletzt worden. Ein 16jähriger Schüler sei durch einen Tränengasbehälter tödlich am Kopf getroffen worden.

Die Schweizer Flüchtlingshilfe führt in ihrer Auskunft vom 19. Januar 2007 zur Sicherheitslage allgemein aus, Côte d’Ivoire zähle nach UNHCR-Angaben weiterhin zu den unsichersten Ländern West Afrikas. Unabhängig von den zwei großen Konfliktparteien gebe es eine große Anzahl von Militanten und nicht kontrollierbaren bewaffneten Gruppen im ganzen Land. So komme es trotz Präsenz von internationalen Sicherheitskräften und einem angelaufenen Friedensprozess immer wieder zu willkürlichen Verhaftungen und Inhaftierungen, Entführungen, von politischen Akteuren geförderter Gewalt zwischen ethnischen Gemeinschaften und extremer Gewalt wie bewaffneten Überfällen bis hin zu außergerichtlichen Tötungen. Personen, die gewalttätigen Aktionen oder Drohungen durch Einzelpersonen oder Konfliktparteien ausgesetzt seien, könnten nicht mit effektivem und effizientem staatlichen Schutz rechnen. RDR-Mitglieder und Unterstützer dieser Partei seien Opfer von willkürlichen Verhaftungen, Inhaftierungen, extralegaler Tötungen und Folter, Vergewaltigungen und anderen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte oder regierungsnahe Milizen geworden. Dieser Personenkreis sei in den letzten Jahren im Süden immer wieder unter dem Verdacht verhaftet worden, für die Rebellen im Norden zu arbeiten. Verhaftete RDR-Mitglieder seien oftmals nicht einmal einem Richter vorgeführt worden. Im Jahr 2005 seien sowohl einfache als auch exponierte RDR-Mitglieder Ziel gewalttätiger Aktionen und Drohungen gewesen. Auch 2006 sei es noch zu zahlreichen Erpressungen, willkürlichen Verhaftungen und Folter von Oppositionellen durch staatliche Sicherheitskräfte und regierungsnahe Milizen gekommen. Davon betroffen seien nicht nur Ivorer aus dem Norden, westafrikanische Immigranten, sondern auch vermutete Sympathisanten von Rebellen gewesen. Hinsichtlich des aktuellen Gefährdungsrisikos sei davon auszugehen, dass die RDR heute eine registrierte legale Partei und die Mitgliedschaft somit legal sei. Die RDR sei seit August 2002 in der Regierung vertreten. RDR-Führer Ouattara sei Anfang 2006 nach Jahren im Exil endgültig nach Côte d’Ivoire zurückgekehrt. Nach den Angaben des UK Home Office bestehe kein Verfolgungsrisiko mehr für einfache Mitglieder oder Anhänger, jedoch für exponierte Mitglieder der RDR wie etwa Führungspersonen sowie für Aktivisten.

Das Auswärtige Amt hat sich zu der hier maßgeblichen Entwicklung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Côte d’Ivoire in mehreren Stellungnahmen wie folgt geäußert:

- Amtliche Auskunft vom 22. April 2003 an das Verwaltungsgericht Oldenburg: Nach der Vereinbarung von Paris-Marcoussis (Januar 2003) und der mittlerweile erfolgten Bildung der Regierung einer nationalen Versöhnung sei das Problem der Entwaffnung der Bürgerkriegsparteien bisher nicht gelöst. Gezielte Übergriffe der Regierung Gbagbo gegen Angehörige des moslemischen Glaubens in den von der Regierung kontrollierten Landesteilen könnten nicht bestätigt werden. Solche Übergriffe, die teilweise von Uniformierten vorgenommen würden, richteten sich vielmehr in erster Linie gegen Angehörige der Nachbarstaaten Burkina Faso, Guinea und Mali, die in der Mehrheit muslimischen Glaubens seien. Derartige Übergriffe, die in der Hauptsache in der Zerstörung der Behelfsunterkünfte dieses Personenkreises bestünden, hätten sich auf die Außenbezirke der Wirtschaftsmetropole Abidjan konzentriert, seien aber, wenn auch in geringerem Ausmaß, in anderen Städten vorgekommen. Das Auswärtige Amt habe Anhaltspunkte dafür, dass an den Übergriffen Angehörige der Armee bzw. Gendarmerie beteiligt gewesen seien. Es könne nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden, ob staatliche Stellen derartige Handlungen förderten. Die Regierung habe jedoch nach Ansicht des Auswärtigen Amtes auf jeden Fall zu wenig unternommen, um derartige Übergriffe zu verhindern. Die genaue Zahl der Muslime in dem von der Regierung kontrollierten Landesteil sei dem Auswärtigen Amt nicht bekannt. Seit Ausbruch des Bürgerkrieges dürfte die Zahl zwar rückläufig sein, von einem Exodus der Muslime könne allerdings keine Rede sein. Seit Ausbruch des Bürgerkrieges sei es zu vereinzelten Morden an Mitgliedern bzw. Sympathisanten der RDR gekommen, die zumeist von den "Escadrons de la Mort" verübt worden seien. Es sei bislang nicht mit letzter Sicherheit bekannt, wer hinter diesen Todesschwadronen stehe, obwohl es zahlreiche Hinweise darauf gebe, dass ihre Mitglieder der Regierung nahe stünden. Gezielte Verfolgungsmaßnahmen in großem Stil der Regierung Gbagbo gegen RDR Mitglieder seit Ausbruch des Bürgerkrieges seien aber nicht bekannt geworden.

- Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 8. Januar 2007 an das Verwaltungsgericht Karlsruhe: Da der Putschversuch vom September 2002 wesentlich von Militärs aus dem Norden der Côte d’Ivoire getragen worden sei, sei es in dessen Folge im südlichen Landesteil zu erheblichen Übergriffen (mit erheblicher Gefahr für Leib und Leben) auf die aus dem Norden stammende Bevölkerung gekommen. In den letzten Monaten habe sich die Lage aber beruhigt. Seit Anfang 2006 sei die zweite Regierung der Nationalen Versöhnung im Amt und Oppositionsführer Ouattara aus dem Exil zurückgekehrt. Im Süden der Côte d’Ivoire könnten aber Übergriffe der Gbagbo-treuen Sicherheitskräfte bzw. von Gbagbo-Anhängern generell auf Muslime bzw. Angehörige des Volks der Dioula nicht ausgeschlossen werden.

- Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 22. Juni 2007 an das Bundesamt: Nach der Entspannung der Lage in Côte d’Ivoire Anfang 2006 müssten einfache Mitglieder der RDR keine staatlichen oder andere Verfolgungsmaßnahmen befürchten. Diese Partei gehe im ganzen Land normalen Parteiaktivitäten nach, und ihre Überzeugungen würden in der überregionalen Tageszeitung „Le Patriote“ verbreitet.

- Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 20. August 2008 an das Bundesamt: Die Gefolgschaft der RDR sei im Wesentlichen in den nördlichen Savannenregionen des Landes unter der überwiegend muslimisch orientierten Bevölkerung zu finden, aber auch in den größeren Städten im Süden des Landes, in denen sich viele aus dem Norden stammende Ivorer niedergelassen hätten. In den Jahren 2002 bis 2006 habe es an vielen Orten gewaltsame politische Auseinandersetzungen, auch um die Aktivitäten politischer Parteien, gegeben. Seit Frühjahr 2007 habe sich die politische Lage deutlich entspannt.

- Darstellung im Länderreport Côte d’Ivoire, Stand September 2009: Die Regierung Soro liege bei der Umsetzung der Friedensvereinbarung zwar weit hinter dem vereinbarten Zeitplan zurück. Dennoch sei eine allgemeine Entspannung der Situation festzustellen. Die Wiedervereinigung des Landes schreite (mit kleinen Schritten) voran. Die Menschenrechtsverletzungen hätten seit der Entspannung der politischen Lage nach dem Abschluss des Abkommens von Ouagadougou im März 2007 deutlich nachgelassen.

- Landesspezifische Sicherheitshinweise, Stand 17. November 2009: Bei Reisen nach Côte d’Ivoire, insbesondere außerhalb der Stadt Abidjan, werde auf eine erhöhte Sicherheitsgefährdung hingewiesen. Insbesondere im Westen des Landes komme es immer wieder zu kriminellen Übergriffen. Côte d’Ivoire durchlaufe seit Jahren eine tiefgreifende politische Krise. Dies habe in der Vergangenheit (bis 2006) zu politischen Unruhen geführt, auch mit Ausschreitungen gegenüber Ausländern (in den Städten), und sei Auslöser gewaltsamer ethnischer Auseinandersetzungen, eher in ländlichen Regionen und besonders im Westen des Landes gewesen. Seit März 2007 habe sich die Lage entspannt. Das Risiko plötzlicher politischer oder sozialer Unruhen bestehe aber weiterhin, auch mit Blick auf die für Ende November 2009 vorgesehenen Wahlen. Von nicht unbedingt notwendigen Reisen in den Westen des Landes (insbesondere in die unter Militärverwaltung stehenden Distrikte Duékoué, Guiglo, Toulepleu und Blolequin) werde abgeraten. Reisen in den Norden von Côte d’ Ivoire, der noch teilweise unter Kontrolle der so genannten „Forces Nouvelles“ stünde, unterlägen einem höheren Risiko der Gewaltkriminalität (fehlende Sicherheitskräfte). Reisen in den Norden seien bei sorgfältiger Planung, nach vorheriger Absprache mit der Botschaft und unter dem generellen Vorbehalt einer plötzlichen Lageänderung möglich.

- Landesspezifische Sicherheitshinweise, Stand 22. März 2010: Nach Auflösung der Regierung und der Unabhängigen Wahlkommission sei es in mehreren Städten zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei und zu Sachschäden sowie Toten und Verletzten gekommen. Eine Verschlechterung der Lage sei nicht ausgeschlossen.

Auch der UNHCR hat sich zur Lage in Côte d’Ivoire seit 2007 in mehreren Länderberichten geäußert (jeweils in englischer Sprache). In dem Positionspapier vom Juli 2007 heißt es u.a., nach dem Abkommen von Ouagadougou im März 2007 könnten die Verhältnisse in Côte d’Ivoire nicht mehr als von allgemeiner Gewalt gekennzeichnet charakterisiert werden. Auch habe die Zahl von Übergriffen abgenommen („current conditions can no longer be characterized as a Situation of generalized violence“. „The number of attacks by unknown scources have decreased“, Seite 2, 9). Soweit es in bestimmten Landesteilen noch zu Raubüberfällen und Straßensperren gekommen sei, konzentrierten sich diese Vorkommnisse auf wichtige Transportstraßen und Wirtschaftszentren; hierfür und für sonstige Übergriffe seien hauptsächlich wirtschaftliche Gründe und das Fehlen von Sicherheitskräften, in bestimmten Orten auch Spannungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen verantwortlich. Nach wie vor schwierig sei die Lage im Südwesten Côte d’Ivoires, da dort Anstrengungen zur Demobilisierung der u.a. aus Liberia kommenden Rebellen bisher erfolglos geblieben seien (vgl. „Analysis“, Seite 10, 11). Nach dem Abkommen von Ouagadougou seien einige ivorische Flüchtlinge spontan in ihre Heimat zurückgekehrt; genaue Zahlen seien dem UNHCR nicht bekannt (vgl. „The return of IDPs and refugees“, Seite 11,12).

In einem weiteren Papier des UNHCR zur Lage in Côte d’Ivoire („Global Appeal 2009 Update“) heißt es u.a., im Jahr 2008 seien erst wenige Flüchtlinge nach Côte d’Ivoire zurückgekehrt. Es werde aber damit gerechnet, dass 2009 ein Großteil der sich noch in den Nachbarländern aufhaltenden Ivorer heimkehren werde („repatriate“). Der UNHCR werde dabei die Bedingungen der Rückkehr überwachen und bei der Wiedereingliederung der Flüchtlinge in Zusammenarbeit u.a. mit Regierungsstellen und Nichtregierungsorganisationen („NGOs“) Hilfe leisten. Unter „Planning figures“ ist in dem Papier die Zahl der erwarteten ivorischen Rückkehrer für 2009 mit 3.200 Personen angegeben.

Weiter heißt es dazu in dem „UNHCR Global Report 2008“ vom 1. Juni 2009 u.a., der UNHCR habe 870 Flüchtlingen, die spontan aus Nachbarländern nach Côte d’Ivoire zurückgekehrt seien, bei der Wiedereingliederung unterstützt. Daneben wird in dem Papier die Zahl von Flüchtlingen aus Liberia, die sich hauptsächlich im Westen des Landes aufhielten, mit ca. 24.000 und die Zahl der innerivorischen Vertriebenen („internally displaced persons“= IDPs) mit 684.000 angegeben. Davon solle 2009 ein Großteil mit Hilfe des UNHCR in ihre Herkunftsorte u.a. zurückkehren („Planning Figures“, Global Appeal 2009 Update). Im „Global Report 2008“ führt der UNHCR weiter aus, durch sporadische Gewalt werde die Lage hauptsächlich im Westen der Côte d’Ivoire destabilisiert. Schwierigkeiten bei der Entwaffnung und der versprochenen Bezahlung der früheren Kämpfer der Forces Nouvelles hätten zu zunehmenden Spannungen geführt. Ansonsten seien die Hauptpunkte („key points“) des Ouagadougou Abkommens mittlerweile umgesetzt („were implemented“).

Schließlich ist noch auf die Beschlüsse und Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen hinzuweisen, der (wie oben ausgeführt) durch die Resolution 1721 (2006) schon die Kernpunkte des Friedensabkommens vom März 2007 vorgezeichnete hatte und der in den letzten Jahren mehrfach u.a. das Mandat für die UNOCI-Truppe verlängert hat.

In der Resolution 1880 (2009) vom 30. Juli 2009 über die Mandatsverlängerung bis 31. Januar 2010 heißt es u.a., der Sicherheitsrat stelle besorgt fest, dass trotz der nachhaltigen Verbesserung der allgemeinen Menschenrechtslage in Côte d’Ivoire nach wie vor in verschiedenen Teilen des Landes Menschenrechtsverletzungen gegen Zivilpersonen, darunter zahlreiche sexuelle Gewalthandlungen, gemeldet würden, und dass die Situation in Côte d’Ivoire nach wie vor eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in der Region darstelle. Ferner weist der Sicherheitsrat in dieser Resolution darauf hin, dass er uneingeschränkt bereit sei, gezielte Maßnahmen nach Ziffer 16 der Resolution 1842 (2008) zu verhängen, unter anderem auch gegen Personen, die entschlossen seien, den Friedensprozess und den nationalen Aussöhnungsprozess in Côte d’Ivoire zu bedrohen.

In den Resolutionen 1893 (2009) vom 29. Oktober 2009 und 1911 (2010) vom 28. Januar 2010, mit der der Sicherheitsrat u.a. das Mandat der UNOCI bis Ende Mai 2010 und das Waffenembargo sowie das Verbot des Diamantenhandels mit Côte d'Ivoire bis 31. Oktober 2010 verlängert hat, hat er im Wesentlichen die o.g. Feststellungen zur Situation in Côte d'Ivoire wiederholt.

Eine Gesamtwürdigung der genannten Erkenntnisquellen führt vor dem Hintergrund der dargestellten politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Côte d’Ivoire in den letzten Jahren bis in die Gegenwart zu folgenden Feststellungen:

Angehörige der Gruppe der Djoula sind mit Beginn des Bürgerkriegs im September 2002 für einen begrenzten Zeitraum jedenfalls in südlichen Teilen der Côte d’Ivoire einer Vielzahl von Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG ausgesetzt gewesen. Darin könnte gegebenenfalls eine - örtlich oder regional begrenzte - Gruppenverfolgung der Djoula zu sehen sein. Diese Frage kann jedoch offenbleiben, da zugleich festzustellen ist, dass eine etwaige Gruppenverfolgung dieses Personenkreises jedenfalls mit dem Abschluss des Friedensabkommens von Ouagadougou vom 4. März 2007, der damit einsetzenden schrittweisen Beruhigung der Lage auch im Süden der Côte d’Ivoire und der signifikanten Abnahme von Verfolgungshandlungen gegen Zivilpersonen nicht (mehr) gegeben war und – was im vorliegen Fall entscheidend ist - auch derzeit nicht stattfindet. Die vorliegenden Erkenntnisse lassen darüber hinaus auch die Prognose zu, dass der nicht vorverfolgte Kläger im Falle einer Rückkehr in seinen Heimatstaat nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten muss, in einem absehbaren Zeitraum als (moslemischer) Djoula und RDR-Anhänger von Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von Art.9 der Richtlinie 2004/83/EG betroffen zu werden. Dazu im Einzelnen:

Für die jüngste Vergangenheit und die Gegenwart lässt sich nicht feststellen, dass Angehörige der Gruppe der Djoula (und RDR-Anhänger) in Côte d’Ivoire einem ernsthaften Risiko ausgesetzt waren und/oder derzeit ausgesetzt sind, Opfer von Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG zu werden. Eine entsprechende Furcht des Klägers vor Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist daher nicht begründet.

Nach Abschluss des Abkommen von Ouagadougou im März 2007 zwischen Präsident Laurent Gbagbo und den ehemaligen Rebellen (FN) unter Führung von Guillaume Soro hat der dadurch eingeleitete Friedensprozess und der Prozess der Aussöhnung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Religionen nach allen o.g. Quellen zu einer nachhaltigen Verbesserung der Menschenrechtslage und einer wesentlichen Abnahme von Gewalttätigkeiten geführt. In diesen - weiter fortschreitenden und sich vertiefenden – Aussöhnungs- und Einigungsprozess sind Vertreter aus allen Landesteilen der Côte d’Ivoire, aller dort vertretenen Ethnien und Religionen sowie Repräsentanten aller relevanten politischen Gruppierungen eingebunden. So wird die gegenwärtige Regierung von Guillaume Soro geführt, der aus dem Norden stammt und bis zum Friedensschluss im März 2007 Führer der FN war. Er arbeitet als Premierminister mit dem aus dem Süden stammenden, christlichen Präsidenten Laurent Gbagbo nach Quellenlage – trotz teilweise unterschiedlicher politischer Auffassungen – seit jetzt mehr als drei Jahren offenkundig konstruktiv und ohne schwerwiegenden Auseinandersetzungen zusammen. Der Regierung Soro gehören u.a. auch fünf Minister der islamisch orientierten RDR an, ohne dass dieser Umstand bisher zu ernsthaften ethnischen oder religiös bedingten Spannungen im Kabinett bzw. bei der Regierungsarbeit oder erheblichen Auseinandersetzungen im übrigen Bereich geführt hat. Für eine insoweit festzustellende relative Stabilität der politischen Verhältnisse in Côte d’Ivoire spricht u.a., dass ein Anschlag auf Premierminister Guillaume Soro am 29. Juni 2007, der mehrere Menschenleben forderte, und die Neubildung der Unabhängigen Wahlkommission sowie die Berufung einer neuen Regierung im Februar 2010 - abgesehen von zeitlich begrenzten lokalen Krawallen - nicht zu neuen schwerwiegenden Auseinandersetzungen zwischen den früheren Bürgerkriegsparteien geführt hat und dass diese Ereignisse von den Anführern bzw. Repräsentanten einzelner Parteien oder Ethnien nicht dazu verwandt worden sind, Spannungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen (des Südens bzw. Nordens) zu schüren (vgl. Robert/Caspers, Konrad-Adenauer-Stiftung, „Siebenmal verschoben..., Die Präsidentschaftswahlen in der Elfenbeinküste, Januar 2010; Hans-Seidel-Stiftung, Monatsberichte Elfenbeinküste Januar und Februar 2008 und Quartalsbericht Oktober bis Dezember 2009; FAZ vom 6.11.2009, 15.2.2010, 24.2.2010, 1.3.2010; NZZ vom 24.2.2010; SZ vom 1.3.2010).

Zudem hat die nach dem Friedensvertrag von Ouagadougou aufgenommene Zusammenarbeit der früher verfeindeten Parteien und Ethnien – und insbesondere der diese Gruppen repräsentierenden ivorischen Eliten aus dem Norden, deren Benachteiligung für den Ausbruch des Bürgerkriegs mitverantwortlich war, und Repräsentanten des christlichen Südens - offenkundig zu einer Annäherung der Angehörigen dieser Gruppen geführt. Diese Parteien und Ethnien übergreifende Kooperation erfolgte dabei – und erfolgt weiter - in unterschiedlichen staatlichen (und nach dem Abkommen von Ouagadougou gemeinsamen) Institutionen wie Regierung, Militär und Verwaltung und diversen Kommissionen. Das gilt zum Beispiel für den sogenannten Ständigen Konzertierungsausschuss („Le Cadre permanent de concertation“ [CPC]), der in dem Friedensabkommen als Überwachung - und Dialogorgan eingesetzt worden ist und dem - neben dem Staatspräsident Gbagbo und Premierminister Soro – auch die Vorsitzenden der Oppositionspartei RDR, Ouattara, der früheren Einheitspartei PDCI, Bédié, sowie der ECOWAS-Vorsitzende (und Präsident von Burkina Faso) Compaoré angehören (vgl. VII 7.1 des Abkommens).

Diese gemeinsame Arbeit der früher verfeindeten Gruppen war – und ist weiter - zur Umsetzung der im März 2007 in Ouagadougou vereinbarten (Haupt-)Ziele offenkundig erforderlich (vgl. dazu Robert/Heuer, Konrad-Adenauer-Stiftung, Die Côte d’Ivoire zwischen Aufbruchstimmung und Skepsis; Stand Mai 2007; Robert, Konrad-Adenauer-Stiftung, Das Abkommen von Ouagadougou, 9.1.2009; Hettmann, Friedrich-Ebert-Stiftung, Friedensschluss in Ouagadougou). Das betrifft insbesondere die Wiederaufnahme einer gemeinsamen Verwaltung in allen Landesteilen und die Vereinigung der regierungstreuen Streitkräfte der Truppen aus dem Norden zu einer nationalen Armee (vgl. IV und V des Friedensabkommens). So fand im Rahmen der praktischen Umsetzung der in Ouagadougou vereinbarten Punkte („Implementierungsprozess“) beispielsweise im Mai 2009 die Übergabe der Kompetenzen der „Zonenkommandanten“ der ehemaligen Rebellen an die zivile Administration statt und konnte in diesem Zusammenhang mit der Wiederaufnahme regulärer Steuereinnahmen auch in den früheren Rebellengebieten begonnen werden (zunächst symbolisch in Bouaké, dem ehemalige Hauptquartier der FN). Zudem ist nach Quellenlage festzustellen, dass sich die politische Auseinandersetzung zwischen Regierung bzw. dem Präsidenten und der Opposition auch über wichtige kontroverse Themen zunehmend in „normalen“ gewaltfreien Bahnen abspielt. Das zeigte sich (beispielhaft) Anfang 2009, als Staatspräsident Laurent Gbagbo einen seiner engsten Vertrauten, den ehemaligen Innenminister Paul Yao-N’Dré, zum Vorsitzenden des einflussreichen Verfassungsrats ernannte (der u.a. über die Gültigkeit von Wahlen entscheidet). In diesem Streit wandte sich die Opposition an den offiziellen Schlichter, den burkinischen Staatspräsidenten Blaise Compaoré, der auch maßgeblich an dem Zustandekommen des Abkommens von Ouagadougou mitgewirkt hatte. Dass die ivorischen Machthaber und die Opposition mittlerweile die Bereitschaft zur Kooperation besitzen und über Instrumente und Strukturen verfügen, um Auseinandersetzungen über kontroverse politische und gesellschaftliche Fragen grundsätzlich ohne Anwendung von Gewalt zu lösen, belegt auch die Bewältigung der Krise, die im Februar 2010 durch die Ablösung des Vorsitzenden der Unabhängigen Wahlkommission (CEI) und die Auflösung der Regierung durch Präsident Laurent Gbagbo ausgelöst worden war. Den beteiligten Institutionen und Personen ist es insoweit gelungen, innerhalb weniger Wochen beide Organisationen einvernehmlich neu zu besetzen und insoweit eine Ausweitung anfänglicher lokaler gewaltsamer Auseinandersetzungen zu verhindern (vgl. Hans-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht Elfenbeinküste Juli bis September 2009 und Quartalsbericht Oktober bis Dezember 2009; FAZ vom 6.11.2009, 15.2.2010, 24.2.2010, 1.3.2010; NZZ vom 24.2.2010; SZ vom 1.3.2010).

Durch den dargelegten Prozess der Wiederannährung und Zusammenarbeit sowie des gewaltfreien Umgangs der politischen Klasse in wichtigen Streitfragen sind nach Quellenlage insbesondere bei der ivorischen Elite offenbar ein Teil der früher vorhandenen, wechselseitigen Vorurteile und Vorbehalte zwischen islamisch geprägtem Norden und christlich orientiertem Süden verringert bzw. abgebaut worden. Der Friedens- und Aussöhnungsprozess in Côte d’Ivoire hat dadurch die Gefahr erheblich verringert, dass lokale - gegebenenfalls ethnisch bedingte - Konflikte, die nach Quellenlage noch in den letzen Jahren und bis in die jüngste Zeit vorgekommen sind (dazu näher unten) und die teilweise mit schweren Menschenrechtsverletzungen verbunden waren, zu größeren lokalen oder gar regionalen Auseinandersetzungen mit ethnisch bedingtem Hintergrund geführt haben. In diesem Zusammenhang ist auf den von der Nationalen Unabhängigen Wahlkommission (CEI) erstellten Verhaltenskodex hinzuweisen, der im April 2008 in Anwesenheit des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, unterzeichnet worden ist und dem für das Fortschreiten der Aussöhnung der verschiedenen Volksgruppen in Côte d’Ivoire Bedeutung zukommt. In dieser Übereinkunft verpflichteten sich die politischen Parteien und die ivorische Regierung, während und nach der (Präsidentschafts-)Wahl bestimmte ethische Normen einzuhalten. Der Kodex untersagt insbesondere jede Andeutung bezüglich ethnischer Abstammung und religiöser Zugehörigkeit während der Wahlperiode. Dass die politische Klasse dagegen in größerem Umfang verstoßen und dadurch die Gefahr entsprechender Konflikte heraufbeschworen hat, ist derzeit nicht erkennbar. Insoweit hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die politischen Parteien in Côte d’Ivoire in der Resolution 1911 (2010) nochmals nachdrücklich aufgefordert, den von ihnen unter der Schirmherrschaft des Generalsekretärs unterzeichneten Verhaltenskodex für die Wahlen uneingeschränkt zu befolgen (dort ldf. Zif. 8).

Gleichwohl hat es nach Quellenlage auch noch nach dem Abkommen vom März 2007 in Côte d’Ivoire eine bestimmte Anzahl ethnisch und/oder parteipolitisch gefärbter Auseinandersetzungen gegeben. Diese Vorfälle waren nach den dazu vorliegenden Erkenntnissen jedoch nach Art, Umfang und Intensität nicht vergleichbar mit den Gewalttätigkeiten und den bewaffneten Auseinandersetzungen während des Bürgerkriegs im September 2002 und der Zeit unmittelbar danach. Zwar weist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - nachdem er zunächst die nachhaltigen Verbesserung der allgemeinen Menschenrechtslage in Côte d’Ivoire gewürdigt hat - in den Resolutionen 1880 (2009) und 1893 (2009) zwar darauf hin, dass es nach wie vor in verschiedenen Teilen des Landes Menschenrechtsverletzungen gegen Zivilpersonen gebe. Diese Aussage des Sicherheitsrats ist jedoch nicht so zu verstehen, dass die Côte d’Ivoire flächendeckend und in hoher Zahl von politisch oder ethisch oder religiös motivierter Gewalt überzogen sei. Dazu fehlt in den genannten Resolutionen auch jeder konkrete Hinweis.

Soweit nach den oben erwähnten sonstigen Erkenntnisquellen Vorfälle, die im Einzelnen mit schwerwiegenden Eingriffen in Individualrechte verbunden waren, bekannt geworden sind, waren diese Ereignisse lokal begrenzt und nicht, jedenfalls nicht in einer nennenswerten Zahl, ethnisch oder religiös begründet oder etwa vorrangig gegen Angehörige der Gruppe der Djoula gerichtet. Ursachen für gewalttätige Ausschreitungen waren vielmehr ganz überwiegend wirtschaftliche Gründe und/oder eine allgemeine Unzufriedenheit einzelner Bevölkerungsteile mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage in Côte d’Ivoire. So richtete sich die Demonstration vom 1. April 2008, bei der ein jugendlicher Demonstrant von Sicherheitskräften erschossen wurde, gegen die staatlich angeordnete erhebliche Verteuerung von Gütern des täglichen Bedarfs (u.a. Benzin), und hierauf reagierte die Regierung (zum Zweck der Lageberuhigung) noch am selben Tag mit einem Beschluss über Steuererleichterungen. Das Gleiche gilt für die Demonstrationen vom März und April 2009, bei denen zwei Personen getötet und zehn verletzt worden sein sollen (Amnesty International, Report 2009). Auch die Meutereien von Soldaten Ende Juni 2008 in den Städten Séguéla und Vavoua (Nordwesten/ehemaliges Gebiet der Ex-Rebellion) waren offenbar nicht ethnisch begründet; sie richteten sich nach Quellenlage gegen die Absetzung des dortigen Kommandanten. Zudem beruhigte sich die Lage, nach dem Premierminister Guillaume Soro am 1. Juli 2008 (und kurz danach auch Präsident Gbagbo) die Örtlichkeit aufgesucht und sich in den Streit eingeschaltet hatte (vgl. dazu Hans-Seidel-Stiftung, Monatsberichte Elfenbeinküste März, April, Oktober und November 2008).

Ethnische oder politische Gründe lassen sich auch nicht für die Vorfälle vom November 2008 feststellen. Das gilt sowohl für die Flucht von Häftlingen aus dem Gefängnis der Stadt Man (über 600 km nordwestlich von Abidjan im früheren Rebellengebiet) und die damit verbundenen Gewalttaten als auch für die Auseinandersetzungen in der Stadt Séguéla (rund 150 km von Man entfernt). Dabei sollen nach den vorliegenden Quellen nicht identifizierte, bewaffnete Personen das Munitionslager der ehemaligen Rebellen der FN angegriffen und Häftlinge befreit haben, und bei dieser Aktion soll es zu Toten und Verletzten, auch unter der Zivilbevölkerung, gekommen sein. Diesen schwerwiegenden Vorfällen lässt sich aber ein gegen Angehörige einer bestimmten Volksgruppe gerichtetes Ziel nicht entnehmen. Sie führten auch nicht zu länger andauernden, ethnisch oder politisch motivierten Folgetaten, etwa gegen (moslemische) Djoula oder Anhänger bestimmter Parteien. Soweit es - ebenfalls noch im November 2008 - in Guibéroua (im Westen des Landes) zu einer Auseinandersetzung zwischen Anhängern des Führers der Gbagbo-treuen „Young Patriots“, Charles Blé Goudé, und Mitgliedern der Jugendorganisation der PDCI gekommen ist, sind aus diesem Parteienstreit nach Quellenlage erhebliche Weiterungen mit Personenschäden nicht entstanden (siehe dazu Hans-Seidel-Stiftung, Monatsbericht Elfenbeinküste November 2008).

Soweit es in Côte d’Ivoire in jüngster Vergangenheit und bis in die Gegenwart in bestimmten Landesteilen über die geschilderten Vorfälle hinaus in größerer Zahl zu verschiedenen Straftaten gegen Leib, Leben und/oder Eigentum von Privatpersonen, wie etwa Raubüberfällen und Straßensperren mit gewaltsamer Verschleppung, gekommen ist - betroffen waren davon insbesondere Abidjan und andere großen Städte sowie vor allem Überlandstraßen - , war (und ist) für diese Straftaten nach den o.g. Quellen – neben der hohen Arbeitslosigkeit und der Armut von weiten Teilen der Bevölkerung – der Umstand (mit-)ursächlich, dass es in einigen Landesteilen, insbesondere im Norden, noch an ausreichenden Sicherheitskräften fehlt (vgl. dazu etwa Auswärtiges Amt, Landesspezifische Sicherheitshinweise, Stand 17.11.2009; UNHCR, Positionspapier vom Juli 2007). Eine insoweit bestehende hohe Kriminalitätsrate in Côte d’Ivoire und das damit verbundene Risiko, in diesem Land Opfer von schweren Straftaten zu werden, begründet für sich genommen keine anzuerkennende Furcht vor Verfolgungshandlungen nach Art. 9, 10 der Richtlinie 2004/83/EG und insoweit auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 60 Abs. 1 AufenthG.

Soweit der Sicherheitsrat in den genannten Resolutionen 1880 (2009) und 1893 (2009) noch auf die hohe Zahl von sexuellen Gewalthandlungen in der Côte d’Ivoire hingewiesen hat, betrifft dies dort lebende Mädchen und Frauen und insoweit vor allem den Tatbestand, dass in diesem Land von bestimmten dort lebenden Ethnien eine menschenrechtswidrige Zwangsbeschneidung praktiziert wird. Davon ist der Kläger nicht betroffen.

Nach den genannten Erkenntnisquellen ist auch nicht zu befürchten, dass sich die Situation in Côte d’Ivoire im Hinblick auf eine mögliche Verfolgung (moslemischer) Djoula und Anhänger der RDR in einem zukünftigen, überschaubaren Zeitraum ändern wird und deshalb mit der hier notwendigen beachtlichen Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer zukünftigen Gruppenverfolgung besteht. Für eine mögliche Änderung der Verhältnisse in diesem Sinne lassen sich derzeit ausreichende Anhaltspunkte nicht feststellen:

Zwar ist der oben näher beschriebene Friedens- und Aussöhnungsprozess noch nicht abgeschlossen und sind die Hauptpunkte, die nach dem Abkommen von Ouagadougou umgesetzt werden sollen – insbesondere Durchführung des Entwaffnungs-, Demobili-sierungs- und Wiedereingliederungsprogramms; Identifizierung der Bevölkerung und Registrierung der Wähler zum Zwecke der Aufstellung glaubhafter Wählerverzeichnisse; Entwaffnung und Auflösung der Milizen; Wiederherstellung der Staatsgewalt und Wiedereinsetzung der Verwaltung und der öffentlichen Dienste im gesamten Hoheits-gebiet Côte d’Ivoires; technische Vorbereitung und Durchführung der Wahlen; Neuglie-derung der Streitkräfte - noch nicht vollständig umgesetzt und gibt es insbesondere bei der Demobilisierung der früheren Rebellen und der Etablierung einer flächendeckenden Verwaltung im Norden der Côte d’Ivoire nach Quellenlage teilweise noch erhebliche Defizite (vgl. Robert/Caspers, Konrad-Adenauer-Stiftung, „Siebenmal verschoben..., Die Präsidentschaftswahlen in der Elfenbeinküste). Auch ist für die im November 2009 erneut verschobenen Wahlen noch kein neuer Termin bestimmt. Die Wahlverschiebung beruhte offenbar aber nicht auf einer Willkürentscheidung des Präsidenten Gbagbo zum Zweck seiner Machtsicherung. Vielmehr war dafür ursächlich, dass die notwendigen Wählerlisten aufgrund technischer und verwaltungsorga-nisatorischer Probleme (immer noch) nicht erstellt werden konnten. Für die Verschiebung der Wahlen hat sich im Übrigen nicht nur der Präsident Laurent Gbagbo ausgesprochen, der nach Umfragen dabei wahrscheinlich eine klare Mehrheit errungen hätte (ca. 43 % gegenüber geringeren Anteilen für die Mitbewerbern Bédié und Ouattara); auch die Opposition bzw. die FN sind für eine Wahlverschiebung eingetreten (FAZ 6.11.2009). Trotz dieser Wahlverzögerung, die (wie die vorangegangene mehrfache Aufhebung bereits festgesetzter Wahltermine) bisher offenkundig nicht zu größeren innenpolitischen Spannungen geführt hat, spricht nach einer Gesamtbewertung der Quellen gleichwohl keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die insoweit bereits erreichten Fortschritte bei der Aussöhnung der unterschiedlichen Bevölkerungs-gruppen und der Zusammenführung der früher getrennten Landesteile in absehbarer Zeit wieder zunichte gemacht werden und dass die Lage in Côte d’Ivoire auf den Stand vor dem Abkommen von Ouagadougou zurückfällt.

Einem solchen Rückfall der Côte d’Ivoire in ein Stadium gewaltsamer, ethnischer, religiöser und/oder politischer Auseinandersetzung dürfte neben der oben beschriebenen zunehmenden Verstetigung und der - jetzt mehrjährigen - Dauer des Friedens- und Aussöhnungsprozessen auch entgegen wirken, dass dieses Land weiter unter strikter Beobachtung internationaler Organisationen steht und dass Côte d’Ivoire für den Fall des Abbruchs des in Ouagadougou vereinbarten Einigungsprozesses mit erheblichen (auch wirtschaftlichen) Nachteilen zu rechnen hätte, die mit hoher Wahrscheinlichkeit über die bisher etwa von den Vereinten Nationen verhängten Sanktionen (Waffenembargo, Verbot des Diamantenexports) hinausgehen würden. An einer solchen Verschlechterung insbe-sondere auch der wirtschaftlichen Verhältnisse (u.a auch durch Abbruch internationaler [Finanz-]Hilfe) und einer Eintrübung der außenpolitischen Beziehung Côte d’Ivoires) dürften weder die gegenwärtigen Machthaber noch die ivorische Opposition noch Repräsentanten von einzelnen Volksgruppen interessiert sein. Auch halten sich nach wie vor Vertreter internationaler Organisationen und anderer Nationalstaaten in Côte d’Ivoire auf, und negative Veränderungen der Lage blieben insoweit nicht unerkannt. Das gilt etwa für Vertreter der Vereinten Nationen, in deren Auftrag weiterhin (reduzierte) Sicherheitskräfte in Côte d’Ivoire stationiert sind (UNOCI). Zudem befindet sich in dem Land schon seit 2004 eine vom Sicherheitsrat eingesetzte Sachverständigengruppe, die ungehinderten Zugang zu friedensrelevanten, insbesondere militärischen Ausrüstungen, Orten und Anlagen sowie Einheiten hat und diese kontrollieren darf (vgl. Resolution Nr. 1893 vom 29.10.2009, lfd. Zif. 5). Insoweit hat der Sicherheitsrat in seiner letzten Resolution vom 28. Januar 2010 (Zif. 11 der Resolution 1911 [2010]) besonders darauf hingewiesen, dass er uneingeschränkt bereit ist, gezielte Maßnahmen nach Ziffer 20 der Resolution 1893 (2009) zu verhängen, unter anderem auch gegen Personen, die entschlossen sind, den Friedensprozess und den nationalen Aussöhnungsprozess in Côted’Ivoire zu bedrohen. Ebenso unterhält Frankreich in Côte d’Ivoire nach wie vor ein - ebenfalls wegen der entspannten Sicherheitslage auf 900 Personen reduziertes – Militärkontingent, das zusätzlich in diesem Land friedenssichernde und beobachtende Aufgaben wahrnimmt. Weiter ist in den Friedens- und Aussöhnungsprozess die „International Crisis Group“ (NRO) implementiert, die insbesondere in Bezug auf die Vorbereitung der Präsidentenwahl und ihre Durchführung bereits in der Vergangenheit in Krisensituationen tätig geworden ist und von der weiterhin eine die politische Entwicklung in Côte d’Ivoire stabilisierende Funktion erwarten werden kann. So hat die NRO sich beispielsweise im August 2009 gegen den Personalvorschlag des Präsidenten Gbagbo betreffend den Vorsitz des Verfassungsrats gewandt und für diese Funktion eine politisch neutrale Person gefordert (vgl. Hans-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht Elfenbeinküste Juli bis September 2009).

Zusätzlich zu den genannten Umständen dürfte die wirtschaftliche Entwicklung seit Beginn des Friedensprozesses zu einer weiteren Stabilisierung der Lage in Côte d’Ivoire beitragen und einem Rückfall in gewaltsame Auseinandersetzungen im größeren Umfang mit vorbeugen. Die ivorische Regierung ist nach Quellenlage offensichtlich bemüht, die Wiederbelebung der Wirtschaft des Landes weiter zu verstärken. Entsprechend ist die Wirtschaftsleistung nach den vorliegenden Quellen auch im Jahr 2007 um 2 % und 2008 um 3 % gestiegen. Zu dieser wirtschaftlichen Erholung dürfte weiter der Umstand beitragen, dass der Kakaopreis – die Côte d’Ivoire ist insoweit mit einem Anteil von 38 % nach wie vor das weltweit wichtigste Erzeugerland – allein im Jahr 2009 um annähernd 30 % gestiegen ist (Preis je Tonne im Mai 2009 ca. 2.400 US-Dollar, im November 2009 ca. 3.200 US-Dollar, FAZ 27.11.2009). Im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung hat der französische Außenhandelsminister im Februar 2009 bei einem Besuch in Côte d’Ivoire erklärt, Frankreich wolle sich aktiv am Wiederaufbau und wirtschaftlichen Aufschwung des Landes beteiligen. Ebenso wollen die Weltbank und der Internationale Währungsfonds ab 2010 die von der ivorischen Regierung eingeleiteten Reformen im Wirtschaftsbereich (u.a. Restrukturierung wichtiger landwirtschaftlicher Sektoren wie der Kakao-Vermarktung) mit einem umfangreichen Begleitprogramm unterstützen (vgl. Hans-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht Elfenbeinküste Januar bis März 2009).

Letztlich kommt auch dem Umstand, dass nach Darstellung des UNHCR sowohl ivorische Flüchtlinge (jedenfalls seit 2008) zunehmend wieder in ihren Heimatstaat zurückkehren als auch Personen, die nach dem Bürgerkrieg im Herbst 2002 innerhalb der Côte d’Ivoire geflüchtet sind, wieder ihre früheren Aufenthaltsorte aufsuchen, eine gewisse Bedeutung bei der Beurteilung einer dauerhaften Stabilität der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in diesem Staat zu. Der UNHCR unterstützt nach den oben genannten Quellen die Heimkehr und Integration dieser Flüchtlinge und arbeitet dazu auch mit staatlichen Stellen und nicht staatlichen Organisationen zusammen (vgl. dazu UNHCR, Global Appeal, Côte d’Ivoire, 2009, Update, und Global Report 2008, Côte d’Ivoire). Diese (Rückkehr-)Maßnahmen dürfte der UNHCR (nur) unter der Annahme einer gewissen politischen und gesellschaftlichen Stabilität in Côte d’Ivoire fördern.

(c)) Bei diesem Sachstand muss der von der Beklagten aufgeworfenen Frage nicht nach-gegangen werden, ob für den Kläger im Norden der Côte d’Ivoire die Möglichkeit internen Schutzes im Sinne von Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG besteht.

II.

Die Klage ist auch abzuweisen, soweit der Kläger hilfsweise gemeinschafts-rechtlichen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG begehrt. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Schutzstatus nicht.

1. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG, der Art. 15 b der Richtlinie 2004/83/EG entspricht, darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behand-lung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Ferner besteht nach Abs. 3 dieser Norm ein Abschiebungsverbot, wenn der Abschiebezielstaat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht (entspricht Art. 15 a der Richtlinie 2004/83/EG). In Bezug auf den Kläger liegen beide Schutztatbestände offenkundig nicht vor.

2. Dem Kläger ist gemeinschaftsrechtlicher Abschiebungsschutz auch nicht auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu gewähren. Nach dieser Norm, die Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG entspricht, ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheb-lichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger im Fall einer Rückkehr nach Côte d’Ivoire mit der beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten muss, dort Opfer eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts, der gegebe-nenfalls den (Bürgerkriegs-)Unruhen vom September 2002 entsprechen könnte, zu werden. Insoweit sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 14.7.2009, BVerwG 10 C 9.08, juris, dort unter Bezugnahme auf das Urt des EuGH vom 17.2.2009, Rs. C-465/07 – Elgafaj) an die Zuerkennung subsidiären Abschie-bungsschutzes in Bürgerkriegssituationen nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG strenge Anforderungen zu stellen. Danach kann sich zwar eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Sinne der genannten Norm, die zugleich die entsprechenden Voraussetzungen des Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt, auch aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des Ausländers verdichtet. Weiter kann sich eine solche Verdichtung bzw. Individualisierung einerseits aus Gefahr erhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann unabhängig davon ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Hier sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese Voraussetzungen in der Person des Klägers in absehbarer Zeit eintreten könnten.

Dafür wäre zunächst die Prognose nötig, dass in einem überschaubaren Zeitraum im Heimatstaat des Klägers ernsthaft mit einem Wiederaufflammen bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen zu rechnen ist. Für diese Prognose liegen nach den oben dargelegten Gründen ausreichende Anhaltspunkte nicht vor. Das gilt auch angesichts der (noch) nicht stabilen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Côte d’Ivoire. Diese – für eine Anzahl von Entwicklungs- und Schwellenländer typische - Instabilität berechtigt insoweit (nur) zu der Annahme, dass ein Rückfall in bürgerkriegsähnliche Verhältnisse nicht für jeden Fall ausgeschlossen ist. Dieses Maß an Wahrscheinlichkeit für eine gegebenenfalls negative Entwicklung begründet bei unverfolgt ausgereisten Personen wie dem Kläger, für die der herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab unter keinen Umstän-den Anwendung finden kann, noch keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.

Im Übrigen wäre nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 14.7.2009, BVerwG 10 C 9.08, juris) neben einer negativen Prognose für die Zuerken-nung des subsidiären Schutzstatus weiter die (prognostische) Annahme notwendig, dass sich die allgemeine Gefahr, die bei einem möglichen bewaffneten Konflikt in Côte d’Ivoire für eine Vielzahl von Zivilpersonen entstehen könnte, entweder durch Gefahr erhöhende Umstände gerade in der Person des Klägers (noch) verdichten bzw. individualisieren würde oder dass eine außergewöhnliche Situation zu erwarten wäre, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet wäre, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Für die insoweit im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG notwendige (qualifizierte) Prognose bieten weder die persönlichen Verhältnisse des Klägers noch sonstige Erkenntnisse eine tragfähige Grundlage.

III.

Auch das weitere (Hilfs-)Begehren des Klägers auf Gewährung – jedenfalls - nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Côte d’Ivoire bleibt ohne Erfolg.

1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Insoweit kommt nach Sachlage allenfalls Art. 8 EMRK in Betracht. Nach dessen Absatz 1 hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz und darf nach Absatz 2 eine Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

Dem Vorbringen des Klägers sind jedoch keine persönlichen Lebensverhältnisse zu entnehmen, die durch Art. 8 EMRK geschützt sein könnten. Ein im Bundesgebiet geführtes Familienleben scheidet offenkundig aus. Der Kläger kann sich auch nicht auf den Schutz seines Privatlebens berufen. Er lebt zwar seit seiner erneuten Einreise Ende 2001 annähernd neun Jahre im Bundesgebiet. Dass er aber im Fall einer Ausreise solche Beziehungen unwiederbringlich aufgeben müsste, die für sein Privatleben konstitutiv sind, oder er sonst im Bundesgebiet tief verwurzelt ist, hat der Kläger nicht geltend gemacht noch sind hierfür sonst Anhaltspunkte ersichtlich (vgl. zum Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.5.2007, InfAuslR 2007, 275, 277).

2. Dem Kläger ist Abschiebungsschutz schließlich auch nicht nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das könnte etwa dann näher zu prüfen sein, wenn der Kläger schwerwiegende gesundheitliche Gefährdungen geltend gemacht hätte, denen er im Fall einer Rückkehr nach Côte d’Ivoire ausgesetzt sein könnte. Das ist nicht der Fall. Der Kläger hat auch nicht vorgebracht, ihm stünde in seinem Heimatstaat das Existenzminimum nicht zu Verfügung. Er hat vor seiner letzten Ausreise in Abidjan gelebt und dort nach eigenen Angaben als Händler seinen Lebensunterhalt bestreiten können.

IV.

Bei diesem Sachstand bestehen hinsichtlich der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 2002 keine rechtlichen Bedenken.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die nach § 123 Abs. 2 VwGO notwendigen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

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