FG Hamburg, Urteil vom 31.01.2008 - 3 K 124/07
Fundstelle
openJur 2013, 221
  • Rkr:
Tatbestand

I.

Die Klägerin wird als Geschäftsführerin einer insolventen GmbH in Haft genommen. Streitig ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht, ob der Haftungsbescheid ihr gemäß vorliegender Postzustellungsurkunde zugestellt und mangels Einspruchseinlegung binnen der Monatsfrist bestandskräftig wurde.

1. Die Klägerin ist seit 1997 Geschäftsführerin der A GmbH (Haftungsakte - H-A-Blatt 42).

2. Bereits früher wurde die Klägerin wegen Lohnsteuer unter anderem von Mai 2000 bis Mai 2001 der GmbH durch Haftungsbescheid vom 31.07.2001 (H-A-Blatt 9) in Anspruch genommen, der nach Einspruch und Teilbetragszahlung durch Bescheid vom 21.12.2001 herabgesetzt wurde (H-A-Blatt 29).

3. Nach Rückständen der GmbH für Lohnsteuer unter anderem von Dezember 2000 bis Juli 2004 wurde die Klägerin wegen ihrer möglichen Haftung als Geschäftsführerin mit Schreiben des Beklagten vom 06.09.2004 angehört (H-A-Blatt 43). Sodann erließ das Finanzamt (FA) den hier in Rede stehenden Haftungsbescheid vom 29.10.2004 (H-A-Blatt 50). Mit Postzustellungsurkunde vom 04.11.2004 beurkundete der Zusteller Herr B die Zustellung des "HB" mit der Steuernummer der GmbH an die Klägerin unter ihrer Anschrift durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten (H-A-Blatt 53). Binnen der in der Rechtsmittelbelehrung angegebenen einmonatigen Einspruchsfrist ging beim Beklagten kein Einspruch ein.

4. Zwischenzeitlich war für die GmbH die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet vom 06. bis 27.03.2001, vom 18. bis 22.03.2002 und seit dem 06.10.2004. Am 03.11.2004 wurde die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (ohne Angabe des Beschlussdatums) in das Handelsregister eingetragen (FG-Akte Blatt 34, H-A-Blatt 42).

5. Am 10.12.2004 versuchte das FA, ein Konto der Klägerin zu pfänden (Vollstreckungsakte - V-A-Blatt 15). Dies blieb allerdings erfolglos, die betroffene Bank konnte das Konto nicht ermitteln (V-A-Blatt 16).

6. Nach einem Vollstreckungsversuch des FA und Hinterlassung einer nochmaligen Zahlungsaufforderung am 25.01.2007 (V-A-Blatt 35) legte die Klägerin unter Bezugnahme auf die Zahlungsaufforderung am 26.01.2007 Einspruch ein. Sie wies auf das laufende Insolvenzverfahren hin und erklärte, sie habe den Haftungsbescheid vom 29.10.2004 nicht erhalten (V-A-Blatt 27).

7. Das FA sah den Einspruch als gegen die Zahlungsaufforderung gereichtet an und wies diesen am 21.03.2007 als unzulässig zurück, weil eine Zahlungsaufforderung keinen Verwaltungsakt darstelle (V-A-Blatt 42/43).

8. Nach einer fruchtlosen Pfändung am 28.03.2007 (V-A-Blatt 48 bis 53) legte die Klägerin am 02.04.2007 Einspruch gegen die Vollstreckungsmaßnahme des Vollziehungsbeamten am 28.03.2007 Einspruch ein. Der Einspruch war überschrieben mit Steuernummer ... - ... - Haftungsbescheid - (V-A Blatt 54).

Gleichzeitig beantragte sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (V-A-Blatt 54). Sie führte dazu aus, aufgrund der Insolvenz der GmbH habe eine Postsperre bestanden, und infolge dessen sei der Haftungsbescheid möglicherweise dem Insolvenzverwalter und nicht ihr zugegangen (V-A-Blatt 56).

9. Am 02.05.2007 lud das FA die Klägerin zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung über ihre Vermögensverhältnisse (V-A-Blatt 64). Hiergegen legte sie am 05.06.2007 Einspruch ein (V-A-Blatt 68).

10. Am 11.06.2007 wies das FA den Einspruch gegen die Vollstreckungsmaßnahmen vom 28.03.2007 als unbegründet zurück (V-A Anhang).

11. Das FA forderte die Klägerin mit Schreiben vom 04.07.2007 auf, ihren Antrag auf "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" zu begründen. Die Klägerin kam dieser Aufforderung nicht nach (V-A Anhang).

12. Auf Bitten der Klägerin vom 19.06 2007 übersandte das FA der Klägerin am 04.07.2007 in Kopie den Haftungsbescheid vom 29.10.2004 und die Niederschrift des Vollziehungsbeamten vom 28.03.2007 (V-A Anhang).

II.

Am 09.06.2007, eingegangen beim Finanzgericht - FG - am 12.07.2007, hat die Klägerin gegen den Haftungsbescheid vom 29.10.2004 und gegen die Einspruchsentscheidung vom 11.06.2007 Klage erhoben.

Zur Begründung führt die Klägerin an: Der Haftungsbescheid vom 29.10.2004 sei ihr nicht zugegangen. Ohne dessen Wirksamkeit sei dessen Vollziehung rechtswidrig. Außerdem seien 2 1/2 Jahre bis zum 1. Vollstreckungsversuch vergangen.

Die Klägerin beantragt,

den Haftungsbescheid vom 29.10.2004 und die Einspruchsentscheidung vom 11.06.2007 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, die Postzustellungsurkunde, ausgestellt am 04.11.2004, erbringe den vollständigen Nachweis für die Zustellung des Haftungsbescheides vom 29.10.2004.

III.

Der Senat hat die Sache mit Beschluss vom 18.12.2007 auf die Einzelrichterin übertragen. Dem Gericht lagen die Haftungs- und Vollstreckungsakte zur Steuernummer ... sowie die Haftungsakte zur Steuernummer ... vor. Im Übrigen wird auf den Inhalt der zur Akte gereichten Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.

Gründe

Die Klage ist, soweit sie den Haftungsbescheid vom 29.10.2004 betrifft, unzulässig (I) und, soweit sie sich gegen die Vollstreckungsmaßnahmen vom 25.01.2007 und 28.03.2007 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 11.06.2007 richtet, unbegründet (II).

I.

1. Sofern sich die Klägerin gegen den Haftungsbescheid vom 29.10.2004 wendet, ist die Klage unzulässig. Mangels durchgeführten Vorverfahrens fehlt es der Klägerin am nötigen Rechtsschutzbedürfnis (§ 44 FGO). Die Klägerin hat gegen den Haftungsbescheid vom 29.10.2004, der ihr mit Postzustellungsurkunde am 04.11.2004 zugestellt worden war, keinen Einspruch (§ 347 Abs. 1 AO) eingelegt.

2. Die gegen den Haftungsbescheid vom 29.10.2004 gerichtete Klage ist auch nicht als Untätigkeitsklage im Sinne von § 46 FGO als zulässig anzusehen. Weder der gegen den Vollstreckungsversuch des FA unter Hinterlassung einer nochmaligen Zahlungsaufforderung am 25.01.2007 gerichtete Einspruch vom 26.01.2007, noch der gegen die fruchtlose Pfändung vom 28.03.2007 gerichtete Einspruch vom 02.04.2007 wenden sich gegen den Haftungsbescheid vom 29.10.2004. Den Einspruch vom 26.01.2007 legte sie gegen die Zahlungsaufforderung ein, den Einspruch vom 02.04.2007 (H-A-Blatt 54) legte sie gegen die Vollstreckungsmaßnahmen vom 28.03.2007 ein. In beiden Einsprüchen wird in Bezug auf den Haftungsbescheid vom 29.10.2004 nur mitgeteilt, dass sie den Haftungsbescheid nicht erhalten habe. Diese Erwähnung allein reicht nicht aus, die Einsprüche vom 26.01.2007 und vom 02.04.2007 so auszulegen, dass sie sich auch gegen den Haftungsbescheid wenden.

Fälle einer Untätigkeitsklage sind dann gegeben, wenn über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Gemäß § 46 Abs. 1 FGO ist die Klage dann abweichend von § 44 FGO ohne vorherigen Abschuss des Vorverfahrens zulässig. Es muss somit nach dem eindeutigen Wortlauf des Gesetzes ein außergerichtlicher Rechtsbehelf eingelegt worden sein. Darauf weist im Übrigen auch § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO hin, der eine Frist von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfes für regelmäßig erforderlich hält. Erst wenn die Rechtsbehelfsbehörde auch daraufhin untätig bleibt, ist der Weg für die Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO eröffnet (vgl. von Beckenrath in Beermann, steuerliches Verfahrensrecht, Kommentar Rd-Nr. 57 zu § 46 FGO; Dumke in Schwarz FGO Kommentar, Rd-Nr. 15 zu § 46 FGO). Eine Klage nach § 46 Abs. 1 FGO ist immer erst dann nach Untätigkeit der Behörde sowohl im Antrags- wie auch in dem besonderen Rechtsbehelfsverfahren zulässig (vgl. BFH-Urteil vom 28.04.1993, I R 123/91, BFHE 170, 573; BStBl II 194, 147; Steinhauff in Hübschmann/Hepp, Spitaler AO, FGO Kommentar Rd-Nr. 33 zu § 46 FGO). Diese Untätigkeit liegt hier (wie oben ausgeführt) nicht vor, die Klägerin hat sich hier gerade keines außergerichtlichen Rechtsbehelfs bedient.

3. Die Klage gegen den Haftungsbescheid erfüllt auch nicht die Voraussetzungen einer Sprungklage. § 45 Abs. 1 FGO setzt voraus, dass die Behörde, die über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zu entscheiden hat, innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift dem Gericht gegenüber zustimmt. Eine Äußerung des FA liegt nicht vor. Eine Abgabe der Sprungklage an den Beklagten zur Behandlung als Einspruch gemäß § 45 Abs. 3 FGO entfällt, wenn feststeht, dass auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen des außergerichtlichen Rechtsbehelfs - hier Versäumung der Monatsfrist nach Erlass des angegriffenen Haftungsbescheides (§ 355 Abs. 1 AO) - nicht erfüllt wären (FG Hamburg, Urteile vom 02.11.1994 - V 259/93, EFG 195, 446; vom 15.12.1995 - II 81/94, EFG 1996, 498; Beschlüsse des BFH vom 27.09.1996 I B 22/96, BFH/NV 1997, 311 und des Bundesverfassungsgerichts vom 07.03.1997 - 2 BvR 163/97, Steuereildienst 1997, 236; vom 04.06.2002 - III 16/02 EFG 2002, 1394).

4. In Bezug auf den Haftungsbescheid ist der Klägerin keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO, 56 FGO) zu gewähren. Die Klägerin hat zwar den erforderlichen Antrag gestellt, sie hat diesen trotz Aufforderung jedoch weder in der zwei-Wochen-Frist begründet noch hat sie die versäumte Handlung, die Einlegung des Einspruchs innerhalb der gesetzlichen Frist nachgeholt (§ 56 Abs. 2 FGO).

II.

Die gegen die Vollstreckungsmaßnahmen gerichtete Klage ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Die Pfändung war rechtmäßig. Die Klägerin hat eine Zahlungsaufforderung erhalten; die Pfändung ist vorher in einem angemessenen Zeitrahmen angekündigt worden (§ 254 AO). Streitig ist alleine, ob der zugrunde liegende Haftungsbescheid der Klägerin zur Zeit der Pfändungsversuche zugegangen und damit wirksam war. Dass der Klägerin der Haftungsbescheid spätestens am 04.11.2004 (Datum der Zustellung laut Postzustellungsurkunde) zugegangen ist, ist in diesem Fall nicht entscheidend, da es allein auf die Wirksamkeit des Bescheides während der Vollstreckung ankommt.

Der zugrunde liegende Haftungsbescheid war wirksam und vollstreckbar (§ 251 AO). Die Angaben in der Postzustellungsurkunde vom 04.11.2004 begründen den vollen Beweis des beurkundeten Vorgangs (§ 155 FGO, § 418 Abs. 1 ZPO, § 82 FGO). § 418 Abs. 1 ZPO dient der Verteilung des Beweisrisikos in Fällen der objektiven Nichtaufklärbarkeit (BFH, Beschluss vom 08.07.2003 VIII B 3/03, BFH/NV 2003, 1441). Dieser Beweis kann nur durch den positiven Nachweis einer unrichtigen Beurkundung entkräftet werden (BFH, Beschluss vom 10.11.2001 VII B 366/02, BFH/NV 204, 509). Die Klägerin konnte den Beweis der Beurkundung nicht entkräften. Sie wies zwar in ihren Schriftsätzen auf das Insolvenzverfahren der GmbH hin und führte dort aus, dass möglicherweise der Insolvenzverwalter statt ihrer den Haftungsbescheid erhalten habe. Im gerichtlichen Verfahren erbrachte sie jedoch weder den hierfür erforderlichen Nachweis, noch sind aus den vorgelegten Akten Anhaltspunkte für den von der Klägerin behaupteten Verlauf ersichtlich. Weiterer Nachforschungen seitens des Gerichts hat es deshalb nicht bedurft.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür gemäß § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

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