LG Bonn, Beschluss vom 12.11.2012 - 12 T 169/11
Fundstelle
openJur 2013, 51
  • Rkr:
Tenor

I.

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.

 

II.

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Artikel 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

 

III.

Ist eine nationale Regelung mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) vereinbar, die die Bestimmungen des Artikel 57 Absatz 1 der Richtlinie 78/660/EWG über den Inhalt, die Prüfung und die Offenlegung des Jahresabschlusses nur dann nicht auf Gesellschaften anwendet, die dem Recht des Mitgliedstaates unterliegen, wenn das Mutterunternehmen dem Recht desselben Mitgliedstaats unterliegt und den Konzernabschluss nach seinem Recht durchgeführt hat?“

Gründe

1) Die Beschwerdeführerin ist Teil der T-Gruppe. Die Anteile an der Beschwerdeführerin werden zu 100% von der B-GmbH mit Sitz in X (AG X HRB ...) gehalten. Deren Anteile werden zu 94% von der I GmbH mit Sitz in X2 / P gehalten. Alleinige Gesellschafterin der I GmbH ist die S -GmbH mit Sitz in X3 / P. Deren alleinige Gesellschafterin wiederum ist die T GmbH mit Sitz in X2 / P. Das Geschäftsjahr der Beschwerdeführerin läuft jeweils vom 01. April eines Jahres bis zum 31. März des Folgejahres.

2) Mit Schreiben vom 26.08.2010 (Zugang 01.09.2010) setzte das Bundesamt für Justiz der Beschwerdeführerin eine Frist von sechs Wochen, die nach § 325 HGB erforderlichen Rechnungslegungsunterlagen zum Abschluss-Stichtag 31.03.2009 bei dem Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers einzureichen und im elektronischen Bundesanzeiger bekannt machen zu lassen. Für den Fall der Zuwiderhandlung drohte das Bundesamt der Beschwerdeführerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 2.500,00 € an. Die Beschwerdeführerin legte hiergegen mit Schreiben vom 06.10.2010 Einspruch ein. Sie nehme die Befreiung des § 264 Absatz 3 HGB in Anspruch, da sie in den Konzernabschluss der T GmbH mit Sitz in X2 / P einbezogen sei.

3) Die T GmbH stellte einen Konzernabschluss zum Geschäftsjahr vom 01.04.2008 bis zum 31.03.2009 auf, in den unter anderem die Beschwerdeführerin einbezogen ist. Dieser Konzernabschluss der T GmbH wurde durch Einreichung bei dem elektronischen Bundesanzeiger in Bonn offengelegt. Im Anhang des Konzernabschlusses ist die Befreiung der Beschwerdeführerin angegeben. Weiter verpflichtete sich die T GmbH gegenüber der Beschwerdeführerin freiwillig zur Verlustübernahme entsprechend § 302 AktG. Auch diese Erklärung wurde offengelegt. Zusätzlich wurde für die Beschwerdeführerin im elektronischen Bundesanzeiger die Inanspruchnahme der Befreiung unter Bezug auf § 264 Absatz 3 HGB und unter Angabe der T GmbH als Mutterunternehmen mitgeteilt. Diese Mitteilung ist mit einem Hinweis versehen, dass der Konzernabschluss der T GmbH offen gelegt wurde. Die Gesellschafterin der Beschwerdeführerin stimmte der Inanspruchnahme der in § 264 Absatz 3 HGB vorgesehenen Befreiung für das Geschäftsjahr vom 01.04.2008 bis 31.03.2009 zu. Dieser Beschluss wurde offengelegt.

4) Mit Entscheidung vom 13.12.2010 (Zugang 15.10.2010) setzte das Bundesamt für Justiz - unter Verwerfung des Einspruchs der Beschwerdeführerin vom 06.10.2010 - gegen die Beschwerdeführerin das angedrohte Ordnungsgeld in Höhe von 2.500,00 € fest. Der Einspruch sei zu verwerfen. Die Beschwerdeführerin sei nicht nach § 264 Absatz 3 HGB in Verbindung mit § 290 HGB von der Offenlegungspflicht befreit, da das Mutterunternehmen seinen Sitz nicht im Inland habe.

Hiergegen legte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 27.12.2010 (Zugang 28.12.2010) Beschwerde ein. Der deutsche Gesetzgeber habe Artikel 57 Absatz 1 der Richtlinie 78/660/EWG (in der Fassung durch Artikel 43 der Richtlinie 83/349/EWG) nicht diskriminierungsfrei umgesetzt und gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen. Nach Artikel 57 Absatz 1 der Richtlinie 78/660/EWG reiche es aus, wenn das Mutterunternehmen dem Recht eines Mitgliedstaats unterliege und das Tochterunternehmen in den von dem Mutterunternehmen nach der Richtlinie 83/349/EWG aufgestellten konsolidierten Jahresabschluss einbezogen sei. Der nach dem Pischen Unternehmensgesetzbuch aufgestellte Konzernabschluss der T GmbH entspreche der Richtlinie 83/349/EWG. Rechtfertigende Gründe dafür, § 264 Absatz 3 HGB auf Inlandssachverhalte zu beschränken, bestünden nicht.

5) Das Bundesamt für Justiz hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Es hat hierbei unter anderem ausgeführt:

Nach dem Wortlaut der Norm könnten konzernanhängige Kapitalgesellschaften nur von der Befreiungsmöglichkeit des § 264 Absatz 3 HGB Gebrauch machen, wenn das Mutterunternehmen gemäß § 290 HGB verpflichtet ist, einen Konzernabschluss zu erstellen. § 290 Absatz 1 Satz 1 HGB gelte aber nur für Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland.

Außerdem sehe § 264 Absatz 3 Nr. 3 HGB vor, dass das Tochterunternehmen nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuches in den Konzernabschluss des Mutterunternehmens einbezogen wird. Diese Voraussetzung sei bei ausländischer Konsolidierung regelmäßig nicht erfüllt.

Eine Begrenzung auf inländische Mutterunternehmen sei sinnvoll, da sonst Rechte aus grenzüberschreitenden Verlustübernahmeverpflichtungen im Ausland durchgesetzt werden müssten. Durch eine Erweiterung auf ausländische Mutterunternehmen würde auch ein Widerspruch zu § 264 Absatz 3 HGB entstehen. Dieser verlange die Verlustübernahme gemäß § 302 AktG. Da es sich bei § 264 Absatz 3 HGB um eine Ausnahmevorschrift handele, sei deren erweiterte Anwendung aus Gründen der Rechtssicherheit nicht geboten.

Zwar hätte der deutsche Gesetzgeber gemäß Artikel 57 der Richtlinie 18/660/EWG den Anwendungsbereich des § 264 Absatz 3 HGB auf Kapitalgesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union erweitern können. Von diesem Gestaltungsspielraum habe der Gesetzgeber allerdings keinen Gebrauch gemacht.

Die Ungleichbehandlung zwischen einem Unternehmen mit einem inländischen Mutterkonzern und einem Unternehmen mit einem europäischen Mutterkonzern sei aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses erforderlich. Die finanziellen Interessen vorhandener und potentieller Gläubiger und Investoren geböten eine Beschränkung der Ausnahmeregelung des § 264 Absatz 3 HGB. Schwierigkeiten bei der Auswertung von Abschlüssen, die auf der Grundlage der Rechnungslegungsvorschriften anderer Mitgliedsstaaten zustande gekommen sind, würden vermieden.

6) Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber unter anderem geltend,

es sei allgemein anerkannt, dass sich die Verpflichtung zur Verlustübernahme auch gegen ein ausländisches Unternehmen richten könne. Schwierigkeiten bei der Auswertung von Abschlüssen, die auf der Grundlage der Rechnungslegungsvorschriften anderer Mitgliedstaaten zustande gekommen seien, bestünden nicht. Denn die nationale Rechnungslegung sei durch die Vierte Gesellschaftsrechts-Richtlinie und die Siebte Gesellschaftsrechts-Richtlinie weitgehend harmonisiert. Im Falle des § 264b HGB werde Gläubigern und Investoren zudem zugemutet, einen ausländischen Konzernabschluss auszuwerten, da im Rahmen dieser Vorschrift das Mutterunternehmen seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union haben könne.

7) § 264 Absatz 3 HGB hat folgenden Wortlaut (diese und die anderen genannten Normen sind abrufbar im Internet unter http://www.gesetzeiminternet.de/hgb/):

„Eine Kapitalgesellschaft, die Tochterunternehmen eines nach § 290 zur Aufstellung eines Konzernabschlusses verpflichteten Mutterunternehmens ist, braucht die Vorschriften dieses Unterabschnitts und des Dritten und Vierten Unterabschnitts dieses Abschnitts nicht anzuwenden, wenn

1.

alle Gesellschafter des Tochterunternehmens der Befreiung für das jeweilige Geschäftsjahr zugestimmt haben und der Beschluß nach § 325 offengelegt worden ist,

2.

das Mutterunternehmen zur Verlustübernahme nach § 302 des Aktiengesetzes verpflichtet ist oder eine solche Verpflichtung freiwillig übernommen hat und diese Erklärung nach § 325 offengelegt worden ist,

3.

das Tochterunternehmen in den Konzernabschluss nach den Vorschriften dieses Abschnitts einbezogen worden ist und

4.

die Befreiung des Tochterunternehmens

a)

im Anhang des von dem Mutterunternehmen aufgestellten und nach § 325 durch Einreichung beim Betreiber des Bundesanzeigers offen gelegten Konzernabschlusses angegeben und

b)

zusätzlich im Bundesanzeiger für das Tochterunternehmen unter Bezugnahme auf diese Vorschrift und unter Angabe des Mutterunternehmens mitgeteilt worden ist.“

§ 290 Absatz 1 HGB hat folgenden Wortlaut:

„Die gesetzlichen Vertreter einer Kapitalgesellschaft (Mutterunternehmen) mit Sitz im Inland haben in den ersten fünf Monaten des Konzerngeschäftsjahrs für das vergangene Konzerngeschäftsjahr einen Konzernabschluss und einen Konzernlagebericht aufzustellen, wenn diese auf ein anderes Unternehmen (Tochterunternehmen) unmittel- oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Ist das Mutterunternehmen eine Kapitalgesellschaft im Sinn des § 325 Abs. 4 Satz 1, sind der Konzernabschluss sowie der Konzernlagebericht in den ersten vier Monaten des Konzerngeschäftsjahrs für das vergangene Konzerngeschäftsjahr aufzustellen.“

§ 264b HGB hat folgenden Wortlaut:

„Eine Personenhandelsgesellschaft im Sinne des § 264a Abs. 1 ist von der Verpflichtung befreit, einen Jahresabschluss und einen Lagebericht nach den Vorschriften dieses Abschnitts aufzustellen, prüfen zu lassen und offen zu legen, wenn

1.

sie in den Konzernabschluss eines Mutterunternehmens mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in den Konzernabschluss eines anderen Unternehmens, das persönlich haftender Gesellschafter dieser Personenhandelsgesellschaft ist, einbezogen ist;

2.

der Konzernabschluss sowie der Konzernlagebericht im Einklang mit der Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 auf Grund von Artikel 54 Abs. 3 Buchstabe g des Vertrages über den konsolidierten Abschluss (ABl. EG Nr. L 193 S. 1) und der Richtlinie 84/253/EWG des Rates vom 10. April 1984 über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen (ABl. EG Nr. L 126 S. 20) in ihren jeweils geltenden Fassungen nach dem für das den Konzernabschluss aufstellende Unternehmen maßgeblichen Recht aufgestellt, von einem zugelassenen Abschlussprüfer geprüft und offen gelegt worden ist, und

3.

die Befreiung der Personenhandelsgesellschaft

a)

im Anhang des von dem Mutterunternehmen aufgestellten und nach § 325 durch Einreichung beim Betreiber des Bundesanzeigers offen gelegten Konzernabschlusses angegeben und

b)

zusätzlich im Bundesanzeiger für die Personenhandelsgesellschaft unter Bezugnahme auf diese Vorschrift und unter Angabe des Mutterunternehmens mitgeteilt worden ist.“

8) Mit § 264 Absatz 3 HGB hat der Gesetzgeber es unternommen, Art. 57 der Richtlinie 78/660/EWG (in der Fassung durch Art. 43 der Richtlinie 83/349/EWG) umzusetzen. Gründe dafür, dass nach § 264 Absatz 3 HGB in Verbindung mit § 290 Absatz 1 HGB das Mutterunternehmen seinen Sitz im Inland haben muss, wohingegen nach der Richtlinie 78/660/EWG wie nach der Richtlinie 83/349/EWG das Mutterunternehmen (nur) dem Recht eines Mitgliedsstaats unterliegen muss, lassen sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Vielmehr heißt es dort (Deutscher Bundestag Drucksache 13/7141, S. 9):

„Mit dem neuen Absatz 3 sollen die nach Artikel 57 der Vierten Richtlinie möglichen Erleichterungen in das deutsche Recht übernommen werden. Danach brauchen bestimmte Tochterunternehmen die Vorschriften dieser Richtlinie über den Inhalt, die Prüfung und die Offenlegung des Jahresabschlusses gemäß den in der Vorschrift aufgeführten Voraussetzungen nicht anzuwenden. Die wichtigsten sind, dass das den Konzernabschluss aufstellende Mutterunternehmen die Haftung für das Tochterunternehmen übernimmt und dieses in den Konzernabschluss einbezieht. In diesen Fällen besteht kein Bedürfnis, die Anwendung der für Kapitalgesellschaften eingeführten Rechnungslegungsvorschriften weiterhin zu verlangen.“

Möglicherweise ist dieser Punkt, da Ziel des Gesetzesentwurfs die „Entlastung deutscher Konzerne“ (Deutscher Bundestag Drucksache 13/7141, S. 1) war, damals nicht ausreichend bedacht worden. Der Gesetzgeber hat zwar gesehen, dass der durch das Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetz (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2000 Teil I Nr. 8, S. 154) eingefügte § 264b HGB weiter geht als die in § 264 Absatz 3 HGB vorgesehene Befreiungsmöglichkeit (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Deutscher Bundestag Drucksache 14/1806, S. 19); er hat die Befreiungsmöglichkeit des § 264 Absatz 3 HGB gleichwohl nicht auf alle Mutterunternehmen, die dem Recht eines Mitgliedstaats unterliegen und einen Konzernabschluss nach dem für sie maßgeblichen Recht aufstellen, erweitert.

9) Die dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegte Frage ist entscheidungserheblich. Das gegen die Beschwerdeführerin festgesetzte Ordnungsgeld wäre aufzuheben, wenn die Regelung, dass nur Tochterunternehmen eines Mutterunternehmens mit Sitz im Inland, die in den Konzernabschluss nach den Vorschriften der §§ 264 - 335 HGB einbezogen worden sind, von der Offenlegungspflicht befreit sind, gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen sollte, ohne dass dies durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt wäre.

Denn die Beschwerdeführerin hat im Übrigen die Voraussetzungen des § 264 Absatz 3 HGB für das streitgegenständliche Geschäftsjahr erfüllt. Die nach nationalem Recht hierfür maßgeblichen Fristen sind eingehalten.

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