VG Karlsruhe, Beschluss vom 07.11.2012 - 2 K 2430/12
Fundstelle
openJur 2013, 15321
  • Rkr:

§ 40 Abs. 1a LFGB ermächtigt nur zur Veröffentlichung des Namens eines unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften hergestellten Lebensmittels (sog. Produktwarnung) nicht aber zur Information über generelle Hygienemängel in einer Gaststätte.

Tenor

1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, in ihrem Internetauftritt das Ergebnis einer amtlichen Kontrolle des Betriebs der Antragstellerin am ... zu veröffentlichen.

2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 5.000,-- € festgesetzt.

Gründe

Die Antragstellerin, die auf dem Gebiet der Antragsgegnerin eine Gaststätte betreibt, begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Untersagung der Veröffentlichung nachstehender Information im Internetauftritt der Antragsgegnerin:

BetriebsbezeichnungAnschriftBetreiberFeststellungstagSachverhaltRechtsgrundlage...2012Mängel bei derBetriebshygiene/Reinigungsmängel§ 3 LMHV /§ 2 LMR StrafVO Nr. 5Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung ist statthaft und auch sonst zulässig.

Dem steht nicht der in § 123 Abs. 5 VwGO normierte Vorrang des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO entgegen. Denn ein solcher Antrag wäre bereits nicht statthaft. Die Statthaftigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO setzt voraus, dass dem Verfahren ein belastender Verwaltungsakt zugrunde liegt (siehe Funke-Kaiser in Bader, VwGO, 5. A, § 80 Rn 1). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Bei dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 04.10.2012, in dem sie der Antragstellerin mitteilt, dass die oben wiedergegebene Information frühestens am 11.10.2012 im Internetauftritt der Stadt Pforzheim veröffentlicht wird, handelt es sich um keinen Verwaltungsakt.

Bei der Frage, ob eine Erklärung einer Behörde als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung neben dem Wortlaut und dem objektiven Erklärungswert auf die äußere Form (z.B. Bezeichnung als Bescheid oder Verfügung) sowie eine ggf. beigefügte bzw. fehlende Rechtsmittelbelehrung abzustellen. Das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung kann ein Indiz gegen das Vorliegen eines Verwaltungsakts sein, schließt jedoch für sich allein das Vorliegen eines Verwaltungsaktes nicht zwingend aus. Unklarheiten hinsichtlich der von der Behörde gewählten Verwaltungsakt-Form gehen zu deren Lasten. Bei Auslegungszweifeln ist bei belastenden Verwaltungsakten das den Betroffenen weniger belastende und bei begünstigenden Verwaltungsakten das den Betroffenen mehr begünstigende Auslegungsergebnis vorzuziehen; insoweit gehen etwaige Unklarheiten zu Lasten der Behörden.

Ob ein Verwaltungsakt ergangen ist, hat, da Verwaltungsakte Willenserklärungen sind, nach den für die Auslegung von Willenserklärungen allgemein geltenden Grundsätzen zu erfolgen. Entsprechend anwendbar sind die §§ 133, 157 BGB. Entscheidend ist der erklärte Wille der Behörde und der sich daraus ergebende objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Betroffene nach den ihm bekannten Umständen - aus der Sicht eines objektiven Betrachters -, das heißt nach Maßgabe eines objektiven Empfängerhorizonts unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Für die Auslegung ist vom Wortlaut des Ausspruchs (Tenor) und der dazu gegebenen Begründung auszugehen. Dabei ist entsprechend § 133 BGB der wirkliche Wille der Behörde zu erforschen, und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Zu würdigen ist der gesamte Inhalt der Erklärung einschließlich der Gesamtumstände (siehe VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.10.2009 - 2 S 1457/09 - juris mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist das Schreiben der Antragsgegnerin vom 04.10.2012 nach Maßgabe eines objektiven Empfängerhorizonts nicht als belastender Verwaltungsakt, sondern als die Ankündigung eines bevorstehenden tatsächlichen Verwaltungshandelns zu verstehen.

Dafür spricht neben der fehlenden Rechtsmittelbelehrung bereits, dass das Schreiben nicht als „Verfügung“ oder „Bescheid“ bezeichnet ist. Daneben kommt unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben insbesondere der Seite 4 des Schreibens besondere Bedeutung zu. Auf dieser ist zum einen das Schreiben als „Mitteilung“ bezeichnet. Im direkt anschließenden Absatz weist die Antragsgegnerin weiter darauf hin, dass im Wege des Rechtsschutzes die Möglichkeit besteht, beim Verwaltungsgericht Karlsruhe einen Antrag gem. § 123 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu stellen. Aus diesem Hinweis musste der bevollmächtigte Rechtsanwalt der Antragstellerin, demgegenüber das Schreiben vom 04.10.2012 in erster Linie ergangen ist, schließen, dass die Antragsgegnerin mit diesem Schreiben keinen Verwaltungsakt erlassen wollte.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch begründet.

Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des jeweiligen Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden, oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen, nötig erscheint. Der Antragsteller muss demgemäß die Gefährdung eines eigenen Individualinteresses (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines Rechts (Anordnungsanspruch) glaubhaft machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend hierfür sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.

Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes wird von der Antragsgegnerin nicht in Frage gestellt. Es liegt auf der Hand, dass die geplante Veröffentlichung der oben genannten Information im Internetauftritt der Antragsgegnerin für die Antragstellerin ganz erhebliche negative Konsequenzen hat, die auch bei einem Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht Nach summarischer Prüfung bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von der Antragsgegnerin beabsichtigten Veröffentlichung. Angesichts der schwerwiegenden Beeinträchtigung des Gewerbebetriebs der Antragstellerin durch die Veröffentlichung überwiegt das Interesse der Antragstellerin an deren vorläufiger Untersagung bis zur Klärung der anstehenden Rechtsfragen in einem Hauptsacheverfahren.

Die Antragsgegnerin hat in dem Schreiben vom 04.10.2012 als gesetzliche Eingriffsnorm in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Antragstellerin § 40 Abs. 1 a Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) angegeben. Nach dieser Vorschrift informiert die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Name oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn u.a. der durch Tatsachen begründete Verdacht besteht, dass gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens dreihundertfünfzig Euro zu erwarten ist (§ 40 Abs. 1 a Nr. 2 LFGB). Die Antragsgegnerin geht davon aus, dass die Antragstellerin Verstöße i. S. d. § 40 Abs. 1 a Nr. 2 LFGB begangen hat. Dafür spricht auch einiges. Es ist aber weiter zu prüfen und notfalls im Wege der Auslegung zu ermitteln, zu welcher Information der Öffentlichkeit § 40 Abs. 1 a LFGB die Behörde ermächtigt.

Der Wortlaut von § 40 Abs. 1 a LFGB, der die Behörde zur Information der Öffentlichkeit „unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels sowie unter Nennung des Lebensmittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel hergestellt, behandelt oder in den Verkehr gelangt ist“ ermächtigt, spricht dafür, dass § 40 Abs. 1 a LFGB nur zur Herausgabe einer sog. Produktwarnung ermächtigt. Vorliegend soll die Öffentlichkeit aber nicht über ein konkretes Lebensmittel (Produkt), das unter Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften hergestellt, behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, informiert werden, sondern darüber, dass bei einer Betriebskontrolle der Antragstellerin am ... Mängel bei der Betriebshygiene sowie Reinigungsmängel festgestellt worden sind.

Es ist fraglich, ob § 40 Abs. 1 a LFGB tatsächlich über seinen Wortlaut hinaus eine (zwingende) Pflicht der Behörden begründet, die Öffentlichkeit nicht nur über konkrete Lebensmittel unter Nennung deren Bezeichnung zu informieren, sondern - losgelöst von einem bestimmten Lebensmittel - generell über hygienische Mängel in Betrieben, die Lebensmittel verarbeiten und/oder in den Verkehr bringen.

Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht entnehmen, dass die Vorschrift derartig weit auszulegen ist. Die mit Wirkung zum 01.09.2012 erfolgte Einfügung von § 40 Abs. 1 a LFGB durch das Gesetz zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 15.3.2012 ist wie folgt begründet worden (BT-Drucks. 17/7374):

Die Geschehnisse im Zusammenhang mit Dioxin in Futtermitteln von Ende 2010/Anfang 2011 bestätigen die bereits in der Vergangenheit insbesondere im Zusammenhang mit kennzeichnungsrechtlichen Verstößen im Bereich der Käseimitate sowie die des so genannten Analogschinkens gesammelten Erfahrungen, dass bei den Behörden vor Ort trotz der im Juli 2009 eingeführten Verbesserungen der Abwägungsklausel des bisherigen § 40 Abs. 1 S. 3 LFGB (vgl. BGBl. I S. 2205) teilweise immer noch Unklarheiten bestehen, in welchen Fällen eine Information der Öffentlichkeit angezeigt ist. Daher ist es notwendig, im Gesetz selbst durch die Schaffung eines neuen § 40 Abs. 1 a klarzustellen, dass bestimmte herausgehobene Rechtsverstöße unabhängig vom Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 LFGB zu veröffentlichen sind. Nach dem neu eingefügten § 40 Abs. 1 a muss eine Namensnennung bei Feststellung dieser enumerativ aufgeführten Rechtsverstöße nunmehr zwingend - ohne dass den zuständigen Behörden ein (gebundenes) Ermessen zusteht - erfolgen. Der Verstoß muss aufgrund von Tatsachen nach pflichtgemäßer Überzeugung der Behörde hinreichend begründet sein; der bloße - unaufgeklärte - Verdacht eines Verstoßes ist für den mit der Veröffentlichung verbundenen weitreichenden Eingriff in den Gewerbetrieb des Lebensmittelunternehmers nicht ausreichend. Damit wird auch dem Interesse der Verbraucher an verlässlichen behördlichen Informationen über das Marktumfeld Rechnung getragen.

Eine Veröffentlichungspflicht der Behörden besteht gem. § 40 Absatz 1 a Satz 1 Nummer 1 LFGB zunächst bei der Überschreitung gesetzlich festgelegter Grenzwerte, Höchstgehalte oder Höchstmengen (zur Terminologie vgl. oben zu Artikel 1 Nummer 4 Buchstabe c). Die Geschehnisse im Zusammenhang mit Dioxin in Futtermitteln haben gezeigt, dass bei Rechtsverstößen durch Grenzwertüberschreitungen unabhängig vom jeweiligen Schweregrad des Verstoßes ein besonderes Interesse der Verbraucher besteht zu erfahren, welche Lebensmittel oder Futtermittel mit unzulässigen Schadstoffen belastet sind (vgl. Nummer 10 des Aktionsplans „Verbraucherschutz in der Futtermittelkette“ der Bundesregierung vom 14. Januar 2011).

Auch bei sonstigen Rechtsverstößen sollte eine gesetzliche Definition derjenigen Tatbestände erfolgen, bei denen - ähnlich wie bei „Grenzwertüberschreitungen“ - eine Veröffentlichung zwingend angezeigt ist. Allerdings sollte bei Täuschungs- oder Hygieneverstößen eine höhere Eingriffsschwelle vorgesehen werden als bei Grenzwertüberschreitungen, bei denen regelmäßig der vorsorgende Gesundheitsschutz stärker im Vordergrund steht. Dabei müssen nur solche Verstöße zwingend veröffentlicht werden, bei denen ein wiederholter Verstoß vorliegt oder bei einem einmaligen Verstoß die Erheblichkeitsschwelle überschritten ist, sofern ein Bußgeld in Höhe von mindestens 350 Euro zu erwarten ist. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass sich eine Schwelle von 350 Euro zur Abgrenzung veröffentlichungspflichtiger Verstöße als sachgerecht erwiesen hat.

Dieser Begründung lässt sich nicht entnehmen, dass über den Wortlaut der Vorschrift hinaus nicht nur ein beanstandetes Lebensmittel unter seiner genauen Bezeichnung veröffentlicht werden darf, sondern für Behörden die zwingende Pflicht besteht, die Öffentlichkeit ganz generell über bestimmte Betriebe zu informieren, bei denen Verstöße gegen hygienische Anforderungen festgestellt worden sind.

Angesichts der erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der geplanten Veröffentlichung überwiegt das private Interesse der Antragstellerin, hiervon vorläufig verschont zu bleiben. Dies gilt umso mehr, als in der Zwischenzeit im Betrieb der Antragstellerin die Einhaltung der Hygienevorschriften sichergestellt ist, eine Veröffentlichung deshalb - anders als bei einem bereits an den Endverbraucher ausgelieferten Lebensmittel - zum Schutz der Verbraucher nicht unerlässlich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG (in Anlehnung an Nr. 25.2 des Streitwertkatalogs), wobei die Kammer davon ausgeht, dass die Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens dem des Hauptsacheverfahren entspricht.