BFH, Urteil vom 27.01.2011 - III R 57/10
Fundstelle
openJur 2013, 17578
  • Rkr:
Tatbestand

I. Der Sohn des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) beendete im Dezember 2007 eine Ausbildung zum Steuerfachgehilfen. Im Anschluss daran arbeitete er bis zum 31. Juli 2008 als Steuerfachgehilfe in einem Büro als Vollzeitkraft. Zum 1. August 2008 begann er eine Ausbildung als Finanzanwärter, für die er sich bereits im August 2007 beworben hatte.

Den Antrag des Klägers, ihm für seinen Sohn für die Monate August bis Dezember 2008 Kindergeld zu gewähren, lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) im April 2009 ab. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der daraufhin erhobenen Klage des Klägers mit Urteil vom 10. Dezember 2009 (5 K 214/09) statt. Es entschied, der Kläger habe für die Monate August bis Dezember 2008 Anspruch auf Kindergeld für seinen Sohn. Im Streitfall seien nur die Einkünfte und Bezüge, die der Sohn in der Zeit von August bis Dezember 2008 erzielt habe, für die Frage maßgebend, ob der --anteilige-- Jahresgrenzbetrag überschritten sei. Durch die Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit im Januar 2008 seien die Voraussetzungen für die Festsetzung von Kindergeld entfallen. Dies gelte auch dann, wenn sich das Kind, wie im Streitfall, bereits zuvor um eine zweite Ausbildung beworben habe, diese im laufenden Jahr aufnehme und die Vollzeitarbeitsstelle aufgebe. Die Einkünfte des Sohnes, die er nach der Aufnahme der Ausbildung beim Finanzamt erzielt habe, erreichten bei Berücksichtigung der Werbungskosten und der abzugsfähigen Sozialversicherungsbeiträge nicht den anteiligen Jahresgrenzbetrag.

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr 2008 geltenden Fassung. Nach der geänderten Rechtsprechung des Senats (Senatsurteil vom 17. Juni 2010 III R 34/09, BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982) schließe die Vollzeiterwerbstätigkeit eines Kindes seine Berücksichtigung als Kind, das auf einen Ausbildungsplatz warte, nicht aus. Da der Sohn daher im gesamten Jahr 2008 als Kind zu berücksichtigen sei, seien auch die Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit bei der Frage, ob der Grenzbetrag überschritten werde, anzusetzen. Danach sei der Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten.

Die Familienkasse beantragt, das angegriffene Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er führt u.a. aus: Sein Sohn sei in den Monaten Januar bis Juli 2008 nicht als Kind zu berücksichtigen, das auf einen Ausbildungsplatz warte, denn der Sohn habe bereits vor Beendigung seiner Berufsausbildung den (weiteren) Ausbildungsplatz zugesagt bekommen. Es liege daher kein Fall des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG, sondern ein solcher des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG vor; allerdings betrage die Übergangszeit mehr als vier Monate, so dass eine Berücksichtigung auch nach dieser Vorschrift nicht möglich sei. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG komme nicht in Betracht, da dieser Tatbestand und der des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG im Verhältnis der Alternativität zueinander stünden. Andernfalls verlöre § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG seine Bedeutung, da immer dann, wenn § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nicht eingreife, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG als Auffangtatbestand anwendbar wäre.

Gründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, da dessen bisherige Feststellungen keine abschließende Entscheidung darüber ermöglichen, ob dem Kläger für die Monate August bis Dezember 2008 für seinen Sohn ein Kindergeldanspruch zusteht (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Für ein über 18 Jahre altes Kind, das, wie der Sohn des Klägers im Streitjahr 2008, das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG u.a. dann ein Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge 7.680 EUR im Kalenderjahr nicht übersteigen. Liegen die Voraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG nur in einem Teil des Kalendermonats vor, sind die Einkünfte und Bezüge nur insoweit anzusetzen, als sie auf diesen Teil entfallen. Einkünfte und Bezüge des Kindes, die auf Kalendermonate entfallen, in denen die Voraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG an keinem Tag vorliegen, bleiben außer Ansatz (§ 32 Abs. 4 Sätze 6 und 8 EStG).

a) In Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Im Rahmen der Altersgrenzen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 EStG kommt es nicht darauf an, ob es sich um die erste oder um eine weitere Ausbildung handelt und ob eine zusätzliche Ausbildungsmaßnahme einer beruflichen Qualifizierung oder einem anderen Beruf dient (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 24. Februar 2010 III R 3/08, BFH/NV 2010, 1262). Danach ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass der Sohn des Klägers in den Monaten August bis Dezember 2008 i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet wurde.

b) Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ist ein Kind zu berücksichtigen, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn das Kind noch keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, sondern auch dann, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann (z.B. Senatsurteil in BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982).

Entgegen der Auffassung des Klägers stehen die Berücksichtigungstatbestände des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c EStG nicht im Verhältnis der Alternativität zueinander. Dies führt auch nicht dazu, dass § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG keine eigenständige Bedeutung hat. Denn diese Norm stellt gegenüber § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG eine vereinfachende Auffangvorschrift z.B. in den Fällen dar, in denen das Kind noch keine Zusage für einen (weiteren) Ausbildungsplatz hat. Bei einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten von nicht mehr als vier Monaten geht der Gesetzgeber dann typisierend davon aus, dass ein Kind gehindert ist, seine Ausbildung zu einem früheren Zeitpunkt fortzusetzen. Demgegenüber muss ein Kind, um nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG berücksichtigt werden zu können, nachweisen, dass es sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht, für den es auch objektiv geeignet ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. Juli 2003 VIII R 77/00, BFHE 203, 98, BStBl II 2003, 845).

Entgegen der Auffassung des FG wird der Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Kind, das eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann, während der danach zu berücksichtigenden Monate einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht. Insoweit verweist der Senat zur weiteren Begründung auf sein Urteil in BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982. War der Sohn des Klägers auch in den Monaten Januar bis Juli 2008 bereits als Kind zu berücksichtigen, sind auch die auf diese Monate entfallenden Einkünfte und Bezüge bei der Ermittlung, ob der (Jahres-)Grenzbetrag überschritten ist, einzubeziehen.

Abweichendes ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus § 32 Abs. 4 Sätze 6 bis 8 EStG. Denn diese Regelungen setzen voraus, dass das Kind in bestimmten Kalendermonaten bzw. in einem Teil eines Kalendermonats die Voraussetzungen eines Berücksichtigungstatbestands nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG nicht erfüllt. Der Sohn des Klägers erfüllte jedoch in allen Monaten des Jahres 2008 einen Berücksichtigungstatbestand.

2. Das FG hat --aus seiner Sicht zu Recht-- bislang nicht geprüft, ob die Einkünfte und Bezüge des Sohnes --bezogen auf das gesamte Jahr 2008-- den Jahresgrenzbetrag von 7.680 EUR überschritten haben. Hiervon hängt ab, ob dem Kläger in den Monaten August bis Dezember 2008 tatsächlich ein Anspruch auf Kindergeld für seinen Sohn zusteht. Dem FG wird daher Gelegenheit gegeben, die erforderlichen Feststellungen nachzuholen.