BVerfG, Beschluss vom 25.03.1999 - 2 BvE 5/99
Fundstelle
openJur 2010, 3049
  • Rkr:

Zur Zulässigkeit von Anträgen im Organstreitverfahren (§ 64 BVerfGG).

Tenor

1. Der Antrag wird verworfen.

2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

Das Verfahren betrifft die Frage, ob die Rechte einer Fraktion oder des Bundestages durch die Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Operationen der NATO gegen die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) verletzt worden sind.

A.

1. Seit den Abendstunden des 24. März 1999 führt die NATO unter Beteiligung der Bundeswehr Luftangriffe gegen die Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) durch. Der Bundestag hat am 16. Oktober 1998 "dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte entsprechend dem von der Bundesregierung am 12. Oktober 1998 beschlossenen deutschen Beitrag zu den von der NATO zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt geplanten, begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen für die von den NATO-Mitgliedstaaten gebildete Eingreifgruppe unter Führung der NATO" zugestimmt (vgl. BTDrucks 13/11469; BT-Plenarprotokoll, 13. WP, 248. Sitzung vom 16. Oktober 1998, S. 23161 <B>).

In späteren Beschlüssen vom 13. November, 19. November 1998 und 25. Februar 1999 hat der 14. Deutsche Bundestag den Beschluß vom 16. Oktober 1998 ausdrücklich aufgenommen, bekräftigt und in - hier nicht einschlägigen - Ermächtigungen fortgebildet.

2. Nach Auffassung der Antragstellerin verletzt die Beteiligung der Bundeswehr die Vorschriften der Art. 25, Art. 26, Art. 87a Abs. 2 i.V.m. Art. 24 Abs. 2 und Art. 79 Abs. 1 und 2 GG.

Die Antragsgegner hätten gegen grundgesetzliche Kompetenzen des Bundestages verstoßen. Der Bundestag sei durch die angegriffenen Maßnahmen in seinen Rechten und Pflichten verletzt.

a) Art. 25 GG sei verletzt, weil das allgemeine Gewaltverbot nach Art. 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen als universale Regel des Völkerrechts unter diese Vorschrift falle. Die ohne Autorisierung durch den Sicherheitsrat unternommenen Militärschläge verletzten das völkerrechtliche Gewaltverbot und seien aus diesem Grund völkerrechtswidrig. Sie seien insbesondere nicht durch die beiden Kosovo-Resolutionen des Sicherheitsrats Nr. 1160 vom 31. März 1998 und 1199 vom 4. September 1998 gedeckt. Diese Resolutionen enthielten weder direkt noch indirekt ein Mandat für die NATO, ein anderes Bündnis oder irgendeinen Staat, Waffengewalt anzuwenden.

Durch den gegen das Gewaltverbot verstoßenden Militärschlag werde ein Präzedenzfall mit unabsehbaren negativen Folgen für die Wirksamkeit der Vereinten Nationen und des Völkerrechts geschaffen.

Die Beteiligung der Bundeswehr verstoße auch gegen Art. 87a Abs. 2 GG i.V.m. Art. 24 Abs. 2 GG. Art. 24 Abs. 2 GG sei im vorliegenden Fall als verfassungsrechtliche Grundlage für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit nicht einschlägig. In seiner Entscheidung zur Beteiligung deutscher Streitkräfte an den Einsätzen in Bosnien-Herzegowina habe sich das Bundesverfassungsgericht auf die autorisierenden Beschlüsse des Sicherheitsrats bezogen. Damit setze das Bundesverfassungsgericht voraus, daß NATO-Einsätze vom Sicherheitsrat autorisiert seien, um ihre Rechtfertigung in Art. 24 Abs. 2 GG zu finden. Im vorliegenden Fall fehle es an einer entsprechenden Autorisierung durch den Sicherheitsrat.

Aus den genannten Gründen verstoße die Beteiligung der Bundeswehr auch gegen Art. 26 GG. Handlungen, die dem Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen widersprächen und einen bewaffneten Angriff auf ein Mitglied der Vereinten Nationen darstellten, seien ein im Sinne dieser Vorschrift verfassungswidriger Angriffskrieg.

b) Außerdem habe der Bundestag selbst ultra vires gehandelt, indem er über seine Kompetenzen hinaus Beschlüsse zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte gefaßt habe, für die eine vorgehende Verfassungsänderung notwendig gewesen sei. Die Antragstellerin habe als Teil des Bundestages im Falle eines Verfassungsänderungsverfahrens andere und weitergehende Aufgaben und Kompetenzen als im einfachen Gesetzgebungsverfahren und sei somit in ihren Rechten verletzt worden.

B.

Der Antrag zur Hauptsache ist unzulässig. Die Antragstellerin ist nicht antragsbefugt, weil weder ihre eigenen noch die Rechte des Deutschen Bundestages verletzt sein können.

1. Fraktionen des Deutschen Bundestages sind im Organstreitverfahren gemäß §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG parteifähig. Sie sind befugt, im eigenen Namen auch Rechte geltend zu machen, die dem Bundestag gegenüber einem möglichen Antragsgegner zustehen können (BVerfGE 90, 286 <336>; stRspr).

2. Die antragstellende Fraktion hat jedoch nicht dargelegt, daß der Bundestag durch die angegriffenen Maßnahmen in Rechten verletzt sein könnte, die ihm durch das Grundgesetz übertragen worden sind (§ 64 Abs. 1 BVerfGG). Das Organstreitverfahren dient dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht einer allgemeinen Verfassungsaufsicht (vgl. BVerfGE 68, 1 <69 ff.>).

a) Das Grundgesetz ermächtigt den Bund, Streitkräfte zur Verteidigung aufzustellen und sich Systemen kollektiver Selbstverteidigung und gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzuschließen. Darin ist auch die Befugnis eingeschlossen, sich mit eigenen Streitkräften an Einsätzen zu beteiligen, die im Rahmen solcher Systeme vorgesehen sind und nach ihren Regeln stattfinden. Allerdings bedarf der Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich der vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestages (BVerfGE 90, 286 <381 ff.>). Diese Zustimmung hat der Bundestag erteilt.

aa) Der 13. Bundestag hat am 16. Oktober 1998 militärischen Maßnahmen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo zugestimmt. Dieser Beschluß ermächtigt zu Luftoperationen der NATO, die in Phasen durchzuführen sind. Bei diesem Beschluß war dem Bundestag bewußt, daß der Einsatz aller Voraussicht nach ohne eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durchgeführt werden würde. Die Bundesregierung hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sie dennoch einen Militäreinsatz der NATO für gerechtfertigt hielt (vgl. BTDrucks 13/11469, S. 2). Der Beschluß vom 16. Oktober 1998 deckt damit die gegenwärtigen Luftangriffe der NATO.

bb) Die neueren Beschlüsse des 14. Bundestages haben den ersten Beschluß vom 16. Oktober nicht verdrängt oder modifiziert. Sie beziehen sich auf spezielle Einzelfragen: auf ein Luftüberwachungsverfahren, welches mit Jugoslawien vereinbart worden war (BTDrucks 14/16), auf den Schutz der OSZE-Mission im Kosovo durch NATO-Einheiten in Mazedonien (BTDrucks 14/47) und auf die Umsetzung eines Rambouillet-Abkommens (BTDrucks 14/397 ).

Die späteren Beschlüsse nehmen auf den Beschluß vom 16. Oktober 1998 Bezug und machen damit deutlich, daß auch der 14. Deutsche Bundestag an dem Beschluß zu einer militärischen Operation zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe festhält.

Damit sind - ungeachtet der Frage, ob Art. 25 GG, der das allgemeine Völkerrecht, nicht das Völkervertragsrecht betrifft (Steinberger, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, in: HStR Bd. VII, § 173 Rn. 9; Pernice, Art. 25 Rn. 17, in: Dreier <Hrsg.>, Grundgesetz, Kommentar, Bd. 2, Tübingen 1998), und Art. 26 GG dem Bundestag eigene Rechte zuweisen - Rechte des Deutschen Bundestages nicht verletzt.

b) Auch Rechte des Deutschen Bundestages in einem Verfahren zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 2 und 3 GG) sind nicht berührt. Selbst für den Fall eines Verstoßes gegen das Grundgesetz hat kein Mitglied des Bundestages die Einleitung eines Änderungsverfahrens auch nur erwogen.

3. Die Antragstellerin ist auch nicht in ihren eigenen Rechten als Bundestagsfraktion verletzt. Als derartige Rechte kommen nur solche im innerparlamentarischen Raum, nicht aber im Verhältnis zwischen Parlament und Regierung in Betracht (vgl. BVerfGE 91, 246 <250 f.>). Zwar trägt die Antragstellerin vor, der Deutsche Bundestag habe selbst ultra vires gehandelt, als er die Beschlüsse zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte gefaßt habe. Eine solche Rechtsverletzung könnte jedoch nicht im Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung, erst recht nicht gegen den Bundesminister der Verteidigung (vgl. BVerfGE 90, 286 <338>) geltend gemacht werden, sondern allenfalls in einem Verfahren gegen den Deutschen Bundestag. Auch für dieses Verfahren fehlte es jedoch an der Antragsbefugnis, weil die verfassungsrechtliche Ermächtigung des Bundes, Streitkräfte in einem System kollektiver Sicherheit einzusetzen, grundsätzlich geklärt ist (BVerfGE 90, 286) und die Rechte der antragstellenden Fraktion sich insoweit auf eine ordnungsgemäße Beteiligung an dem Verfahren beschränken, in dem der Bundestag dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte seine vorherige konstitutive Zustimmung erteilt hat.

4. Mit der Verwerfung des Antrags in der Hauptsache erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.