SG Aachen, Urteil vom 04.12.2012 - S 13 KR 287/12
Fundstelle
openJur 2012, 132316
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten in Höhe von 862,84 ? für die Behandlung und Versorgung mit einer Unterkieferprotrusionsschiene (UPS) zur Behandlung eines Schlafapnoe-Syndroms.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger leidet an einem mittelgradigen Schlafapnoe-Syndrom und schnarcht stark im Schlaf. Am 16.02.2012 beantragte er bei der Beklagten die Óbernahme der Kosten für eine UPS. Er legte hierzu einen Bericht des HNO-Arztes Dr. L. über eine am 27.09.2011 durchgeführte ?Videoendoskopie im Propofolschlaf? vor. Danach werde die Apnoe durch Rückfall des Unterkiefers mit Zungengrund verursacht, was durch Protrusion aufgehoben werden könne. Der ärztliche Therapievorschlag lautete: ?Protrusionsschiene evtl. zusätzlich Ergänzung durch Schnarch-OP?. Desweiteren legte der Kläger einen Kostenvoranschlag für eine kieferchirurgische Versorgung mit einer UPS vor; danach beliefen sich die Kosten auf 1.014,37 ?.

Durch Bescheid vom 17.02.2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, eine UPS sei im Hilfsmittelverzeichnis nicht mehr gelistet und somit keine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Dagegen erhob der Kläger am 15.03.2012 Widerspruch. Er trug vor, seine persönliche psychische Belastung sei mit einer UPS deutlich geringer; es wäre für ihn eine große Belastung, in seinem Alter eine Atemmaske tragen zu müssen; würde er deshalb aber nichts unternehmen, wäre dies ein gesundheitsgefährdender Entschluss. Sollte sich die Wirksamkeit der UPS nicht bestätigen und tatsächlich später eine Atemmaske nötig werden, sei er bereit, sich an den Kosten der UPS (nachträglich) zu beteiligen.

In einem von der Beklagten veranlassten Gutachten des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 25.04.2012 kam Dr. T. zum Ergebnis, Schnarchen sei keine Krankheit, wohl aber das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (OPAS). Die dadurch bedingte Atemstörung könnte mit einem Beatmungsgerät, erforderlichenfalls operativ zu Lasten der GKV behandelt werden. Eine Leistungspflicht für eine UPS-Behandlung und ?versorgung bestehe nicht.

Vom 29.05. bis 17.07.2012 hat der Kläger die Behandlung und Versorgung mit der UPS durchführen lassen. Hierfür sind ihm am 03.12.2012 Kosten in Höhe von 862,84 ? (349,24 ? für die kieferchirurgische Behandlung, 513,60 ? für die UPS) in Rechnung gestellt worden, die der Kläger bisher noch nicht bezahlt hat.

Gestützt auf das MDK-Gutachten wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 04.09.2012 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 28.09.2012 Klage erhoben: Der Umstand, dass die UPS nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet sei, stehe einem Anspruch gegen die Krankenkasse nicht entgegen. Die UPS sei in seinem Fall zur Behandlung des Schlafapnoe-Syndroms erforderlich. Zum einen sei eine chirurgische Therapie auszuschließen; sie sei auch unverhältnismäßig. Zum anderen sei auch eine Behandlung mit einer Schlafmaske mit Beatmungsgerät auszuschließen, da diese ihn psychisch stark belasten würde. Außerdem sei die UPS-Behandlung gegenüber der Schlafmaskentherapie die kostengünstigere Variante. Der Kläger verweist für seine Auffassung auf ein Urteil des Sozialgerichts (SG) Lübeck vom 19.05.2011 (S 3 KR 982/08). Er ist der Auffassung, nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könne eine Hilfsmittelversorgung unter besonderen Umständen auch ohne Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erfolgen. Zum Nachweis der Wirksamkeit der UPS-Therapie verweist der Kläger auf ein Positionspapier der ?Deutschen Gesellschaft Zahnärztliche Schlafmedizin? (DGZS) vom 01.09.2006, Leitlinien der ?Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin? (DGSM) und Fachliteratur.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.02.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2012 zu verurteilen, ihn von den Kosten der kieferchirurgischen Behandlung und Versorgung mit einer Unterkieferprotrusionsschiene in Höhe von 862,84 ? freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Freistellung von den Kosten der von ihm selbstbeschafften Behandlung und Versorgung mit einer Unterkieferprotrusionsschiene (UPS) in Höhe von 862,84 ?.

Rechtsgrundlage für die Freistellung von der Forderung von Kosten in Höhe von 862,84 für die in der Zeit vom 28.05. bis 17.07.2012 durchgeführten kieferchirurgischen Behandlung und Versorgung mit einer UPS ist § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Der in Betracht kommende Kostenfreistellungsanspruch reicht dabei nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, Urteil vom 24.09.1996 - 1 RK 33/95 = BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11; Urteil vom 22.03.2005 - B 1 KR 11/03 R = SozR 4-2500 § 27a Nr. 1; Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Die Beklagte ist zwar nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V zur Gewährung ärztlicher Behandlung bei dem Kläger verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Die Krankenkassen sind daher nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie - wie hier - nach eigener Einschätzung des Versicherten oder der behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sein. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12).

Diese Anforderungen gelten auch für den Einsatz eines Hilfsmittels im Rahmen einer Therapie. Dabei ergibt sich allerdings der Ausschluss eines Hilfsmittelversorgungsanspruchs ? entgegen der von der Beklagten im Bescheid vom 17.02.2012 vertretenen Auffassung ? nicht aus dem Umstand, dass das betreffende Hilfsmittel nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet ist. Die Vorschriften zum Hilfsmittelverzeichnis ermächtigen nicht dazu, den Anspruch der Versicherten einzuschränken, sondern nur dazu, eine für die Gerichte unverbindliche Auslegungshilfe zu schaffen (BSG, Urteil vom 23.08.1995 ? 3 RK 7/95; Urteil vom 10.11.2005 ? B 3 KR 31/04 R; Urteil vom 24.05.2006 ? B 3 KR 12/05 R). Soll ein Hilfsmittel im Rahmen einer Krankenbehandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V) deren ?Erfolg ? sichern? (§ 33 Abs. 1 SGB V), ist seine Verwendung nicht von dem zugrundeliegenden Handlungskonzept und den dafür geltenden Anforderungen nach §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 SGB V i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V zu trennen. Insoweit erfasst die Sperrwirkung des in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V begründeten Leistungsverbots mit Erlaubnisvorbehalt jegliche Maßnahme, also auch die Hilfsmittelversorgung ?im Rahmen einer bei einem bestimmten Krankheitsbild angewandten Behandlungsmethode? (BSG, Urteil vom 12.08.2009 ? B 3 KR 10/07 R ? m.w.N.) und demgemäß auch hier den Einsatz der UPS im Rahmen der kieferchirurgischen Behandlung.

Bei der Behandlung und Versorgung mit einer UPS zur Therapie des Schlafapnoe-Syndroms handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode im Sinne von §§ 92 Abs. 1, 135 SGB V, die ambulant nur dann zu Lasten der GKV zu erbringen gewesen wäre, wenn eine positive Empfehlung des G-BA vorgelegen hätte. Hieran fehlt es.

Anhaltspunkte dafür, dass eine Behandlungsmethode ausnahmsweise ohne positive Empfehlung des G-BA zur Versorgung in der GKV zuzulassen wäre, sind hier nicht feststellbar. Zwar ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass die Sperrwirkung bei fehlender positiver Empfehlung des G-BA unter besonders gelagerten Voraussetzungen unbeachtlich sein kann. Dies kann jedoch nur bei einer im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) notstandsähnlichen (Krankheits-)situationen in Betracht gezogen werden. Das BVerfG hat in dem genannten Beschluss entschieden dass es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar ist, einem gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, generell von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der GKV ausgeschlossen, weil der zuständige Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt ober sie sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, verstößt nach dieser Rechtsprechung des BVerfG gegen das GG, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor. Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode steht eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.

Diese Voraussetzungen waren zum Zeitpunkt der Behandlung und Versorgung mit einer UPS nicht erfüllt. Das Schlafapnoe-Syndrom ist keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung. Sie zählt offensichtlich auch nicht zu den besonders seltenen Erkrankungen. Unabhängig davon fehlt es auch an der zweiten vom BVerfG geforderten Voraussetzung. Denn es besteht zur Behandlung des Schlafapnoe-Syndroms eine Standardtherapie in Form einer Schlafmasken-Behandlung, erforderlichenfalls auch in Form einer Operation. Der HNO-Arzt hat aufgrund der am 27.09.2011 durchgeführten Videoendoskopie ausdrücklich auch eine ergänzende Schnarch-Operation vorgeschlagen. Wenn der Kläger eine solche Operation für unverhältnismäßig hält und eine Schlafmaskenbehandlung im Hinblick auf sein Alter als psychisch zu belastend ablehnt, begründet dies keinen Anspruch auf die neue bisher nicht zugelassene Behandlung und Versorgung mit einer UPS zur Therapie des Schlafapnoe-Syndroms. Die Beklagte hat daher den Antrag auf Kostenübernahme, den der Kläger rechtzeitig vor Beginn der selbstbeschafften Behandlung und Versorgung, also unter Einhaltung des Beschaffungsweges (vgl. dazu BSG, Beschluss vom 15.04.1997 ? 1 BK 31/96) gestellt hat, nicht ?zu Unrecht? im Sinne von § 13 Abs. 3 SGB V abgelehnt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.