OLG Hamm, Urteil vom 05.09.2012 - I-20 U 80/12
Fundstelle
openJur 2012, 132304
  • Rkr:

Eine Klage auf Feststellung, dass ein Versicherer zukünftig zu Leistungen aus der Krankentagegeldversicherung verpflichtet ist, ist unzulässig.

Tenor

Das am 20.01.2012 verkündete Urteil der 17. Zivilkammer des Land-gerichts Essen wird auf die Berufung der Beklagten abgeändert.

 

Die Klage wird insoweit als unzulässig abgewiesen, wie die Klägerin beantragt hat, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, über den 31.05.2010 hinaus bis zur Beendigung der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin Krankentagegeld zu zahlen.

 

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Von den Kosten erster Instanz tragen die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 14.400,00 € festgesetzt.

Gründe

A.

Die Parteien streiten um Ansprüche der Klägerin aus einer seit 1981 bestehenden Krankentagegeldversicherung, deren seit 2009 geltender Tarif die Zahlung eines kalendertäglichen Krankentagegeldes von 100,00 € ab dem 43. Tag einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit vorsieht. Grundlage dieses Vertrages sind die MB/KT 2009.

Von 1981 bis 2009 war die Klägerin als Schmuckverkäuferin im Außendienst tätig. Sie fuhr mit insgesamt sechs Koffern zu ihren Kunden, wobei sie vor Ort dann einzelne dieser Schmuckkoffer mit zu den Kunden nahm. Ab dem 13.01.2009 war die Klägerin arbeitsunfähig krankgeschrieben aufgrund rechtsseitiger Schulterbeschwerden nebst depressiver Entwicklung und Hypertonie und erhielt Krankentagegeld. Nach verschiedenen ärztlichen Untersuchungen wurde bei ihr am 26.10.2009 eine subacromiale Dekompression durchgeführt, wodurch eine Erweiterung des Schulterdaches mit Knorpelglättung und Entfernung des körperfernen Schlüsselbeinendes vorgenommen wurde. Am 19.01.2010 wurde die Klägerin (erneut) vertrauensärztlich untersucht. In ihrem Gutachten vom 20.01.2010 kamen die untersuchenden Ärzte zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nunmehr berufsunfähig sei. Dafür könne dahingestellt bleiben, ob die noch angestrebte Knorpelzelltransplantation erfolgreich sein werde, da jedenfalls eine Wiederherstellung ihrer Berufsfähigkeit nicht erwartet werden könne. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin durch Schreiben vom 25.01.2010 mit, dass nach dem ärztlichen Gutachten vom 20.01.2010 von ihrer Berufsunfähigkeit auszugehen sei, so dass der Krankentagegeldversicherungsvertrag spätestens zum 18.04.2010 ende. Bis zu diesem Zeitpunkt leistete die Beklagte das vereinbarte Krankentagegeld, danach nicht mehr.

Die Klägerin hat in erster Instanz behauptet, ihre Beschwerden an der rechten Schulter sowie ihre psychische Situation seien unverändert. Aufgrund der durch ihre weitere Behandlung zu erwartenden Verbesserung ihres Gesundheitszustands liege aber keine Berufsunfähigkeit im Sinne von § 15 Abs. 1 lit. b MB/KT 2009 vor.

Die Klägerin hat deshalb beantragt,

                            1.

die Beklagte zu verurteilen, an sie Krankentagegeld für den Zeitraum vom 19.04.2010 bis zum 31.05.2010 in Höhe von 4.200,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach

§ 247 BGB seit dem Tage der Klageerhebung zu zahlen,

2.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, über den 19.04.2010 hinaus bis zur Beendigung der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin Krankentagegeld zu zahlen und festzustellen, dass der bei der Beklagten bestehende Versicherungsvertrag für Krankentagegeld (...#/...) über den 19.04.2010 fortbesteht sowie

3.

die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin gegenüber einer Gebührenforderung der Rechtsanwälte M & Partner, F, in Höhe von 1.303,53 € freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt,

                            die Klage abzuweisen.

Hierzu hat sie behauptet, die Klägerin sei auf Dauer berufsunfähig im Sinne von

§ 15 Abs. 1 lit. b) MB/KT.

Das Landgericht hat der Klage nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. med. M2 im Wesentlichen stattgegeben und die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an die Klägerin Krankentagegeld für den Zeitraum vom 19.04.2010 bis zum 31.05.2010 in Höhe von 4.200,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.07.2010 zu zahlen. Daneben hat die Kammer festgestellt, dass der bei der Beklagten bestehende Versicherungsvertrag für Krankentagegeld (...#/...) über den 31.05.2010 hinaus fortbestehe und dass die Beklagte verpflichtet sei, über den 31.05.2010 hinaus bis zur Beendigung der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin an diese Krankentagegeld zu zahlen.

Zur Begründung hat die Kammer zusammen gefasst Folgendes ausgeführt:

Für die Feststellungsklage bezüglich des Fortbestehens des Versicherungsvertrages bestehe - soweit es den Zeitraum vom 19.04. bis zum 31.05.2010 betreffe - kein Feststellungsinteresse, denn insoweit sei die Fortgeltung des Versicherungsvertrages nur Vorfrage hinsichtlich des zugleich gestellten Leistungsantrags.

Im Übrigen sei die Feststellungsklage zulässig. Die Möglichkeit, hinsichtlich des Zeitraums ab dem 01.06.2010 eine Leistungsklage auf Zahlung von Krankentagegeld zu erheben, lasse das Feststellungsinteresse nicht entfallen, denn bei einem Versicherer sei davon auszugehen, dass er auch auf ein Feststellungsurteil hin leiste.

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme sei die Klage auch begründet. Der Sachverständige Prof. Dr. M2 habe in seinem Gutachten nachvollziehbar dargetan, dass die Klägerin auch nach dem 20.04.2010 arbeitsunfähig, nicht aber berufsunfähig im Sinne der Bedingungen gewesen sei. Die Prognose der Berufsunfähigkeit durch die Vertrauensärzte Dr. E und Q vom 20.01.2010 sei nicht zutreffend gewesen. Im Zeitpunkt ihrer Untersuchung sei nämlich gerade nicht mit der notwendigen Sicherheit absehbar gewesen, dass die Klägerin auf Dauer ihren Beruf zu mehr als 50% nicht mehr habe ausüben können. Damals sei nämlich in keiner Weise zu prognostizieren gewesen, ob die Operation vom 26.10.2009 zu einer nachhaltigen Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Klägerin führen werde oder nicht. Dazu sei der Zeitpunkt der Beurteilung mit weniger als drei Monaten nach dem Eingriff zu kurz nach der Operation gelegen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, und zwar insoweit, als die Kammer festgestellt hat, dass die Beklagte verpflichtet sei, über den 31.05.2010 bis zur Beendigung der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin Krankentagegeld zu zahlen. Das Landgericht habe verkannt, dass die Klage insofern unzulässig sei. Zwar sei der Ausgangspunkt des Landgerichts zutreffend, dass in Prozessen mit einem Versicherer auch ein Feststellungsurteil zur Streitbeilegung führe, weil eine Versicherung auch auf ein Feststellungsurteil hin leiste. Im vorliegenden Fall werde indes durch den Feststellungstenor der Streit zwischen den Parteien über die weiteren Ansprüche aus der Krankentagegeldversicherung gerade nicht beendet, weil die Feststellung fortdauernder Zahlungspflicht der Beklagten nur bis zur Beendigung der Arbeitsunfähigkeit gelten sollte und dieser Zeitpunkt sei strittig.

Zudem sei in der Rechtsprechung einhellig anerkannt, dass eine Klage auf Feststellung der zukünftigen Leistungspflicht aus der Krankentagegeldversicherung nicht möglich sei, weil bindende Angaben über das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft nicht gemacht werden könnten. Schließlich sei die Klage auch materiell unbegründet, denn der Anspruch auf Krankentagegeld hänge nicht allein von der Arbeitsunfähigkeit ab sondern auch von weiteren Voraussetzungen (zum Beispiel der Durchführung einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung und dem Einreichen ordnungsgemäßer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen). Die Prüfung dieser Voraussetzungen werde indes durch den Feststellungstenor ausgehebelt.

Die Beklagte beantragt deshalb,

das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als festgestellt worden ist, „dass die Beklagte verpflichtet ist, über den 31.05.2010 hinaus bis zur Beendigung der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin Krankentagegeld zu zahlen.“

Die Klägerin beantragt,

                            die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die landgerichtliche Entscheidung.

B.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg.

Die Klage auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, auch über den 31.05.2010 hinaus bis zur Beendigung der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin Krankentagegeld zu zahlen, ist - wie mit den Parteien im Senatstermin vom 05.09.2012 erörtert - unzulässig. Das insofern zusprechende landgerichtliche Urteil war deshalb in diesem Punkt auf die Berufung der Beklagten hin abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen. Maßgeblich dafür ist Folgendes:

I.

Eine Feststellungsklage im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO ist nur dann zulässig, wenn einem subjektiven Recht der klagenden Partei eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und wenn das erstrebte Urteil infolge seiner Rechtskraft geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (BGH, Urteil vom 13.01.2010, VIII ZR 351/08, juris Tz. 12 mit weiteren Nachweisen aus seiner Rechtsprechung; Zöller - Greger, ZPO, 29. Auflage 2012, § 256 Rn. 7; Münchener Kommentar zur ZPO - Becker-Eberhard, 3. Auflage 2008, § 256 Rn. 43). Dieses für eine Entscheidung in der Sache selbst notwendige Feststellungsinteresse muss im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen (siehe dazu Münchener Kommentar zur ZPO - Becker-Eberhard, 3. Auflage 2008, § 256 ZPO Rn. 35 mit weiteren Nachweisen).

Ein sonstiges, lediglich allgemeines Klärungsinteresse reicht zur Begründung der Zulässigkeit einer Feststellungsklage im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO gerade nicht aus (BGH, a.a.O.).

II.

An diesem Maßstab gemessen ist die mit dem Klageantrag zu Ziffer 2 erhobene Klage insofern unzulässig, als sie auf die Feststellung gerichtet ist, dass die Beklagte über den 31.05.2010 hinaus bis zur Beendigung der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin Krankentagegeld zu zahlen hat. Dazu im Einzelnen:

1.

Die von der Klägerin begehrte gerichtliche Entscheidung ist nach Auffassung des Senates nicht geeignet, die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Klägerin auch nach dem 31.05.2010 arbeitsunfähig war, einer wirklichen Klärung zuzuführen, weil die von ihr begehrte Feststellung gerade bis zum Ende ihrer Arbeitsunfähigkeit befristet sein sollte. Mit anderen Worten bliebe der Streit der Prozessparteien um die Dauer der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin selbst bei Erlass der beantragten gerichtlichen Entscheidung bestehen, denn trotz der Rechtskraft einer solchen Feststellung wäre die Beklagte nicht gehindert, dem Leistungsverlangen der Klägerin in einem weiteren Prozess die fehlende Arbeitsunfähigkeit - etwa bereits am 01.06.2010 - entgegen zu halten.

Die Parteien wären in diesem Fall darauf angewiesen, diese Frage in einem weiteren Prozess klären zu lassen.

2.

Zudem ist die Klage auf Feststellung der Zahlungspflicht für einen zukünftigen Zeitraum auch deshalb unzulässig, weil in Bezug auf die Zukunft gar nicht beurteilt werden kann, ob ein Anspruch auf Krankentagegeld wirklich entstehen wird (so bereits OLG Koblenz, Urteil vom 07.03.2008, 10 U 618/07, juris Tz, 36; Bach/Moser - Sauer, Private Krankenversicherung, 4. Auflage 2009, § 6 MB/KT Anm. 1; Tschersich in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Auflage 2009, § 45 Rn. 107; vgl. dazu auch den Senatsbeschluss vom 01.04.2011, 20 W 6/11, juris Tz. 8 und 9, wo diese Frage letztlich offen bleiben konnte).

Versicherungsfall in der Krankentagegeldversicherung ist nach § 1 Abs. 2 Satz 1 der hier vereinbarten MB/KT 2009 die medizinisch notwendige Heilbehandlung der versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Gemäß § 1 Abs. 3 MB/KT liegt diese Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen dann vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht. Erst im Nachhinein, also konkret mit Ablauf eines jeden Tages bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit, kann deshalb gerichtlich festgestellt werden, ob diese Voraussetzungen einschließlich des medizinischen Nachweises fortbestehender Arbeitsunfähigkeit und des Fehlens einer anderweitigen Erwerbstätigkeit wirklich erfüllt sind und deshalb ein Versicherungsfall vorliegt. Eine auf die Zukunft bezogene gerichtliche Feststellung der Leistungspflicht scheidet damit in der Krankentagegeldversicherung notwendig aus.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

IV.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz beträgt 14.400,00 €, denn er bemisst sich - unter Berücksichtigung eines Feststellungsabschlags von 20% - nach dem Leistungsbezug von 6 Monaten (siehe dazu mit weiteren Nachweisen den Senatsbeschluss vom 01.04.2011, 20 W 6/11, juris Tz. 9, auf den insofern Bezug genommen wird).