VG Hamburg, Urteil vom 12.05.2010 - 8 A 889/06
Fundstelle
openJur 2013, 1253
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft und begehrt hilfsweise subsidiären Schutz.

Der 1971 in Falludscha in der Provinz Anbar geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Bekenntnisses. Nach eigenen Angaben reiste der Kläger am 10. September 1996 ins Bundesgebiet ein. Zur Begründung seines am 13. September 1996 gestellten Asylantrags gab er an, im Zusammenhang mit Festnahmen von Angehörigen des Stammes der Delemi (Dulaim) am 2. Juni 1995 festgenommen worden zu sein. Der diesem Stamm angehörende Brigadegeneral Muhammed Al Delemi (Muhammad Mazlum ad-Dulaimi) sei gehenkt worden. Die Frau des Brigadegenerals sei die Tochter seines Onkels. Er selbst sei nach einem Jahr ohne Gerichtsverfahren, am 10. Juni 1996 gegen eine Bürgschaft freigelassen worden. Zehn bis fünfzehn Tage später sei von Saddam Hussein ein Beschluss erlassen worden, dass diejenigen Angehörigen des Delemi-Stammes, die bis jetzt festgehalten worden waren, vor Gericht müssten. Er, der Kläger, habe sich daraufhin bei seiner Schwester versteckt gehalten, sei in Abwesenheit zu 20 Jahren Haft verurteilt worden und schließlich außer Landes geflohen.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid des damaligen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 25. September 1996 den Asylantrag ab, stellte jedoch zugleich unanfechtbar fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen. Der Kläger habe glaubhaft machen können, dass er in seinem Heimatland asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen sei. Außerdem werde die Stellung eines Asylantrags im Irak bereits als eine oppositionelle Handlung angesehen und könne zu Haft, Folter sowie Todesstrafe führen.

Nach Anhörung des Klägers widerrief die Beklagte mit angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. August 2006 die mit Bescheid vom 25. September 1996 nach § 51 Abs. 1 AuslG getroffene Feststellung und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Die erforderliche Prognose drohender politischer Verfolgung ließe sich nicht mehr treffen. Die politische Situation im Irak habe sich nach der Militäraktion einer Koalition unter Führung der Vereinigten Staaten im Frühjahr 2003 grundsätzlich verändert. Die Baath-Regierung unter Führung von Saddam Hussein habe ihre politische und militärische Herrschaft über den Irak verloren. Anhaltspunkte für eine Wiedererlangung der Macht durch dieses Regime gebe es nicht.

Mit der fristgemäß erhobenen Klage macht der Kläger geltend, die allgemeinen Voraussetzungen eines Widerrufs lägen nicht vor. Dabei sei erforderlich, dass ein wirksamer Schutz vor allgemeinen Gefahren, mindestens aber vor politisch motivierter Gewalt tatsächlich verfügbar sei. Dies sei bei der gegenwärtigen Situation im Irak angesichts täglich gemeldeter Tötungen in einem extremen Ausmaß ersichtlich nicht gegeben. Es bestünden darüber hinaus für den Kläger zwingende, auf der früheren Verfolgung beruhende Gründe, die die Rückkehr in den Irak unzumutbar machten. Er, der Kläger, fürchte, bei Rückkehr in den Irak Opfer einer Entführung zu werden.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 29. August 2006 aufzuheben,

hilfsweise die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 29. August 2006 zu der Feststellung zu verpflichten, dass für den Kläger im Hinblick auf den Irak die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen.

höchsthilfsweise die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 29. August 2006 zu der Feststellung zu verpflichten, dass für den Kläger im Hinblick auf den Irak die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind die Asylakten auch für das Vorverfahren sowie die Erkenntnisquellen gemäß der den Beteiligten übermittelten Liste und der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11. April 2010 für den Irak. Darauf sowie auf die Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird wegen der Einzelheiten ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die Klage, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten nach § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO durch den Berichterstatter anstelle der Kammer entscheidet, hat keinen Erfolg.

I.

1. Die im Hauptantrag gemäß § 42 Abs. 2 Alt. 1 VwGO zulässige Anfechtungsklage ist nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO unbegründet. Der Widerruf der mit Bescheid vom 25. September 1996 getroffenen Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG durch den angefochtenen Bescheid vom 28. August 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die nach altem Recht getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, besteht als Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG fort und unterliegt dem Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG. Danach ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen; dies ist insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, es sei denn, dass der Ausländer sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Die Voraussetzungen für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft liegen nicht mehr vor. Die für die Zuerkennung maßgeblichen Umstände sind weggefallen (a). Der Kläger kann sich nicht auf zwingende, auf früherer Verfolgung beruhende Gründe berufen (b) und es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslandes in Anspruch zu nehmen (c). Der Widerruf bedurfte als gebundene Entscheidung keiner Ermessensausübung (d).

a) Die Umstände, die zu der als Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft fortwirkenden Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG geführt haben, sind weggefallen. Dabei ist eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung der Umstände erforderlich (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 25. März 2010 – A 2 S 364/09 – juris), die hier in dem 2003 vollzogenen Regimewechsel liegt. Die am 25. September 1996 zugunsten des Klägers nach § 51 Abs. 1 AuslG getroffene Feststellung beruhte auf einer Verfolgung des Klägers durch das Baath-Regime unter Saddam Hussein wegen der Zugehörigkeit zum Stamm der Delemi und einer ihm zugeschriebenen oppositionellen Haltung gegen das Regime. Die für die Flüchtlingsanerkennung maßgeblichen tatsächlichen Umstände haben sich im Irak mit der Beseitigung des Regimes von Saddam Hussein erheblich und nicht nur vorübergehend geändert. Dieses Regime hat seine politische und militärische Herrschaft über den Irak endgültig verloren. Es ist allgemein bekannt, dass Saddam Hussein im Jahr 2003 von den Koalitionsstreitkräften festgenommen und im Jahr 2006 hingerichtet worden ist.

b) Der Kläger kann sich nicht auf zwingende, auf frühere Verfolgung beruhende Gründe berufen, um die Rückkehr in den Irak abzulehnen. Eine Erneuerung des Baath-Regimes ist nach den aktuellen Machtverhältnissen ebenso ausgeschlossen wie die Herausbildung einer Struktur, die vom früheren Regime als Gegner angesehene Personen erneut (wiederholend) verfolgt. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 11. April 2010 wird der Norden des Landes (Region Kurdistan-Irak) durch mehrere kurdische Parteien, wie die aus „Kurdischer Demokratischer Partei“ und „Patriotischer Union Kurdistan“ gebildete „Kurdische Allianz“ unter dem Regionalpräsidenten Massoud Barzani sowie auch die neue kurdische Partei „Wandel“. Im Gesamtstaat konkurrieren verschiedene, meist entlang konfessioneller und ethnischer Linien gebildete, Parteien um die Macht. Hervorzuheben sind das sich betont über-konfessionell und national-irakische gebende „Rechtsstaatsbündnis“ von Ministerpräsident Nuri Al-Maliki, die klar schiitisch dominierte und sehr religiöse „Irakische Nationale Allianz“ und die säkular-zentralistische „Irakische Nationale Bewegung“, die stark sunnitisch dominiert, anti-iranisch ausgerichtet ist und auch Ex-Baathisten offensteht. Die letztgenannte Bewegung errang bei den Wahlen 2010 eine relative Mehrheit der Parlamentssitze. Für eine Rückkehr des Baath-Regimes ist dennoch nichts ersichtlich. Die „Irakische Nationale Bewegung“ wird durch den vormaligen, von den Koalitionsstreitkräften eingesetzten, Übergangsministerpräsidenten Iyad Allawi geführt. Bei den Wahlen wurden 511 Kandidaten nicht zugelassen unter Verweis auf eine zu große Nähe zur früheren Baath-Partei. Die militante Opposition durch arabisch-nationalistische Kräfte, die vom Ancien Regime profitierten oder der Baath-Ideologie nahe standen sowie mit ihnen verbundenen jüngeren nationalistisch-islamistischen Kräften konnte seit 2008 von den Sicherheitskräften der irakischen Regierung und den multinationalen Streitkräften stark eingedämmt werden.

c) Der Kläger kann es nicht mehr ablehnen, den Schutz des irakischen Staates in Anspruch zu nehmen. Erforderlich und ausreichend ist, dass der Kläger auch nicht aus anderen Gründen als den weggefallenen Umständen der Gefahr einer Verfolgung nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach dieser Vorschrift, die der Umsetzung des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG dient, darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe bedroht ist. Die Verfolgung kann dabei vom Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder auch – sofern die vorgenannten Akteure erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten – durch nichtstaatliche Akteure ausgehen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative schließt dabei ein Abschiebungsverbot aus.

Zu den Akteuren, die Schutz bieten können, gehören internationale Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, und zwar auch mittels der Präsenz multinationaler Truppen in diesem Gebiet (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 – C-175/08 – juris zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie). Unter „Schutz“ wird dabei nicht mehr als die Fähigkeit des Landes zur Verhinderung oder Ahndung der Verfolgungshandlungen verstanden. In Übereinstimmung damit setzt gemäß der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (a.a.O.) das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie weder voraus, dass dem Flüchtling kein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie droht, der zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Art. 18 der Richtlinie führt, noch, dass die Sicherheitslage stabil ist und die allgemeinen Lebensbedingungen das Existenzminimum gewährleisten. Es kommt mithin nicht darauf an, ob mit der neuen irakischen Regierung ein Machtgebilde entstanden ist, das eine gewisse Stabilität aufweist und die Fähigkeit zur Schaffung und Aufrechterhaltung einer übergreifenden Friedensordnung besitzt. Dabei hat sich nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes die Sicherheitslage im Irak zwar erheblich verbessert, ist aber im weltweiten Vergleich immer noch verheerend. Gegenwärtig sind die irakischen Sicherheitskräfte noch nicht in der Lage, landesweit den Schutz der Bürger zu garantieren. Das Erziehungs- und Gesundheitswesen im Irak liegen danieder. Es mangelt an allem und die Grundversorgung ist unzureichend gesichert.

Entscheidend ist vielmehr, dass der Kläger bei Rückkehr in den Irak auch nicht unabhängig von den weggefallenen Umständen von einer Verfolgung bedroht ist. Beruft sich der Flüchtling darauf, dass ihm bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland nunmehr eine gänzlich neue und andersartige Verfolgung drohe, ist dabei der allgemeine Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (real risk) anzuwenden (BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2008 – 10 C 33.07DVBl 2008, 1255). Dies steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 2. März 2010 – C-175/08 – juris) wonach dann, wenn die Umstände, aufgrund deren die Anerkennung als Flüchtling erfolgt ist, weggefallen sind und die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats nachprüfen, ob nicht andere Umstände vorliegen, aufgrund deren die betreffende Person die begründete Furcht haben muss, entweder aus dem gleichen Grund wie dem ursprünglichen oder aus einem anderen der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie genannten Gründe verfolgt zu werden, der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der der Beurteilung der aus diesen anderen Umständen resultierenden Gefahr zugrunde zu legen ist, der gleiche wie der bei der Anerkennung als Flüchtling angewandte.

Die vorausgesetzte beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht nicht. Insbesondere ist der Kläger nicht wegen seiner Zugehörigkeit zur religiösen Gruppe der Sunniten oder seiner Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der Araber einer landesweiten Verfolgung ausgesetzt (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 25. März 2010 – A 2 S 364/09 – juris; VGH München, Beschluss vom 9. Februar 2010 – 13a ZB 10.30007 – juris). Zwar gehört der Kläger als Sunnit landesweit einer religiösen Minderheit an. Doch gehört er in seiner Herkunftsprovinz Anbar und im so genannten Sunnitischen Dreieck zur konfessionellen und ethnischen Mehrheit der sunnitischen Araber. Die Bedrohung der Sunniten durch die schiitische Mahdi-Miliz des radikal-populistischen Predigers Muqtada As-Sadr mit Zentrum im Bagdader Elendsviertel Sadr-City ist dadurch entscheidend verringert, dass As-Sadr ausweislich des Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 11. April 2010 angekündigt hat, stärker politisch (in der „Irakischen Nationalen Allianz“) zu agieren. Die Folge der fortschreitenden Islamisierung ist zwar eine wachsende Ausgrenzung von Angehörigen nicht ausdrücklich unter dem Schutz der islamischen Religion stehender Glaubensrichtungen. Indes ist es gelungen, die Gefahr eines offenen Bürgerkrieges zwischen der jahrzehntelang diskriminierten schiitischen Mehrheit und der bisherigen sunnitischen Führungsschicht abzuwenden. Seit dem Durchgreifen der Regierung gegenüber schiitischen Milizen ist eine politische Annäherung zwischen Teilen des sunnitischen und schiitischen Spektrums zu verzeichnen. Die starke Unterwanderung der Polizei durch Aufständische und (meist schiitische) Milizen ist zwar problematisch. In vielen Fällen sollen insbesondere Polizeibeamte unmittelbar an der Planung und Durchführung von Terroranschlägen, Entführungen und gezielten Morden beteiligt sein. Konfessionell motivierte Verbrechen wie Ermordungen, Folter und Entführungen von Angehörigen der jeweils anderen Glaubensrichtung ereignen sich landesweit. Gezielt greifen sich Täter Angehörige der einen oder anderen Glaubensrichtung aus einer Gruppe heraus. Doch haben diese Gewalttaten seit 2008 nachgelassen. Es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger solchen (gegebenenfalls an die Merkmale des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG anknüpfende) Verbrechen zum Opfer fallen wird. Der Kläger ist nicht als Soldat, Polizist, Politiker, Offizieller, Intellektueller, Repräsentant des früheren Regimes, Intellektueller, Bartschneider, Alkoholhändler, Mediziner, Ausländer, Christ oder Jeside eine erhöhten Gefährdung ausgesetzt. Als sunnitischer Araber erfährt der Kläger auch durch die im Irak agierenden internationalen sunnitisch-panislamistischen Terroristen (Jihadisten, Al-Qaida im Irak, Ansar as-Sunna, Ansar ar-Islam) und arabisch-nationalistischen Kräfte (Neobaathisten) keine spezifische Gefährdung. Die kurdischen Peshmerga-Milizen operieren in der Herkunftsprovinz des Klägers nicht, so dass er auch insoweit nicht bedroht ist.

d) Der Widerruf bedurfte als gebundene Entscheidung keiner Ausübung von Ermessen. Nach § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG steht eine spätere Widerrufsentscheidung grundsätzlich im Ermessen, wenn nach der gemäß § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung erfolgten Prüfung ein Widerruf nicht erfolgt ist. In dem hier vorliegenden Fall einer vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar gewordenen Zuerkennungsentscheidung ist jedoch gemäß § 73 Abs. 7 AsylVfG die Prüfung ohne Ermessen bis zum 31. Dezember 2008 vorzunehmen, was hier mit Widerruf vom 28. August 2006 geschehen ist.

2. Ebenso sind die in den hilfsweisen Anträgen gemäß § 42 Abs. 2 Alt. 2 VwGO zulässigen Verpflichtungsklagen nach § 113 Abs. 5 VwGO nicht begründet. Der Kläger kann weder mit dem Hilfsantrag die Feststellung eines gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbotes nach Abs. 7 Satz 2 (a), nach Abs. 2 (b) oder Abs. 3 des § 60 AufenthG (c) beanspruchen. Noch besteht mit dem höchsthilfsweise gestellten Antrag Anspruch auf Feststellung eines allein im mitgliedstaatlichen Recht gründenden Abschiebungsverbotes nach Abs. 7 Satz 1 (d) oder Abs. 5 des § 60 AufenthG (e).

a) Ein Abschiebungsverbot folgt nicht aus § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Nach dieser Vorschrift, mit der die sich aus Art. 18 in Verbindung mit Art. 15 Buchst. c der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung eines „subsidiären Schutzes“ in nationales Recht umgesetzt werden, ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. An diesen Voraussetzungen fehlt es im vorliegenden Fall. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u. a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wofür Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe typische Beispiele sind (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 25. März 2010 – A 2 S 364/09 – juris). Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional (z.B. in der Herkunftsregion des Ausländers) bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 – 10 C 43.07BVerwGE 131, 198).

Die nachstehenden Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (a.a.O.) für die (zwischen Kurden und Arabern umstrittenen) Provinz Tamim lassen sich im Falle des Klägers auf die (von der Bevölkerungsgruppe des Klägers dominierte) Herkunftsprovinz Anbar übertragen. Danach dürfte die Frage, ob die derzeitige Situation im Irak die landesweit oder auch nur regional gültige Annahme eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts rechtfertigt, zu verneinen sein. Die Frage kann jedoch auf sich beruhen, da selbst bei der Annahme eines solchen Konflikts ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur besteht, wenn der Ausländer einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben „im Rahmen“ dieses Konflikts ausgesetzt ist. Eine solche Gefahr lässt sich im Fall des Klägers nicht feststellen. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juli 2009 – 10 C 9.08 – (BVerwGE 134, 188) kann sich die nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erforderliche Individualisierung der sich aus einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ergebenden allgemeinen Gefahr nicht nur aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann vielmehr unabhängig davon ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Gefahrerhöhende Umstände in seiner Person werden vom Kläger nicht geltend gemacht. Für das Vorliegen solcher Umstände ist nichts zu erkennen. Die erforderliche Individualisierung könnte sich daher nur durch einen besonders hohen Grad der dem Kläger in seiner Heimatregion drohenden Gefahren ergeben, vor denen er auch in den übrigen Teilen des Irak keinen Schutz finden kann. Ein so hoher Gefahrengrad, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, lässt sich jedoch für die Provinz Anbar, aus welcher der Kläger nach seinen Angaben stammt, nicht feststellen. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 11. April 2010 ist davon auszugehen, dass die Sicherheitslage im Irak nach wie vor verheerend ist. Zwar hat seit Frühsommer 2007 die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle um ca. 80 % abgenommen. Besonders gefährdet sind jedoch nach wie vor Polizisten, Soldaten, Intellektuelle und alle Mitglieder der Regierung bzw. Repräsentanten des früheren Regimes, die inzwischen mit der neuen Regierung zusammenarbeiten, Mitglieder politischer Parteien, Mitarbeiter von Medien und freie Journalisten sowie Ärzte und medizinisches Personal. Dabei überlagern sich mehrere ineinander greifende Konflikte: der Kampf der irakischen Regierung und der multinationalen Streitkräfte gegen Aufständische; Terroranschläge gegen die Zivilbevölkerung; konfessionell-ethnische Auseinandersetzungen sowohl zwischen den großen Bevölkerungsgruppen (arabische Sunniten, arabische Schiiten und Kurden) als auch mit den Minderheiten (vor allem Christen und Jesiden); Kämpfe zwischen Milizen um Macht und Ressourcen. Insgesamt hat aber die interkonfessionelle Gewalt seit dem Durchgreifen der irakischen Regierung gegen die Milizen seit dem Frühjahr 2008 nachgelassen. Auch nach der Ausarbeitung des Informationszentrums Asyl und Migration des Bundesamts „Irak, Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte" vom Januar 2010 besteht für die irakische Bevölkerung weiterhin die Gefahr, das Opfer von Anschlägen zu werden, deren Urheber meist nicht eindeutig identifizierbar seien. Insbesondere in den Provinzen Bagdad, Diyala und Ninive komme es weiterhin zu zahlreichen Vorfällen mit Todesopfern. Die Gefahr, durch militärische Aktionen im klassischen Sinne zu Schaden zu kommen, sei jedoch zurückgegangen. Ebenso hat sich nach den Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom November 2009 die Sicherheitslage im Zentral- und Südirak seit 2007 allgemein verbessert. Dennoch komme es weiterhin zu Anschlägen auf Militär, Polizei und Zivilisten. Die militanten Gruppierungen seien zwar geschwächt, jedoch noch immer in der Lage, Anschläge mit hohen Opferzahlen zu verüben. Bombenanschläge, Selbstmordanschläge und Sprengfallen gegen die Zivilbevölkerung führten zu Hunderten von Toten. Gezielten Anschlägen fielen vor allem Sicherheitspersonal, Beamte, religiöse und politische Führer, spezielle Berufsgruppen wie Journalisten, Lehrer, medizinisches Personal, Richter und Anwälte, aber auch Angehörige von Minderheiten zum Opfer. Die Sicherheitslage in den sogenannten umstrittenen Gebieten habe sich verschlechtert. Ein Großteil der Gewalt sei in Provinzen mit gemischt ethnischer/religiöser Bevölkerung zu verzeichnen gewesen, insbesondere in den Gebieten in und um Bagdad sowie in den nördlichen Provinzen Ninive, Tamim und Diyala, wobei hier häufig Minderheiten betroffen gewesen seien. Diese Einschätzung deckt sich im Wesentlichen mit der in der genannten Ausarbeitung des Informationszentrums ebenfalls wiedergegebenen Lagebeschreibung des amerikanischen Verteidigungsministeriums, wonach sich die Sicherheitslage im Irak verbessert habe, wenn auch unsicher sei, ob dieser Fortschritt bzw. Zustand erhalten werden könne. Die Aufständischen blieben aber in der Lage, sog. „High Profile Attacks“ durchzuführen, die die Zivilbevölkerung und die irakischen Sicherheitskräfte zum Ziel hätten. Unter diese „High Profile Attacks“ fielen Autobombenanschläge, Selbstmordanschläge mit Autobomben und sonstige Selbstmordattentate, die überwiegend gemischte Gebiete, wie Bagdad, Diyala, Mossul und Kirkuk beträfen.

Um den sich aus dieser Situation ergebenden Gefahrengrad abschätzen zu können, muss die Zahl der Opfer von Anschlägen in Relation zu der Zahl der gesamten Bevölkerung des Irak gesetzt werden. Nach dem in der Ausarbeitung des Informationszentrums Asyl und Migration des Bundesamts zitierten Bericht der britischen Nichtregierungsorganisation „Iraq Body Count“, die seit dem Einmarsch der Koalitionsstreitkräfte in den Irak die Verluste unter der irakischen Zivilbevölkerung zählt, sind diese im Jahr 2009 auf den niedrigsten Stand seit 2003 gefallen. Im Jahr 2009 habe die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung bei etwa 4.645 gelegen. Im Jahr 2008 habe die Zahl noch über 9.000 betragen. Das Informationszentrum Asyl und Migration zitiert ferner einen Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums vom Juni 2009, in dem bezogen auf den Zeitraum März bis Mai 2009 eine durchschnittlichen Zahl der Todesopfer unter der Zivilbevölkerung von 9,2 pro Tag genannt wird. In einen späteren Bericht vom September 2009, der sich auf den Zeitraum Juni bis August 2009 beziehe, sei von durchschnittlich 204 Anschlägen pro Woche gegen die Zivilbevölkerung, die irakischen Sicherheitskräfte und die Koalitionstruppen die Rede, die damit um 19 % gegenüber dem vorangegangenen Berichtszeitraum zurückgegangen seien. Die Zahl der Toten unter der Zivilbevölkerung sei in diesem Zeitraum allerdings leicht auf 9,5 Tote pro Tag angestiegen. In der Provinz Anbar mit der Provinzhauptstadt Ramadi sei es im Jahr 2009 zu 78 Anschläge mit insgesamt 389 Toten, d. h. 26 Tote je 100.000 Einwohner, gekommen. Nach diesen Erkenntnissen kann selbst bei Annahme eines innerstaatlichen oder internationalen Konflikts in der Provinz Anbar nicht davon ausgegangen werden, dass der diesen Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist. Dies gilt auch unter der Maßgabe des Europäischen Gerichtshofs (a.a.O.), die Beurteilung der Größe der Gefahr in allen Fällen mit Wachsamkeit und Vorsicht vorzunehmen, da Fragen der Integrität der menschlichen Person und der individuellen Freiheiten betroffen sind, die zu den Grundwerten der Europäischen Union gehören.

b) Ebenso wenig ist ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG (Art. 15 Buchst. b der Richtlinie) begründet. Danach darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für den Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Nach den vorstehenden Ausführungen besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger bei einer Rückkehr insbesondere durch Ermordung, Folter oder Entführung – aus terroristischer oder sonst krimineller Motivation – Schaden nähme.

c) Für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG (Art. 15 Buchst. a der Richtlinie) wegen einer Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht kein Anhaltspunkt.

d) Auch ein aus dem mitgliedstaatlichen Recht folgendes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn diesem dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Dies setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer hingegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG, die nicht nur ihn persönlich, sondern zugleich die gesamte Bevölkerung oder seine Bevölkerungsgruppe allgemein treffen, wird – abgesehen von Fällen der richtlinienkonformen Auslegung bei Anwendung von Art. 15 lit. c der Richtlinie für internationale oder innerstaatliche bewaffnete Konflikte – der Abschiebungsschutz grundsätzlich nur durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Beim Fehlen einer solchen Regelung kommt die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke (Art. 1, Art. 2 Abs. 2 GG) in Betracht, d.h. nur zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage in dem Sinne, dass dem Ausländer sehenden Auges der sichere Tod droht oder er schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008, a.a.O.). Einer etwaig aufgrund allgemeiner Umstände bestehenden extremen konkreten Gefahrenlage wird hier bereits dadurch begegnet, dass nach dem Schreiben der Behörde für Inneres, Liste der aktuellen Abschiebungsstopps und fachliche Vorgabe zur Erteilung von Bescheinigungen über die Aussetzung von Abschiebungen, Nr. 1/2010, Stand 1. Februar 2010, derzeit aus tatsächlichen Gründen in den Irak grundsätzlich nicht abgeschoben wird, „ausgenommen sind Abschiebungen ausreisepflichtiger Iraker nordirakischer Herkunft, die die innere Sicherheit gefährden oder zu [gemeint wohl: wegen] Straftaten verurteilt wurden, unter Beachtung der vom UNHCR eingeräumten Möglichkeiten“. Die Ausnahmevoraussetzungen liegen für den aus der Provinz Anbar stammenden Kläger nicht vor, so dass er jedenfalls im verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaß geschützt ist.

e) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Hierfür ist angesichts der vorstehenden Ausführungen nichts ersichtlich, da eine Gefährdung des Klägers nicht beachtlich wahrscheinlich ist.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 83b AsylVfG, § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.