VG des Saarlandes, Urteil vom 29.09.2009 - 3 K 373/09
Fundstelle
openJur 2010, 2917
  • Rkr:
Tenor

1. Der Bescheid des Beklagten vom 27.06.2008 und der Widerspruchsbescheid vom 24.03.2009 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Der Kläger und der Beklage tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.

4. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar; der Kläger und der Beklagte dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, sofern nicht jeweils die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz für sein bei einem Dienstunfall zerstörtes Mobiltelefon.

Der Kläger steht als Beamter (Polizeikommissar) im Dienst des Beklagten. Unter dem 14.05.2008 erlitt er einen als solchen vom Beklagten durch Bescheid vom 02.06.2008 anerkannten Dienstunfall bei der Verhaftung eines per Haftbefehl gesuchten Straftäters.

Mit Schreiben vom 10.06.2008 machte er geltend, bei dem Unfallereignis sei sein privates Mobiltelefon, mit dem er „im Rahmen einer Widerstandshandlung“ Hilfe bei der Dienststelle angefordert habe, zerstört worden. Da ein Ersatzanspruch „aufgrund der finanziellen Situation des Regresspflichtigen nicht realisierbar“ sei, bitte er gemäß § 32 BeamtVG um Erstattung des ihm entstandenen Sachschadens in Höhe von 288,00 EUR. (Unfallanzeige: ca. 120,00 EUR)

Das lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 27.06.2008 mit der Begründung ab, die Gewährung von Sachschadenersatz gemäß § 32 BeamtVG beschränke sich auf Gegenstände, die der Beamte im Dienst benötige und deshalb mit sich zu führen pflege. Das sei nach der Rechtsprechung des OVG Saarlouis bei privaten Gegenstände nur insoweit der Fall, wenn dies vom Dienstherrn ausdrücklich angeordnet oder die Verwendung zu dienstlichen Zwecken anerkannt worden sei, was hier nicht der Fall sei, vielmehr sei die Mitnahme des Mobiltelefons allein aus privaten Gründen erfolgt.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 16.07.2008 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, das Mitführen des Mobiltelefons sei sehr wohl aus dienstlichen Gründen erfolgt, denn für die 28 Beamten und Beamtinnen des Kriminaldienstes stünden nur 3 „Diensthandys“ zur Verfügung, am Tag des Vorfalles keines. Ein Rückgriff auf ein Handfunkgerät sei ebenfalls nicht möglich gewesen. Daher habe er sein „Privathandy“ eingesteckt und sich bei seinem Vorgesetzten unter Hinweis auf seine Erreichbarkeit über die entsprechende, bei der Dienststelle registrierte Nummer, abgemeldet. Dieses Verfahren sei üblich und habe sich bewährt.

Aus privaten Gründen, nämlich zur Führung von Privatgesprächen während des Dienstes, benötige er das Mobiltelefon überhaupt nicht.

Durch Widerspruchsbescheid vom 24.03.2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Darin wird ausgeführt: Die „billigende Kenntnisnahme“ seines Vorgesetzten reiche nach einer Entscheidung des OVG Lüneburg nicht aus, denn sie könne keine förmliche Genehmigung ersetzen.

Die saarländische Polizei sei ausreichend mit Handfunkgeräten bzw. „Diensthandys“ ausgestattet; jedenfalls seien etwaige Defizite nicht vom einzelnen Beamten auszugleichen; vielmehr trage der Dienstherr „allein die Verantwortlichkeit für die mit einer etwaigen unzulänglichen Ausstattung verbundenen Nacheile.“

Der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, für im Dienst beschädigte private Gegenstände Schadenersatz zu leisten, stehe die Verpflichtung des Beamten gegenüber, nur solche Privatsachen in den Dienst mitzunehmen, die als Arbeitsmittel für den Dienst gebraucht würden und unabweisbar notwendig seien.

Am 24.04.2009 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, die er in Ergänzung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens im Wesentlichen damit begründet, der vom OVG Saarlouis behandelte Fall habe einen gänzlich anders gearteten Sachverhalt betroffen (beschädigtes Privat-Kfz). Demgegenüber sei hier die Verwendung des Mobiltelefons in Ausübung des Dienstes und zu dienstlichen Zweck zwar nicht anerkannt worden aber eindeutig anzuerkennen. Die Argumentation des Beklagten hinsichtlich der Risikoverteilung lasse sich mit der Fürsorgepflicht nicht in Einklang bringen. Der – somit zu ersetzende – Zeitwert des Geräts betrage 120,00 EUR.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 27.06.2008 und des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2009 einen Betrag von 120 EUR Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.05.2008 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verteidigt die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen, die er nach wie vor für rechtmäßig erachtet.

Er habe bei der Heranziehung von Rechtsprechung zum dienstunfallunabhängigen Schadenersatz nicht ermessensfehlerhaft gehandelt, weil die Vorschrift des § 96 SBG in einer engen Wechselbeziehung zu § 32 BeamtVG stehe. Insofern sei Schadenersatz nach den gleichen Maßstäben zu gewähren oder zu versagen. Die Höhe des entstandenen Schadens werde bestritten. Mobiltelefone seien heutzutage zu wesentlich niedrigeren Preisen auf dem Markt.

Auf eine entsprechende gerichtliche Verfügung hin hat der Beklagte seine Vergleichsbereitschaft bekundet, und zwar vor dem Hintergrund, dass er bisher keine Verwaltungsrichtlinie erlassen habe, welche die Mitnahme und den Gebrauch von privaten Mobiltelefonen im Dienst regelten.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird verwiesenauf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen des Beklagten (1 Hefter); er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die (als solche zu behandelnde) Verpflichtungsklage ist zulässig, aber nur in dem tenorierten Umfang begründet.

1. Wie bereits in der Verfügung vom 03.07.2009 dargelegt, ist Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch § 32 Satz 1 BeamtVG (annexe Leistung der Dienunfallfürsorge): „Sind bei einem Dienstunfall Kleidungsstücke oder sonstige Gegenstände, die der Beamte mit sich geführt hat, beschädigt oder zerstört worden oder abhanden gekommen, so kann dafür Ersatz geleistet werden.“

Vgl. allgemein Plog/Wiedow/’Beck/Lemhöfer/Bayer, BBG mit BeamtVG, Komm., § 32 BeamtVG, Anm. 1 (auch zur Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht und zur Rechtsentwicklung, Anm. 1 c und 2)

Die Vorschrift ähnelt damit derjenigen des § 96 SBG betr. den dienstunfallunabhängigen Schadenersatz. In beiden Fällen liegt bei Erfüllung des Tatbestandes die Entscheidung im Ermessen des Dienstherrn, und zwar im Gegensatz zu den übrigen Leistungen der Dienstunfallfürsorge (Grund und Höhe der Ersatzleistung).

Dazu im Einzelnen Plog pp., aaO, Anm. 6 ff.

2. Wie ebenfalls schon in der o.a. Verfügung zum Ausdruck gebracht, ist der objektive Tatbestand des „üblicherweise mit sich Führens“ (vgl. VwV 32.14 zu § 32 BeamtVG) bei Mobiltelefonen erfüllt. Die (Möglichkeit der) Erstattung beschränkt sich nämlich auf solche Gegenstände, die der Beamte zum Zeitpunkt des Unfalls aus gutem Grund mit sich geführt hat, z.B. Kleidungsstücke und sonstige Gegenstände des täglichen Bedarfs, die der Beamte im Dienst, und zwar zum persönlichen oder dienstlichen Gebrauch benötigt oder mit sich zu führen pflegt.

Plog pp., aaO, § 32 Anm. 4

Das ist bei einem privaten Mobiltelefon heutzutage eindeutig der Fall.

Vgl. (ohne es ausdrücklich zu erwähnen) Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, BeamtVG, Komm., § 32 Erl. 2; ausdrücklich (zu § 96 Nds. BG) OVG Lüneburg in den beiden vom Beklagten zitierten Entscheidungen vom 27.11.2007 - 5 LB 190/05 - und vom 29.01.2009 - 5 LA 30/06 -, juris; die vom Beklagten weiter zitierte Rechtsprechung des OVG Saarlouis betrifft den Sonderfall des Schadenersatzes bei Diebstahl des privateigenen Kraftfahrzeugs vom Behördenparkplatz

Weitere Tatbestandsvoraussetzungen enthält (auch) § 32 Satz 1 BeamtVG nicht.

3. Daher war des Weiteren zu prüfen, ob der Beklagte das ihm eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat (vgl. § 114 VwGO).

§ 32 Satz 1 BeamtVG ist, wie bereits ausgeführt, eine „Kann-Vorschrift“. Damit wird dem Regelungszweck Rechnung getragen, dass der Dienstherr nicht unbegrenzt für Schäden an Gegenständen aufkommen muss, die der Beamte aus freien Stücken und ohne Veranlassung des Dienstherrn in seinen Risikobereich einbringt.

Stegmüller pp, aaO, Erl. 5

Sie ist auszurichten am Zweck der Ermächtigung und ist begrenzt insbesondere durch die Verwaltungsvorschriften - VwV -.

Plog pp., aaO, § 32 Anm. 6 ff.

Dabei darf der allgemein in den VwV zum Ausdruck kommende Gedanke nicht unbeachtet bleiben, dass für Sachschäden nicht schlechthin Ersatz zu leisten ist. Vielmehr wird ein Ausgleich zwischen der dem Dienstherrn obliegenden Fürsorgepflicht einerseits und der Verpflichtung des Dienstherrn zur sparsamen Verwaltung öffentlicher Mittel andererseits bezweckt.

Stegmüller pp, aaO, Erl. 5, Tz. 1.1 unter Hinweis auf BVerwG, 11.10.1962, ZBR 1963, 245

a. Vorliegend erscheint eine ermessensgerechte Entscheidung des Beklagten schon deshalb zweifelhaft, weil er die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 BeamtVG verneint hat.

Kopp/Schenke, VwGO, Komm., 14. Aufl., § 114 Rdnr. 14

b. Wesentliches Kriterium bei der Ermessensausübung ist die Abgrenzung der Risikosphären : Benutzt der Beamte private anstelle dienstlich vorhandener Arbeitsmittel o.ä., stehen persönliche Interessen des Beamten im Vordergrund. Schäden an solchen Gegenständen sind dann der Risikosphäre des Beamten zuzuordnen.

OVG Lüneburg, 27.11.2007, aaO

Der Dienstherr ist nicht verpflichtet, für ein erhöhtes Schadensrisiko einzutreten, das ihm ein Beamter unter Berufung auf dienstliche Interessen gleichsam „aufgedrängt“ hat.

OVG Lüneburg, 29.01.2009, aaO

Ob das der Fall ist, richtet sich u.a. danach, ob der Gegenstand dienstlich benötigt wurde (aa.) und ob gegebenenfalls eine entsprechende Gestattung oder Nichtgestattung vorlag bzw. ob eine Gestattung überhaupt erforderlich war (bb.)

aa. Anders als in den beiden vom OVG Lüneburg entschiedenen Fällen war hier das Mitführen des privaten Mobiltelefons des Klägers dienstlich notwendig, da ihm unstreitig von der Dienststelle für seinen Einsatz weder ein „Diensthandy“ noch ein Sprechfunkgerät zur Verfügung gestellt werden konnte. Dass der Kläger allgemein und speziell bei den hier in Rede stehenden Vorgängen ein Kommunikationsmittel benötigte, liegt auf der Hand, ergibt sich aus der Dienstunfallanzeige des Klägers vom 15.05.2008 und wird auch vom Beklagten nicht bestritten.

bb. Der Beklagte beruft sich allein darauf, das Mitführen eines privaten Mobiltelefons sei von ihm bzw. der zuständigen nachgeordneten Behörde nicht schriftlich gestattet worden; das Einverständnis des Dienststellenleiters reiche insofern nicht aus.

Hierauf kommt es aber vorliegend nicht an: In Niedersachsen existiert ein Erlass, in dem der Dienstherr für die Polizei geregelt hat, dass die Nutzung privater Mobiltelefone für dienstliche Zwecke nicht vorgesehen und hierzu auch keine Genehmigung zu erteilen ist. Wie der Beklagte selbst mitgeteilt hat, fehlt es im Saarland - derzeit noch - an einer Regelung über den Einsatz von privaten Mobiltelefonen im Dienst. Daher ist es ermessenwidrig, dass der Beklagte sich auf ein derart förmliches Genehmigungserfordernis beruft.

Vielmehr dürfte, anders als in den vom OVG Lüneburg entschiedenen Fällen, ausreichend sein, dass die vom Kläger geschilderte und von ihm - seitens des Beklagten unwidersprochen als „bewährt“ bezeichnete - Verwaltungspraxis an seiner Dienststelle bestand.

Daher hat der Kläger einen Anspruch auf Neubescheidung (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) seines Antrags auf Schadenersatz, aber auch nur auf eine solche, denn Anhaltspunkt für eine sog. Ermessensreduzierung auf Null, also dahingehend, dass nur eine einzige Entscheidung ermessensfehlerfrei wäre, sind nicht erkennbar.

(Im Rahmen der Neubescheidung wird der Beklagte sich, wenn er einen Schadenersatzanspruch dem Grunde nach anerkennt, wie bereits ausgeführt, auch mit der Höhe des zu ersetzenden Schadens auseinanderzusetzen haben.)

Im Hinblick auf den Klageantrag (Verurteilung/Verpflichtung zur Zahlung eines konkreten Betrages) führt dies zu einer Teilabweisung im Übrigen.

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Für eine Zulassung der Berufung besteht kein Anlass (vgl. § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwGO).

Beschluss

Der Streitwert wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 GKG n.F. auf 120,00 Euro festgesetzt.