OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.12.2012 - 13 A 1589/12
Fundstelle
openJur 2012, 131954
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 26. April 2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die 1992 geborene Klägerin erwarb am 26. Mai 2011 in Baden-Württemberg die Hochschulzugangsberechtigung mit einer Durchschnittsnote von 3,0. Mit Zulassungsantrag vom 11. Juli 2011 bewarb sie sich bei der Beklagten um einen Studienplatz im Studiengang Humanmedizin. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 12. August 2011 mit der Begründung ab, die Klägerin habe - ohne Wartezeit - die für sie maßgebliche Auswahlgrenze nicht erreicht. Mit der daraufhin erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. August 2011 zu verpflichten, sie zum Studium der Medizin nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemester 2011/2012 zuzulassen,

hilfsweise festzustellen, dass das zur Zeit existierende Vergabesystem nach der Vergabeverordnung Stiftung sowie nach dem Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen hinsichtlich der Wartezeitregelung verfassungswidrig ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils Bezug genommen.

Durch Urteil vom 26. April 2012 hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der auf Zulassung zum Studium gerichtete Hauptantrag sei unbegründet. Auch bei Annahme der Verfassungswidrigkeit der Vorschriften über die Studienplatzvergabe ergebe sich kein Zulassungsanspruch der Klägerin. Nur diejenigen Studienbewerber, die sich mit zwölf oder mehr Wartehalbjahren erfolglos am Auswahlverfahren beteiligt hätten, könnten einen unmittelbaren Zulassungsanspruch haben. Die Klägerin werde aber erst in fünf bis sechs Jahren in diesen kritischen Bereich gelangen. Im Übrigen schließe sich die Kammer nach nochmaliger Überprüfung und nicht zuletzt zur Wahrung der Rechtseinheitlichkeit nunmehr der Auffassung des OVG NRW an, welches einen unmittelbaren Zulassungsanspruch auch bei (teilweiser) Verfassungswidrigkeit des Vergabesystems verneine. Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag sei unzulässig. Verstehe man ihn wörtlich, sei er auf eine unzulässige abstrakte Normenkontrolle durch das Verwaltungsgericht gerichtet. Beziehe man ihn auf die Zulassung der Klägerin selbst, so sei sie als vorbeugende Feststellungsklage wegen Subsidiarität unzulässig. Die Klägerin könne gegen entsprechende Ablehnungsbescheide um Rechtsschutz in Form der Verpflichtungsklage nachsuchen, wenn sie selbst den Bereich unzumutbar langer Wartezeiten erreiche. Dass ein solches Vorgehen für die Klägerin nicht zumutbar wäre, sei nicht ersichtlich.

Dagegen richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Klägerin, mit der sie vorträgt: Sie begehre mit ihrem Hauptantrag zum einen die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 12. August 2011 und zum anderen die Verpflichtung, sie zum Studium zuzulassen. Der bisherige Hilfsantrag werde nicht weiterverfolgt. Der nunmehr gestellte Hilfsantrag, mit dem die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheids begehrt werde, sei als Minus im bisherigen Hauptantrag enthalten. Sie sei mit ihrer Durchschnittsnote auf eine Zulassung in der Quote der Wartezeit angewiesen, die inzwischen die Regelstudienzeit des Studiengangs übersteige. Das derzeitige Auswahlsystem sei, wie das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in seinen Vorlagebeschlüssen an das Bundesverfassungsgericht zutreffend ausgeführt habe, insoweit verfassungswidrig. Auch wenn sie noch keine ausreichende Wartezeit verbracht habe, folge daraus ein unmittelbarer Anspruch auf Zulassung zum gewünschten Studium, weil die Regelung der Wartezeit gerade der Grund für die Verfassungswidrigkeit sei. Ihrer Grundrechtsverletzung könne nur durch eine Verpflichtung der Beklagten, sie zum Studium zuzulassen, Rechnung getragen werden. Es sei nicht zumutbar und verstoße gegen den effektiven Rechtsschutz, sich auf die überlange Wartezeit einrichten zu müssen. Ein verfassungswidriges Auswahlverfahren könne ihren Anspruch auf Teilhabe an einem mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbaren Verteilungsverfahren nicht erfüllen. Eine nachteilige Betroffenheit ergebe sich bereits dann, wenn sie für die Dauer von sieben Jahren von jeder Hochschulausbildung Abstand nehmen müsse. Die gebotene Neuregelung des Zulassungsverfahrens durch den Gesetzgeber, die auch in der Weise erfolgen könne, dass die Wartezeit keine Rolle mehr spiele, erhöhe ihre Chancen auf Zulassung zu ihrem Wunschstudium. Darüber hinaus bestehe angesichts der hohen Bewerberzahl ein Anspruch auf Schaffung zusätzlicher Studienplätze im begehrten Studiengang. Es sei, unabhängig von der Frage, ob ihr ein sofortiger Zulassungsanspruch zustehe oder sie auf ein neu zu schaffendes Vergabeverfahren verwiesen werden müsse, auch hier ein Vorlagebeschluss hinsichtlich der Frage geboten, ob das derzeitige Vergabesystem verfassungswidrig sei. Selbst wenn sie keinen Anspruch auf Zulassung zum Studium habe, wäre dem Hauptantrag jedenfalls im Hinblick auf die begehrte Aufhebung des angefochtenen Bescheids stattzugeben, der - die Rechtswidrigkeit des Zulassungsverfahrens unterstellt - mangels entsprechender Rechtsgrundlage rechtswidrig sei. Wenigstens stehe ihr ein Anspruch auf Feststellung zu, dass die angefochtene Entscheidung ihr auf der Grundlage eines mit Art. 12 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG nicht vereinbaren Vergabesystems rechtswidrig einen Studienplatz verwehre. Die Subsidiarität nach § 43 Abs. 2 VwGO stehe dem nicht entgegen. Wo das geltend gemachte Leistungsbegehren die vorherige gesetzliche Normierung voraussetze, sei nach der beamtenrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anstelle eines Verpflichtungsbegehrens ein Feststellungsbegehren zulässig. Die Subsidiarität drücke sich im vorliegenden Verfahren darin aus, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts begehrte werde und nicht die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der dem Verwaltungsakt zu Grunde liegenden gesetzlichen Regelungen.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 12. August 2011 zu verpflichten, sie zum Studium der Humanmedizin nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemester 2011/12 zuzulassen,

hilfsweise festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 12. August 2011 rechtswidrig ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung und führt ergänzend aus, mangels Wartezeit bestehe bei der Klägerin nicht die Möglichkeit, dass sie bei einer Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Vergabeverfahrens in ihren Grundrechten verletzt sein könne. Die Klägerin sei auch nicht auf die bloße Feststellung der Verfassungswidrigkeit und die unmittelbar durch den Gesetzgeber vorzunehmende Normänderung angewiesen. Vielmehr ergehe hier ein eigenständig angreifbarer Verwaltungsakt, bei dessen Überprüfung mit der Verpflichtungsklage ein Vorlagebeschluss gemäß Art. 100 Abs. 1 GG erfolgen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten über die Berufung der Klägerin durch Beschluss nach § 130a VwGO, weil er sie einstimmig für unbegründet und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das mit dem Hauptantrag verfolgte Begehren ist als Verpflichtungsklage zulässig. Da die Klägerin die Zulassung zum Studium erstrebt, kommt allein diese Klageart in Betracht. Sollten die Ausführungen im Berufungsverfahren dahingehend zu verstehen sein, dass ferner eine - auf Aufhebung des Ablehnungsbescheids gerichtete - (isolierte) Anfechtungsklage erhoben wird, ist diese aus Gründen der Spezialität oder jedenfalls wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

Die Verpflichtungsklage ist aber unbegründet. Sie hat nicht schon dann Erfolg, wenn der ablehnende Bescheid vom 12. August 2011 rechtswidrig ist. Maßgeblich ist nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO vielmehr, dass die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Dies ist der Fall, wenn ein Anspruch auf seinen Erlass besteht. Daran fehlt es hier. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zulassung zum Studium der Medizin nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2011/2012.

Es kann offen bleiben, ob das derzeitige System der Medizinstudienplatzvergabe verfassungsgemäß ist.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. September 2012 - 1 BvL 13/12 -, juris, zur Unzulässigkeit der entsprechenden Vorlage des VG Gelsenkirchen (Beschluss vom 26. April 2012 - 6 K 3656/11 u. a. -, juris); dazu VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 8. Oktober 2012 - 6z L 1018/12 -, juris.

Die Klägerin wird jedenfalls durch eine etwaige überlange Wartezeit nicht in ihren Grundrechten verletzt, weil sie bei der Bewerbung um einen Studienplatz noch gar keine Wartezeit aufzuweisen hatte und den kritischen Bereich einer Wartezeit, die die Dauer des medizinischen Regelstudiums überschreitet, erst in etwa fünf bis sechs Jahren erreichen wird. Das Teilhaberecht aus Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG gewährt der Klägerin aber keinen Anspruch auf Zulassung zum Studium ohne Wartezeit.

Unabhängig davon besteht nach der Senatsrechtsprechung, der sich das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung angeschlossen hat, selbst bei unzumutbar langer Wartezeit und damit rechtswidriger Ausgestaltung des Vergabesystems kein verfassungsunmittelbarer Zulassungsanspruch.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Juni 2011 - 13 C 45/11 u.a. -, vom 8. November 2011 - 13 B 1212/11 -, und vom 1. Februar 2012- 13 A 2214/11 -, jeweils juris.

Der Senat hält hieran nach erneuter Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im vorliegenden Verfahren fest.

Die weiter erhobene Feststellungsklage hat ebenfalls keinen Erfolg.

Es kann offen bleiben, ob die im Berufungsverfahren erfolgte Klageänderung zulässig ist. Die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 12. August 2011 gerichtete Klage ist jedenfalls wegen Subsidiarität unzulässig. Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann die Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Das ist hier der Fall. Die Klägerin begehrt ihre Zulassung zum Studium, die zuvor durch Bescheid abgelehnt worden ist. Richtige Klageart zur Verfolgung dieses Klageziels ist die - hier auch erhobene - Verpflichtungsklage. Angesichts der beantragten Feststellung der Rechtswidrigkeit dieses Bescheids geht es auch nicht um vorbeugenden Rechtsschutz, bei dem die in § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO angeordnete Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage nicht eingriffe.

Die Erhebung der Feststellungsklage ist darüber hinaus entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus Gründen effektiven Rechtsschutzes geboten. Der Klägerin wäre mit der Feststellung, dass der Ablehnungsbescheid rechtswidrig ist, in keiner Weise gedient. Ein Anspruch auf Zulassung zum Studium oder jedenfalls Neubescheidung folgt hieraus ebenso wenig wie die geforderte unmittelbare Klarheit für die weitere Lebensplanung. Die von der Klägerin angeführte beamtenrechtliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 20. Juni 1996 - 2 C 7.95 -, juris) ist für die Frage, ob ungeachtet der Möglichkeit einer Verpflichtungsklage eine Feststellungsklage erhoben werden kann, mit der die Feststellung der Rechtswidrigkeit des ablehnenden Bescheides beantragt wird, nicht relevant. Sie betrifft eine Klage auf amtsangemessene Alimentation, die nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts wegen des Erfordernisses einer gesetzlichen Grundlage für die Besoldung nicht als (allgemeine) Leistungsklage zulässig ist, sondern nur als Klage auf Feststellung, dass die dem Kläger gezahlte Alimentation verfassungswidrig ist. Im Übrigen steht mit dem Erfolg einer solchen beamtenrechtlichen Feststellungsklage zugleich fest, dass eine höhere Alimentation zu gewähren ist. Im Unterschied dazu wäre hier aber gänzlich ungewiss, ob die Klägerin bei der von ihr geforderten gesetzlichen Neugestaltung des Vergabesystems - auch ohne Wartezeit - zum Studium zuzulassen wäre.

Im Übrigen wäre die Feststellungsklage unbegründet, weil der Ablehnungsbescheid rechtlich nicht zu beanstanden ist, insbesondere die Klägerin sich aus den oben genannten Gründen nicht auf eine etwaige (teilweise) Verfassungswidrigkeit des Vergabesystems berufen kann.

Hiervon ausgehend kommt die begehrte Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 40, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG.