LSG für das Saarland, Urteil vom 30.03.2009 - L 2 U 67/07
Fundstelle
openJur 2010, 2745
  • Rkr:

Die Höhe und Berechnung des Übergangsgeldes richtet sich bei einem in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Unternehmer nach der Versicherungssumme, wenn der Versicherungsfall infolge der Unternehmertätigkeit eingetreten ist (§§ 50 Halbsatz 2 iVm § 47 Abs. 5 SGB VII); § 48 S 1 Nr. 3 SGB IX ist nicht anwendbar.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 22.06.2007 aufgehoben und der Bescheid vom 24.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheidesvom 30.10.2006 abgeändert.

Die Beklagtewird verurteilt, dem Kläger Übergangsgeld in Höhe von weiteren 15,81 EUR kalendertäglich für die Dauer der bewilligten Umschulungsmaßnahme zu zahlen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Instanzen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Im Streit steht die Höhe des von der Beklagten zu zahlenden Übergangsgeldes.

Der 1961 geborene Kläger studierte 10 Semester BWL und Jura, ohne jedoch einen Abschluss zu machen. Über eine Berufsausbildung verfügt er nicht. Von 1994 bis 1998 war er als selbstständiger Gastwirt tätig. Am 08.03.1996 erlitt er einen Arbeitsunfall. Zu diesem Zeitpunkt bestand bei der Beklagten eine satzungsgemäße Pflichtversicherung. Die Pflichtversicherungssumme betrug 40.800,00 DM. Unter Zugrundelegung dieser Pflichtversicherungssumme zahlt die Beklagte dem Kläger seit dem 01.02.1997 eine Verletztenrente (Minderung der Erwerbsfähigkeit: 30 v.H.).

Im Juni 2004 beantragte derKläger eine Umschulung und gab an, seit dem Unfall nicht mehr erwerbstätig gewesen zu sein und auch kein Einkommen aus einer Selbstständigkeit erzielt zu haben; er habe von Ersparnissen gelebt und sei durch die Familie finanziert worden, Leistungen von der Arbeitsagentur habe er nicht bezogen. Mit Bescheid vom 28.07.2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Umschulung zum Automobilkaufmann ab dem 01.09.2006 für die Dauer von 2 Jahren.

Mit Bescheid vom 24.08.2006 gewährte die Beklagte dem Kläger Übergangsgeld in Höhe von 18,56 EUR täglich. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Berechnungsgrundlage für das Übergangsgeld sei dem Entgelt– sowie Manteltarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe Saarland unter Berücksichtigung der bisherigen Tätigkeiten entnommen worden. Aus den vorliegenden Tarifverträgen sei ein Regelentgelt in Höhe von 41,98 EUR/täglich ermittelt worden (1.251,00 EUR monatlich ./. 30 Tage = 41,70 EUR; zusätzlich ein Betrag in Höhe von 0,28 EUR/täglich für die Sonderzahlung, die im 1. Jahr gewährt werde: 200,00 DM/ 102,29 EUR ./. 360 Tage). Von den 41,98 EUR würden pauschal 35 % abgezogen, so dass ein Betrag in Höhe von 27,29 EUR verbleibe. Von diesem Betrag erhielten Kinderlose 68 % = 18,56 EUR/täglich. Eine Zugrundelegung von Geldleistungen vor Beginn der Maßnahme sei nicht möglich gewesen, da Leistungen vom Kläger nicht bezogen worden seien.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, Übergangsgeld sei unter Zugrundelegung der Versicherungssumme zu berechnen. Dies entspreche dem Merkblatt, das dem Bescheid vom 28.07.2006 beigefügt gewesen sei; das Merkblatt decke sich insoweit auch mit § 49 der Satzung der Beklagten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2006 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, seit 01.02.1997 (Ende des Verletztengeldanspruches und Bewilligung der Verletzten-rente) sei der Kläger keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen. Da der Kläger vor Beginn der Umschulungsmaßnahme mehr als neun Jahre weder Arbeitsentgelt noch Arbeitseinkommen erzielt habe, sei das Übergangsgeld nach § 48 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zu berechnen gewesen. Hier sei das Arbeitsentgelt maßgebend, das der Kläger unter Berücksichtigung seinerberuflichen Fähigkeiten, seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit und seinem Lebensalter fiktiv in dem letzten Kalendermonat vor Beginn der Umschulungsmaßnahme hätte erzielen können. Da der Kläger bisher lediglich vier Jahre in der Gastronomie tätig gewesen sei und ansonsten keine Berufsausbildung besitze, sei bei der Übergangsgeldberechnung gemäß § 48 SGB IX folgerichtig das fiktive Arbeitsentgelt einer angelernten Hilfskraft im Hotel- und Gaststättengewerbe herangezogen worden. Sofern der Kläger im Widerspruchsverfahren behaupte, er hätte auf eine Übergangsgeldberechnung nach der Pflichtversicherungssumme vertraut, so sei diese Behauptung falsch, da der Kläger bereits mit Schreiben vom 31.08.2005 eine Aufstellung möglicher Leistungen bei Bewilligung einer Umschulungsmaßnahme erhalten habe. Bei dieser Aufstellung sei ein kalendertäglicher Übergangsgeldbetrag in Höhe von 18,17 EUR genannt worden.

Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht für das Saarland (SG) mit Gerichtsbescheid vom 22.06.2007 abgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe der Übergangsgeldberechnung zu Recht gemäß § 48 SGB IX das fiktive Arbeitsentgelt einer angelernten Hilfskraft im Hotel- und Gaststättengewerbe zu Grunde gelegt.

Gegen den ihm am 28.06.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 24.07.2007 Berufung eingelegt.

Er ist der Auffassung, dass bei der Berechnung des Übergangsgeldes von der Versicherungssumme auszugehen sei. Er habe sich im Vertrauen auf den Bescheid und die dem Bescheid beigefügte Mitteilung (Merkblatt vom 28.07.2006) zu der von der Beklagten geforderten Maßnahme entschieden. Wäre ihm mitgeteilt worden, dass sein Übergangsgeld nur 556,80 EUR im Monat betrage, hätte er die Ausbildung nicht begonnen, da dieses Geld nicht ausreiche, um seinen Lebensunterhalt und die von ihm zu zahlende Miete sicherzustellen. Zudem könne er auch nicht als angelernte Hilfskraft eingestuft werden. Er habe mehrjährige Erfahrungen im kaufmännischen und organisatorischen Bereiche einer Gaststätte. Er habe selbstständig und allein über mehrere Jahre eine Gaststätte gemanagt. Als Unternehmer sei er mit mehreren Angestellten tätig gewesen und habe immer eine leitende Funktion ausgeübt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts für das Saarland vom 22.06.2007 und Abänderung des Bescheides vom 24.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2006 zu verurteilen, ihm ein Übergangsgeld in Höhe von weiteren 15,81 EUR täglich für die Dauer der bewilligten Maßnahme zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Gerichtsbescheid.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten; der Inhalt der Beiakten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet.

Höhe und Berechnung des dem Kläger gemäß § 49 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) bewilligten Übergangsgeldes bestimmen sich nach den §§ 46 – 51 SGB IX, soweit das SGB VII nicht abweichendes bestimmt; im Übrigen gelten die Vorschriften für das Verletztengeld entsprechend (§ 50 SGB VII).

Vorliegend ist bei der Berechnung der Höhe des Übergangsgeldes gemäß § 50 Halbsatz 2 i.V.m. § 47 Abs. 5 SGB VII von der Versicherungssumme auszugehen, da im SGB IX nicht geregelt ist, wie das Übergangsgeld zu berechnen ist, wenn der Versicherungsfall wie hier infolge einer Unternehmertätigkeit eingetreten ist. Insbesondere ist entgegen der Auffassung der Beklagten § 48 S. 1 Nr. 3 SGB IX nicht anwendbar.

Nach dieser Vorschrift wird die Berechnungsgrundlage für das Übergangsgeld während Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben aus 65 v.H. des auf ein Jahr bezogenen tariflichen oder, wenn es an einer tariflichen Regelung fehlt, des ortsüblichen Arbeitsentgelts ermittelt, das für den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort der Leistungsempfänger gilt, wenn der letzte Tag des Bemessungszeitraums bei Beginn der Leistungen länger als 3 Jahre zurückliegt.

Diese Vorschrift knüpft an die §§ 46, 47 SGB IX an. Nach § 46 Abs. 1 S. 1 SGB IX werden der Berechnung des Übergangsgeldes 80 v.H. des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt), zu Grunde gelegt, höchstens jedoch das in entsprechender Anwendung des § 47 SGB IX berechnete Nettoarbeitsentgelt; hierbei gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze. Für die Berechnung des Regelentgelts ist nach § 47 Abs. 1 S. 1 SGB IX das von den Leistungsempfängern im letzten vor Beginn der Leistung oder einer vorangegangenen Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum, mindestens das während der letzten abgerechneten 4 Wochen (Bemessungszeitraum) erzielte und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt verminderte Arbeitsentgelt maßgebend.

Die §§ 46, 47 SGB IX sind, was die Berechnungsgrundlage des Übergangsgeldes betrifft,auf Unternehmer nicht anwendbar, wenn der Versicherungsfall wie hier infolge einer Unternehmertätigkeit eingetreten ist (vgl. Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Kennzahl 405, Seite 12). Weder die Höhe der zu zahlenden Beiträge noch die Höhe der Leistungen richten sich bei einem Unternehmer nach einem regelmäßig erzielten Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen, sondern vielmehr nach der Versicherungssumme (vgl. Römer in Hauck, Sozialgesetzbuch SGB VII, § 50 Rn. 8; Köllner in Lauterbach, Unfallversicherung SGB VII, 31. Lfg. Juli 2006, § 50 Rn. 58 ff.). Dementsprechend bestimmte § 43 der zum Zeitpunkt des Unfalls geltenden Fassung der Satzung der Beklagten, dass die Geldleistungen für die nach § 42 der Satzung (pflicht)versicherten Unternehmer und Ehegatten von Unternehmern nach der Versicherungssumme, die der Versicherung als Jahresarbeitsverdienst (JAV) zugrunde zu legen ist, berechnet werden. Gleiches gilt, nachdem die satzungsgemäße Pflichtversicherung für Unternehmer aufgehoben worden ist, nach §§ 53 Abs. 1, 50 Abs. 1 S. 8 der jetzt geltenden Satzung für freiwillig versicherte Unternehmer.

Daraus folgt, dass auch § 48 SGB IX vorliegend nicht anwendbar ist. Diese Vorschrift knüpft grundsätzlich an das Regelentgelt iSd. § 46 Abs. 1 SGB IX an und trifft lediglich Sonderregelungen für die Fälle, dass die Berechnung nach den §§ 46 und 47 SGB IX zu einem geringeren Betrag als bei einer Berechnung nach § 48 führt (S. 1 Nr. 1), Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nicht erzielt worden ist (S. 1 Nr. 2) oder aber – worauf sich die Beklagte stützt – der Bemessungszeitraum bei Beginn der Leistungen länger als 3 Jahre zurückliegt (S. 1 Nr. 3). Ein Bemessungszeitraum spielt jedoch nach dem oben Gesagten bei der Berechnung des Übergangsgeldes bei Unternehmern keine Rolle.

Da in den §§ 46 ff. SGB IX nicht geregelt ist, wie das Übergangsgeld zu berechnen ist, wenn der Versicherte infolge einer Tätigkeit als Unternehmer einen Arbeitsunfall erlitten hat, richtet sich die Berechnung vorliegend nach § 47 Abs. 5 SGB VII und nicht nach § 48 SGB IX (so auch Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 50 SGB VII Rn. 3.2; Ricke in Kasseler Kommentar, Oktober 2008 EL 59, § 50 SGB VII Rn. 2; dagegen sind Podzun, a.a.O., Seite 15, und Römer in Hauck, a.a.O., § 50 Rn. 12 der Auffassung, dass § 48 S. 1 Nr. 3 SGB IX vom Wortlaut her auch auf Unternehmer anzuwenden ist. Sie kommen aber zu demselben Ergebnis, indem sie davon ausgehen, dass § 48 SGB IX in diesem Fall nicht greift und analog § 50 SGB VII die Berechnung des Übergangsgeldes nach § 47 Abs. 5 SGB VII zu erfolgen hat).

Nach § 47 Abs. 5 S. 1 SGB VII erhalten Versicherte, die den Versicherungsfall infolge einer Tätigkeit als Unternehmer erlitten haben, Verletztengeld je Kalendertag in Höhe des 450. Teils des Jahresarbeitsverdienstes. Ist das Verletztengeld für einen ganzen Kalendermonat zu zahlen, ist dieser mit 30 Tagen anzusetzen (S. 2).

Die Versicherungssumme von 40.800,00 DM ist nach entsprechender Anpassung zum Zeitpunkt des Beginns des Übergangsgeldanspruches am 01.09.2006 mit 22.743,79 EUR zu beziffern. Hieraus errechnet sich ein kalendertägliches Verletztengeld von 50,54 EUR. Hiervon 68 % (Übergangsgeld an Kinderlose, § 46 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 SGB IX) ergibt 34,37 EUR. Diese Berechnung wird von den Beteiligten nicht angegriffen. Abzüglich der bereits bewilligten 18,56 EUR hat der Kläger somit Anspruch auf weitere 15,81 EUR kalendertäglich für die Dauer der bewilligten Umschulungsmaßnahme.

Die Berufung hat somit Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen, da – soweit ersichtlich – höchstrichterlich noch nicht entschieden worden ist, ob § 48 SGB IX auf die Berechnung des Übergangsgeldes anwendbar ist im Falle von Versicherten, die infolge ihrer Unternehmertätigkeit einen Arbeitsunfall erlitten haben.

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