VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.05.2006 - 1 S 78/06
Fundstelle
openJur 2013, 14348
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Beigeladenen zu 2 wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 13. April 2005 - 7 K3365/04 - geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2.Der Beigeladene zu 1 trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Wahl des Beigeladenen zu 1 in den Gemeinderat der Beigeladenen zu 2.

Für die Gemeinderatswahl am 13.06.2004 kandidierte der Beigeladene zu 1 auf der Liste der CDU in Neresheim, wo in der Hauptsatzung die unechte Teilortswahl eingeführt worden ist. Der Beigeladene zu 1 war für den Wohnbezirk ... benannt - dort bewarb er sich auch um einen Sitz im Ortschaftsrat - und gab als Anschrift der Hauptwohnung die dort gelegene ... ... an, wo er seit seiner Geburt gemeldet war. Auf dem dortigen Grundstück, auf dem es jedenfalls seit Ende der 90er Jahre kein Wohngebäude mehr gibt, führte der Beigeladene zu 1 damals zusammen mit seinem im Nachbarhaus wohnhaften Sohn eine Reparaturwerkstatt für Kfz und landwirtschaftliche Maschinen, während seine Ehefrau und seine erwachsene Tochter im Ortsteil ... wohnten, wo die Ehefrau einen landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet.

Am 29.04.2004 ließ der Gemeindewahlausschuss den Wahlvorschlag zu. Bereits zuvor hatte die Gemeindeverwaltung aufgrund von Hinweisen aus der Bevölkerung die melderechtliche Situation des Beigeladenen zu 1 überprüft. Sie war dabei zum Ergebnis gelangt, dass aufgrund einer Altfallregelung weiterhin davon auszugehen sei, dass der Beigeladene zu 1 - ungeachtet des Familienwohnsitzes - seinen alleinigen Wohnsitz weiterhin in ... habe. Das Kommunalamt des Ostalbkreises kam Mitte Mai nach einer neuerlichen Bewertung der melderechtlichen Verhältnisse zum Schluss, dass der Beigeladene zu 1 seine Hauptwohnung in ... habe; denn bei einem verheirateten Einwohner, der nicht dauernd getrennt von seiner Familie lebe, sei Hauptwohnung die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie; in ... sei allenfalls ein Nebenwohnsitz gegeben. Daraufhin meldete sich der Beigeladene zu 1 am 17.05.2004 rückwirkend zum 10.05.2004 in die ...-... ... in ... - das Anwesen seines Sohnes - um und legte zugleich eine Erklärung vor, wonach er seit dem 10.05.2004 von seiner Ehefrau dauernd getrennt lebe.

Bei der Wahl am 13.06.2004 errang der Beigeladene zu 1 einen Sitz in Gemeinderat.

Am 24.06.2004 erhob der Kläger unter Beitritt von 73 weiteren Wahlberechtigten Einspruch gegen die Wahl und machte geltend, dass der Beigeladene zu 1 in ... nicht über einen Wohnsitz verfüge.

Mit Bescheid vom 16.07.2004 wies das Landratsamt Ostalbkreis den Einspruch zurück und führte zur Begründung aus: Der Beigeladene zu 1 habe zu den maßgeblichen Zeitpunkten - bei der Zulassung des Wahlvorschlags durch den Gemeindewahlausschuss und am Wahltag - in Wohnbezirk ... i.S.v. § 27 Abs. 2 Satz 2 GemO gewohnt, wobei auch eine Nebenwohnung ausreiche. Der Beigeladene zu 1 verfüge über einen Hauptwohnsitz in Neresheim und im Gebäude ... in ... seit Ende 2003 zumindest über einen Nebenwohnsitz; dies sei auf Nachfrage von verschiedenen ... Einwohnern bestätigt worden.

Auf die Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 13.04.2005 den Beklagten unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung des Landratsamts Ostalbkreis vom 16.07.2004 verpflichtet, die Zuteilung eines Sitzes im Gemeinderat der Beigeladenen zu 2 an den Beigeladenen zu 1 für ungültig zu erklären. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Einspruch sei zulässig und begründet. Der Beigeladene zu 1 sei nicht wählbar gewesen, weil er entgegen der Bestimmung des § 27 Abs. 2 Satz 2 GemO im Wohnbezirk ... nicht gewohnt habe. Der hier zugrunde zu legende öffentlich-rechtliche Begriff des Wohnens stelle auf den äußeren Tatbestand des Innehabens einer Wohnung ab, bei dem die Umstände darauf schließen ließen, dass die Wohnung beibehalten und benutzt werde; es sei die tatsächliche Gestaltung der Verhältnisse entscheidend, nicht dagegen die formelle melderechtliche Situation. Aus den eigenen Angaben des Beigeladenen zu 1 in der mündlichen Verhandlung ergebe sich nicht, dass er zu den maßgeblichen Zeitpunkten einen Nebenwohnsitz im Haus seines Sohnes innegehabt habe. Vielmehr sei bei einer Würdigung der gesamten Umstände von lediglich besuchsweisen Aufenthalten des Beigeladenen zu 1 bei seinem Sohn auszugehen. So sei die Wohnung nicht übergeben worden, der Beigeladene zu 1 habe erst spät einen eigenen Schlüssel erhalten; er habe außer Kleidung zum Wechseln keine persönlichen Gegenständen in die Wohnung gebracht, wo er unentgeltlich wohne, für die Reinigung nicht zuständig sei und bei seinem Sohn das Frühstück einnehme.

Zur Begründung der vom Senat mit Beschluss vom 10.01.2006 - 1 S 1337/05 - wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zugelassenen Berufung trägt die Beigeladene zu 2 vor: Für den Begriff des Wohnens im Sinne des Kommunalwahlrechts komme es entscheidend auf objektive Kriterien wie die Verfügbarkeit der Wohnung und die (formelle) melderechtliche Situation an. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könne auf letztlich „subjektive“ Momente nicht abgestellt werden; die „innere“ Beziehung zwischen dem Eigentümer der Einliegerwohnung und dem Beigeladenen zu 1 sei unerheblich.

Die Beigeladene zu 2 beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 13. April 2005 - 7 K 3365/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und betont die Gefahr von Manipulationen, wenn allein auf das Melderecht abgestellt werde. Es sei vielmehr auch auf einen Domizilwillen abzuheben. Einen solchen habe der Beigeladene zu 1 bezogen auf die Wohnung im Hause seines Sohnes nie gehabt. Schließlich sei nach der Entscheidung über die Zulassung des Wahlvorschlags eine Beseitigung von Mängeln nicht mehr möglich.

Der Beklagte stellt ebenso wenig wie der Beigeladene zu 1 einen Antrag.

Der Beklagte teilt die Auffassung der Beigeladenen zu 2, dass der Beigeladene zu 1 einen Nebenwohnsitz in ... gehabt habe. Für den Begriff des „Wohnens“ könnten nur objektive Kriterien herangezogen werden. Hier sei allein die Frage der „Benutzung“ der Wohnung von Bedeutung, die von bloß besuchsweisen Aufenthalten abzugrenzen sei. Für eine Benutzung der Wohnung sei die Anmeldung nach dem Meldegesetz ein starkes Indiz. Schließlich müssten bei der Prüfungsdichte die praktischen Möglichkeiten und Grenzen einer Wahl- bzw. Wahlprüfungsbehörde beachtet werden; von einem Wahlbewerber könne nicht der Nachweis verlangt werden, dass sein von der Meldebehörde formal anerkannter Wohnsitz auch wahlrechtlich zu berücksichtigen sei.

Der Beigeladene zu 1 betont ebenfalls, dass der Begriff des Wohnens nach objektiven Elementen zu bestimmen sei.

Die Wahl des Beigeladenen zu 1 zum Ortschaftsrat der Ortschaft ... wurde mit Einspruchsentscheidung des Landratsamts Ostalbkreiskreis vom 19.07.2004 mit der Begründung für ungültig erklärt, dass der Beigeladene zu 1 zu den maßgeblichen Zeitpunkten seine Hauptwohnung nicht in ... gehabt habe und daher gem. § 69 Abs. 1 Satz 3 GemO für den Ortschaftsrat nicht wählbar gewesen sein. Seine hiergegen erhobene Klage hat der Beigeladene zu 1 zurückgenommen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze im Zulassungs- und Berufungsverfahren Bezug genommen. Dem Senat liegen die Behörden- und Gerichtsakten aus dem Klageverfahren vor; sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Verpflichtungsklage ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger kann nicht verlangen, dass der Beklagte die Zuteilung eines Sitzes im Gemeinderat der Beigeladenen zu 2 an den Beigeladenen

zu 1 für ungültig erklärt. Der Einspruchsbescheid des Landratsamts Ostalbkreis vom 16.07.2004 ist rechtmäßig.

Der zulässige Einspruch des Klägers hat keinen Erfolg. Der bereits im Einspruchsschreiben gerügte Wahlanfechtungsgrund liegt nicht vor. Gem. § 32 Abs. 2 Satz 1 KomWG ist die Zuteilung eines Sitzes im Gemeinderat für ungültig zu erklären, wenn der Bewerber zur Zeit der Wahl nicht wählbar war. Der Beigeladene zu 1 war indessen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu den maßgeblichen Zeitpunkten der Zulassung des Wahlvorschlags und des Wahltags (vgl. hierzu Kunze/Merk/Quecke, Das Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg, 4. Aufl. 1989, § 8 Rn. 6) zum Gemeinderat der Beigeladenen zu 2 wählbar.

Neben den allgemeinen Voraussetzungen des § 28 i.V.m. § 12 Abs. 2 Satz 1 GemO für die Wählbarkeit müssen im Fall der unechten Teilortswahl gem. § 27 Abs. 2 Satz 2 GemO die Bewerber im Wohnbezirk, für den sie im Wahlvorschlag aufgestellt sind, wohnen. Dabei genügt insoweit eine Nebenwohnung, wenn der Bewerber in der Gemeinde seine Hauptwohnung hat (vgl. Bock in: Kunze/Bronner/Katz, GemO, § 27 Rn. 9; VwV zu § 27 GemO, Nr. 3 Satz 2).

Der Rechtsbegriff des Wohnens ist in der Gemeindeordnung nicht näher definiert. Folglich ist auch hier vom öffentlich-rechtlichen Begriff des Wohnens auszugehen, wie er beispielhaft im Steuerrecht in § 8 AO und im Sozialrecht in § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB 1 normiert ist (vgl. Bock in: Kunze/Bronner/Katz, GemO, § 27 Rn. 9, § 10 Rn. 2). Danach hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (so auch VwV zu § 10 GemO, Nr. 1 Satz 2). Mit diesen Tatbestandsmerkmalen knüpft der öffentlich-rechtliche Wohnsitzbegriff an objektive Umstände, nämlich die tatsächliche Gestaltung, an, während - anders als beim Wohnsitzbegriff des Bürgerlichen Rechts - ein Domizilwille als Rechtsfolgewille unbeachtlich ist (vgl. Tipke/Kruse, AO, § 8 Rn. 2; Pahlke/Koenig, AO, 2004, § 8 Rn. 4, jeweils m.w.N.); er spiegelt mit dieser Objektivierung die Rechtslage im Melderecht wider, wo sich der Begriff der Wohnung (§ 11 Abs. 4 MRRG, § 16 MG) und die Bestimmung der Hauptwohnung (§ 12 Abs. 2 Satz 1 MRRG, § 17 Abs. 2 Satz 1 MG) ebenfalls nach objektiven Kriterien richten (vgl. Belz, Meldegesetz für Baden-Württemberg, 3. Aufl. 1987, § 16 Rn. 5, 8, § 17 Rn. 16). Mit dieser an äußere und folglich nachprüfbare Umstände anknüpfenden „ Verortung “ sowohl des aktiven als auch des passiven Wahlrechts sollen im Interesse der Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichheit der Wahl (Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 72 Abs. 1 Satz 1 LV) Manipulationen verhindert werden; die Bewertung einer inneren Verbindung und besonderen Vertrautheit mit den örtlichen Verhältnissen, die für den für einen bestimmten Wohnbezirk antretenden Kandidaten von Bedeutung sein mag, bleibt demgegenüber dem Wähler überlassen.

Eine Wohnung in diesem Sinne setzt zum dauerhaften Wohnen geeignete Räumlichkeiten voraus; eine bloße Übernachtungsgelegenheit, insbesondere bei Verwandten oder Bekannten, genügt hingegen nicht (vgl. BFH, Urteil vom 25.01.1989 - I R 205/82 -, BFHE 158, 210 <212>; Pahlke/Koenig, a.a.O., § 8 Rn. 9, m.w.N.). Eine Wohnung hat inne, wer tatsächlich über sie verfügen kann, wobei es auf die zivilrechtlichen Verhältnisse wie etwa eine Mietzahlung nicht ankommt (vgl. BFH, Urteil vom 28.01.2004 - I R 56/02 -, BFH/NV 2004, 917). Darüber hinaus muss die Wohnung als Bleibe dienen, was grundsätzlich jedenfalls dann der Fall ist, wenn sie mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Gewohnheit benutzt wird. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume macht eine Wohnung indessen nicht zur Bleibe; dies gilt insbesondere dann, wenn der Aufenthalt lediglich Besuchs- oder Erholungszwecken dient (vgl. BFH, Urteil vom 23.11.2000 - VI R 165/99 -, BFHE 193, 569 <574>; vom 12.01.2001 - VI R 64/98 -, BFH/NV 2001, 1231; Nds. FG, Beschluss vom 09.09.2004 - 10 V 302/04 -, m.w.N.), der sich letztlich nicht grundsätzlich von einem zur Begründung eines Wohnsitzes - von Ausnahmefällen abgesehen - untauglichen Hotelaufenthalt unterscheidet (siehe hierzu BFH, Urteil vom 24.10.1969 - IV 290/64 -, BFHE 97, 272 <274 f.>). Eine subjektive Komponente hat der öffentlich-rechtliche Wohnsitzbegriff nur insoweit, als die tatsächlichen Verhältnisse dann den Schluss auf eine auch zukünftige Nutzung der Wohnung erlauben, weil ein - objektiv realisierbarer - Wille vorhanden ist (vgl. BFH, Urteil vom 23.11.2000 - VI R 165/99 -, BFHE 193, 569 <574>; BSG, Urteil vom 25.08.1994 - 2 RU 14/93 -; siehe zum Ganzen auch Bock, a.a.O., § 10 Rn. 3 ff.).

Bei der hiernach erforderlichen Bewertung der äußeren Umstände kommt der formellen melderechtlichen Situation wegen der Vergleichbarkeit der tatbestandlichen Voraussetzungen eine gewisse Indizwirkung zu. Zwar enthält das Kommunalwahlrecht - anders als die Vorschriften über die Wahl des Bundestags und des Landtags in § 16 Abs. 1 Nr. 1 BWO, § 2 Abs. 2 Nr. 1 MRRG bzw. § 11 Abs. 1 LWO - in § 3 Abs. 1 KomWO keine ausdrückliche Festlegung, wonach die Eintragung ins Wählerverzeichnis ausgehend vom Melderegister erfolgt. Es entspricht aber einem praktischen Bedürfnis, dass die Gemeinde, der in der Regel keiner anderen Erkenntnisse zu Gebote stehen, sowohl bei der Aufstellung des Wählerverzeichnisses als auch bei der Prüfung der Wahlvorschläge das Melderegister zugrunde legt (siehe Bock, a.a.O., § 10 Rn. 5; Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag - Kommentar zum BWG, 7. Aufl. 2002, § 12 Rn. 15, S. 269). Eine Tatbestandswirkung, wie sie teilweise in Zweitwohnungssteuerrecht durch den Verweis auf die formellen melderechtlichen Verhältnisse angeordnet ist (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 05.03.1997 - II R 41/95 -, BFHE 182, 249; Beschluss vom 28.02.2003 - II B 9/02 -, BFH/NV 2003, 837), entfaltet die Eintragung ins Melderegister indessen mangels öffentlichen Glaubens nicht; vielmehr steht sie gem. § 4a MRRG, § 12 Abs. 1 MG unter dem Vorbehalt der Änderung von Amts wegen, wenn sie dem materiellen Melderecht nicht entspricht (vgl. auch Schreiber, a.a.O., § 12 Rn. 16, S. 272). Auch wenn der Wohnsitz demnach im Ansatz unabhängig vom Inhalt des Melderegisters zu bestimmen ist (siehe BFH, Urteil vom 14.11.1969 - II R 95/68 -, BFHE 97, 425 <428>), so bleibt eine abweichende Beurteilung gleichwohl die Ausnahme. Das Melderegister beruht in aller Regel allein auf den Angaben des Meldepflichtigen, da die Behörde keinen näheren Einblick in dessen persönliche Lebensumstände hat und die Meldebehörde sich nicht zuletzt angesichts der Möglichkeiten einer Massenverwaltung auf eine bloße Plausibilitätskontrolle beschränken kann. Nur dann, wenn es Hinweise darauf gibt, dass die Angaben nicht zutreffen, bedarf es weiterer Ermittlungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.10.1991 - 1 C 24.90 -, BVerwGE 89, 110 <114 f.>; siehe auch Hess. VGH, Urteil vom 13.11.1990 - 11 UE 4950/88 -, NVwZ-RR 1991, 357 <358>; zum Wahlrecht OVG Bremen, Beschluss vom 19.05.1979 - WP 1/79 -, DÖV 1980, 57 <58 f.>; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 03.06.1975 - 2 BvC 1/74 -, BVerfGE 40, 11 <33 f.>).

Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist davon auszugehen, dass der Beigeladene zu 1 die Wählbarkeitsvoraussetzungen erfüllte; denn zu den maßgeblichen Zeitpunkten wohnte er i.S.v. § 27 Abs. 2 Satz 2 GemO in ..., weil er dort über eine Nebenwohnung verfügte.

Allerdings bestand hier Anlass, die Eintragung im Melderegister nicht unbesehen der Beurteilung der wahlrechtlichen Fragen zugrunde zu legen; eine Überprüfung der diesbezüglichen Sach- und Rechtslage durch die Wahlbehörde war schon deswegen angezeigt, weil die Wohnmöglichkeit auf dem Betriebsgrundstück in ... entfallen war. Die Gemeindeverwaltung selbst hat dies letztlich nicht verkannt und hat - wenn auch auf der Grundlage einer überholten Rechtsauffassung (vgl. § 37 Abs. 2 MG a.F. sowie Kunze/Merk/Quecke, a.a.O., § 6 Rn. 7) - die Frage der melderechtlichen Hauptwohnung des Beigeladenen zu 1 untersucht. Nach der Klarstellung der Rechtslage durch die Rechtsaufsichtsbehörde war gerade die darauf folgende Reaktion des Beigeladenen zu 1 dazu angetan, Bedenken gegen die Verlässlichkeit seiner Angaben zu wecken. Die behauptete Trennung von seiner Ehefrau gerade zu diesem Zeitpunkt hätte zwar eine rein zufällige zeitliche Koinzidenz darstellen können; die mit den örtlichen Verhältnissen vertrauten Behörden haben den Wahrheitsgehalt der Getrenntlebenserklärung ausweislich verschiedener Aktenvermerke indessen angezweifelt; die Aussage des Beigeladenen zu 1 vor dem Verwaltungsgericht hat diese Einschätzung bestätigt. Ob der Wahlbehörde eine Nachfrage nach den ehelichen Lebensverhältnissen des Beigeladenen zu 1 versagt war, weil damit ein unantastbarer Bereich privater Lebensführung betroffen war, bedarf keiner Prüfung. Denn von rechtlichem Interesse war hier - auch ausgehend von den Angaben des Beigeladenen zu 1 zum Zeitpunkt des Getrenntlebens - das Vorliegen eines Nebenwohnsitzes in ... Die Befragung von Nachbarn mag dabei ein durchaus taugliches Mittel sein und verwertbare Erkenntnisse erbringen; die Übersendung vorformulierter und letztlich wenig aussagekräftiger Erklärungen kann diesen Zweck indessen nur unvollständig erfüllen.

Aufgrund der insoweit glaubhaften Einlassungen des Beigeladenen zu 1 ist davon auszugehen, dass dieser jedenfalls schon seit Anfang 2004 im Haus seines Sohnes über eine Wohnmöglichkeit verfügte. Dabei kann dahinstehen, bis zu welchem Zeitpunkt er das Gästezimmer benutzt und wann er die Ende 2003 fertig gestellte Einliegerwohnung übernommen hat. Mit der Überlassung eines Gästebettes an einen gelegentlichen Logiergast werden die Anforderungen an eine Wohnung im genannten Sinne zwar nicht erfüllt. Anders stellt sich die Rechtslage aber dar, wenn wie hier der Nutzer eines Gästezimmer - letztlich aufgrund familiärer Verbundenheit - darauf ständig und nach eigenem Belieben zurückgreifen kann. Dann besteht insoweit kein Unterschied zur - abgeschlossenen - Einliegerwohnung, denn beide Räumlichkeiten sind in gleicher Weise grundsätzlich zur Schaffung eines Lebensmittelpunkts geeignet; unbeachtlich ist, dass sie - der Eigenart der Nebenwohnung entsprechend - dazu nicht werden. Auf die dieser Nutzungsmöglichkeit zugrunde liegenden zivilrechtlichen Verhältnisse kommt es dabei nicht an; deswegen bedarf es keiner Prüfung, ob das vom Beigeladenen zu 1 behauptete „Tauschgeschäft“ zwischen Vater und Sohn - kostenfreies Wohnen gegen kostenlose Überlassung des Geschäftsbetriebes - plausibel erscheint. Das Gästezimmer und später die Wohnung hat der Beigeladene zu 1 auch immer wieder genutzt, wenn er sich, insbesondere im Anschluss an seine damalige Tätigkeit als Ortsvorsteher oder nach einem sehr langen Arbeitstag, den Heimweg nach ... ersparen wollte. Auch dieser Hintergrund spricht gegen die vom Verwaltungsgericht angenommene Einstufung einer bloß besuchsweisen Übernachtungsmöglichkeit. Die Rechtsprechung verneint das Vorliegen eines Wohnsitzes nämlich insbesondere dann, wenn Besuchs- und Erholungszwecke im Mittelpunkt stehen (vgl. BFH, Beschluss vom 27.09.1999 - I B 83/98 -, BFH/NV 2000, 673); das ist hier aber ersichtlich nicht der Fall. Schließlich sind die Modalitäten der Nutzung wie etwa die Reinigung oder das gemeinsame Frühstück, auf die das Verwaltungsgericht ebenfalls abgestellt hat, für die rechtliche Bewertung unerheblich.

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren schließlich vorträgt, die unrichtige Angabe des Hauptwohnsitzes im Wahlvorschlag habe nach § 17 Abs. 3 KomWO nach der Zulassungsentscheidung nicht mehr korrigiert werden dürfen, so macht er damit wohl einen Anfechtungsgrund nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 KomWG (Mangel in der Wahlvorbereitung) geltend. Ungeachtet der Frage, wie dieser Einwand in der Sache zu bewerten ist, kann er damit aber schon deswegen nicht durchdringen, weil er dies nicht fristgerecht im Einspruch vorgetragen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Beschluss vom 24. Mai 2006

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 63 Abs. 2 GKG).