BGH, Beschluss vom 07.11.2012 - XII ZB 325/12
Fundstelle
openJur 2012, 131802
  • Rkr:
Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 1. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. April 2012 aufgehoben.

Dem Kläger wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Bielefeld vom 11. Oktober 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Wert: 2.557 €

Gründe

I.

Die Parteien sind rechtskräftig geschiedene Eheleute. Das Familiengericht hat der Abänderungsklage des unterhaltspflichtigen Klägers durch ein am 11. Oktober 2011 verkündetes Anerkenntnisteil- und Schlussurteil unter Zu-1 rückweisung seines weitergehenden Antrags teilweise stattgegeben. Das Urteil ist dem Kläger zu Händen seines Prozessbevollmächtigten am 19. Oktober 2011 zugestellt worden.

Mit einem an das Amtsgericht gerichteten Telefax vom 9. November 2011, ausweislich des Sendevermerks des Faxgeräts abgesandt am 10. November 2011 und bei der Geschäftsstelle des Amtsgerichts eingegangen am 14. November 2011, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Angabe des Kurzrubrums "B. ./. dto." sowie des erstinstanzlichen Aktenzeichens "gegen den Beschluss des Gerichts vom 04.11.2011" Beschwerde eingelegt, gleichzeitig um Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nachgesucht und sich Antragstellung und Begründung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Am selben Tag (14. November 2011) ist auch das Original dieses Schriftsatzes bei der erstinstanzlichen Posteingangsstelle eingegangen. Auf richterliche Verfügung hat das Amtsgericht die Rechtsmittelschrift nebst Akte an das Oberlandesgericht übersendet, wo beides am 18. November 2011 eingegangen ist.

Zwischenzeitlich hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit einem weiteren Telefax vom 9. November 2011, das ausweislich des Sendevermerks am 17. November 2011 um 18:20 Uhr abgesendet worden ist und ausweislich des Empfangsvermerks des Telefaxgeräts der amtsgerichtlichen Posteingangsstelle dort am Freitag, den 18. November 2011, um 6:22 Uhr eingegangen ist, auf seine eingelegte Beschwerde Bezug genommen und angegeben, dass es sich dabei um einen Schreibfehler gehandelt habe. Tatsächlich solle sich die Beschwerde gegen den "Beschluss vom 11.10.2011" richten. Dem Schreiben hat er eine entsprechend berichtigte Beschwerdeschrift beigefügt. Die Amtsrichterin hat am selben Tag die Weiterleitung an das Oberlandesgericht verfügt. Die Geschäftsstelle des Amtsgerichts hat die Verfügung am Montag, den 21. No-2 vember 2011 ausgeführt, dem Tag, an dem auch das Original des Schriftsatzes beim Amtsgericht eingegangen ist. Beides - Telefax und Original - ist am 23. November 2011 beim Oberlandesgericht eingegangen.

Mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 hat das Oberlandesgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe mit der Begründung verweigert, das Rechtsmittel sei in unzulässiger Weise eingelegt.

Mit einem weiteren, nicht unterzeichneten und auf den 14. Dezember 2011 datierten Telefax, welches nach dem Sendevermerk am 27. Dezember 2011 um 10:31 Uhr abgesendet worden und ausweislich des Empfangsberichts am selben Tag um 9:27 Uhr beim Oberlandesgericht eingegangen ist, hat der Kläger eine Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist um einen Monat beantragt. Den Antrag hat der Vorsitzende unter Hinweis auf die bereits am 19. Dezember 2011 abgelaufene Begründungsfrist abgelehnt.

Daraufhin hat der Kläger mit einem am 10. Januar 2012 als Telefax und am 12. Januar 2012 im Original eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt und das Rechtsmittel in der Sache begründet.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anzuwenden, weil der Rechtsstreit vor die-4 sem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100).

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes.

2. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Statthaftes Rechtsmittel gegen das angefochtene Urteil sei die Berufung, die innerhalb der Berufungsfrist beim Oberlandesgericht hätte eingehen müssen. Unerlässlich sei dabei die Bezeichnung des Urteils, gegen welches sich die Berufung richte, sowie die Erklärung, dass Berufung eingelegt werde. Zweifel oder Mehrdeutigkeiten könnten durch beigefügte Unterlagen oder andere Erklärungen, die das Rechtsmittelgericht noch innerhalb der Rechtmittelfrist erreichten, ausgeräumt werden, spätere "klarstellende" Parteierklärungen jedoch nicht berücksichtigt werden.

Hier habe der Klägervertreter das Datum der Zustellung nicht genannt und auch keine Abschrift der anzufechtenden Entscheidung eingereicht. Insbesondere habe er nicht "Berufung", sondern "Beschwerde" eingelegt, dies nicht gegenüber dem Rechtsmittelgericht getan, sondern gegenüber dem erstinstanzlichen Gericht und er habe die anzufechtende Entscheidung nicht als das am 11. Oktober 2011 verkündete Urteil, sondern als Beschluss vom 4. November 2011 bezeichnet und damit eine Entscheidung benannt, die im vorliegenden Verfahren als Prozesskostenhilfebeschluss tatsächlich - antragsgemäß - zu seinen Gunsten ergangen sei. Damit habe er die Formalien einer Beschwerde gegen die im Prozesskostenhilfeverfahren ergangene Entscheidung erfüllt. Die 9 Erklärung sei ihrem Erklärungswert nach eindeutig und somit keiner Auslegung zugänglich. Immerhin sei auch der Kläger selbst der Auffassung, dass sein Rechtsmittel unzulässig war, andernfalls hätte er keine Klarstellung für erforderlich erachtet. Seine Klarstellung sei jedoch trotz unverzüglicher Weiterleitung durch das Amtsgericht erst nach Ablauf der Berufungsfrist beim Oberlandesgericht eingegangen und könne damit nicht mehr berücksichtigt werden. Die Berufung sei daher bereits nicht in zulässiger Weise eingelegt worden.

Zudem sei die Berufung nicht rechtzeitig begründet worden. Die Frist zur Berufungsbegründung habe am Montag, den 19. Dezember 2011 geendet. Bis zu dem Zeitpunkt habe dem Oberlandesgericht ein Verlängerungsantrag nicht vorgelegen.

Auch sei keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil der Kläger nicht glaubhaft gemacht habe, dass er die Fristen ohne Verschulden versäumt habe. Bei der Berufungseinlegung habe der Kläger nach Erkennen seines Irrtums mit der Absendung seines zweiten Telefaxes nicht bis zum Abend des 17. November zuwarten dürfen, weil er zu dem Zeitpunkt unter gewöhnlichen Umständen nicht mehr damit habe rechnen dürfen, dass das Schreiben so rechtzeitig an das Oberlandesgericht weitergeleitet werde, das es noch innerhalb der laufenden Berufungsfrist dort einginge. Hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist habe der Kläger sein fehlendes Verschulden nicht ausreichend glaubhaft gemacht, insbesondere auch nicht durch die eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten, sie habe den auf den 14. Dezember 2011 datierten und vom Prozessbevollmächtigten unterzeichneten "Berufungsfristverlängerungsantrag" am selben Tag eingetütet und frankiert in den regulären Postgang gegeben.

3. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Oberlandesgericht hat zu Unrecht dem Kläger die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist versagt und seine Berufung verworfen.

a) Die gegen das erstinstanzliche Urteil statthafte Berufung ist rechtzeitig durch die innerhalb der Berufungsfrist beim Oberlandesgericht eingegangene erste Rechtsmittelschrift eingelegt worden. In der Rechtsmittelschrift waren sowohl das erstinstanzliche Aktenzeichen als auch das Kurzrubrum korrekt angegeben, so dass kein Zweifel bestand, welcher Rechtssache es zuzuordnen war. Auch war das Rechtsmittel von demselben Rechtsanwalt eingelegt worden, der den Kläger bereits in der Vorinstanz vertreten hatte, so dass durch einen Abgleich der Rechtsmittelschrift mit der beim Oberlandesgericht zeitgleich eingegangenen Akte nicht zweifelhaft sein konnte, für welche Partei das Rechtsmittel eingelegt war (vgl. BGH Beschluss vom 12. Januar 2010 - VIII ZB 64/09 - juris). Zwar waren in der Rechtsmittelschrift die angefochtene Entscheidung und das statthafte Rechtsmittel falsch bezeichnet; außerdem war sie unrichtiger Weise beim erstinstanzlichen Gericht statt beim Rechtsmittelgericht eingereicht worden. Hieraus konnte jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass der Kläger sich gegen den antragsgemäß zu seinen Gunsten und ratenfrei ergangenen Prozesskostenhilfebeschluss vom 4. November 2011 wenden wollte. Die Falschbezeichnungen in der Rechtsmittelschrift waren evident, weil der Kläger durch die Entscheidung vom 4. November 2011 offensichtlich nicht beschwert war. Außerdem hat der Kläger zugleich beantragt, ihm "Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren" zu bewilligen. Auch daraus wurde ersichtlich, dass sich das Rechtsmittel gegen eine Hauptsacheentscheidung - insoweit kam nur das Urteil vom 11. Oktober 2011 in Betracht - richten sollte. Die falsche Bezeichnung der Entscheidungsform ("Beschluss" statt "Urteil") und die falsche Einlegung des Rechtsmittels beim erstinstanzlichen Gericht mögen - wie auch das Oberlandesgericht in Betracht zieht - dadurch zu erklären sein, dass vom 14 Klägervertreter übersehen wurde, dass hier noch ein Verfahren nach dem bis zum 31. August 2009 geltenden alten Verfahrensrecht vorliegt. Sie lassen daher ebenfalls keinen Schluss darauf zu, das Rechtsmittel habe sich nicht gegen die Hauptsacheentscheidung richten sollen. Tatsächlich hat auch das Oberlandesgericht das eingelegte Rechtsmittel von Beginn an als Berufung gegen die Hauptsacheentscheidung verstanden und es entsprechend behandelt. In der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts ist die Sache als Rechtsmittel gegen eine Hauptsacheentscheidung unter dem "UF"-Registerzeichen eingetragen worden und nicht - wie bei der Beschwerde gegen einen Prozesskostenhilfebeschluss - unter dem "WF"-Registerzeichen. Als angefochtene Entscheidung hat die Geschäftsstelle eingetragen: "gegen eine sonstige Entscheidung vom 11.10.11". Der Senatsvorsitzende des Oberlandesgerichts hat diese Angaben und die Aktenzeichenvergabe durch seine Eingangsverfügung vom 22. November 2011 bestätigt sowie als Gegenstand des Verfahrens die Rubrik "UF Berufung/Beschwerde Unterhalt f. d. Ehegatten / Lebenspartner" markiert und nicht die Rubrik "WF Sonstige Beschwerden VKH/PKH-Sache". Die damit verfügte Eintragung des Verfahrens als Rechtsmittel gegen die Hauptsacheentscheidung vom 11. Oktober 2011 spiegelt den - auch objektiv zutreffenden - Empfängerhorizont des Gerichts im Zeitpunkt des Eingangs der Sache wider, noch bevor erst am darauffolgenden Tag der "klarstellende" Schriftsatz beim Oberlandesgericht vorlag.

b) Gegen die versäumte Rechtsmittelbegründungsfrist hat das Oberlandesgericht zu Unrecht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Mittellosigkeit einer Partei einen Wiedereinsetzungsgrund i.S.v. § 233 ZPO dar, wenn sie die Ursache für die Fristversäumung ist. Das ist dann der Fall, wenn sich die Partei infolge der Mittellosigkeit außerstande sieht, einen Rechtsanwalt mit der Einlegung und Begründung ihres Rechtsmittels zu beauftragen (BGH Beschlüsse vom 16. November 16 2010 - VIII ZB 55/10 - NJW 2011, 230 Rn. 19 und vom 24. Juni 1999 - V ZB 19/99, NJW 1999, 3271 unter II 3 b cc). Im Regelfall wird vermutet, dass eine Partei bis zur Entscheidung über ihr Prozesskostenhilfegesuch so lange als schuldlos an der Fristwahrung gehindert anzusehen sei, wie sie nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit einer die Prozesskostenhilfe ablehnenden Entscheidung rechnen muss (BGH Beschluss vom 29. März 2012 - IV ZB 16/11 - NJW 2012, 2041 Rn. 16).

Legt eine mittellose Partei bereits mit dem Prozesskostenhilfeantrag Berufung ein, so ist ihr hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist - bei rechtzeitig nachgeholter Prozesshandlung - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn über den Prozesskostenhilfeantrag erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist entschieden wurde und sie die Berufung deshalb nicht rechtzeitig begründen konnte. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Berufungskläger sich für bedürftig halten durfte und aus seiner Sicht alles Erforderliche getan hatte, damit ohne Verzögerung über sein Prozesskostenhilfegesuch entschieden werden konnte (BGH Beschluss vom 8. Mai 2007 - VIII ZB 113/06 - WuM 2007, 396).

Im vorliegenden Fall ist die das Prozesskostenhilfegesuch ablehnende Entscheidung am 20. Dezember 2011 - somit nach Ablauf der Begründungsfrist - ergangen und dem Prozessbevollmächtigten am 27. Dezember 2011 zugestellt worden. Rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der Kläger den Wiedereinsetzungsantrag mit Schriftsatz vom 10. Januar 2012 gestellt und zugleich die versäumte Prozesshandlung der Rechtsmittelbegründung nachgeholt. 17 Auf die rechtzeitige Absendung des auf den 14. Dezember 2011 datierten Begründungsfristverlängerungsantrags kommt es danach nicht an.

Dose Weber-Monecke Klinkhammer Schilling Nedden-Boeger Vorinstanzen:

AG Bielefeld, Entscheidung vom 11.10.2011 - 34 F 869/09 -

OLG Hamm, Entscheidung vom 26.04.2012 - II-1 UF 295/11 - 19