VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.09.2003 - 5 S 1274/03
Fundstelle
openJur 2013, 12982
  • Rkr:

1. Anordnungen nach § 25a NatSchG (NatSchG BW) können auch in der Form einer Allgemeinverfügung erfolgen.

2. Die Übergangsvorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 NatSchG (NatSchG BW) befasst sich ausschließlich mit dem Verhältnis des gesetzlichen Biotopschutzes zur gemeindlichen Bauleitplanung.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 12. Mai  2003 - 3 K 970/03 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige, insbesondere den Anforderungen des § 146 Abs. 4 VwGO genügende, Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die - gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO formell ordnungsgemäß für sofort vollziehbar erklärte - Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 02.01.2003 wieder herzustellen. Darin hat die Antragsgegnerin den "Besuchern des Alten Flugplatzes" in der Nordweststadt - gestützt auf § 25a NatSchG - zum Schutz der dort vorhandenen besonders geschützten Biotope i. S. des § 24a Abs. 1 Nr. 3 NatSchG bestimmte Verhaltensregeln auferlegt: Der Alte Flugplatz darf nur über die als solche gekennzeichneten Eingänge betreten werden (Nr. 1); alle Besucher haben sich an die teilweise abgeschrankten und gekennzeichneten Hauptwege zu halten; es ist untersagt, diese zu verlassen (Nr. 2); Hunde sind an einer kurzen Leine zu führen (Nr. 3); es ist verboten, Abfälle jeglicher Art zu hinterlassen (Nr. 4); auch von den Hauptwegen aus sind Aktivitäten, die die Tierwelt mehr als unvermeidbar beeinträchtigen können (wie z. B. Drachen oder Modellflugzeuge fliegen lassen, technisch verstärkten Lärm erzeugen), zu unterlassen (Nr. 5).

Das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein maßgebliche Beschwerdevorbringen rechtfertigt es nicht, dem Aussetzungsbegehren der Antragstellerin zu entsprechen. Auch bei dessen Berücksichtigung dürfte der Widerspruch der Antragstellerin bei der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolglos bleiben (1.) und auch eine hiervon nicht gesteuerte Interessenabwägung führt zu einem Vorrang des öffentlichen Vollzugsinteresses gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin (2.).

1. Zunächst geht der Senat zugunsten der Antragstellerin von deren analog § 42 Abs. 2 VwGO zu fordernden Antragsbefugnis aus. Die Antragstellerin, die seit Jahren das im Eigentum des Landes Baden-Württemberg (bzw. teilweise der Landesstiftung Baden-Württemberg) stehende Gelände des Alten Flugplatzes im Stadtgebiet der Antragsgegnerin betritt, um dort ihren Hund frei laufen zu lassen, und dies auch künftig tun will, gehört zu den "Besuchern", für die die aufgestellten Verhaltensregeln zur Verhinderung einer Beeinträchtigung der dort vorhandenen besonders geschützten Biotope i. S. des § 24a Abs. 1 Nr. 3 NatSchG gelten sollen und die - vermittelt durch die Allgemeinverfügung - in den Fällen einer Zuwiderhandlung eine mit einer Geldbuße bewehrte Ordnungswidrigkeit i. S. des § 64 Abs. 1 Nr. 4a NatSchG begehen.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen dürften auch keine Bedenken dagegen bestehen, dass die Antragsgegnerin als Untere Naturschutzbehörde die auf § 25a NatSchG gestützte Regelung in der Form einer Allgemeinverfügung i. S. des § 35 Satz 2 1. Alt. LVwVfG getroffen hat. Danach ist eine (personale) Allgemeinverfügung ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet. Die angefochtene Verfügung stellt sich als eine solche Maßnahme dar, da sie den "Besuchern des Alten Flugplatzes" und damit einem bestimmten oder jedenfalls bestimmbaren Personenkreis in einem (eng) begrenzten räumlichen Bereich bestimmte Verhaltenspflichten auferlegt (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl., RdNr. 217 zu § 35). Die Anlassbezogenheit und die örtliche Begrenztheit der Anordnung rechtfertigen in Abgrenzung zur Rechtsnorm die gewählte Form der Allgemeinverfügung (vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.1997 - 8 S 2683/96 - VBlBW 1998, 25). Deren Unzulässigkeit kann auch nicht damit begründet werden, dass es sich bei dem Alten Flugplatz - unstreitig - nicht um eine infolge Widmung öffentliche Sache handele, § 35 Satz 2 3. Alt. LVwVfG aber eine Benutzungsregelung durch Allgemeinverfügung nur bei einer öffentlichen Sache zulasse. Dieses "Anwendungsfeld" einer sachbezogenen Allgemeinverfügung dürfte indes keine Sperrwirkung dahingehend auslösen, dass eine personenbezogene Allgemeinverfügung mit ihren (Verhaltens-)Geboten und Verboten den i. S. des § 35 Satz 2 1. Alt. LVwVfG bestimmbaren Personenkreis dadurch kennzeichnet, dass er sich auf bestimmten im Privateigentum eines Dritten stehenden, nicht öffentlichen Flächen aufhält, die auf Grund ihrer naturräumlichen Gegebenheiten dem  Schutzregime des § 24a NatSchG über besonders geschützte Biotope unterliegen. Im Übrigen scheint nach dem Wortlaut des § 35 Satz 2 LVwVfG nicht ausgeschlossen zu sein, dass durch eine Allgemeinverfügung i.S. der 3. Alt. auch die Benutzung von Sachen geregelt wird, für die das öffentliche Sachenrecht mangels Widmung nicht gilt (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., RdNr. 249 zu § 35).

Eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Allgemeinverfügung lässt sich ferner wohl nicht aus der Übergangsvorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 NatSchG herleiten. Danach gilt § 24a NatSchG (ferner) nicht für Flächen, die in einem vor dem 01.01.1987 genehmigten Flächennutzungsplan als Bauflächen dargestellt sind. Die Antragstellerin meint, dass nach dieser Vorschrift der gesetzliche Biotopschutz des § 24a NatSchG als Grundlage der umstrittenen Allgemeinverfügung schon deshalb nicht in Betracht komme, weil im Flächennutzungsplan des Nachbarschaftsverbands Karlsruhe aus dem Jahre 1984 der Bereich des Alten Flugplatzes als Sondergebiet (SO) "Flugplatz" dargestellt sei. Dem vermag der Senat bei vorläufiger Beurteilung nicht zu folgen. Selbst wenn der Wortlaut der Vorschrift ein solches Verständnis noch zulassen sollte, so sprechen jedenfalls deren systematische Stellung als Übergangsregelung, vor allem aber Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte der Norm für eine nur eingeschränkte Anwendbarkeit. § 67 Abs. 2 Satz 2 NatSchG befasst sich ausschließlich mit dem Verhältnis des gesetzlichen Biotopschutzes zur gemeindlichen Bauleitplanung. Mit der Einfügung dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber den Forderungen kommunaler Spitzenverbände Rechnung getragen, (auch) eine am 01.01.1987 -  dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom 10.12.1986 (BGBl. I S. 2349) als der rahmenrechtlichen Grundlage des Biotopschutzgesetzes - wirksam abgeschlossene Flächennutzungsplanung bei der Umsetzung des Biotopschutzes zu berücksichtigen (vgl. LT-Drucks. 10/5994 S. 38 ff und S. 75 ff). "Adressat" der allein die gemeindliche Planungshoheit schützenden Übergangsvorschrift sind also nur die Kommunen. Sie sollen bei der "Umsetzung" eines wirksamen Flächennutzungsplans nach Maßgabe des Entwicklungsgebots von der Beachtung der Biotopschutzbestimmungen des § 24a NatSchG freigestellt sein. Auf dieses aus Gründen des planerischen Vertrauensschutzes (nur) den Kommunen eingeräumte Privileg  können sich Dritte (Bürger) nicht dergestalt berufen, dass auch ihnen gegenüber die Biotopschutzregelung des § 24a NatSchG nicht zur Anwendung kommt, obwohl auf Grund der naturräumlichen Gegebenheiten ein besonders geschützter Biotop i. S. des § 24a Abs. 1 NatSchG i.V.m. der Anlage hierzu vorhanden ist.

Dass in naturschutzfachlicher Hinsicht auf dem Gelände des Alten Flugplatzes die Voraussetzungen insbesondere des § 24a Abs. 1 Nr. 3 NatSchG i.V.m. Nr. 3. 4 (Trockenrasen/Sandrasen) und Nr. 3.5 (Magerrasen) der Anlage vorliegen dürften, hat das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die in den Akten befindliche Biotopkartierung aus dem Jahre 1993 zutreffend angenommen. Hiermit setzt sich das Beschwerdevorbringen nicht (substantiiert) auseinander; vielmehr meint die Antragstellerin nur pauschal, dass trotz dieser Unterlagen das Vorliegen besonders geschützter Biotope nach wie vor zweifelhaft sei.

2. Selbst wenn man bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage davon ausgehen wollte, dass die Erfolgsaussichten des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Allgemeinverfügung vom 02.01.2003 offen seien, führte eine reine Interessenabwägung ebenfalls zur Bestätigung des angeordneten Sofortvollzugs. Das Interesse der Antragstellerin geht allein dahin, die bisher gegebene Möglichkeit beizubehalten, "die Hunde frei laufen zu lassen, um damit einen sozialen Kontakt zwischen den Hunden herzustellen (und auch zwischen den Menschen)". Da das umzäunte Gelände des Alten Flugplatzes aber - unstreitig - im Privateigentum des Landes Baden-Württemberg (bzw. teilweise der Landesstiftung Baden-Württemberg) steht, ohne dass es durch Widmung zu einer öffentlichen Sache oder etwa durch eine bebauungsplanmäßige Festsetzung als öffentliche Grünfläche i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB einer Benutzung durch die Allgemeinheit zugänglich gemacht worden wäre, beruht die Berechtigung der Antragstellerin zum Betreten des Geländes des Alten Flugplatzes mit ihrem Hund - wie sie es selbst zutreffend sieht - lediglich auf einer privatrechtlichen "Duldung" des Grundeigentümers. Das rechtlich schützenswerte Interesse der Antragstellerin an einer vorläufigen Aufrechterhaltung der bisherigen "Benutzungssituation" ist im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung also nur gering zu veranschlagen. Demgegenüber drohten für diesen Fall den besonders geschützten Biotopen im Bereich des Alten Flugplatzes erhebliche/nachhaltige Beeinträchtigungen i. S. des § 24a Abs. 2 NatSchG. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang insbesondere zu Recht darauf hingewiesen, dass die vorhandenen besonders geschützten Biotope auch Lebensraum für bodenbrütende Vögel sind, die durch freilaufende Hunde gefährdet würden. Soweit die Antragstellerin - zudem nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist - geltend macht, dass § 24a NatSchG nicht das "tierische Inventar" schütze, verkennt sie, dass die besonders geschützten Biotope gerade auch wegen ihrer Habitatfunktion für die (Avi-)Fauna einem gesetzlichen Schutzregime unterstellt sind (vgl. auch Senatsurt. v. 27.02.1995 - 5 S 1281/94 - NuR 1995, 462 = VBlBW 1995, 365).

Vor diesem Hintergrund kann die Antragstellerin für die Interessenabwägung zu ihren Gunsten auch nicht geltend machen, dass andere in Betracht kommende Hundeauslaufflächen im Stadtgebiet der Antragsgegnerin ungeeignet oder nur eingeschränkt nutzbar seien.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 14 Abs. 1, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.