BFH, Beschluss vom 08.08.2011 - XI B 39/11
Fundstelle
openJur 2013, 17969
  • Rkr:
Tatbestand

I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine AG mit Sitz im Inland, vertrieb in den Jahren 2001 bis 2005 (Streitjahre) im deutschsprachigen Raum Fondsanteile der US-amerikanischen Fondsgesellschaften A und B. Sie war dazu von ihrer Schwestergesellschaft, der ... mit Sitz in Liechtenstein, beauftragt worden, die Inhaberin der Alleinvertriebsrechte dieser Fondsgesellschaften war.

Die Antragstellerin sah in ihrer Tätigkeit umsatzsteuerfreie Vermittlungen von Fondsanteilen i.S. von § 4 Nr. 8 Buchst. e oder f des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Diese Leistungen seien nicht steuerbar, weil sie gemäß § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 3a Abs. 3 UStG dort erbracht worden seien, wo die ... als Leistungsempfängerin ihren Sitz habe (Liechtenstein).

Nach Auffassung des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) stellte dagegen die ausgeübte Tätigkeit der Klägerin --mit Ausnahme von einvernehmlich abgegrenzten Eigenvermittlungen-- keine Vermittlungstätigkeit i.S. des § 4 Nr. 8 Buchst. e oder f UStG dar. Vielmehr lägen anderweitige sonstige Leistungen vor, die teilweise nicht steuerbar und teilweise steuerpflichtig seien. Das FA setzte die Umsatzsteuer für 2001 bis 2005 durch Bescheide vom 6. April 2009 entsprechend fest.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Antragstellerin wegen Umsatzsteuer 2005 mit Urteil vom 24. März 2011 abgewiesen (Az. 6 K 2456/09, juris) und die Revision zugelassen (Az. des Bundesfinanzhofs --BFH-- XI R 13/11).

Es hat ferner den bei ihm gestellten Antrag der Antragstellerin, die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide für 2001 bis 2005 auszusetzen, durch den angefochtenen Beschluss (ebenfalls) vom 24. März 2011 als unbegründet abgelehnt und die Beschwerde gemäß § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassen.

Die Antragstellerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide für 2001 bis 2005 vom 6. April 2009 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Revision XI R 13/11 ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

Gründe

II. Die gemäß § 128 Abs. 3 FGO zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Sie führt zur Aussetzung der Vollziehung (AdV) der angefochtenen Bescheide gegen Sicherheitsleistung.

1. Es bestehen ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO an der Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerbescheide für 2001 bis 2005 vom 6. April 2009. Denn bei der gebotenen summarischen Prüfung treten neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung der zugrunde liegenden Rechtsfragen bewirken (vgl. die ständige Rechtsprechung des BFH seit dem Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182).

Eine überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels ist zur AdV nicht erforderlich (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 26. Mai 2010 V B 80/09, BFH/NV 2010, 2079; vom 12. April 2011 XI B 27/11, BFH/NV 2011, 1374, unter II.1.).

2. Diese Zweifel ergeben sich aus dem zwischen den Beteiligten ergangenen Urteil des FG wegen Umsatzsteuer 2005 (Az. 6 K 2456/09, juris).

a) Das FG hat die Revision gegen dieses Urteil "gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO" zugelassen und zur Begründung u.a. ausgeführt, es sei der Rechtsprechung des BFH gefolgt, erachte es --auch vor dem Hintergrund der immensen wirtschaftlichen Folgen nicht nur im Streitfall-- aber für angezeigt, dass der BFH seine Rechtsprechung weiter präzisiere. Insbesondere weiter klärungsbedürftig sei die Frage, wo die Grenze zwischen bloßer Sacharbeit und Vermittlungstätigkeit verlaufe. Darauf werde auch in der Literatur hingewiesen.

Unabhängig davon sehe der Senat auch Klärungsbedarf in der Frage, in welchem Umfang die Ausführungen des BFH im Urteil vom 9. Juli 1998 V R 62/97 (BFHE 187, 56, BStBl II 1999, 253) in dem hier interessierenden Zusammenhang weiterhin gültig seien. Der BFH habe sich im Urteil vom 30. Oktober 2008 V R 44/07 (BFHE 223, 507, BStBl II 2009, 554) mit dieser Frage nicht beschäftigt.

b) Angesichts dieses vom FG selbst dargelegten --und nicht von der Hand zu weisenden-- Klärungsbedarfs besteht Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung der den angefochtenen Bescheiden zugrunde liegenden Rechtsfragen (vgl. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 1374, unter II.2.b).

Darüber ist nicht im summarischen Verfahren auf AdV eines Verwaltungsaktes zu entscheiden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30. Oktober 2007 V B 170/07, BFH/NV 2008, 627; in BFH/NV 2011, 1374, unter II.2.a).

3. Allerdings war die somit zu gewährende AdV --wie vom FA in der Beschwerdeerwiderung hilfsweise geltend gemacht-- von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.

a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FGO kann auch die finanzgerichtliche AdV von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Durch die Verknüpfung mit einer Sicherheitsleistung sollen Steuerausfälle bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden. Eine diesbezügliche Gefahr kann insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen bestehen. Andererseits entfällt das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Steuerausfällen, wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 26. Mai 1988 V B 26/86, BFH/NV 1989, 403, unter 1.b aa; vom 24. Oktober 2000 V B 144/00, BFH/NV 2001, 493; vom 29. November 2004 V B 78/04, BFHE 208, 93, BStBl II 2005, 535, und vom 25. November 2005 V B 75/05, BFHE 212, 176, BStBl II 2006, 484, unter II.4.a).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt es im Rahmen sachgerechter Ausübung des richterlichen Ermessens, die der Antragstellerin zugebilligte AdV mit der Anordnung einer Sicherheitsleistung in Höhe des Umfangs der Aussetzung zu verknüpfen.

Eine Gefährdung der umstrittenen Umsatzsteueransprüche ergibt sich aus den dazu --auch im Beschwerdeverfahren-- unwidersprochen gebliebenen Darlegungen des FA im Schriftsatz vom 20. Mai 2010 vor dem FG und aus dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin, wonach die Vollziehung zu einer Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz führen würde (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 3. Februar 1993 I B 90/92, BFHE 170, 197, BStBl II 1993, 426, 430; in BFHE 212, 176, BStBl II 2006, 484, unter II.4.b; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rz 388).

Davon, dass mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für die Antragstellerin günstiger Prozessausgang zu erwarten ist, kann nicht ausgegangen werden.

Die Antragstellerin hat auch nicht substantiiert dargelegt, dass sie ohne Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz nicht in der Lage wäre, Sicherheit zu leisten (vgl. dazu Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 Rz 157).