OVG des Saarlandes, Beschluss vom 16.11.2007 - 3 B 447/07
Fundstelle
openJur 2010, 2184
  • Rkr:

a) Die öffentliche Ordnung kann auch durch die Art und Weise der Kundgebung einer Meinung verletzt werden, etwa durch agressives, die Grundlagen des verträglichen Zusammenlebens der Bürger beeinträchtigendes, insbesondere andere Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungs-teilnehmer.

b) Ein solcher Sachverhalt ist gegeben, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert oder provoziert.

c) Der Umstand, dass bei einer Demonstration Fackeln mitgeführt werden, ist für sich allein nicht schon geeignet, das Gesamtgepräge einer Demonstration in diesem Sinne zu bestimmen.

d) Die Gefahr, dass sich ein solches Gepräge aus dem Zusammenwirken des Fackeltragens mit anderen Elementen der Demonstration ergibt, lässt sich - wenn das Mitführen von Fackeln für die als Fackelzug angemeldete Demonstration als "konstitutiv" angesehen wird - dadurch begegnen, dass die sonstigen Hilfsmittel beziehungsweise Elemente der Demonstration betreffende Auflagen als milderes Mittel gegenüber dem Totalverbot verfügt werden (hier: Verbot der Verwendung von Trommeln, Verbot der Fortbewegung in Marschordnung, Verbot von Uniformen, Uniformteilen oder ähnlicher Kleidung, Beschränkungen hinsichtlich der mitgeführten Fahnen).

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 15. November 2007 – 1 L 1963/07 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die vom Verwaltungsgericht verfügten Auflagen um folgende weitere Auflagen ergänzt werden:

a) Die Benutzung von Trommeln und Fahnen mit Ausnahme der Bundesflagge, der Fahnen der deutschen Bundesländer und der Europaflagge wird untersagt,

b) die Benutzung von Transparenten und Stellschildern mit strafbarem Inhalt wird untersagt,

c) das Tragen von Uniformen, Uniformteilen oder gleichartigen Kleidungsstücken als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung wird untersagt,

d) die Fortbewegung in Marschordnung wird untersagt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss vom 15.11.2007, mit dem das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs des Antragstellers gegen das von dem Antragsgegner unter dem 13.11.2007 verfügte Demonstrationsverbot unter Auflagen wieder hergestellt hat, bleibt nach Maßgabe des Entscheidungstenors erfolglos.

Der Antragsgegner sieht in dem von dem Antragsteller für den 17.11.2007 angemeldeten Fackelzug, bei dem als Hilfsmittel auch Fahnen, Transparente und Stellschilder mitgeführt werden sollen, eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung, weil er an die Fackelzüge des „Dritten Reiches“ erinnere, die Assoziation einer Verherrlichung des Nationalsozialismus hervorrufeund von ihm von daher eine erhebliche Provokationswirkung ausgehe, die geeignet sei, das friedliche Zusammenleben der Bürger konkret zu beeinträchtigen. Er sieht sich außer Stande, diese Gefährdung durch eine Auflage, in dem Zug keine Fackeln mitzuführen, auszuräumen, weil der angemeldete Fackelzug ohne Fackeln kein „Minus“, sondern ein „Aliud“ darstellte und andere Möglichkeiten, die dem Fackelzug die Assoziation einer Verherrlichung des Nationalsozialismus nehmen könnten, nicht ersichtlich seien. Dieses Vorbringen führt nicht zum Erfolg der Beschwerde in dem Sinne, dass es in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung bei der sofortigen Vollziehbarkeit der Untersagungsverfügung vom 13.11.2007 zu verbleiben hätte.

Dem Antragsgegner ist freilich im Ansatz darin beizupflichten, dass die öffentliche Ordnung auch durch die Art und Weise der Kundgebung einer Meinung verletzt werden kann, etwa durch aggressives, die Grundlagen des verträglichen Zusammenlebens der Bürger beeinträchtigendes, insbesondere andere Bürger einschüchterndes Auftreten der Versammlungsteilnehmer, und es den insoweit beachtlichen sozialen und ethischen Anschauungen über die Grundvoraussetzungen eines geordnetenmenschlichen Zusammenlebens zuwiderläuft, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert oder provoziert

vgl. BVerfG, Beschluss vom 5.9.2003 – 1 BvQ 32/03 – zitiert nach Juris, Rdnr. 24.

Maßgeblich ist freilich für die insoweit vorzunehmende Beurteilung das Gesamtgepräge einer solchen Demonstration. In diesem Zusammenhang ist das Mitführen von Fackeln sicherlich ein Element, das bei der gebotenen Gesamtschau zu berücksichtigen ist. Auf der anderen Seite ist allein der Umstand, dass bei einer Demonstration Fackeln mitgeführt werden, für sich gesehen nicht schon geeignet, das Gepräge einer Demonstration abschließend in dem Sinne zu bestimmen, dass es die Identifikation mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hervorruft und die vor beschriebenen Wirkungen entfaltet. Wie der Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren dargelegt und worauf auch das Verwaltungsgericht zutreffendabgestellt hat, finden Fackelzüge aus den unterschiedlichsten Anlässen – dokumentiert durch „Screen-Shots“ entsprechender Internetseiten sind hier zum Beispiel der Fackelzug einer SPD-Jugendorganisation aus Anlass des 1. Mai, ein Fackelzug aus Anlass einer Demonstration gegen Tierversuche und auch ein Fackelzug von Harry Potter Fans – statt, ohne dass jemand auf die Idee käme, allein aufgrund der Verwendung von Fackeln Bezüge zu den nationalsozialistischen Aufzügen herzustellen. Rechtfertigt es danach das Mitführen von Fackeln für sich gesehen nicht, eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch die geplante Demonstration des Antragstellers anzunehmen, so bleibt allerdings zu berücksichtigen, dass eine solche Gefahr sich aus dem Zusammenwirken des Fackeltragens mit anderen Elementen der Demonstration ergeben könnte, zumal der Antragsteller angekündigt hat, als Hilfsmittel sollten außerdem Fahnen, Transparente und Stellschilder Verwendung finden. Dem lässt sich jedoch entgegenwirken, indem – wenn wovon hier der Antragsgegner mit Recht ausgegangen ist das Mitführen von Fackeln für die Art der Demonstration als konstitutiv angesehen wird - die sonstigen Hilfsmittel beziehungsweise Elemente der Demonstration betreffende Auflagen als milderes Mittel gegenüber dem Totalverbot verfügt werden.

Auch der weitere Einwand des Antragsgegners, die Stadt Saarlouis als Eigentümerin der Fläche vor dem Holtzendorffer Denkmal im <noindex>Ludwigsglacis</noindex> sehe die vom Verwaltungsgericht in seiner Auflage Nr. 2 verfügte Durchführung der Abschlusskundgebung mit Kranzniederlegung an dieser Stelle als rechtswidrigen Angriff auf ihr Eigentum an, bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass es sich bei der betreffenden Fläche um eine öffentliche Fläche handele. Diese Annahme wird durch den Umstand, dass die Stadt Saarlouis Eigentümerin der betreffenden Fläche ist, nicht ernsthaft in Frage gestellt, da das Eigentum durch eine öffentliche Zweckbestimmung der Fläche überlagert sein kann. Immerhin steht auf dieser Fläche ein öffentlich zugängliches Denkmal. Im Übrigen gestattet die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die sich ausdrücklich auf eine öffentliche Fläche bezieht, keinen Zugriff auf fremdes Privateigentum, das nicht einer öffentlichen Zweckbestimmung unterliegt.

Die Beschwerde ist daher nach Maßgabe des Entscheidungstenors zurückzuweisen, wobei der Senat die ergänzend verfügten Auflagen für geboten und ausreichend hält, um der Demonstration trotz der Verwendung von Fackeln das Gesamtgepräge einer sich mit Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifizierenden Veranstaltung zu nehmen.

Die Kostentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, wobei in den verfügten Auflagen kein wesentliches Unterliegen des Antragstellers zu sehen ist, da der Antragsgegner die Möglichkeit gehabt hätte, die von ihm angenommene Gefährdung der öffentlichen Ordnung statt mittels eines Totalverbotes ebenfalls mittels entsprechenden Auflagen auszuräumen.

Im Hinblick auf das Obsiegen des Antragstellers bedarf es keiner Entscheidung mehr über den von ihm gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.