OVG des Saarlandes, Beschluss vom 07.11.2007 - 1 B 353/07
Fundstelle
openJur 2010, 2176
  • Rkr:

Eine Eilentscheidungszuständigkeit des Bürgermeisters (anstelle des an sich zuständigen Gemeinderates) kommt nur in ganz dringenden Fällen in Betracht (hier im Fall der Entlassung einer Probebeamtin wegen Nichtbewährung verneint).

Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 4. Juli 2007 - 2 L 490/07 - wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entlassungsverfügung der Antragsgegnerin vom 30. Januar 2007 wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren und unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 4. Juli 2007 auch für das erstinstanzliche Verfahren auf 9.271,11 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes, mit der sie nach § 80 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 VwGO die ihr erstinstanzlich versagte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 6.2.2007 gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entlassungsverfügung weiterverfolgt, ist begründet.

Dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist regelmäßig zu entsprechen, wenn nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren möglichen (summarischen) Prüfung der eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich erfolgreich sein wird, weil gegen dessen Zulässigkeit keine Bedenken bestehen und der in Rede stehende Verwaltungsakt sich als rechtswidrig erweist. So liegt der Fall.

Dabei ist vorab klarzustellen, dass der von der Antragstellerin erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebrachte Einwand der sachlichen Unzuständigkeit der Antragsgegnerin für die streitgegenständliche Entlassungsverfügung zu berücksichtigen ist, ohne dass es darauf ankommt, ob die erstinstanzliche Nichtberücksichtigung dieses Verfahrensfehlers (auch) auf ein Verschulden der Antragstellerin - nämlich die unterbliebene Geltendmachung dieses Einwands vor dem Verwaltungsgericht - zurückzuführen ist

in diesem Sinne u.a. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. (2007), § 146 Rn 42; gegen die Berücksichtigung erstinstanzlich möglicher, aber erst im Beschwerdeverfahren vorgebrachter Einwände etwa OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 13.4.2007 - 7 ME 37/07 -, NVwZ-RR 2007, 521, und vom 18.6.2007 - 5 ME 117/07 -, IÖD 2007, 194.

Die Entlassungsverfügung vom 30.1.2007 ist rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für eine Anordnungsbefugnis der Antragsgegnerin - die diese bereits am 2.1.2007 getroffen hatte - nach § 61 Abs. 1 Satz 1 KSVG jedenfalls zum Zeitpunkt der am 30.1.2007 erlassenen Verfügung nicht vorlagen.

Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 KSVG ist die Antragsgegnerin (grundsätzlich) berechtigt, „dringende Maßnahmen, die aus Gründen des Gemeinwohls keinen Aufschub dulden, auch ohne Beschluss des Gemeinderates anzuordnen“. Dringlichkeit bedeutet Eilbedürftigkeit oder Unaufschiebbarkeit, wobei zu erwägen ist, ob nicht die Einberufung des Rates (oder des zuständigen Ausschusses) mit verkürzter Einberufungsfrist (§ 41 Abs. 3 Satz 4 KSVG) oder die Ergänzung der Tagesordnung einer bereits terminierten Ratssitzung (§ 41 Abs. 5 KSVG) in Frage kommt. Demnach kommt eine Eilentscheidung nur in ganz dringenden Fällen, in denen eine Entscheidung binnen weniger Stunden getroffen werden muss, in Betracht

so u.a. Lehné/Weirich, Saarländisches Kommunalrecht - Stand: Januar 2007 -, § 61 KSVG Anm. 1; in diesem Sinne auch Gern, Deutsches Kommunalrecht, 3. Aufl. (2003), Rn 376, 377 (S. 248 f.); vgl. auch Wohlfarth, Kommunalrecht für das Saarland, 3. Aufl. (2003), Rn 180 (S. 161), wo es zutreffend heißt: „Gedacht ist die Anordnungsbefugnis des Bürgermeisters als Notfall- und Katastrophenregelung. Sie greift nur singulär, nie aus politischen Gründen oder zur Vermeidung der Einberufung einer Rats-/ Ausschusssitzung mit verkürzter Einberufungsfrist (§ 41 Abs. 3 Satz 4 KSVG).“

Von dieser gesetzlichen Vorgabe ausgehend ist nicht nachvollziehbar, wieso die Antragsgegnerin bereits am 2.1.2007 einer „Anordnung gemäß § 61 KSVG“ zugestimmt hat

vgl. Bl. 112 der Verwaltungsakte 11 F (betreffend das Schreiben der Verwaltung vom 29.12.2006), worin es (u.a.) heißt: „Da die Entscheidungalsbaldnach Feststellung der Nichtbewährung zu treffen ist, kann der erforderliche Stadtratsbeschluss nicht abgewartet werden“; auf dem Schreiben der Verwaltung vom 29.12.2006 hat die Antragsgegnerin unter dem Datum vom 2.1.2007 ihr „o.K.“ vermerkt.

Zu diesem Zeitpunkt war zwar noch nicht absehbar, ob die Frauenbeauftragte ihren Widerspruch vom 24.12.2006 (§ 24 Abs. 2 LGG) gegen die beabsichtigte Entlassung der Antragstellerin aufrechterhalten werde. Gleichermaßen war völlig offen, wie sich der Personalrat zu der in Rede stehenden Personalmaßnahme verhalten werde. Das war aber zunächst abzuwarten.

Auch unter der Prämisse, dass die Antragstellerin „alsbald“ wegen Nichtbewährung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe zu entlassen war, um ihr Klarheit über ihren künftigen Berufsweg zu verschaffen

vgl. u.a. BVerwG, Beschluss vom 10.10.1985 - 2 CB 25/84 -, Buchholz 237.5 § 42 LBG Hessen Nr. 4, sowie Urteil vom 25.2.1993 - 2 C 27/90 -, BVerwGE 92, 147 = NJW 1993, 2546 = ZBR 1993, 243 = DÖD 1993, 283,

ist nicht zu verstehen, warum nicht der Stadtrat als zuständiges Entscheidungsgremium hierüber fristgerecht eine Entscheidung hätte treffen können. Die zum 31.3.2007 vorgesehene und durch Eilentscheidung der Antragsgegnerin gemäß Verfügung vom 30.1.2007 vollzogene Entlassung der Antragstellerin aus dem Beamtenverhältnis auf Probe hätte ohne weiteres in der bereits terminierten Stadtratssitzung vom 7.2.2007 einer Beschlussfassung zugeführt werden können. Nachdem der Personalrat bereits am 11.1.2007 der beabsichtigten Entlassung zugestimmt und die Frauenbeauftragte ihren Widerspruch vom 24.10.2006 per Fax vom 16.1.2007 zurückgenommen hatte, stand spätestens seit diesem Tag ausreichend Zeit zur Verfügung, um den Stadtrat als zuständiges Gremium mit der Angelegenheit zu befassen.

Da nach alldem (auch) zum Zeitpunkt der am 30.1.2007 getroffenen Entlassungsverfügung die Voraussetzungen für ein Eilentscheidungsrecht der Antragsgegnerin nicht vorgelegen haben

vgl. zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der tatsächlichen Entscheidung u.a. OVG Koblenz, Urteil vom 13.4.2006 - 1 A 11596/05 -, dokumentiert bei juris,

ist die in Rede stehende Verwaltungsentscheidung rechtswidrig. Dies gebietet die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des von der Antragstellerin eingelegten Rechtsbehelfs.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1, 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 Ziffer 2, 47 Abs. 1 GKG. Dieser Wertfestsetzung liegt das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 10 in der ab 1.8.2004 maßgeblichen Höhe (2.852,65 EUR) zugrunde.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.