OLG Nürnberg, Beschluss vom 22.11.2012 - 2 Ws 460 - 461/12
Fundstelle
openJur 2012, 131329
  • Rkr:
Tenor

I. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen die Ziffer 2. des Beschlusses der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 3.7.2012, soweit diese darin auch die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe von einem Jahr sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 31.7.2007 (Az.: 53 Ls 351 Js 14793/07) zur Bewährung ausgesetzt hat, wird als unbegründet verworfen.

II. Die Kosten der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft und die dem Verurteilten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I.

Der Verurteilte wurde mit Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 31.7.2007 (Az.: 53 Ls 351 Js 14793/07) wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 337 Fällen, davon in 30 Fällen jeweils mit unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung dieser Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25.11.2008 (Az.: 13 KLs 204 Js 8501/08) wurde der Verurteilte wegen Diebstahls mit Waffen und versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.

Aufgrund der Verurteilung durch das Landgericht Nürnberg-Fürth vom 25.11.2008 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth mit Beschluss vom 28.4.2009 die vom Amtsgericht Nürnberg im Verfahren 53 Ls 351 Js 14793/07 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen.

Der Verurteilte befand sich im Verfahren 204 Js 8501/08 vom 7.3.2008 bis 25.11.2008 in Untersuchungshaft. Ab dem 26.11.2008 bis zu seiner Entlassung am 4.7.2012 war er dann in einer Entziehungsanstalt untergebracht.

Mit Bericht vom 30.3.2012 hat das Bezirksklinikum R. angeregt, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zur Bewährung auszusetzen. Dieser Anregung folgend hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mit Verfügung vom 13.4.2012 beantragt, die mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25.11.2008 angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und die Vollstreckung des Restes der mit diesem Urteil ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten zur Bewährung auszusetzen.

Die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing hat, nach Erholung eines psychiatrischen Gutachtens, das der Sachverständige Dr. S. am 24.5.2012 erstellt hatte und nach Anhörung des Verurteilten am 25.6.2012, mit Beschluss vom 3.7.2012 die mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25.11.2008 angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, die Vollstreckung des Restes der mit diesem Urteil ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten und die Vollstreckung des Restes der mit Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 31.7.2007 ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr sechs Monaten zur Bewährung ausgesetzt. Die Strafkammer hat dabei einen Härtefall im Sinne des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 27.3.2012, 2 BvR 2258/09 (NJW 2012, 1784) bejaht, die Zeit der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht nur auf die Strafe aus dem der Maßregel zugrunde liegenden Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25.11.2008, sondern auch auf die „verfahrensfremde“ Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 31.7.2007 angerechnet und demzufolge auch die Vollstreckung des Restes dieser Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.

Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 4.7.2012, eingegangen bei der Strafvollstreckungskammer am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt, soweit die Strafvollstreckungskammer im Beschluss vom 3.7.2012 auch die Vollstreckung des Restes der mit Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 31.7.2007 ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr sechs Monaten zur Bewährung ausgesetzt hat und diese sofortige Beschwerde mit Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg vom 7.8.2012 begründet. Die Staatsanwaltschaft sieht vorliegend keinen Härtefall im Sinne des genannten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts, weswegen eine Anrechnung der Unterbringung im Maßregelvollzug auf die verfahrensfremde Strafe nur im Gnadenwege erfolgen könne.

Hinsichtlich des weiteren Verfahrensganges wird auf die Ziffer I. des angefochtenen Beschlusses der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 3.7.2012 im Übrigen insgesamt auf die genannten Entscheidungen und Schreiben vollumfänglich Bezug genommen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ist zulässig (§§ 454 Abs. 3 S. 1, 306, 311 StPO); sie bleibt jedoch ohne Erfolg.

Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft hat die Strafvollstreckungskammer vorliegend zu Recht einen Härtefall im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bejaht.

Ein solcher Härtefall, der zu einer Anrechnung der Dauer des Maßregelvollzugs auch auf verfahrensfremde Strafen führt, ist nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.3.2012 jedenfalls dann anzunehmen, wenn der insgesamt erfolgte Freiheitsentzug (Haft und Unterbringung) den Zweidrittelzeitpunkt aller verhängten Freiheitsstrafen erreicht, somit dem Strafanspruch des Staates bezogen auf eine schuldangemessene Sanktion Genüge getan wäre und der eingetretene Erfolg der Behandlung im Maßregelvollzug durch eine anschließende Vollstreckung der noch nicht erledigten weiteren Strafe gefährdet werden würde.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es, bei der Abwägung zwischen dem sich aus Art. 2 GG ergebenden Recht des Einzelnen auf Freiheit der Person und dem staatlichen Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten durch diese Person, die Einschränkung des persönlichen Grundrechts auf das unbedingt erforderliche zu beschränken. Nachdem der Maßregelvollzug nicht Teil der schuldangemessenen Strafe ist, sondern dem Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Personen dient, wird dem Betroffenen durch die Unterbringung insoweit ein zusätzliches Sonderopfer abverlangt. Ziel sowohl des Vollzugs von Freiheitsstrafen wie des Maßregelvollzugs ist aber immer die Resozialisierung des Betroffenen. Da § 67 Abs. 4 StGB in der geltenden Fassung die Anrechnung der Dauer des Maßregelvollzugs auch auf verfahrensfremde Strafen nicht vorsieht, stellt es ohne entsprechenden Ausgleich einen nicht hinnehmbaren Härtefall dar, wenn, nach einem erfolgreichen Abschluss der Behandlung im Maßregelvollzug, die weitere Vollstreckung der der Verurteilung zugrundeliegenden Freiheitsstrafe und der Vollzug der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt werden, der Betroffene aufgrund einer weiteren Freiheitsstrafe aber erneut in Strafhaft müsste und hierdurch möglicherweise der „Resozialisierungserfolg“ zunichte gemacht würde.

Auf die Art der freiheitsentziehenden Maßregel kommt es dabei nicht an, weswegen das Vorliegen eines Härtefalls grundsätzlich, entgegen der Ansicht des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz im JMS vom 16.5.2012 (Gz.: RVIII-7899/10), auch bei einer Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB zu prüfen ist. Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus der Ziffer 1 des Tenors der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.3.2012, wonach § 67 Absatz 4 StGB, dessen Anwendung nicht auf die Unterbringung nach § 63 StGB beschränkt ist, insgesamt mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes insoweit unvereinbar ist, als er es ausnahmslos ausschließt, die Zeit des Vollzugs einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung auf Freiheitsstrafen aus einem anderen Urteil als demjenigen, in welchem diese Maßregel angeordnet worden ist, oder das bezüglich des die Maßregel anordnenden Urteils gesamtstrafenfähig ist ("verfahrensfremde Freiheitsstrafen"), anzurechnen. Gleiches folgt auch aus dem amtlichen Leitsatz dieser Entscheidung, der in Ziffer 1. ohne Unterscheidung zwischen einer Unterbringung nach § 63 StGB bzw. § 64 StGB auf „freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung“ insgesamt verweist (BVerfG a.a.O.).

Gegen den Verurteilten sind vorliegend neben der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Freiheitsstrafen von einem Jahr sechs Monaten und drei Jahren sechs Monaten verhängt worden. Zwei Drittel beider Freiheitsstrafen betragen dabei drei Jahre und vier Monate (ein Jahr und zwei Jahre vier Monate). Vor der Unterbringung befand sich der Verurteilte vom 7.3.2008 bis 25.11.2008 in Untersuchungshaft (acht Monate 24 Tage). Untergebracht war er insgesamt drei Jahre sieben Monate und zwölf Tage. Zusammen mit der vorab verbüßten Untersuchungshaft hat der „Freiheitsentzug“ des Verurteilten damit vier Jahre vier Monate und sechs Tage betragen. Der schuldangemessene Strafanspruch des Staates beim Verurteilten als Erstverbüßer wäre bei einer Vollstreckung bis zum gemeinsamen Zweidrittelzeitpunkt, vorliegend nach drei Jahren und vier Monaten, als erfüllt anzusehen. Der Verurteilte hat sich damit mehr als ein Jahr länger in Untersuchungshaft und im Maßregelvollzug befunden.

Die Staatsanwaltschaft zieht den Erfolg der Behandlung des Verurteilten im Maßregelvollzug nicht in Zweifel. Demzufolge hat sie auch keine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer eingelegt, soweit diese die mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25.11.2008 angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und die Vollstreckung des Restes der mit diesem Urteil ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten zur Bewährung ausgesetzt hat. Auch die Annahme der Strafvollstreckungskammer, wonach eine nunmehrige Vollstreckung der anderweitig vom Amtsgericht Nürnberg mit Urteil vom 31.7.2007 verhängten Freiheitsstrafe eine konkrete Gefährdung des eingetretenen Therapieerfolges darstellen würde, wird mit der Beschwerdebegründung nicht angegriffen.

Die vom Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung aufgestellten und oben dargestellten Kriterien für die Annahme eines Härtefalls liegen somit vor. Entgegen der Beschwerdebegründung ist hierfür das Bestehen eines krassen Missverhältnisses zwischen der verhängten Freiheitstrafe und der Dauer der Unterbringung nicht Voraussetzung. Es muss lediglich dem schuldangemessene Strafanspruch des Staates genüge getan und durch die weitere Vollstreckung einer Freiheitsstrafe aus einem anderen Verfahren der eingetretene Therapieerfolg gefährdet sein. Dies ist vorliegend der Fall.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft war demzufolge als unbegründet zu verwerfen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.