OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.11.2012 - 20 B 349/12
Fundstelle
openJur 2012, 131245
  • Rkr:
Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Untersagungsanordnung unter Nr. I der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 30. Dezember 2011 wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert beträgt 50.000,00 Euro.

Gründe

Der Antrag der Antragstellerin mit dem sinngemäßen Begehren,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Untersagungsanordnung unter Nr. I der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 30. Dezember 2011 wiederherzustellen,

hat Erfolg.

Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist er statthaft, da der Antragsgegner unter dem 15. März 2012 die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung vom 30. Dezember 2011 angeordnet hat und für sich in Anspruch nimmt, hierdurch die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ordnungsverfügung entfallen lassen zu haben und zur sofortigen Vollziehung befugt zu sein.

Der Antrag ist auch begründet.

Die von der Antragstellerin erhobene und nunmehr im Berufungsverfahren anhängige Anfechtungsklage gegen die Untersagungsanordnung unter I. in der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 30. Dezember 2011 entfaltet auf der Grundlage von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Diese aufschiebende Wirkung ist nicht durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung entfallen.

Denn die Anordnung der sofortigen Vollziehung geht ins Leere. Der Untersagungsanordnung, auf deren Vollziehung die Anordnung der sofortigen Vollziehung abzielt, fehlt es an einem der Vollziehung vor Eintritt der Bestandskraft zugänglichen Inhalt. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung bewirkt entgegen der vom Antragsgegner zu ihrer Begründung vertretenen Auffassung nicht, dass die Untersagungsanordnung vor rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens vollstreckt werden kann.

Nach dem Wortlaut der Untersagungsanordnung unter Nr. I der Ordnungsverfügung vom 30. Dezember 2011 ist der Antragstellerin die Haltung und Zucht der Nerze "ab dem 30. 01. 2012, spätestens jedoch 4 Wochen nach Bestandskraft dieser Verfügung" untersagt. Das beinhaltet die Festsetzung einer zeitlichen Bandbreite, die am 30. Januar 2012 beginnt und vier Wochen nach Eintritt der Bestandskraft der Ordnungsverfügung endet, und bringt zum Ausdruck, durch Hinausschieben der Bestandskraft mittels Anfechtungsklage gegen die Ordnungsverfügung werde auch die Verpflichtung zu deren Beachtung zeitlich hinausgeschoben. Ausgehend von dem als solchen eindeutigen Wortlaut der "Fälligkeit" der Einstellung der untersagten Tätigkeiten macht die sofortige Vollziehbarkeit der Ordnungsverfügung keinen Sinn und kommt eine Vollziehung gegenwärtig von vornherein nicht in Betracht. Die Antragstellerin ist bis zur noch nicht eingetretenen und nicht konkret absehbaren Bestandskraft der Ordnungsverfügung unabhängig davon, ob die aufschiebende Wirkung ihrer Klage entfällt oder nicht, nicht verpflichtet, die Untersagungsanordnung zu befolgen. Bestandskraft tritt erst mit der Unanfechtbarkeit der Ordnungsverfügung ein. Unanfechtbar wird die Ordnungsverfügung mit rechtskräftigem für die Antragstellerin negativen Abschluss des Klageverfahrens. In diesem Zeitpunkt fällt zugleich die aufschiebende Wirkung der Klage ohne weiteres weg und geht die Anordnung der sofortigen Vollziehung für die Folgezeit ins Leere.

Die Ordnungsverfügung bringt nicht mit der gebotenen hinreichenden Bestimmtheit ihres Regelungsgehalts zum Ausdruck, dass die Antragstellerin verpflichtet sein soll, der Untersagungsanordnung entgegen dem Wortlaut vor Eintritt der Bestandskraft nachzukommen. Das Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit eines Verwaltungsakts (§ 37 Abs. 1 VwVfG NRW) verlangt, dass sein Inhalt besonders für seinen Adressaten so vollständig, klar und unzweideutig ist, dass er sein Verhalten danach ausrichten kann. Maßgeblich ist der erklärte Wille, wie ihn der Adressat verstehen konnte und musste (§ 133 BGB in entsprechender Anwendung).

Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl., § 37 Rn. 12, m. w. N.

Da die Ordnungsverfügung Grundlage einer Vollstreckung der Untersagungsanordnung sein soll, muss ihr vollstreckbarer Inhalt ferner für die mit ihrer zwangsweisen Durchsetzung befassten Organe mit vollstreckungsfähiger Bestimmtheit zu erkennen sein. Dem wird die Ordnungsverfügung, was die Verpflichtung der Antragstellerin zur Befolgung der Untersagungsanordnung vor Eintritt der Bestandskraft anbelangt, nicht gerecht.

Der Begründung der Ordnungsverfügung und den weiteren für ihre Auslegung heranzuziehenden Umständen ist kein tragfähiger Gesichtspunkt dafür zu entnehmen, dass derjenige Teil der Untersagungsanordnung, der zeitlich an den Eintritt der Bestandskraft der Ordnungsverfügung anknüpft, keinen Regelungscharakter hat oder es der Antragstellerin aus sonstigen Gründen verwehrt sein soll, sich auf ihn zu berufen. Insbesondere ist nicht festzustellen, dass die äußerlich auf die Bestandskraft bezogene Fristsetzung sich Geltung nur für den Fall beimisst, dass der Antragsgegner nicht die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung anordnet.

Die Untersagungsanordnung selbst bietet keinen Anhaltspunkt in dieser Richtung. Die an sie unmittelbar anschließende Androhung von Zwangsgeld (Nr. II der Ordnungsverfügung) greift in zeitlicher Hinsicht die Formulierung der Untersagungsanordnung auf, stellt das Datum 30. Januar 2012 einerseits und die Frist von vier Wochen nach Bestandskraft andererseits jedoch durch das zusätzlich eingeschobene Wort "bzw." ausdrücklich in ein Alternativverhältnis. Eine Aussage dahingehend, dass es Sache des Antragsgegners sein soll, außerhalb der Ordnungsverfügung darüber zu befinden, welche der Alternativen für die Antragstellerin letztlich maßgeblich sein soll, enthält die Ordnungsverfügung insgesamt nicht. Die Bestimmung der Frist wird nicht näher erläutert. Die in der Begründung verlautbarte Annahme des Antragsgegners, das Halten und die Zucht der Nerze verstoße nach Ablauf der bis zum 11. Dezember 2011 befristeten Geltungsdauer der Erlaubnis vom 16. Juni 2011 wegen Fehlens der erforderlichen Erlaubnis sowie wegen fehlender Erlaubnisfähigkeit gegen das Tierschutzrecht, führt nicht entscheidend weiter. Aus diesen Erwägungen wird lediglich deutlich, dass aus der Sicht des Antragsgegners das Halten und die Zucht der Nerze rechtswidrig ist, und zwar seit einem Zeitpunkt vor Erlass der Ordnungsverfügung. Auskunft über die Dauer der der Antragstellerin eingeräumten Frist zur Unterlassung des rechtswidrigen Verhaltens gibt das nicht. Die Erwägung in der Begründung, die Anordnung sei verhältnismäßig, weil die Antragstellerin ihren Pelztierbestand "innerhalb der gesetzten Frist von 4 Wochen" auflösen könne, indem sie die Tiere pelzen lasse, oder eine tierschutzgerechte Haltung herbeiführen könne, interpretiert mit dem Begriff "gesetzt" die zeitliche Vorgabe der Untersagungsanordnung abweichend von deren Wortlaut. Sie verhält sich inhaltlich allein darüber, dass der für die Antragstellerin ungünstige Beginn der Frist "ab" dem 30. Januar 2012 verhältnismäßig ist. Dagegen vermittelt sie keine Klarheit dahingehend, dass damit gleichzeitig die für die Antragstellerin günstige Bezeichnung des Endes der Frist ("spätestens") abweichend vom Text der Untersagungsanordnung gleichsam aufgehoben oder für gegenstandslos erklärt werden soll. Der sich aus dem Wortlaut der Untersagungsanordnung ergebende Eindruck einer bis zum Eintritt der Bestandskraft laufenden Frist wird nicht entkräftet. Das gilt umso mehr deshalb, weil der Antragsgegner die Untersagungsanordnung entgegen der von ihm im Anhörungsschreiben vom 15. Dezember 2011 erklärten Absicht erlassen hat, ohne ihre sofortige Vollziehung anzuordnen. Das spätere Nachholen der Anordnung der sofortigen Vollziehung, nachdem die Antragstellerin bereits Anfechtungsklage erhoben hatte, ist als solches unbedenklich, schließt es aber aus, hieraus Rückschlüsse darauf zu ziehen, welcher zeitliche Rahmen der Antragstellerin für die Beachtung der ihr aufgegebenen Untersagung gesetzt worden ist.

Das Unterbleiben der mit der Anhörung in Aussicht gestellten Anordnung der sofortigen Vollziehung zugleich mit dem Erlass der Ordnungsverfügung bedeutet gleichzeitig, dass für die Antragstellerin ungewiss war, ob der Antragsgegner seine im Rahmen der Anhörung geäußerte Absicht einer Vollziehung der Ordnungsverfügung vor Abschluss eines Anfechtungsverfahrens hatte fallen lassen, und die Antragstellerin nicht als sicher damit rechnen musste, die Ordnungsverfügung solle eine Vollziehung der Untersagungsanordnung auch schon vor Eintritt der Bestandskraft ermöglichen. Zum gegenteiligen Schluss konnte die Antragstellerin umso mehr deshalb gelangen, weil bei Erlass der Ordnungsverfügung in dem die Befristung der Erlaubnis vom 16. Juni 2011 betreffenden Klageverfahren VG Münster 1 K 1597/11, nunmehr OVG NRW 20 A 666/12 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 9. März 2012 anberaumt worden war. Angesichts dessen und des inhaltlichen Zusammenhangs zwischen der zeitlichen Geltung der Erlaubnis sowie der Untersagung konnte die Antragstellerin das Absehen von der Anordnung der sofortigen Vollziehung wie auch die auf die Bestandskraft der Ordnungsverfügung bezogene Formulierung in der Untersagungsanordnung dahin verstehen, die ihr für die Beendigung der Haltung und Zucht gesetzte Frist solle bei noch ausstehender Bestandskraft der Untersagung zumindest nicht vor dem erstinstanzlichen Urteil in der vorgenannten Sache enden.

Jedenfalls war es Sache des Antragsgegners, seinen etwaigen Willen, allein die in der Untersagungsanordnung datumsmäßig bestimmte Frist als verbindlich festzulegen und die auf die Bestandskraft bezogene Aussage der Sache nach unter den Vorbehalt der zukünftigen Anordnung der sofortigen Vollziehung zu stellen, in der Ordnungsverfügung so unmissverständlich deutlich zu machen, dass an ihm bei verständigem Lesen der Ordnungsverfügung kein Zweifel bestehen konnte. Das ist aber nach dem Vorstehenden nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Es ist angemessen, das für die Festsetzung des Streitwerts maßgebliche wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin für das zugehörige Hauptsacheverfahren in Anlehnung an Nrn. 35.2, 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327) mit einem Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns zu bemessen und diesen Betrag für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit der Hälfte in Ansatz zu bringen (Nr. 1.5. Satz 1 des Streitwertkatalogs). Die Höhe des Gewinns aus der untersagten Haltung und Zucht von Nerzen steht nicht verlässlich fest und ist daher zu schätzen. Dabei ist einzustellen, dass sich unter Zugrundelegung einerseits der im Hauptsacheverfahren vorgelegten Berechnungen zur Wirtschaftlichkeit der Pelztierhaltung im Betrieb der Antragstellerin sowie andererseits der Größe des Tierbestandes - ca. 3.500 Fähen - und einer jährlichen Zuchtquote von ca. vier Welpen/Fähe sowie des durchschnittlichen Reingewinns je Fell, den der Antragsgegner in einem Schriftsatz vom 17. Juli 2012 - zurückhaltend - auf ca. 20,00 Euro beziffert hat, eine beträchtliche Spannweite ergibt. Angesichts dieser Faktoren erscheint der Ansatz eines mittleren Betrages von 100.000,00 Euro/Jahr für das Klageverfahren als sachgerecht. Bei Herabsetzung auf die Hälfte ergibt sich für das vorliegende Verfahren ein Streitwert von 50.000,00 Euro.