VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 05.11.1996 - 9 S 1573/96
Fundstelle
openJur 2013, 10259
  • Rkr:

1. § 44 der Satzung der Baden-Württembergischen Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte in der ab 1.1.1992 geltenden Fassung - ÄVAS nF -, wonach Hinterbliebenenrenten nach Auflösung einer weiteren Ehe nur dann gem § 27 Abs 6 ÄVAS nF wiederaufleben, wenn die Wiederheirat nach dem 31.12.1991 erfolgte, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.

Tatbestand

Der 1923 geborene Kläger ist als Arzt seit Juli 1962 Teilnehmer der beklagten Versorgungsanstalt. Er erhielt nach dem Tode seiner ersten Ehefrau, die gleichfalls Teilnehmerin der Beklagten war, seit Oktober 1979 eine Witwerrente. Deren Gewährung wurde zum 31.10.1988 eingestellt, nachdem der Kläger am 5.10.1988 erneut geheiratet hatte. Am 2.3.1993 wurde diese zweite Ehe geschieden.

Am 25.7.1994 beantragte der Kläger, ihm ab dem Monat April 1993 die frühere Witwerrente erneut zu gewähren. Die Beklagte lehnte dies im August 1994 durch undatierten Bescheid ab, weil § 27 Abs 6 ihrer Satzung in der seit 1.1.1992 geltenden Fassung - ÄVAS nF -, welcher erstmals die Wiederauflebensrente eingeführt habe, gem § 44 ÄVAS nF nur bei Wiederverheiratungen nach dem 31.12.1991 gelte. Diese Voraussetzung liege beim Kläger nicht vor.

Den vom Kläger dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 12.9.1994 zurück: In der an das Inkrafttreten der Satzungsänderung gekoppelten Stichtagsregelung des § 44 ÄVAS nF liege entgegen der Ansicht des Klägers keine unzulässige, gegen Art 3 Abs 1 GG verstoßende Differenzierung. Jede Stichtagsregelung führe im Einzelfall zu Härten. Nach der zur Zeit der Wiederheirat des Klägers geltenden Fassung des § 27 ÄVAS habe er auch keinen Anspruch auf eine Versorgungsleistung - nämlich einer Abfindung - gehabt, da ein solcher nach Vollendung des 60. Lebensjahres nicht mehr bestanden habe.

Am 30.9.1994 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, ihm ab April 1993 erneut eine Witwerrente zu gewähren und die entgegenstehenden Bescheide der Beklagten aufzuheben. Er hat daran festgehalten, daß die Beschränkung von Wiederauflebensrenten auf Fälle, in denen eine neue Ehe erst nach dem 31.12.1991 geschlossen worden sei, gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG verstoße. Diese Rente müsse allen Teilnehmern der Beklagten unabhängig von einem Stichtag gewährt werden. Gerade die Teilnehmer, die - wie er - wegen der in der früheren Fassung des § 27 ÄVAS ebenfalls willkürlich festgelegten Altersgrenze keine Abfindung erhalten hätten, würden jetzt wiederum grundlos benachteiligt.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und die Satzungsregelung der §§ 27 Abs 6, 44 ÄVAS nF verteidigt. Damit habe man aus Gründen der Rechtssicherheit frühere Fälle nicht mehr aufgreifen wollen, sondern die Ansprüche auf eine Wiederauflebensrente auf diejenigen Teilnehmer beschränken wollen, die in Kenntnis der neuen Regelung heirateten. Das sei nicht willkürlich.

Mit Urteil vom 26.3.1996 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Es hat dazu ausgeführt: Ein Verstoß der Übergangsregelung des § 44 ÄVAS nF gegen höherrangiges Recht sei nicht festzustellen. § 9 Abs 3 des Gesetzes über die Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte (idF vom 28.7.1961, GBl S 299), - ÄVAG - wonach Satzungsänderungen, durch welche die Versorgungsbezüge erhöht oder gemindert werden, auch für bereits laufende Versicherungsfälle gälten, betreffe nur die Höhe der Versorgungsansprüche, begründe jedoch keinen neuen Anspruch wie § 27 Abs 6 ÄVAS nF Dieser und die Übergangsregelung des § 44 ÄVAS nF verstießen auch nicht gegen Art 3 Abs 1 GG, da das Motiv für die Übergangsbestimmung, abgeschlossene Fälle nicht mehr aufrollen zu müssen und auf diese Weise den Verwaltungsaufwand in erträglichen Grenzen zu halten, sachgerecht erscheine. Ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, daß ihm aufgrund der früheren Ehe wiederum Versorgungsansprüche zustünden, habe der Kläger nicht bilden können. Sachgerecht sei auch die Überlegung des Satzungsgebers, es den Hinterbliebenen seiner Teilnehmer nur für die Zukunft zuzubilligen, ihre Entscheidungen an den versorgungsrechtlichen Möglichkeiten zu orientieren. Beim Kläger handle es sich also nur um eine bei einer Stichtagsregelung üblicherweise auftretende Härte.

Gegen dieses ihm am 7.5.1996 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7.6.1996 Berufung eingelegt. Er wiederholt sein bisheriges Vorbringen, die durch § 44 ÄVAS nF gebildete zeitliche Zäsur für das Entstehen eines Anspruchs auf Wiederauflebensrente sei sachlich durch nichts gerechtfertigt und daher verfassungswidrig.

Der Kläger beantragt - sachdienlich gefaßt -,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 26.3.1996 - 4 K 4215/94 - zu ändern, den Bescheid der Beklagten idF des Widerspruchsbescheids vom 12.9.1994 aufzuheben und die Beklagte die verpflichten, ihm ab Monat April 1993 Witwerrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Dem Senat liegen die zur Sache gehörenden Akten der Beklagten und die Prozeßakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart vor. Wegen der Einzelheiten wird auf sie und auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 101 Abs 2, 125 Abs 1 VwGO).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, da der vom Kläger geltend gemachte Rentenanspruch nicht besteht. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind daher rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs 5 VwGO).

Rechtsgrundlage für den vom Kläger auch mit der Berufung weiter verfolgten Anspruch auf Witwerrente ist § 27 Abs 6 ÄVAS nF Danach haben ua Ehegatten, die nach dem Tode ihres Partners wieder geheiratet haben, Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung nach dem vorletzten Ehegatten, wenn die letzte Ehe - zB durch Scheidung wie hier - aufgelöst ist und der Berechtigte während der letzten Ehe keine Abfindung beantragt hat (§ 27 Abs 6 S 1 iVm § 27 Abs 1a, 3 und 4 ÄVAS nF). Ob die zuletzt genannte Anspruchsvoraussetzung auch dann gegeben ist, wenn der Abfindungsantrag unterbleibt, weil während der letzten Ehe kein Anspruch auf Abfindung bestand (beim Kläger gem § 27 Abs 7 S 1 ÄVAS in der bis zum 31.12.1991 geltenden Fassung - ÄVAS aF - wegen vollendeten 60. Lebensjahres bei Wiederheirat), mag dahinstehen. Denn der durch § 27 Abs 6 ÄVAS nF erstmals geschaffene Anspruch auf Wiederauflebensrente - wahlweise anstelle einer Abfindung - besteht nach § 44 ÄVAS nF nicht, weil § 27 Abs 6 ÄVAS nF danach nur bei Wiederheirat nach dem 31.12.1991, also nach dem Inkrafttreten der Satzungsänderung, gilt. Der Kläger hat jedoch schon am 5.10.1988 zum zweiten Mal geheiratet.

Diese in der Satzung als "Übergangsbestimmung zu § 27 Abs 6" bezeichnete Vorschrift des § 44 ÄVAS nF, die eine Stichtagsregelung enthält, verstößt auch nach Ansicht des Senats nicht gegen höherrangiges Recht.

Daß § 44 ÄVAS nF den Regelungen in § 9 Abs 3 ÄVAG nicht widerspricht, hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt. Darauf kann Bezug genommen werden (§ 130b VwGO).

Entgegen der Ansicht des Klägers steht § 44 ÄVAS nF auch mit Art 3 Abs 1 GG in Einklang. Da § 27 Abs 6 ÄVAS nF eine die Teilnehmer der Versorgungsanstalt begünstigende Satzungsnorm ist, weil sie diese bei Auflösung einer weiteren Ehe nicht wie bisher auf eine Abfindung verweist, sondern ihnen - wahlweise - einen Anspruch auf eine grundsätzlich lebenslange Witwerrente zuspricht, war die Beklagte als Satzungsgeberin freier in der Gestaltung von Stichtagen als bei einem Eingriff in bestehende Rechtspositionen (st verfassungsgerichtliche Rspr, zB BVerfGE 10, 340/353; 44, 283/287 und 44, 290/294). Denn der Satzungsgeber brauchte bestehende Rechtspositionen, auf deren Bestehenbleiben die Betroffenen vertrauten und auch vertrauen durften, nicht zu beachten. Vertrauensschutz genoß auch der Kläger nicht, denn in dem Zeitpunkt (5.10.1988), als er seine zweite Ehe einging, gab es nach der ÄVAS aF keinen Anspruch auf Wiederauflebensrente. Die Beklagte als Satzungsgeberin war auch nicht verpflichtet, ihren Teilnehmern einen solchen Anspruch für die Vergangenheit einzuräumen. Eine solche Pflicht ergab sich auch nicht daraus, daß in anderen Rechtsbereichen, zB bei der Beamtenversorgung, das Wiederaufleben früherer Versorgungsansprüche bereits seit langem bekannt war (§ 61 Abs 3 des Beamtenversorgungsgesetzes in der ursprünglichen Fassung vom 24.8.1976, BGBl I S 2485). Art 3 Abs 1 GG schafft keinen Anspruch darauf, daß ein Normgeber die Regelungen eines anderen Normgebers für seinen Zuständigkeitsbereich übernimmt (st Rspr, zB BVerfGE 55, 72/88).

Die hier streitige Stichtagsregelung ist entgegen der Ansicht des Klägers auch sachbezogen; die in ihr steckende Typisierung steht ferner mit dem von der Beklagten als Satzungsgeberin selbst gewählten Regelungsprinzip in Einklang (vgl zu diesen Erfordernissen einer Stichtagsregelung, auch bei begünstigenden Rechtsnormen: BVerfGE 44, 1/21; 47, 85/94). Es ist regelmäßig sachgerecht, das Entstehen von Leistungsansprüchen, die es bisher in dem einschlägigen Normenwerk nicht gab, von Ereignissen abhängig zu machen, die erst ab Inkrafttreten einer Norm eintreten. Daß dieses Ereignis bei der erstmaligen Schaffung von Ansprüchen auf eine Wiederauflebensrente eine Wiederheirat ist, wird der Systematik der von der Beklagten gewährten Versorgungsansprüche ebenfalls gerecht. Denn der Zeitpunkt, ab dem die Teilnehmer der Versorgungsanstalt solche Rentenansprüche bei ihrer Lebensplanung berücksichtigen, ist üblicherweise derjenige der Wiederheirat. Auch das Motiv des Satzungsgebers, "Altfälle", die vor Inkrafttreten der Satzungsänderung liegen, nicht mehr aufzurollen, um praktische Schwierigkeiten und einen großen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, ist nicht willkürlich (BVerfGE 44, 1/31; von Mangoldt/Klein, GG, 3. Aufl, Art 3 Abs 1 RdNr 21); dabei auftretende Härten müssen also ebenfalls hingenommen werden.

Beim Kläger besteht zwar die Besonderheit, daß er wegen der jeweils geltenden Satzungsbestimmungen zweimal hinsichtlich seiner Rentenansprüche benachteiligt wurde. Bei seiner Wiederheirat erhielt er infolge der damals überschrittenen Altersgrenze von 60 Jahren keine Abfindung. Nunmehr wird ihm wegen der bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung erfolgten Wiederheirat auch keine Wiederauflebensrente gewährt. Auch diese, nur einen konkreten Einzelfall betreffende Besonderheit verpflichtete die Beklagte jedoch nicht dazu, dafür in ihrer Satzung eine Sonderregelung zu treffen. Dies würde selbst dann gelten, wenn die in § 27 Abs 7 S 1 ÄVAS aF enthaltene Altersgrenze für eine Abfindung ihrerseits gegen höherrangiges Recht verstieße, wie der Kläger meint. Denn gegen eine rechtswidrige Versagung einer Abfindung konnte sich der Kläger ebenfalls wehren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.