OVG des Saarlandes, Beschluss vom 29.08.2006 - 1 Q 19/06
Fundstelle
openJur 2010, 1832
  • Rkr:

1. Das Recht, die Abänderung einer dienstlichen Beurteilung zu beantragen, kann verwirkt werden.

Verwirkung liegt vor, wenn der Beamte längere Zeit nach Eröffnung der Beurteilung untätig blieb und dadurch in zurechenbarer Weise für den Dienstherrn den Anschein erweckt hat, die Beurteilung hinzunehmen.

2. Einzelfall, in dem Verwirkung bejaht wurde, weil der Beamte im Beurteilungsverfahren keinen Gebrauch von den Möglichkeiten gemacht hat, sich zum Beurteilungsentwurf und zur Beurteilung zu äußern, und nach Eröffnung der Beurteilung ohne stichhaltigen Grund über 2 1/2 Jahre zuwartete, bis er erstmals Einwände vorbrachte.

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil desVerwaltungsgerichts des Saarlandes vom 28. März 2006 - 2 K 110/06 -wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens fallen dem Kläger zurLast.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000,--EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Durch Urteil vom 28.3.2006 hat das Verwaltungsgericht das Begehren des Klägers, eines Steuerinspektors, zurückgewiesen, den Beklagten zu verpflichten, die ihm am 13.9.2001 eröffnete, mit dem Gesamturteil „hat sich bewährt“ abschließende Regelbeurteilung zum 1.5.2001 abzuändern, und das in Bestätigung des Bescheides vom 19.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2004 damit begründet, der Kläger habe ein mögliches Abänderungsrecht verwirkt. Im Beurteilungsverfahren habe er von den Möglichkeiten zur Geltendmachung von Einwendungen keinen Gebrauch gemacht, und nach der Eröffnung der streitigen Beurteilung habe er über zweieinhalb Jahre, nämlich bis zum 28.4.2004 und damit bis kurz vor dem nächsten Beurteilungsstichtag, dem 1.5.2004, zugewartet, bis er erstmals Gegenvorstellungen vorgebracht habe. Dabei müsse klar gesehen werden, dass der Kläger Beamter des gehobenen Dienstes und in Bezug auf die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen dienstliche Beurteilungen erfahren sei. Überzeugende Gründe für sein langes Zuwarten fehlten. Wahrscheinlicher Grund für das Verhalten des Klägers seien enttäuschte Beförderungshoffnungen.

Der Kläger sucht um die Zulassung der Berufung gegen das genannte Urteil nach und beruft sich auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 4 VwGO.II.

Der Zulassungsantrag ist zulässig, aber unbegründet. Weder weicht das angegriffene Urteil von der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 3.12.1975 - III R 80/75 -

ZBR 1976, 87,

im Verständnis des § 124 Abs. 2 Nr. 4 ab, noch bestehen im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils vom 28.3.2006, und der Rechtssache kommt unter dem vom Kläger angesprochenen Gesichtspunkt auch keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

a) Die das angefochtene Urteil tragende Annahme, der Kläger habe einen möglichenAnspruch auf Abänderung seiner dienstlichen Beurteilung vom 1.5.2001 verwirkt, steht entgegen der Meinung des Klägers nicht in einem Widerspruch zu einem im Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 3.12.1975 - III R 80/75 - enthaltenen Rechtssatz.

Der Kläger meint, das Urteil vom 3.12.1975 sei dahin zu verstehen, die Verwirkung des Rechts, die Abänderung einer dienstlichen Beurteilung zu verlangen, setze in jedem Fall voraus, dass drei Jahre zwischen der Eröffnung der Beurteilung und dem Eingang des Abänderungsantrags vergangen seien. Da vorliegend die dienstliche Beurteilung am 13.9.2001 bekannt gegeben worden sei und die Gegenvorstellung am 28.4.2004 dem Dienstherrn vorgelegen habe, folglich nur etwas mehr als zweieinhalb Jahre dazwischen verstrichen seien, stehe die Bejahung einer Antragsverwirkung im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28.3.2006 in Widerspruch zu dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 3.12.1975. Dem liegt indes ein Fehlverständnis des letztgenannten Urteils zugrunde. Darin ist eine Mindestzeit, während der der Beamte untätig geblieben sein müsse, um ihm Verwirkung anzulasten, gerade nicht festgelegt worden.

Das genannte Urteil umschreibt die Voraussetzungen einerAnspruchsverwirkung zunächst

a.a.O., S. 89 rechte Spalte,

dahin, „dass ein besonderes Verhalten des Berechtigten oder Anspruchserhebenden in Verbindung mit einem Zeitablauf geeignet ist, bei einem anderen Teil unter Verletzung oder Gefährdung dessen berechtigter Interessen die Vorstellung zu begründen, dass Ansprüche nicht mehr geltend gemacht werden“. Im Weiteren

a.a.O., S. 90 linke Spalte,

heißt es dann, „bei einem dreijährigen Beurteilungsrhythmus (dürfe) die zur Entscheidung über Beförderungen berufene Behörde in der Regel davon ausgehen, dass der betroffene Beamte eine frühere ihm bekannte Beurteilung hingenommen hat, wenn er drei Jahre lang es unterlassen hat, die nächst höhere Behörde anzurufen“. Dies ist ausdrücklich nur als „Regel“ gekennzeichnet, und das schließt einerseits die Möglichkeit ein, dass trotz eines Untätigbleibens von mehr als drei Jahren keine Rechtsverwirkung eingetreten ist; andererseits kann aber auch schon vor Ablauf von drei Jahren Verwirkung vorliegen. Stets kommt es auf die Würdigung der Fallumstände an.

Dass bereits bei einem Zuwarten von weniger als drei Jahren Verwirkung eingetreten sein kann, kommt im Urteil vom 3.12.1975

a.a.O., S. 90 linke Spalte,

auch in dem Satz zum Ausdruck, dass in dem zugrunde liegenden Fall „spätestens Ende 1969 ... die Voraussetzungen der Verwirkung (vorlagen)“. Damit erkannte das Oberverwaltungsgericht ausdrücklich die Möglichkeit an, dass der Anspruch schon früher verwirkt war, was deswegen bedeutsam ist, weil in dem entschiedenen Streitfall der 1.10.1966 Beurteilungsstichtag gewesen war.

b) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Vielmehr ist dort mit überzeugender Begründung eine Anspruchsverwirkung bejaht worden

vgl. in diesem Zusammenhang OVG Lüneburg, Urteil vom 19.1.1973 - V A 24/71 -, ZBR 1974, 385 (386); OVG Münster, Urteil vom 9.10.1974 - I A 2/73 -, n.v., und VGH Kassel, Beschluss vom 12.3.1996 - 1 UE 2563/95 -, n.v.,in denen eine Verwirkung des Rechts, die Abänderung einer dienstlichen Beurteilung zu verlangen, bereits nach Ablauf von 13, 18 beziehungsweise 20 Monaten bejaht wurde.

Nach der grundlegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.11.1975 - II C 16/72 -

BVerwGE 49, 351 (357/358),

gilt für Einwendungen mit dem Ziel der Änderung einer dienstlichen Beurteilung mangels Verwaltungsaktqualität der Beurteilung nicht die Jahresfrist der §§ 70 Abs. 2, 58 Abs. 2 VwGO. Indes folgt daraus nicht, dass der Beamte „zeitlich völlig ungebunden“ Widerspruch erheben könnte; vielmehr könne er „je nach den Umständen des Einzelfalls sein Widerspruchs- und damit auch sein Klagerecht verwirken“. Dies treffe zu, wenn der Beamte „innerhalb eines längeren Zeitablaufs unter Verhältnissen untätig geblieben (ist), unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt“.

Wie das Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes in seinem Urteil vom 3.12.1975 - III R 80/75 -

a.a.O., S. 90,

überzeugend ausgeführt hat, „liegt (es) in der Natur der Sache, dass Ansprüche auf Berichtigung dienstlicher Beurteilungen unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern geltend gemacht werden und für den Fall, dass das nicht geschieht, in verhältnismäßig kurzer Zeit verwirken“. Entscheidend sind aber immer die Umstände des Einzelfalls. Den Ausschlag hat dabei zu geben, ob der Beamte in zurechenbarer Weise für seinen Dienstherrn den Anschein erweckt hat, die Beurteilung hinzunehmen

so Schnellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter - Stand: April 2006 -, Rdnrn. 437 und 438 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen.

Dass der Fall so liegt, hat das Verwaltungsgericht überzeugend aufgezeigt und wird durch das Vorbringen des Klägers in der Antragsbegründung vom 4.7.2006 nicht erschüttert. Der Senat hebt - teils wiederholend, teils ergänzend - hervor:

Im Beurteilungsverfahren hat der Kläger weder von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich zu dem ihm am 28.6.2001 vorgelegten Beurteilungsentwurf zu äußern (vgl. Tz. 8.4 S. 2 BRL), noch hat er bei der am 13.9.2001 erfolgten Eröffnung der Beurteilung den Wunsch nach einem Beurteilungsgespräch geäußert (vgl. Tz. 11.2 BRL). Vielmehr bestätigte er lediglich die Bekanntgabe. Anschließend unternahm er bis zu dem am 28.4.2004 beim Ministerium eingegangenen Schreiben seiner damaligen Bevollmächtigten in der Beurteilungsangelegenheit nichts. Vielmehr blieb er etwas über zweieinhalb Jahre völlig untätig. Dabei ist klar zu sehen, dass er als verhältnismäßig dienstalter Beamter des gehobenen Dienstes in Beurteilungsangelegenheiten erfahren war und die Bedeutung dienstlicher Beurteilungen für das berufliche Fortkommen zumindest kennen musste. Er selbst hatte in Bezug auf seine dienstliche Beurteilung zum 1.7.1985 alle Möglichkeiten der Überprüfung bis hin zu dem Urteil des Senats vom 14.11.1991 - 1 R 119/89 - ausgeschöpft, und in diesem Zusammenhang war er mehrfach auf die Bedeutung dienstlicher Beurteilungen für Beförderungsentscheidungen hingewiesen worden. Außerdem hatte er mit Blick auf seine dienstliche Beurteilung zum 1.10.1997 - erfolglos - einen Abänderungsantrag gestellt. Vor diesem Hintergrund musste sich seinem Dienstherrn angesichts des über zweieinhalb Jahre andauernden völligen Untätigbleibens des Klägers in Bezug auf die dienstliche Beurteilung zum 1.5.2001 der Eindruck geradezu aufdrängen, diese werde hingenommen.

Diese Annahme wäre nur dann nicht schutzwürdig, wenn anerkennenswerte Gründe vorlägen, die den Kläger gehindert hätten, sein Anliegen in angemessener Frist zu verfolgen. Daran fehlt es indes nach dem unterbreiteten Sachverhalt.

Der Kläger macht geltend, er habe erst Ende April 2004 Ablichtungen mehrerer Stellungnahmen des damaligen Vorstehers des Finanzamts Neunkirchen, der zum 1.5.2001 Erstbeurteiler des Klägers gewesen war, erhalten. Darin habe sich dieser aus Anlass von Bewerbungen des Klägers durchaus positiv über dessen Leistungen geäußert. Dies stehe in Widerspruch zu der dienstlichen Beurteilung zum 1.5.2001 und spreche daher mit Gewicht für deren Rechtswidrigkeit. Das überzeugt nicht.

Es ist bereits nicht ersichtlich, warum sich der Kläger erst derart spät Kenntnis vom genauen Inhalt dieser Stellungnahmen verschafft hat, von deren Existenz er offensichtlich wusste, denn er hat ihre Übersendung mit Schreiben vom 1.4.2004 erbeten. Außerdem ist es verfehlt, aus Ausführungen des Erstbeurteilers zu Bewerbungen aus den Jahren 2000 und 2001 die Rechtswidrigkeit der Beurteilung zum 1.5.2001 abzuleiten. Wie der Senat

Entscheidungen vom 17.9.1998 - 1 R 51/95 -, vom 30.11.2000 - 1 R 10/00 - und vom 25.7.2006 - 1 Q 18/06 -

schon mehrfach entschieden hat, „begründen Äußerungen eines Beurteilers außerhalb des Beurteilungsverfahrens, etwa Stellungnahmen zu Bewerbungen, keine Bindungswirkung im Beurteilungsverfahren“. Ohnehin befände sich der Kläger in einem Irrtum, sollte er meinen, ein Untätigbleiben dürfe ihm als zurechenbarer Verstoß gegen seine eigenen Interessen nur dann angelastet werden, wenn ihm ein früheres Tätigwerden Erfolg versprechend hätte erscheinen müssen. Ein solches Verständnis wäre der Rechtssicherheit in nicht hinnehmbarem Maße abträglich

so BVerwG, Beschlüsse vom 18.7.1988 - 3 B 33/88 - und vom 15.3.1989 - 7 B 40/89 -, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 157 und Nr. 162, jeweils im Zusammenhang mit § 60 Abs. 1 VwGO, ferner Urteil vom 18.4.2002 - 2 C 19/01 -, ZBR 2003, 137, im Zusammenhang mit § 839 Abs. 3 BGB.

Ebenfalls nicht stichhaltig ist das Argument des Klägers, er sei deswegen nicht früher gegen die streitige Beurteilung vorgegangen, weil er sein berufliches Fortkommen nicht habe gefährden wollen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger seit seinem am 1.10.1996 erfolgten Aufstieg in den gehobenen Dienst nie besser als mit „hat sich bewährt“, also stets unterdurchschnittlich beurteilt worden ist. Damit hatte er keine Beförderungschance, und deshalb konnte er durch ein Vorgehen gegen eine dienstliche Beurteilung seine Aussicht auf berufliches Fortkommen nicht noch weiter verschlechtern. Außerdem darf die Inanspruchnahme von Rechtsschutz gegen eine dienstliche Beurteilung vom Dienstherrn nicht zum Nachteil des Beamten gewertet werden. Einer an Gesetz und Recht gebundenen Verwaltung kann aber ein derartiger künftiger Rechtsverstoß nicht unterstellt werden. Sollte er wider Erwarten erfolgen, wäre er seinerseits durch Rechtsbehelfe abzuwenden. Schon deshalb entlastet dieses Argument den Kläger im gegebenen Zusammenhang nicht

ebenso BVerwG, Urteile vom 28.5.1998 - 2 C 29/97 -, BVerwGE 107, 29 (33), und vom 3.12.1998 - 2 C 22/97 -, ZBR 1999, 199 (200), jeweils im Zusammenhang mit § 839 Abs. 3 BGB.

Soweit der Kläger dem entgegenhält, von seinen Vorgesetzten in der Vergangenheit bereits wiederholt rechtswidrig behandelt worden zu sein, fehlt es dafür an überzeugenden Anhaltspunkten. Soweit sich der Kläger gerichtlich zur Wehr gesetzt hat, ist er bisher stets unterlegen geblieben; ansonsten hat er das Vorgehen seines Dienstherrn hingenommen, also von einer gerichtlichen Klärung der Rechtslage abgesehen, was aber jetzt ausschließt, von der Rechtswidrigkeit bestimmter Maßnahmen auszugehen.

c) Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache macht der Kläger ausschließlich mit Blick auf die Rechtmäßigkeit der dienstlichen Beurteilung zum 1.5.2001 geltend. Das war und ist offensichtlich ohne Erheblichkeit, da seine Rechtsverfolgung an dem Gesichtspunkt der Verwirkung seines Abänderungsantragsrechts scheitert.

Nach allem gibt es keine durchschlagende Veranlassung, die Berufung gegen das Urteil vom 28.3.2006 zuzulassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung rechtfertigt sich aus den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2, 47 Abs. 3 und 1 GKG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.