VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.07.1990 - 10 S 1121/90
Fundstelle
openJur 2013, 7531
  • Rkr:

1. Die Behörde muß eindeutig zum Ausdruck bringen, daß sie in den Gründen, die zum Erlaß des Verwaltungsakts geführt haben, auch das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung sieht.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Die gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO getroffene Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der angefochtenen Verfügung vom 9.3.1990 kann keinen Bestand haben, weil das Landratsamt entgegen dem zwingenden Erfordernis des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht schriftlich begründet hat. Sie leidet daher an einem formellen Mangel, der zu ihrer Aufhebung nötigt.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des Verwaltungsgerichts ergibt sich eine Begründung für die Vollzugsanordnung nicht bereits aus den Darlegungen, mit denen das Landratsamt den Erlaß der Untersagungsverfügung begründet hat. § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO enthält das verfahrensrechtliche Gebot, daß die Behörde hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen muß, aus welchen Gründen sie die sofortige Vollziehung angeordnet hat. Dabei bedarf es grundsätzlich der Darlegung eines besonderen öffentlichen Interesses, das über das allgemeine öffentliche Interesse hinausgeht, das den Erlaß des belastenden Verwaltungsakts als solchen rechtfertigt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.7.1973, BVerfGE 35, 382, 401 f.). Die Begründung dieses besonderen Interesses am Sofortvollzug kann zwar zusammen mit der Wiedergabe der Gründe gegeben werden, die für den Erlaß des Verwaltungsakts selbst maßgebend gewesen sind. Das wird sich vor allem bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr anbieten, wenn die Gründe, die zum Erlaß des Verwaltungsakts geführt haben, die gleichen sind, aus denen sich die Eilbedürftigkeit der Vollziehung ergibt. In derartigen Fällen muß die Behörde aber eindeutig zum Ausdruck bringen, daß sie in diesen Gründen auch das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung sieht. Anderenfalls muß davon ausgegangen werden, daß sie das Erfordernis einer besonderen Begründung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung, das sich aus § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO ergibt, übersehen hat. Auch die Offensichtlichkeit der Gründe, die einen Sofortvollzug gebieten, rechtfertigt in aller Regel keine Ausnahme vom Begründungszwang, wie die ausdrückliche Regelung in § 80 Abs. 3 S. 2 VwGO zeigt (vgl. die Beschlüsse des Senats v. 25.8.1976 -- X 1318/76 --, DVBl. 1976, 948, 949 und v. 27.6.1990 -- 10 S 1129/90 --, m.w.N.). Gründe, die es gemäß § 80 Abs. 3 S. 2 VwGO gerechtfertigt hätten, von der Begründung des besonderen Vollzugsinteresses abzusehen, sind nicht ersichtlich.

Aus der Begründung der Verfügung ergeben sich bei Würdigung der von der Behörde bezweckten Gefahrenabwehr keinerlei Hinweise, die erkennbar als gesonderte Begründung für die Vollzugsanordnung verstanden werden könnten. Vielmehr bezieht sich die Begründung allein auf die Umstände, die für den Erlaß der Verfügung selbst maßgebend gewesen sind. Über den Begründungsmangel kann auch nicht deshalb hinweggesehen werden, weil das Landratsamt im vorläufigen Rechtsschutzverfahren dem Verwaltungsgericht mitgeteilt hat (vgl. AS 119 der VG-Akte), aus den für den Erlaß der Verfügung maßgeblichen Gründen sei zugleich die Anordnung der sofortigen Vollziehung geboten gewesen. Denn durch ein Nachbringen der schriftlichen Begründung kann der Verstoß gegen § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO nicht geheilt werden. Es bedarf einer erneuten, den Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO entsprechenden Anordnung. Anderenfalls würde der mit dem Erfordernis der schriftlichen Begründung verfolgte Zweck, die Behörde zu zwingen, sich des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewußt zu werden, nicht erreicht (vgl. den Beschl. des Senats v. 25.8.1976, a.a.O.).

Da die Anordnung der sofortigen Vollziehung ohne Begründung gegen § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO verstößt, ist sie aufzuheben, ohne daß es darauf ankommt, ob tatsächlich ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung besteht. Mit dem Wegfall der Anordnung der sofortigen Vollziehung kommt dem Widerspruch der Antragstellerin gemäß § 80 Abs. 1 VwGO wieder die aufschiebende Wirkung zu. Die Rechtslage ist nicht anders, als wenn der Antragsgegner bisher die sofortige Vollziehung nicht angeordnet hätte. Für eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ist daher kein Raum (vgl. den Beschl. des Senats v. 25.8.1976, a.a.O.; BayVGH, Beschl. v. 15.5.1985, NVwZ 1985, 663; Kopp, VwGO, 8. Aufl., 1989, § 80 RdNrn. 64, 76, 79, m.w.N.).