VG Braunschweig, Urteil vom 26.09.2012 - 5 A 96/11
Fundstelle
openJur 2012, 130902
  • Rkr:
Tenor

Es wird festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 6. Mai 2011 rechtswidrig gewesen ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt hat, soweit die Beklagte die Versammlung des Klägers vollständig untersagt und ihm nicht ermöglicht hat, die Versammlung in der Zeit von 12.00 bis 15.00 Uhr stationär am Hauptbahnhof Braunschweig auf dem Parkplatz zwischen dem südwestlichen Ende des Bahnhofshauptgebäudes und dem Zentralen Omnibusbahnhof an der Salzdahlumer Straße durchzuführen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu zwei Dritteln und die Beklagte zu einem Drittel.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass das Verbot eines Demonstrationsaufzuges rechtswidrig gewesen ist.

Mit Schreiben vom 12. Juli 2010 zeigte der Kläger der Beklagten an, dass er beabsichtige, am 4. Juni 2011 einen Demonstrationsaufzug in der Braunschweiger Innenstadt durchzuführen unter dem Motto: „Tag der deutschen Zukunft - Ein Signal gegen Überfremdung - Gemeinsam für eine deutsche Zukunft“. Der Aufzug sollte um 12 Uhr mit einer Auftaktkundgebung von circa 45 Minuten auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofes Braunschweig beginnen und anschließend folgenden Verlauf nehmen: Kurt-Schumacher-Straße, John-F.-Kennedyplatz, Auguststraße, Stobenstraße, Ritterbrunnen/Bohlweg (Zwischenkundgebung mit Live-Musik, circa 90 Minuten auf dem Schlossplatz), Wilhelmstraße, Hagenbrücke, Küchenstraße, Lange Straße, Radeklint mit 2. Zwischenkundgebung (circa 45 Minuten), Güldenstraße, Kalenwall, Bruchtorwall, Lessingplatz, Augusttorwall, John-F.-Kennedyplatz, Kurt-Schumacher-Straße, Vorplatz des Hauptbahnhofes mit Abschlusskundgebung (circa 45 Minuten) und Verabschiedung der Teilnehmer. Die Veranstaltung sei voraussichtlich gegen 20 Uhr zu Ende. Er rechne mit circa 700 Teilnehmern. Versammlungsleiterin sei seine Ehefrau E. F..

Die Polizeiinspektion Braunschweig teilte der Beklagten auf deren Anfrage mit Schreiben vom 28. Juli 2010 mit, dass der Kläger und seine Ehefrau der politisch rechtsextremen Szene angehörten. Der Auszug aus dem Bundeszentralregister weise insgesamt I. Eintragungen für den Kläger auf. Nach polizeilicher Einschätzung sei bei Durchführung der angezeigten Versammlung mit einem Treffen von Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet zu rechnen.

Am 5. August 2010 zeigte Herr G. für die Fraktion der Partei DIE LINKE im Rat der Stadt Braunschweig die Durchführung einer versammlungsrechtlichen Veranstaltung mit Aufzug und Kundgebungen für den 4. Juni 2011 an. Als Motto gab er an: „Kein Fußbreit den Nazis!“. Die Veranstaltung sollte um 8 Uhr auf dem Berliner Platz (Bahnhofsvorplatz) beginnen und die Route der Demonstration über den Heinrich-Büssing-Ring, Wolfenbütteler Straße, John-F.-Kennedy-Platz, Lessingplatz, Bruchtorwall, Kalenwall, Giselerstraße, Güldenstraße, Lange Straße, Küchenstraße, Hagenmarkt, Bohlweg, Stobenstraße, Auguststraße, John-F.-Kennedyplatz, Kurt-Schumacher-Straße zurück zum Berliner Platz verlaufen. Zugleich zeigte er Kundgebungen auf dem Schlossplatz sowie an der Gedenkstätte Schillstraße an, die um 8 Uhr beginnen sollten. Versammlungsleiter sei er selbst, er rechne mit 2.000 Teilnehmern. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2010 erweiterte er die Anzeige um zwei stationäre Kundgebungen, jeweils von 8 bis 21 Uhr an der Ackerstraße/Ecke Parkplatz Hauptbahnhof sowie an der Kreuzung Hans-Sommer-Straße/Berliner Straße/Vossenkamp.

Am 17. Februar 2011 zeigte Herr H. für den Deutschen Gewerkschaftsbund - DGB -, Region SON, für den 4. Juni 2011 die Durchführung einer Demonstration mit Kundgebung und Aufzug und Kulturprogramm zu dem Thema „Demokratie und Zivilcourage“ an. Diese sollte, mit einer Auftakt- und Abschlusskundgebung jeweils am Berliner Platz, in der Zeit von 10 bis 19 Uhr stattfinden. Der Aufzug sollte von dort folgenden Verlauf nehmen: Kurt-Schumacher-Straße, John-F.-Kennedyplatz und zurück. Er gab an, mit circa 5.000 Teilnehmern zu rechnen.

Mit Schreiben an die Beklagte vom 28. März 2011 nahm die Polizeidirektion Braunschweig eine Gefährdungseinschätzung zu den am 4. Juni 2011 geplanten Veranstaltungen vor. Neben den angezeigten Demonstrationsaufzügen berücksichtigte sie hierin, dass am 4. Juni 2011 auf dem Kohlmarkt in Braunschweig und der weiteren Umgebung des Platzes ganztägig das Kulturfest „Braunschweig International“ als größtes multikulturelles Fest in Braunschweig stattfinden sollte. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Durchführung der Aufzüge und die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen für den Aufzug des Klägers die Veranstaltung Braunschweig International faktisch einschließen und für potenzielle Teilnehmer nahezu unerreichbar machen würden. Daneben seien erhebliche Auswirkungen auf den innerstädtischen Bereich der Stadt Braunschweig zu erwarten. Aus polizeilicher Sicht sei davon auszugehen, dass sich vergleichbare - im Einzelnen beschriebene - Protest- und Blockadeaktionen wie beim Aufzug der NPD in Braunschweig im Jahr 2005 zutragen würden, wobei für das Jahr 2011 mit höherem Protestpotenzial gerechnet und deswegen der polizeiliche Kräfteeinsatz gegenüber dem Jahr 2005 nochmals deutlich erhöht werden müsse.

Am 18. April 2011 fand ein Kooperationsgespräch zwischen dem Kläger und der Beklagten statt. Der Kläger erklärte, er rechne mit circa 750 Teilnehmern und wolle die Versammlung wie angezeigt durchführen. Die Beklagte wies auf ihre Bedenken hin, die sich insbesondere aus Beeinträchtigungen für das Fest Braunschweig International ergäben. Der Kläger gab an, von dieser Veranstaltung nichts gewusst zu haben, und sagte zu, bis zum 27. April 2011 eine alternative Aufzugsroute anzubieten.

Mit E-Mail vom 29. April 2011 bzw. Faxschreiben vom 2. Mai 2011 teilte der Kläger die Alternativroute mit. Diese lautet wie folgt: Auftaktkundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz (circa 45 Minuten), Kurt-Schumacher-Straße, Auguststraße, Bohlweg/Schlossplatz mit Zwischenkundgebung (nach am 4. Mai 2011 mitgeteilter Änderung circa 240 Minuten), Steinweg, Magnitorwall, Leonhardstraße, Leonhardplatz, Bahnhofsvorplatz mit Abschlusskundgebung und Verabschiedung der Teilnehmer (circa 60 Minuten).

Mit Schreiben vom 4. Mai 2011 nahm die Polizeidirektion Braunschweig gegenüber der Beklagten zur alternativen Streckenführung Stellung. Sie kam zu dem Ergebnis, dass diese aus gleichen Gründen wie die ursprüngliche Route nicht in Betracht käme, insbesondere weil Start- und Zielpunkt weiterhin der Hauptbahnhof seien, die Streckenführung über den Bohlweg und den Schlossplatz weiterhin den Kernbereich der Innenstadt tangiere und die Sicherungsmaßnahmen mit den Auswirkungen auf die Braunschweiger Innenstadt wegen des zu erwartenden Protestpotenzials im Wesentlichen unverändert blieben.

Mit hier streitgegenständlichem Bescheid vom 6. Mai 2011 untersagte die Beklagte unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Demonstrationsaufzug des Klägers und erstreckte das Verbot auf jede Form einer Ersatzveranstaltung für den 4. Juni 2011, insbesondere auf die am 29. April 2011 angezeigte Alternativroute. Sie begründete dies im Wesentlichen wie folgt: Sie könne nach § 8 Abs. 2 Satz 1 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (NVersG) eine Versammlung verbieten, wenn ihre Durchführung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährde und die Gefahr nicht anders abgewehrt werden könne. Dies sei hinsichtlich des vom Kläger für den 4. Juni 2011 angezeigten Aufzuges der Fall. Das Verbot greife zwar in die gemäß Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geschützte Versammlungsfreiheit ein. Allerdings sei die Versammlungsfreiheit nicht schrankenlos gewährleistet. Als Versammlungsbehörde habe sie einerseits die Voraussetzungen zur Ausnutzung des Versammlungsgrundrechts zu schaffen, andererseits aber auch kollidierende Interessen hinreichend zu wahren. Bei Durchführung des Aufzugs werde das Kulturfest Braunschweig International faktisch verhindert bzw. jedenfalls massiv beeinträchtigt. Hierdurch würden auf Seiten der Aussteller und der bis zu 10.000 - potenziellen - Teilnehmer des Kulturfestes grundrechtlich geschützte Rechtspositionen verletzt, die der Versammlungsfreiheit auf Seiten des Klägers gleichwertig seien. Das internationale Fest finde bereits seit circa 30 Jahren jeweils am ersten Wochenende im Juni statt und sei ein wesentliches Element der Braunschweiger Integrationspolitik. Von der Veranstaltung des Klägers gehe eine abschreckende Wirkung auf die Teilnehmer des Kulturfestes aus. Insbesondere aber müsste die Braunschweiger Innenstadt - wie in der polizeitaktischen Lagebewertung dargestellt - nahezu abgeriegelt werden, um den Aufzug des Klägers zu sichern. Dieses würde zu einer faktischen Zugangsbeeinträchtigung für den Veranstaltungsort des internationalen Festes führen. Der Versammlungsaufzug könne deswegen nicht parallel zum Kulturfest Braunschweig International durchgeführt werden. Dies gelte auch in Bezug auf die vom Kläger genannte Alternativroute. Auch bei dieser Streckenführung würden die Braunschweiger Innenstadt und das Fest wesentlich beeinträchtigt. Wie in der polizeilichen Lageeinschätzung vom 4. Mai 2011 dargelegt, sei außerdem davon auszugehen, dass die Sicherheit des Aufzugs selbst bei dieser Streckenführung nicht hinreichend gewährleistet werden könne.

Am 17. Mai 2011 hat der Kläger Anfechtungsklage gegen die Untersagungsverfügung vom 6. Mai 2011 erhoben und zugleich einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (gerichtliches Aktenzeichen: 5 B 97/11) gestellt. Den Eilantrag hat der Kläger im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Beklagte schätze das Ausmaß der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen für den von ihm geplanten Aufzug - und damit einhergehend die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf den Geschäftsbetrieb und den Verkehr sowie das Fest Braunschweig International - falsch ein. Es sei eine bloße Vermutung der Beklagten, dass das Protestverhalten von Gegendemonstranten ähnlich schwerwiegend ausfalle wie bei der Demonstration der NPD in Braunschweig im Jahr 2005. Die von der Beklagten prognostizierten Auswirkungen seiner Demonstration auf den Nah- und Fernverkehr seien übertrieben. Insbesondere seien der Hauptbahnhof und das Bahnhofsgelände groß genug, um eine Beeinträchtigung von Reisenden durch seine Versammlung zu vermeiden. Die Beklagte dürfe ihm diese Beeinträchtigung, die auf das Verhalten von Gegendemonstranten zurückzuführen sei, zudem nicht entgegenhalten. Die Beklagte ist dem Eilantrag unter anderem mit der Begründung entgegengetreten, dass das Verbot der Veranstaltung zulässig sei, weil der Kläger auch nach dem Kooperationsgespräch nicht auf die Durchführung eines Versammlungsaufzuges in den Innenstadtkern verzichtet habe.

Mit Beschluss vom 19. Mai 2011 (veröffentlicht in juris sowie unter: www.Rechtsprechung.Niedersachsen.de) hat die erkennende Kammer den Eilantrag des Klägers abgelehnt. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat auf die Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom 1. Juni 2011 (11 ME 164/11, juris sowie www.Rechtsprechung.Niedersachsen.de) die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt mit der Maßgabe, dass die Versammlung stationär am Hauptbahnhof Braunschweig auf dem Parkplatz zwischen dem südwestlichen Ende des Bahnhofshauptgebäudes und dem Zentralen Omnibusbahnhof an der Salzdahlumer Straße in der Zeit von 12.00 bis 15.00 Uhr stattfinden dürfe und es der Beklagten vorbehalten bleibe, Auflagen für die Durchführung dieser Veranstaltung zu erteilen. Wegen der Einzelheiten der Begründungen wird auf die Beschlüsse verwiesen.

Der Kläger hat nach Durchführung der Versammlung entsprechend der Maßgabe im Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts an der Klage festgehalten und verweist zur Begründung auf seine Einlassung im Eilverfahren vor der erkennenden Kammer sowie dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 6. Mai 2011 rechtswidrig gewesen ist und ihn in seinen Rechten verletzt hat.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

In Ergänzung ihrer Ausführungen im gerichtlichen Eilverfahren vertritt sie die Auffassung, die Klage sei unzulässig, weil der Kläger kein berechtigtes Interesse an der Feststellung einer Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 6. Mai 2011 nach dessen Erledigung habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage, über die mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist zulässig, aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Hiernach spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass ein Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn sich der Verwaltungsakt nach Klageerhebung, aber vor der Entscheidung durch Urteil erledigt hat und der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Der Bescheid der Beklagten vom 6. Mai 2011 hat sich mit Verstreichen des 4. Juni 2011 durch Zeitablauf erledigt. Der Kläger hat unter dem Gesichtspunkt eines schwerwiegenden Grundrechtseingriffs ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. In Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe begründet der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) ein berechtigtes Interesse, die Rechtmäßigkeit des Eingriffs gerichtlich klären zu lassen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. Ob die Beeinträchtigung tatsächlich fortwirkt ist nicht erheblich (vgl. BVerwG, U. v. 23.03.1999 - 1 C 12/97 -, juris Rn. 13 m.w.N.). Nach diesem Maßstab ist ein berechtigtes Interesse des Klägers gegeben, weil das vollständige Verbot der von ihm angezeigten Versammlung mit dem Bescheid vom 6. Mai 2011 ein schwerwiegender Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG gewesen ist und auch die aufgrund des Beschlusses des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 1. Juni 2011 ermöglichte Durchführung der Versammlung als stationärer Kundgebung für die Dauer von drei Stunden mit einer nicht unerheblichen Erschwernis des kommunikativen Anliegens des Klägers verbunden gewesen ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 30.06.2011 - 1 S 2901/10 -, juris Rn. 31). In dem kurzen Zeitraum zwischen Erlass des Bescheides am 6. Mai 2011 und seiner Erledigung am 4. Juni 2011 konnte der Kläger seine Rechtmäßigkeit nicht in einem verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren überprüfen lassen. Sonstige Einwände gegen die Zulässigkeit der Klage hat die Beklagte nicht erhoben. Sie sind auch nicht ersichtlich.

Die Klage ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht mit dem Bescheid vom 6. Mai 2011 untersagt, die Versammlung als Demonstrationsaufzug in den Innenstadtbereich von Braunschweig zu führen. Der Bescheid vom 6. Mai 2011 ist jedoch rechtswidrig gewesen und hat den Kläger in seiner Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG verletzt, soweit die Beklagte dem Kläger auch untersagt hat, die Versammlung am 4. Juni 2011 stationär in der Zeit von 12.00 bis 15.00 Uhr im Bereich des Hauptbahnhofes von Braunschweig durchzuführen.

Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung ist § 8 Abs. 2 Satz 1 NVersG gewesen. Hiernach kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten, wenn ihre Durchführung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders abgewehrt werden kann. Nach § 8 Abs. 1 NVersG kann die zuständige Behörde Beschränkungen zu einer angezeigten Versammlung verfügen, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Wegen des durch Art. 8 GG bewirkten Schutzes von Versammlungen und der hohen Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung gerade auch im Hinblick auf den Schutz von Minderheiten darf eine Versammlung nur ausnahmsweise verboten werden. Das Entschließungsermessen der Versammlungsbehörde ist grundrechtlich gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer, mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Die behördliche Eingriffsbefugnis setzt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung in der vom Antragsteller beantragten Form voraus. Dabei muss eine Sachlage vorliegen, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung müssen Umstände vorliegen, die eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. Die behördliche Gefahrenprognose muss sich auf nachweisbare Tatsachen stützen; bloße Vermutungen reichen nicht aus (vgl. BVerfG, B. v. 21.04.1998 - 1 BvR 2311/94 -, juris Rn. 27; Nds. OVG, U. v. 29.05.2008 - 11 LC 138/06 -, juris Rn. 44 m.w.N.). Ein Versammlungsverbot ist - als ultima ratio - nur zulässig, wenn die Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht hinreichend sicher abgewehrt werden kann, indem die Versammlungsbehörde die Durchführung der Versammlung beschränkt und hierdurch die Versammlungsfreiheit in geringerem Ausmaß einschränkt als durch das Verbot (vgl. BVerfG, B. v. 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03 -, juris Rn. 28; Ullrich, Niedersächsisches Versammlungsgesetz, § 8 Rn. 39).

Nach diesem Maßstab hat die Beklagte dem Kläger zu Recht untersagt, die Versammlung als Demonstrationszug auf den angezeigten Routen in den Innenstadtbereich von Braunschweig zu führen.

Zwar war - wie das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im Beschluss vom 1. Juni 2011 (juris Rn. 15 f.) dargelegt hat - nicht davon auszugehen, dass von der Versammlung selbst, als Veranlasserin im Sinne des Ordnungsrechts, eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgehen würde. Denn es lagen keine gesicherten polizeilichen Erkenntnisse darüber vor, dass der Kläger oder sein Anhang anlässlich der Versammlung Gewalttätigkeiten beabsichtigen oder billigen würden oder sonst gegen Strafnormen, bspw. nach § 130 StGB, verstoßen würden.

Die Beklagte ist aber zu Recht davon ausgegangen, dass es zu einer Beeinträchtigung von zu der Versammlungsfreiheit des Klägers gleichwertigen Rechtspositionen Dritter gekommen wäre, wenn der Kläger die Versammlung als Aufzug in den Innenstadtbereich geführt hätte. Die erkennende Kammer hat im Beschluss vom 19. Mai 2011 dargelegt und ausführlich begründet, dass die Durchführung des Kulturfestes Braunschweig International faktisch verhindert, jedenfalls aber massiv beeinträchtigt worden wäre, wenn die Versammlung des Klägers als Demonstrationszug auf der von ihm ursprünglich angezeigten Route oder auf der später benannten Alternativroute in den Innenstadtbereich von Braunschweig geführt worden wäre, weil die zur Sicherung des Aufzugs erforderlichen Maßnahmen die Zugangsmöglichkeiten zum Kulturfest massiv gestört hätten, unter anderem weil sie den innenstädtischen Personennahverkehr in erheblichem Ausmaß beeinträchtigt bzw. vollständig zum Erliegen gebracht hätten. Die erkennende Kammer hat des Weiteren dargelegt, dass dies die Rechte der Aussteller und Teilnehmer des internationalen Festes, die über Art. 5 Abs. 1 bzw. Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützt und der Versammlungsfreiheit des Klägers und seines Anhangs gleichwertig gewesen sind, beeinträchtigt hätte. Die Kammer hält an dieser Bewertung aus dem Eilverfahren im Klageverfahren fest und verweist wegen der Einzelheiten der Begründung auf ihren Beschluss vom 19. Mai 2011 (a.a.O., juris Rn. 35 bis 45). Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat diese Einschätzung im Beschluss vom 1. Juni 2011 bestätigt und ergänzend dargelegt, dass die Alternativroute ungeeignet gewesen ist, weil die Sicherheit des Aufzugs dort nicht gewährleistet werden konnte. Diese ergänzenden Erwägungen macht sich die Kammer zu eigen und verweist zur Begründung auf die Ausführungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (a.a.O., juris Rn. 19 ff. bzw. Rn. 23 ff.). Neue Gesichtspunkte, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen, sind vom Kläger nicht vorgetragen und nicht sonst ersichtlich, zumal für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit auf die im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung erkennbare Gefahrenlage abzustellen ist (vgl. VG Braunschweig, U. v. 06.10.2011 - 5 A 82/10 -, juris Rn. 44; Ullrich, a.a.O., § 8 Rn. 23).

Angesichts dessen ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte es dem Kläger untersagt hat, die von ihm angezeigte Versammlung als Demonstrationszug in den Innenstadtbereich von Braunschweig zu führen. Zwar umfasst die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG grundsätzlich das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters, über Gegenstand, Zeitpunkt und Ort der Versammlung zu entscheiden. Kommt es jedoch - wie vorliegend - zur Rechtsgüterkollision, kann das Selbstbestimmungsrecht durch Rechte anderer beschränkt sein. In diesem Fall ist für die wechselseitige Zuordnung der Rechtsgüter mit dem Ziel ihres jeweils größtmöglichen Schutzes zu sorgen. Wird den gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit bei der Planung der angemeldeten Versammlung nicht hinreichend Rechnung getragen, kann die praktische Konkordanz zwischen den Rechtsgütern durch versammlungsbehördliche Beschränkungen hergestellt werden (vgl. BVerfG, B. v. 06.05.2005 - 1 BvR 961/050 -, juris Rn. 24). Dem Veranstalter steht hierbei kein Bestimmungsrecht darüber zu, mit welchem Gewicht die Rechtsgüter in die Abwägung einzubringen sind und wie die Interessenkollision rechtlich bewältigt werden kann. Die Abwägung, ob und wie weit gegenläufige Interessen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtfertigen, obliegt vielmehr der Versammlungsbehörde und den mit der rechtlichen Überprüfung befassten Gerichten (vgl. BverfG, B. v. 26.01.2001 - 1 BvQ 9/01 -, juris Rn. 16; Nds. OVG, B. v. 05.05.2006 - 11 ME 117/06 -, juris Rn. 35; Hoffmann-Riem, NVwZ 2002, 257, 264). Nach diesem Maßstab ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte den vom Kläger angezeigten Demonstrationszug in den Innenstadtbereich von Braunschweig untersagt hat. Die Beklagte hat in der Abwägung der widerstreitenden rechtlich geschützten Interessen des Klägers und der Versammlungsteilnehmer gegenüber denjenigen der Teilnehmer sowie der Aussteller des Kulturfestes Braunschweig International letzteren zu Recht den Vorrang eingeräumt. Hierfür hat nicht nur gesprochen, dass das Kulturfest in langjähriger Tradition an diesem Termin und Ort stattfindet und ihm eine wichtige Funktion und eine Symbolkraft zugunsten des Integrationsgedankens im Großraum Braunschweig zukommt. Für die Versammlung des Klägers sind vergleichbar gewichtige Gründe, sie in der angezeigten Zeit abzuhalten und sie wie beantragt als Demonstrationszug in den Innenstadtbereich von Braunschweig zu führen, nicht ersichtlich gewesen. Zu berücksichtigen war auch, dass durch eine Verhinderung oder schwerwiegende Beeinträchtigung des Kulturfestes Braunschweig International eine deutliche größere Anzahl an Grundrechtsträgern betroffen gewesen wäre als hinsichtlich der Versammlung des Klägers (vgl. auch Nds. OVG, B. v. 01.06.2011, a.a.O., juris Rn. 22 und Rn. 33 f.).

Der Bescheid vom 6. Mai 2011 ist jedoch rechtswidrig gewesen und hat den Kläger in seinem Recht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG verletzt, soweit die Beklagte die Versammlung vollständig untersagt und dem Kläger nicht ermöglicht hat, sie am 4. Juni 2011 in der Zeit von 12.00 bis 15.00 Uhr stationär im Bereich des Hauptbahnhofes Braunschweig durchzuführen. Das vollständige Verbot der Versammlung ist unverhältnismäßig gewesen. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat im Beschluss vom 1. Juni 2011 dargelegt, dass auf der Grundlage der polizeilichen Gefährdungseinschätzung vom 30. Mai 2011 davon auszugehen war, dass die Sicherheit einer zeitlich beschränkten stationären Kundgebung im Bereich des Hauptbahnhofes hinreichend gewährleistet werden könne und hierdurch zwar noch Beeinträchtigungen des Kulturfestes Braunschweig International und des öffentlichen Personennahverkehrs zu erwarten, diese in der Abwägung gegenüber dem Versammlungsrecht des Antragstellers aber hinzunehmen seien. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat im Einzelnen dargelegt, weshalb die Beklagte gegen die Durchführung der Versammlung des Klägers als dreistündiger stationärer Kundgebung im Bereich des Hauptbahnhofs nicht durchdringen konnte (vgl. Rn. 26 ff. des juris-Ausdrucks). Diese Erwägungen macht sich die Kammer zu eigen.

Zwar war aus den Erklärungen des Klägers darauf zu schließen, dass er eine Beschränkung seiner Versammlung auf eine dreistündige stationäre Kundgebung im Bereich des Hauptbahnhofs nicht akzeptieren würde (vgl. VG Braunschweig, B. v. 19.05.2011, a.a.O., juris Rn. 48), und hat der Kläger im Beschwerdeverfahren vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht ausdrücklich erklärt, hiermit nicht einverstanden zu sein. Das von der Beklagten mit dem Bescheid vom 6. Mai 2011 ausgesprochene vollständige Verbot der Versammlung ist ungeachtet dessen unverhältnismäßig und deswegen rechtswidrig gewesen. Denn der Versammlungsbehörde obliegt es im Fall der Rechtsgüterkollision, im Wege der praktischen Konkordanz einen Ausgleich der widerstreitenden Anliegen zu ermöglichen, der die Beeinträchtigungen für alle Betroffenen möglichst gering hält. Ein geeignetes Mittel kann hierfür die Beschränkung der Versammlung in zeitlicher und örtlicher Hinsicht sein (vgl. BVerfG, B. v. 02.12.2005 - 1 BvQ 35/05 -, juris Rn. 31; Ullrich, a.a.O., § 8 Rn. 55 ff.). Diese Verpflichtung der Versammlungsbehörde entfällt nicht dadurch, dass der Veranstalter der Versammlung nicht (vollständig) kooperiert oder sich mit einer Beschränkung nicht einverstanden erklärt. Denn die in § 6 NVersG geregelte Kooperation zwischen der Versammlungsbehörde und dem Leiter bzw. Veranstalter einer Versammlung ist für Letztere nur als Obliegenheit normiert. Diesen steht es frei, das Kooperationsangebot anzunehmen oder nur teilweise mitzuwirken. Daraus, dass sie nicht allen Wünschen der Versammlungsbehörde entsprechen, darf nicht auf eine Kooperationsverweigerung geschlossen werden. Gleiches gilt, soweit angekündigt wird, von der Versammlungsbehörde angekündigte Beschränkungen der Auflage verwaltungsgerichtlich überprüfen zu lassen (vgl. BVerfG, B. v. 22.12.2006 - 1 BVQ 41/06 -, juris Rn. 9; Ullrich, a.a.O., § 6 Rn. 7 und Rn. 17 f.). Hiermit vergleichbar ist eine Erklärung wie die des Klägers, eine Beschränkung (auf eine stationäre, zeitlich befristete Kundgebung) nicht zu akzeptieren. Sie lässt die Verpflichtung der Versammlungsbehörde unberührt, der Versammlungsfreiheit im Wege der praktischen Konkordanz soweit möglich zu entsprechen und als milderes Mittel gegenüber einem vollständigen Verbot zur Gefahrenabwehr hinreichende Beschränkungen zu erlassen. In diesem Punkt weicht die Kammer gegenüber ihrer rechtlichen Bewertung im Beschluss vom 19. Mai 2011 (a.a.O., juris Rn. 48) ab.

Die zuvor beschriebene zeitliche und örtliche Beschränkung der Versammlung des Klägers ist nicht so weitgehend von dem ursprünglich angezeigten Vorhaben abgewichen, dass sie - als aliud - faktisch einem Verbot gleichgekommen und deswegen unzulässig gewesen wäre (vgl. Ullrich, a.a.O., § 8 Rn. 53). Die Versammlung des Klägers konnte vielmehr an dem Ort stattfinden, an dem der Demonstrationsaufzug mit Kundgebungen beginnen und enden sollte. Die Anreise der Teilnehmer, die nach Angaben des Klägers nahezu ausschließlich mit der Bahn erfolgen sollte, ist möglich gewesen. Der Versammlungsort hat durch seine Lage nicht ausgeschlossen, die öffentliche Aufmerksamkeit für das Anliegen des Klägers zu erreichen. Schließlich und insbesondere ist nicht ersichtlich gewesen, dass das Anliegen des Klägers von einem bestimmten Ort bzw. dem Aufzug in den Innenstadtbereich sowie der Dauer bis zum Abend zwingend abhängig gewesen ist und durch die zeitliche und örtliche Beschränkung seinen Sinn verloren hätte (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl., § 15 Rn. 47).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Kammer bewertet den Anteil des Unterliegens des Klägers im Hinblick auf die zeitliche und örtliche Beschränkung seiner Versammlung als größer als den seines Obsiegens.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG und orientiert sich an der Empfehlung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NVwZ 2004, 1327 ff., hier: II. Nr. 45.4).