VG Karlsruhe, Urteil vom 17.05.2004 - 2 K 1002/03
Fundstelle
openJur 2013, 13363
  • Rkr:
Tenor

1.Der Bescheid der Beklagten vom 04.02.2003 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 10.03.2003 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis.

Der am XXX geborene Kläger ist Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro aus dem Kosovo. Er  reiste im Jahr 1991 mit seiner Frau XXX und seinen Kindern XXX und XXX in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, der bestandskräftig abgelehnt wurde. In der Folge, erstmals am 23.08.1993, erhielt der Kläger Duldungen, weil seine Abschiebung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich war. Ein mit Schreiben vom 26.07.1993 gestellter Asylfolgeantrag blieb ebenfalls erfolglos.

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts XXX vom 23.05.1997 - rechtskräftig seit dem 12.09.1997 - wurde der Kläger am 03.05.1997 wegen Diebstahls geringwertiger Sachen (Hose im Wert von DM 69,90) zu einer Geldstrafe von 8 Tagessätzen verurteilt .

Am xxx wurde der Kläger zusammen mit seiner Familie in die Bundesrepublik Jugoslawien abgeschoben. Im September 1998 reisten der Kläger und seine Familie erneut in das Bundesgebiet ein und stellten erneut Asylfolgeanträge. Für seine jüngste, im Bundesgebiet geborene Tochter XXX stellte der Kläger einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 02.10.1998 lehnte das Bundesamt die Durchführung weiterer Asylverfahren für den Kläger, seine Frau und seine ältesten drei Kinder ab und drohte ihnen die Abschiebung nach „Jugoslawien“ an. Die gegen den Bescheid des Bundesamtes erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht Karlsruhe durch Urteil v. 20.03.2000 abgewiesen (A 2 K 12764/98). Nach Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung durch den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (A 14 S 947/00) ist der Bescheid seit dem 25.05.2000 bestandskräftig. Den Antrag der Tochter xxx auf Anerkennung als Asylberechtigte lehnte das Bundesamt mit inzwischen bestandskräftigem Bescheid vom 08.10.1998 ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Außerdem drohte es ihr die Abschiebung nach „Jugoslawien“ an.

Seit dem 06.10.1998 ist der Kläger erneut im Besitz von Duldungen. Die nach Aktenlage zuletzt erhaltene Duldung war bis zum 24.06.2003 befristet. In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, ihm sei vor zehn Tage eine neue Duldung erteilt worden.

Der Kläger wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts XXX vom 23.11.1999 - rechtskräftig seit dem 28.12.1999 - wegen eines am 30.09.1999 begangenen Diebstahls von einem Paar Schuhen im Wert von DM 59,90 zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen verurteilt (7 Cs 84 Js 13958/99).

Am 27.02.2002 beantragte der Kläger, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, bei der Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Abs. 3 und 4 AuslG. Der Bevollmächtigte trug vor, der Kläger sei Ashkali. Er sei bereits im Jahr 1991 nach Deutschland eingereist. Der Kläger und seine Familie seien seit dem 01.04.2001 völlig unabhängig von Sozialhilfeleistungen. Zum Nachweis legte der Bevollmächtigte Arbeitsverträge des Klägers vom 28.06.2001 und seiner Frau vom 10.04.2001 vor. Ausreichender Wohnraum sei vorhanden. Wegen der ihm als Ashkali durch die albanische Bevölkerung drohenden Gefahren liege ein nicht von ihm zu vertretendes Abschiebungshindernis vor. Die Beschaffung eines Passes sei ihm nicht möglich, weil - was allgemein bekannt sei - die jugoslawischen Behörden sich weigerten, Pässe für Minderheiten aus dem Kosovo auszustellen.

Mit Bescheid vom 04.02.2003 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis für den Kläger auf Grund von § 30 Abs. 3 AuslG wegen § 8 Abs. 2 AuslG nicht in Betracht komme. Der Kläger sei am 31.03.1998 abgeschoben worden. Nach § 30 Abs. 4 AuslG könne eine Aufenthaltsbefugnis ebenfalls nicht erteilt werden. Denn der Kläger habe keine zumutbaren Anstrengungen unternommen, das Abschiebungshindernis der Passlosigkeit zu beseitigen. Auf nochmalige Nachfrage am 26.09.2002 habe er angegeben, seine Pässe befänden sich zuhause in Jugoslawien. Der Kläger habe sie sich jedoch nicht auf dem Postweg zusenden lassen, noch sonst Anstrengungen zur  Beschaffung seiner Pässe unternommen. Hinsichtlich des aufgrund der Zugehörigkeit zu den Ashkali bestehenden Abschiebungshindernisses sei bei einer Ermessensentscheidung nach § 30 Abs. 4 AuslG zu berücksichtigen, dass in absehbarer Zeit mit einem Wegfall des Abschiebungshindernisses zu rechnen sei. Die Innenministerkonferenz habe mehrmals festgestellt, dass ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht für jugoslawische Staatsangehörige aus dem Kosovo nicht in Frage komme. Es sei hier kein Erlass einschlägig, auf dessen Grundlage dem Kläger ausnahmsweise eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen sei. Demzufolge sei hier auch die Erwerbstätigkeit des Klägers ohne Belang. Dem Kläger sei eine freiwillige Ausreise durchaus möglich und zumutbar.

Am 17.02.2003 legte der Bevollmächtigte des Klägers Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 10.03.2003 vom Regierungspräsidium Karlsruhe - Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge - zurückgewiesen wurde.

Der Kläger hat am 19.04.2003, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, Klage erhoben. Er trägt vor, die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis sei rechtswidrig. Ihm sei als Angehörigen der Minderheit der Ashkali gerade nach den Unruhen im Kosovo vom März 2004 eine freiwillige Ausreise nicht zuzumuten. Aus dem Bericht des UNHCR vom 30.03.2004 sei u.a. zu entnehmen, dass im Laufe der Unruhen ca. 4.000 Angehörige ethnischer Minderheiten gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben worden seien. UNMIK habe die Rücknahme jeglicher Personen aus dem Kosovo bis auf Weiteres gestoppt. Wegen der unsicheren Lage für Minderheitenangehörige liege ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG vor. Da eine ganze Gruppe bedroht sei, sei wegen der Sperrwirkung des § 54 AuslG die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG durch das Bundesamt gesperrt. Dies müsse jedoch dazu führen, dass § 42 AsylVfG hier keine Anwendung finden könne. Darüber hinaus bedürfe die Familie des Klägers weiterhin keiner Sozialhilfe. Zum Nachweis legt der Kläger eine Bescheinigung über das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses der Ehefrau des Klägers beim Gasthaus zur Kelter vom 14.04.2004 vor. Seine jüngste Tochter sei in der Schule sehr gut. Der neue (blaue) jugoslawische Pass sei ihm im Jahr 1998 ausgestellt worden und habe eine Geltungsdauer von zehn Jahren. Den Pass habe er bei seiner Flucht zu Hause zurückgelassen. Er befinde sich zur Zeit wohl bei seiner Familie, die vom Kosovo nach Montenegro geflüchtet sei. Er habe jedoch keinen Kontakt zur Familie; er wisse nicht, wo sie sich aufhalte.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 04.02.2003 und des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 10.03.2003 zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis ablehnende Bescheid sei rechtmäßig. Den Klägern sei eine freiwillige Ausreise möglich und zumutbar. Außerdem widerspricht die Beklagte der Behauptung des Bevollmächtigen des Klägers, die jugoslawischen Generalkonsulate stellten für Angehörige ethnischer Minderheiten keine Pässe aus. Ihr sei Gegenteiliges bekannt.

Wegen der Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie auf die Akten der Beklagten (2 Bände) und des Regierungspräsidiums Karlsruhe verwiesen.

Gründe

Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet. Der den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis ablehnende Bescheid der Beklagten vom 04.02.2003 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 10.03.2003 sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten; der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Als Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt wurde, kommen nur die Regelungen des § 30 Abs. 3 und 4 AuslG in Betracht (§ 30 Abs. 5 AuslG). Wegen der Sperrwirkung seiner Abschiebung am 31.03.1998 (§ 8 Abs. 2 S. 3 AuslG) scheidet allerdings die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG aus. Der Kläger hat jedoch aus § 30 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 AuslG einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis. Nach § 30 Abs. 4 AuslG kann einem Ausländer, der seit mindestens zwei Jahren unanfechtbar ausreisepflichtig ist und eine Duldung besitzt, abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 AuslG eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden, es sei denn der Ausländer weigert sich, zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses zu erfüllen.

Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 30 Abs. 4 AuslG liegen beim Kläger zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.02.2001 - 1 C 23/00 -, BVerwGE 114, 9). Der Kläger ist nach der Ablehnung seines Asylfolgeantrages und dem rechtskräftigem Abschluss seines hiergegen gerichteten gerichtlichen Verfahrens seit dem 20.05.2000 bestandskräftig ausreisepflichtig (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 15.02.2001 - 1 C 23/00 -, BVerwGE 114, 9). Außerdem ist er seit dem 06.10.1998 im Besitz von Duldungen. Der Kläger weigert sich auch nicht, zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebehindernisses zu erfüllen. Seine Abschiebung ist aus tatsächlichen Gründen, die der Kläger nicht beseitigen kann, unmöglich. Eine freiwillige Ausreise in das Kosovo ist dem Kläger nicht zumutbar. Im Hinblick auf das übrige Serbien und Montenegro fehlt es bereits an der Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise.  

Zu einem Hindernis für die Abschiebung des Klägers in das Kosovo führt seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Ashkali, die für das Gericht auf Grund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks vom Kläger und seiner Frau und ihrer in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung festgehaltenen Angaben nachgewiesen ist. Während bis zu den gewalttätigen Vorfällen vom März 2004 - bei denen auch Roma und Ashkali Ziel der Angriffe waren (vgl. UNHCR-Position v. 30.03.2004 zur Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo im Lichte der jüngsten ethnisch motivierten Auseinandersetzungen) - auf der Grundlage des Memorandum of Understanding vom 31.03.2003 eine Rückführung von Angehörigen der Minderheit der Ashkali nach einer Einzelfallprüfung durch UNMIK möglich war, lässt UNMIK seit dem 18.03.2004 bis auf weiteres eine Rückführung von Minderheiten nicht mehr zu (vgl. Länderinformation des UNHCR vom 26.04.2004; Presseerklärung des UNHCR Genf vom 31.03.2004). Lediglich die Abschiebung von Albanern ist seit Ende April 2004 wieder möglich. In einer elektronischen Mitteilung des Bundesministeriums des Innern vom 07.05.2004 (der Kammer am 14.05.2004 durch E-Mail des Regierungspräsidiums Karlsruhe - Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge - mitgeteilt) heißt es hierzu:

 „Nach einer aktuellen Mitteilung von UNMIK können sämtliche Minderheitenangehörige weiterhin nicht in das Kosovo zurückgeführt werden. Dabei verfestigt sich der Eindruck, dass UNMIK bei den Minderheitenangehörigen der Roma und Serben - die ja auf der Grundlage des Memorandum of Understanding ohnehin nicht zurückgeführt werden können - sowie Ashkali und Ägypter zumindest in näherer Zukunft keine Rückführungen zulassen wird. Bei den Angehörigen der Bosniaken, Torbesh, Gorani und Türken prüft UNMIK derzeit die Auswirkungen der Ausschreitungen auf deren Sicherheitssituation. Nach Abschluss dieser Prüfung besteht seitens UNMIK die Absicht, den Rückführungsprozess für diesen Personenkreis wieder aufzunehmen. Über den zeitlichen Horizont dieser Prüfung und einen Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Rückführungen des o.g. Personenkreises in das Kosovo hat UNMIK keine Angaben gemacht. Ein Treffen zwischen BM Schily und SRSG Holkeri ist weiterhin beabsichtigt, jedoch ist der mögliche Zeitpunkt eines solchen Treffens bislang noch nicht absehbar.“

Auch das Innenministerium Baden-Württemberg hat auf die veränderte Situation im Kosovo reagiert. Aufgrund des Erlasses vom 22.03.2004 über die Rückführung ausreisepflichtiger serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger in das Kosovo (4-13-JUG/90) sind - bis zum Abschluss eines neuen Memorandum of Understanding - Angehörigen nichtalbanischer Minderheiten ohne Roma und Serben Duldungen für die Dauer von drei Monaten unter der auflösenden Bedingung der Bekanntgabe eines Abschiebetermins zu verlängern. Angehörigen der Roma und Serben sind mit der gleichen Bedingung versehene Duldungen für die Dauer von sechs Monaten zu erteilen. Außerdem wurden die Abschiebebehörden des Landes Baden-Württemberg durch das Innenministerium Baden-Württemberg angewiesen, bis auf weiteres Minderheitenangehörige nicht in das Kosovo abzuschieben (vgl. hierzu die Weisung des Innenministeriums Baden-Württemberg durch E-Mail vom 06.04.2004, die seinerseits auf einer gleichlautenden Mitteilung des Bundesministeriums des Innern durch E-Mail vom 06.04.2004 beruht; ferner: E-Mail-Mitteilung des Regierungspräsidiums Karlsruhe an das Verwaltungsgericht Karlsruhe vom 25.03.2004).

Darüber hinaus ist auch eine Abschiebung des Klägers in das übrige Serbien und Montenegro (ohne Kosovo) nicht möglich. Dies ergibt sich aus dem Erlass des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 25.10.2002 (4-13-JUG/45). Danach habe das Bundesministerium des Innern darauf hingewiesen, dass das Deutsch-jugoslawische Rücknahmeübereinkommen vom 16.09.2002 ausschließlich für jugoslawische Staatsangehörige Anwendung findet, die nicht aus dem Kosovo stammen. Es habe ferner gebeten, insbesondere zu beachten, dass auf der Grundlage des Abkommens bis auf weiteres keine Minderheitenangehörige aus dem Kosovo in das restliche Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien zurückgeführt werden dürften. Das ergebe sich bereits aus Art. 12 Abs. 3 des Rückübernahmeabkommens, wonach Vereinbarungen mit den Vereinten Nationen über die Rückkehr unberührt blieben.

Der Kläger kann - wie von § 30 Abs. 4 AuslG für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis vorausgesetzt - zur Beseitigung dieser Hindernisse, die seiner Abschiebung in das Kosovo bzw. in das übrige Serbien und Montenegro entgegenstehen, nicht durch Erfüllung zumutbarer Anforderungen beitragen. Die Vorschrift des § 30 Abs. 4 AuslG stellt auf die Obliegenheit des ausreisepflichtigen Ausländers ab, alles in seiner Kraft Stehende und ihm Zumutbare dazu beizutragen, etwaige Abschiebungshindernisse zu überwinden. Dafür ist es nicht erforderlich, dass der Ausländer sich "förmlich" weigert, ein Abschiebungshindernis zu beseitigen. Es genügt, dass er zumutbare Handlungen zur Ermöglichung seiner Ausreise unterlässt oder verzögert. Derartige Handlungen können allerdings nicht verlangt werden, wenn sie von vornherein aussichtslos sind, d.h. wenn praktisch ausgeschlossen erscheint, dass sie das Abschiebungshindernis beseitigen können. Ohne Bedeutung ist dabei, ob das Hindernis schuldhaft geschaffen worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.02.2001 - 1 C 23/00 -, BVerwGE 114, 9; BVerwG, Urt. v. 24.11.1998 - 1 C 8/98 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 25.06.2003 - 13 S 2767/02 -, vensa). Vorliegend ist die Beseitigung der Hindernisse für die Abschiebung des Klägers in das Kosovo sowie das übrige Serbien und Montenegro durch eine Handlung des Klägers ausgeschlossen, weil diese Hindernisse nicht von seinem Willen abhängen.

Zu den zumutbaren Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses i.S.v. § 30 Abs. 4 AuslG gehört es allerdings auch, eine zumutbare Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise wahrzunehmen (vgl. VGH Bad.-Württ. v. 07.03.1996 - 13 S 1443/95 -, juris; VG Freiburg, Urt. v. 06.08.2003 - 1 K 308/02 -, vensa; VG Stuttgart, Urt. v. 22.05.2003 - 4 K 891/02 -, vensa; Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, 1991, S. 101). Für den Kläger besteht eine solche Möglichkeit jedoch weder in Bezug auf das Kosovo noch auf das übrige Serbien und Montenegro.

Bei Prüfung der Frage, ob eine freiwillige Ausreise des Klägers in das Kosovo tatsächlich möglich und zumutbar ist, ist die Wertung des § 53 AuslG zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass die für die Ausländerbehörden nach § 42 S. 1 AsylVfG verbindliche Entscheidung des Bundesamtes über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Abschiebungshindernisses wegen individueller Gefahren nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG auch für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 und 4 AuslG präjudiziell ist (vgl. hierzu VG Freiburg, Urt. v. 06.08.2003 - 1 K 308/02 -, vensa; VG Stuttgart, Urt. v. 22.05.2003 - 4 K 891/02 -, vensa). Daneben ist bei Prüfung der Frage, ob eine freiwillige Ausreise möglich und zumutbar ist, jedoch auch der Umstand zu berücksichtigen, dass ein wegen einer allgemeinen Gefahrenlage i.S.v. § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG aus humanitären Gründen ergangener Erlass existiert, der die Annahme eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG und gerichtliche Feststellungen hierzu sperrt (zur Sperrwirkung vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.09.2001 - A 14 S 2130/00 -, juris; BVerwG, Urteil v. 12.07.2001 - 1 C 2/01 -, BVerwGE 114, 379; BVerwG, Beschluss v. 12.04.2001 - 1 B 21/01 -, juris). Auch dann würde sich die Rechtsordnung in einen Widerspruch setzen zu sich selbst, wenn sie eine Abschiebung wegen im Heimatland bestehender Gefahren verböte, vom betreffenden Ausländer dagegen verlangen würde, sich freiwillig diesen Gefahren auszusetzen. Vielmehr haben die Regelungen in § 30 Abs. 3-5 AuslG den Zweck, abgelehnten Asylbewerbern, deren Aufenthalt nicht beendet werden kann, für die Zeit des Bestehens des Abschiebungshindernisses (vgl. § 34 AuslG) statt der Duldung einen legalen Aufenthaltsstatus einräumen zu können, welcher unter dem Vorbehalt der Regelversagungsgründe des § 7 Abs. 2 AuslG steht. Zugleich soll damit die Duldung stärker auf ihre eigentliche Funktion einer lediglich vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung zurückgeführt werden (Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, 1991, S. 94).

In Anwendung dieser Grundsätze ist dem Kläger eine freiwillige Ausreise in das Kosovo nicht zumutbar. Die Unzumutbarkeit ergibt sich vorliegend aus der Existenz des Erlasses des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 22.03.2004 über die Rückführung ausreisepflichtiger serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger in das Kosovo (4-13-JUG/90) sowie aus der Existenz der oben genannten Weisung des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 06.04.2004. Von beiden Regelungen ist anzunehmen, dass sie nicht nur wegen der Rücknahmeweigerung von UNMIK, sondern - insbesondere wegen der Unruhen im März 2004 und der hierbei gegen Minderheiten verübten Gewalt - auch aus humanitären Gründen die Rückführung von Minderheitenangehörigen in das Kosovo verbieten.

Im Hinblick auf das übrige Serbien und Montenegro (ohne Kosovo) fehlt es dem Kläger an der Möglichkeit zur freiwilligen Einreise. Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes für die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien und Montenegro (ohne Kosovo) vom 24.02.2004 (S. 25) haben freiwillige Rückkehrer nur dann eine Aussicht auf Genehmigung der Einreise durch serbisch-montenegrinische Grenzkontrollorgane, wenn sie im Besitz eines neuen BRJ-Passes oder eines von den konsularischen Vertretungen Serbiens und Montenegros in Deutschland ausgestellten Reiseausweises (Putni List) sind. Der Kläger ist nicht im Besitz eines solchen BRJ-Passes. Er hat ihn bei seiner Ausreise im Jahr 1998 bei seiner Familie zurückgelassen. Es besteht auch keine Möglichkeit, ihn nach Deutschland schicken zu lassen, da der Kläger keinen Kontakt mehr zur nach Montenegro geflohenen Familie hat. Darüber hinaus erscheint es auch ausgeschlossen, dass sich der Kläger von den jugoslawischen Auslandsvertretungen in der Bundesrepublik Deutschland ein Rückreisedokument für Serbien und Montenegro (ohne Kosovo) beschaffen kann. Bei der Prüfung der tatsächlichen Möglichkeit der Einreise ist in Fällen, in denen für eine ganze Gruppe von Personen eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 und Abs. 4 AuslG in Betracht kommt, nicht darauf  abzustellen, ob im Einzelfall die Einreise möglich ist, sondern darauf, ob der betreffende Staat der gesamten Gruppe die Einreise erlaubt. Denn für den aufnehmenden Staat ist - anders als für die deutschen Behörden im Verwaltungsverfahren zur Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis - nicht der jeweilige Einzelfall, sondern die Gesamtheit der Einzelfälle von Bedeutung. Eine andere Auslegung widerspräche dem Zweck des § 30 AuslG, mit dem der Aufenthalt von Personen, deren Aufenthalt nicht beendet werden kann, legalisiert werden soll (zu diesem Zweck: Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, 1991, S. 94). Vorliegend lässt sich aus dem Erlass des Innenministeriums Baden-Württemberg über Rückführungen in die Bundesrepublik Jugoslawien (ohne Kosovo) vom 25.10.2002 (4-13-JUG/45) und dem Deutsch-jugoslawischen Rückübernahmeabkommen vom 16.09.2002, nach denen eine Übernahme von Personen aus dem Kosovo durch die Republik Serbien und Montenegro (ohne Kosovo) nicht möglich ist, ableiten, dass die Republik Serbien und Montenegro nicht bereit ist, Personen aus dem Kosovo in großer Zahl die Einreise zu erlauben. Diese Annahme wird dadurch bestätigt, dass dem Auswärtigem Amt Klagen von Kosovo-Albanern bekannt sind, denen die jugoslawischen  Auslandsvertretungen die Ausstellung von Reiseausweisen für die freiwillige Rückkehr verweigert haben sollen (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes für die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien und Montenegro (ohne Kosovo) vom 24.02.2004, S. 25).

Damit liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 30 Abs. 4 AuslG vor und die Beklagte hat über die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis für den Kläger nach Ermessen zu entscheiden.

Diese Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis wird zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.01.1997 - 1 C 23/94 -, NVwZ-RR 1997, 567) nicht durch einen Regelversagungsgrund nach § 7 Abs. 2 AuslG ausgeschlossen. Zwar ist der Tatbestand des Regelversagungsgrundes des § 7 Abs. 2 Nr. 1 AuslG erfüllt. Denn hinsichtlich des Klägers liegt ein Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG vor. Er wurde mit Strafbefehlen vom 23.05.1997 und vom 23.11.1999 wegen Diebstahls zu Geldstrafen von 8 bzw. 15 Tagessätzen verurteilt. Straftaten sind grundsätzlich keine nur geringfügigen Verstöße gegen Rechtsvorschriften i.S.v. § 46 Nr. 2 AuslG (Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, 1991, S. 252). Dennoch führt dies nicht zu einer zwingenden Versagung der Aufenthaltsbefugnis für den Kläger. Denn der Kläger kann sich insoweit auf einen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichneten Ausnahmefall berufen, der das sonst ausschlaggebende Gewicht des gesetzlichen Regelversagungsgrundes beseitigt. Eine vom Normalfall abweichende Interessenbewertung ist hier anzunehmen, weil die gegen den Kläger verhängten Strafen sich am unteren Rand des Strafrahmens (5 Tagesätze, § 40 Abs. 1 StGB) bewegen und weil sie außerdem in Kürze (mit Ablauf des 23.11.2004) aus dem Bundeszentralregister zu tilgen sind und dann nicht mehr verwertet werden dürfen (§§ 51, 46, Abs. 1 Nr. 1, 47, 36 BZRG). Der Regelversagungsgrund des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG scheidet aus, weil der Kläger seinen Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes selbst bestreitet.

Bei der Ermessensausübung im Rahmen des § 30 Abs. 4 AuslG - deren Rechtmäßigkeit i.S.v. § 114 VwGO zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu beurteilen ist - hat die Ausländerbehörde eine die Gesamtheit der Umstände des Einzelfalles berücksichtigende Entscheidung zu treffen, in der sämtliche für und gegen den Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet sprechenden öffentlichen und privaten Belange gegeneinander abzuwägen und dabei auch die Regelversagungsgründe des § 7 Abs. 2 AuslG mit dem ihnen nach der Entscheidung des Gesetzgebers zukommenden Gewicht einzubeziehen sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.03.1999 - 1 B 18/99 -, InfAuslR 1999, 332 u. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 05.07.2000 - 13 S 1726/99 -, InfAuslR 2000, 491). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass § 30 Abs. 3 und 4 AuslG dem Umstand Rechnung tragen sollen, dass der betreffende Ausländer trotz unanfechtbarer Ausreisepflicht bereits längere Zeit nicht abgeschoben werden konnte und voraussichtlich auch nicht alsbald abgeschoben werden kann (dazu: BVerwG, Beschl. v. 16.12.1998 - 1 B 105/98, InfAuslR 1999, 110). Je weniger absehbar ist, dass die Abschiebungshindernisse entfallen, desto mehr spricht dafür, den Aufenthalt nicht lediglich zu dulden, sondern zu legalisieren und dem Ausländer dadurch einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu verschaffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.04.1997 - 1 C 12/94 -, BVerwGE 104, 210).

Auch bei Entscheidungen, die an sich von der gesetzlichen Ermächtigung her in das Ermessen der Behörde gestellt sind, kann sich aus dem Zusammenhang mit anderen Rechtsvorschriften oder angesichts der besonderen Umstände des konkreten Falles ergeben, dass schon aus rechtlichen Gründen nur eine einzige Entscheidung in Betracht kommt (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., 2000, § 40, Rn. 30). Maßgeblich für die Beurteilung dieser Frage ist der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, weil es um die Frage geht, ob die Aufenthaltsbefugnis aus Rechtsgründen erteilt werden muss (BVerwG, Urt. v. 28.01.1997 - 1 C 23/94 -, NVwZ-RR 1997, 567).

Vorliegend ist aufgrund der Umstände des Einzelfalles von einer solchen Ermessensreduzierung auf Null auszugehen und die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis für den Kläger die einzig rechtlich zulässige Entscheidung. Denn der Kläger, seine Frau und seine Kinder befinden sich mittlerweile - lediglich mit einer Unterbrechung von sechs Monaten - seit 1991 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie sprechen gut Deutsch und haben sich hier integriert. Die Familie des Klägers bestreitet ihren Lebensunterhalt einschließlich eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes aus eigener Erwerbstätigkeit. Eine zwangsweise Aufenthaltsbeendigung ist - wie sich aus der oben aufgeführten Mitteilung des Bundesministeriums des Innern vom 07.05.2004 sowie den Mitteilungen des UNHCR (Länderinformation des UNHCR vom 26.04.2004; Presseerklärung des UNHCR Genf vom 31.03.2004) ergibt - auf unabsehbare Zeit nicht möglich. Daher widerspräche es Sinn und Zweck des § 30 Abs. 4 AuslG, den Aufenthalt des Klägers nicht zu legalisieren. Außerdem wird der Kläger bei Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis wegen der Regelung des § 12 Abs. 2 S. 2 AuslG angehalten, weiterhin die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 AuslG zu erfüllen. Demgegenüber sind im Rahmen der Ermessensentscheidung die vom Kläger begangenen Straftaten zu vernachlässigen, da sie nur von geringem Gewicht sind.

Die Kostentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.