FG des Saarlandes, Urteil vom 15.07.2003 - 1 K 8/03
Fundstelle
openJur 2010, 1090
  • Rkr:

Erlässt das Finanzamt im Zuge einer zulässigen Untätigkeitsklage, der ein Untätigkeitseinspruch vorangegangen ist, den Verwaltungsakt, der jedoch dem Antrag des Steuerpflichtigen nicht oder nicht in vollem Umfang entspricht, so hat der Steuerpflichtige die Wahl, entweder gegen den Bescheid Einspruch einzulegen und das Klageverfahren für erledigt zu erklären oder aber das Klageverfahren als Anfechtungsklage gegen den Bescheid fortzusetzen.

Tatbestand

Der Beklagte hat am 2. August 2001 gegenüber der Klägerin den Umsatzsteuerbescheid 1999 erlassen, der einen Erstattungsbetrag (incl. Zinsen) i.H.v. 575.878,38 DM (294.441,94 EUR) auswies (Bl. 6). Unter den Beteiligten entstand Streit darüber, ob dieser Betrag vom Beklagten durch Verrechnung beglichen worden ist (Bl. 2 ff.). Mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2001 stellte die Klägerin den Antrag, den streitigen Betrag an sie auszuzahlen (Bl. 18). Nachdem der Beklagte auf diesen Antrag hin nichts weiter unternahm, legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 10. Juli 2002 Untätigkeitseinspruch ein.

Als der Beklagte auch daraufhin weder zahlte noch einen rechtsbehelfsfähigen Abrechnungsbescheid erließ, erhob die Klägerin am 10. Januar 2003 Klage. Sie beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 561.833,38 DM nebst 6% Zinsen p.A. seit dem 3. September 2001 zu zahlen (Bl. 1).

Der Beklagte wurde vom Vorsitzenden aufgefordert, zur Klageschrift der Klägerin bis zum 10. Februar 2003 Stellung zu nehmen. Eine Aussetzung und Fristsetzung nach § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO erfolgte nicht. Am 7. Februar 2003 erließ der Beklagte einen Abrechnungsbescheid, wonach die Forderung der Klägerin erloschen sei und übersandte diesen dem Gericht (Bl. 30). Gleichzeitig erklärte er den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, weil er nunmehr den Abrechnungsbescheid - wenn auch nicht im gewünschten Sinne - erlassen habe (Bl. 29, 42 f.). Eine Klage gegen den ablehnenden Abrechnungsbescheid sei gemäß § 44 Abs. 1 FGO nur nach Durchführung eines entsprechenden Vorverfahrens zulässig.

Die Klägerin hat keine Erledigungserklärung abgegeben. Ihrer Auffassung nach ist der Rechtsstreit nicht erledigt, weil der Beklagte durch seinen Abrechnungsbescheid nicht in ihrem Sinne entschieden habe (Bl. 33 f.).

Durch Zwischengerichtsbescheid vom 16. Mai 2003 hat der Senat die Klage für zulässig erklärt und die Revision zugelassen. Der Beklagte hat fristgerecht Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Gründe

Die Klage ist gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 FGO zulässig.

Die Klägerin hat unstreitig in zulässiger Weise Untätigkeitseinspruch (§ 347 Abs. 1 S. 2 AO) und sodann Klage nach § 46 Abs. 1 S. 1 FGO erhoben, nachdem der Beklagte die entsprechenden Eingaben der Klägerin jeweils über 6 Monate lang ohne Angabe von Gründen nicht beschieden hat. Zweifelhaft ist bezüglich der Zulässigkeit des Klageverfahrens nur, ob die Klage dadurch nachträglich unzulässig geworden ist, dass der Beklagte am 7. Februar 2003 einen Abrechnungsbescheid erlassen hat, der den Zahlungsanspruch der Klägerin verneint.

Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass eine Klage nach § 46 FGO, die sich gegen eine doppelte Untätigkeit des Finanzamtes (bezüglich des Erlasses des beantragten Bescheides und bezüglich des Untätigkeitseinspruchs) richtet, ihrer Art nach eine Verpflichtungsklage ist. Denn dieses Verfahren kann bei andauernder Untätigkeit des Finanzamtes nur dadurch im Sinne eines Klägers entschieden werden, dass das Gericht das Finanzamt zum Erlass eines Verwaltungsaktes verurteilt. Es muss sich hierbei stets um einen konkreten, inhaltlich bestimmten Verwaltungsakt (z.B. die Einkommensteuer 2000 auf 15.000 DM festzusetzen) und nicht nur um die abstrakte Verpflichtung des Finanzamtes handeln, den Einspruch - mit welchem Inhalt auch immer - überhaupt zu bescheiden.

Vorliegend hat der Beklagte im Zuge des (Verpflichtungs-) Klageverfahrens den noch ausstehenden Verwaltungsakt erlassen. Dadurch kann im Wege einer Klageänderung, die als sachdienlich anzusehen ist (§ 67 Abs. 1 S. 1 FGO), aus der ursprünglichen Verpflichtungsklage eine Anfechtungsklage werden, soweit die Klägerin das Klageverfahren fortsetzen möchte und sie es - aus welchen Gründen auch immer - nicht vorzieht, gegen den Bescheid Einspruch einzulegen und ihre Rechte zunächst im Einspruchsverfahren wahrzunehmen. § 68 FGO greift nach seinem Gesetzeswortlaut ("...der angefochtene Verwaltungsakt...") im Falle der Untätigkeitsklage nach Untätigkeitseinspruch nicht ein. Ein Kläger hat also in einer solchen Verfahrenssituation die Wahlmöglichkeit, entweder das Klageverfahren gegen den zwischenzeitlich erlassenen, ablehnenden Verwaltungsakt fortzusetzen oder gegen den Bescheid Einspruch einzulegen und das Klageverfahren in der Hauptsache für erledigt zu erklären.

Entscheidet er sich - wie im Streitfall - für die Fortsetzung des Klageverfahrens, dann ist die Anfechtungsklage ebenfalls - wie die zuvor erhobene Verpflichtungsklage - nach § 46 Abs. 1 S. 1 FGO zulässig. Denn die Vorschrift differenziert nicht zwischen den beiden Klagearten. Es ist ihr insbesondere nicht - wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat - zu entnehmen, dass gegen den erstmals erlassen Bescheid zwangsläufig ein Einspruchsverfahren durchzuführen wäre. Der Passus des § 46 Abs. 1 S. 1 FGO "... ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens..." zieht eine solche Folgerung nicht zwingend nach sich. Das "nicht abgeschlossene Vorverfahren" in diesem Sinne ist auch für das Anfechtungsverfahren der Untätigkeitseinspruch, den das Finanzamt über Gebühr lange unbearbeitet gelassen hat. Es ist einem Kläger, dessen Anliegen das Finanzamt in der Vergangenheit bereits zwei Mal nicht bearbeitet hat, nicht zuzumuten, dass sich dies möglicherweise ein drittes Mal - nämlich in dem Einspruchsverfahren gegen den im Klageverfahren erlassenen Bescheid - wiederholt.

Dies lässt sich wertungsmäßig auch dem § 46 Abs. 1 S. 3 FGO entnehmen, der im Falle einer gerichtlichen Fristsetzung nur die "stattgebende" Einspruchsentscheidung oder den Erlass des "beantragten Verwaltungsaktes" als erledigende Ereignisse anerkennt. "Beantragter Verwaltungsakt" ist nicht nur ein seiner Art nach beantragter Verwaltungsakt (z.B. Erlass des Einkommensteuerbescheides 2000), sondern der inhaltlich konkret beantragte Verwaltungsakt (z.B. Festsetzung der Einkommensteuer 2000 i.H.v. 15.000 DM). Wird nicht der i.d.S. "beantragte", sondern ein Steuerbescheid mit anderem, ungünstigerem Inhalt erlassen, dann wird das Klageverfahren gegen den fraglichen Bescheid fortgesetzt, ohne dass ein Einspruchverfahren durchgeführt werden müsste. Entsprechendes muss zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen in den Fällen des § 46 Abs. 1 S. 1 FGO, in denen - wie im Streitfall - keine richterliche Frist gesetzt worden ist gelten. Der Senat sieht sich mit dieser Rechtsauffassung in Übereinstimmung mit dem FG Köln (Urteil vom 21. November 2001 6 K 1134/01, EFG 2002, 1245, Az. des BFH: I B 31/02) und dem Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 13. Januar 1983 5 C 114/81, NJW 1983, 2276, DVBl. 1983, 84).

Die Klage war demzufolge durch Zwischenurteil für zulässig zu erklären (§ 97 FGO). Das Verfahren wird gegen den ablehnenden Abrechnungsbescheid vom 7. Februar 2003 fortgesetzt.

Die Zulassung der Revision erfolgt gemäß § 115 Abs. 2 FGO, da über die Rechtsfrage - soweit ersichtlich - höchstrichterlich noch nicht entschieden worden ist.