OLG Hamm, Urteil vom 26.09.2012 - I-20 U 23/12
Fundstelle
openJur 2012, 130639
  • Rkr:

Hat der Versicherungsnehmer die einschlägigen Fragen des Versicherers beantwortet und sich auch ansonsten den Ermittlungen des Versicherers unterzogen, ist ihm ein längeres Zuwarten nicht mehr abzuverlangen, wenn ihm nicht konkret erklärt wird, welche weiteren Angaben bzw. Informationen erforderlich sind, um die Einstandspflicht abschließend beurteilen zu können. Die vage Ankündigung einer weiteren Prüfung des Leistungsanspruchs im Falle „entsprechender“ Konkretisierung und Substantiierung der klägerischen Angaben stellt aus Sicht des Versicherungsnehmers keine ernstzunehmende Fortführung der Leistungsprüfung dar und muss damit dieselben Folgen haben wie eine endgültige Leistungsverweigerung.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 01.12.2011 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

 

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für die Zeit vom 01.07.2010 bis zum 31.12.2011 einen Betrag in Höhe von 47.125,62 Euro nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 21.896,48 Euro seit dem 01.04.2011 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger ab dem 01.01.2012 bedingungsgemäße Leistungen i. H. v. monatlich 2.618,09 Euro aus der Berufsunfähigkeitspolice Nr. ...# zu erbringen.

Es wird festgestellt, dass der Kläger seit dem 01.07.2010 von der Beitragszahlungspflicht aus der Berufsunfähigkeitspolice Nr. ...# befreit ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 7 % und die Beklagte zu 93 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung kann vom jeweiligen Vollstreckungsschuldner durch Sicherheitsleistung iHv 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abgewandt werden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen seiner Erkrankung an multipler Sklerose aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung in Anspruch.

Der Kläger ist gelernter Maler und Lackierer. Im Jahr 2005 gründete er einen eigenen Pulverbeschichtungsbetrieb (Firma H GmbH), in dem er als einziger Gesellschafter und Geschäftsführer seitdem selbst mitarbeitete.

Ausweislich des Versicherungsscheins vom 07.11.2005 (Versicherungsscheinnummer ...#, Anlage K 1) hält der Kläger für den Zeitraum vom 01.11.2005 bis zum 31.10.2025 bei der Beklagten eine private Berufsunfähigkeitsversicherung mit planmäßiger Erhöhung nach dem Dynamikplan. Die monatliche Rente betrug danach anfänglich 2.000,00 Euro, der zu entrichtende Monatsbeitrag 171,06 Euro. Dem Versicherungsverhältnis liegen u. a. die Allgemeinen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung (AVB-BUV 08.05 - im Folgenden: AVB) sowie die Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung mit planmäßiger Erhöhung nach dem Dynamikplan (DYNB BUV 03.03 - im Folgenden: BBD) zugrunde.

Nach § 1 Abs. 1 AVB liegt Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen vor, „wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens 6 Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außer Stande ist, ihrem zuletzt vor Eintritt dieses Zustands ausgeübten Beruf - so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war - nachzugehen. Eine Verweisung auf eine vergleichbare Tätigkeit kommt nur dann in Betracht, wenn diese im Sinne von Absatz 4a konkret ausgeübt wird (Verzicht auf abstrakte Verweisung).“

Nach § 1 Absatz 3 b AVB liegt Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen nicht vor, „wenn die versicherte Person nach Eintritt des in Abs. 1 beschriebenen Zustands als Selbstständiger oder Angestellter mit Weisungs- und Direktionsbefugnis nach wirtschaftlich angemessener Umorganisation innerhalb des Betriebes weiter tätig sein könnte“. Eine Umorganisation soll angemessen sein, „wenn sie keinen erheblichen Kapitaleinsatz erfordert, sich keine auf Dauer ins Gewicht fallende Einkommenseinbußen ergeben, sie von der versicherten Person aufgrund ihres maßgeblichen Einflusses auf die Geschicke des Unternehmens realisiert werden kann und der versicherten Person ein der bisherigen Position angemessener Tätigkeitsbereich geschaffen wird und diese aus medizinischer Sicht möglich ist“.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die mit der Klageschrift als Anlage K 1 zur Akte gereichten AVB Bezug genommen.

Die vom Versicherungsschutz umfasste Dynamikerhöhung bewirkt gem. § 1 Abs. 2 BBD eine Erhöhung der Versicherungsleistungen ohne erneute Gesundheitsprüfung, und zwar gem. § 2 Abs. 1 BBD jeweils zum Jahrestag des Versicherungsbeginns, über die der Versicherungsnehmer gem. § 2 Abs. 2 BBD eine rechtzeitige Mitteilung erhält. Nach § 5 Abs. 1 BBD entfällt die Erhöhung, wenn der Versicherungsnehmer ihr bis zum Ende des ersten Geltungsmonats widerspricht oder den ersten erhöhten Beitrag nicht innerhalb von zwei Monaten nach dem Erhöhungstermin zahlt. In § 5 Abs. 4 BBD heißt es:

„Solange Ihre Beitragszahlungspflicht wegen Berufsunfähigkeit ganz oder teilweise entfällt, werden keine Erhöhungen durchgeführt.“

Mit Schreiben vom 16.09.2010 bot die Beklagte dem Kläger eine Dynamikerhöhung zum 01.11.2010 an. Danach sollte der Monatsbeitrag ab dem 01.11.2010 (nach bereits einberechneten Erhöhungen der Vorjahre, vgl. dazu Anlage K 2) von 227,69 Euro auf 250,46 Euro ansteigen, die monatliche Berufsunfähigkeitsrente von 2.618,09 Euro auf 2.856,03 Euro, wenn nicht der Kläger bis zum 01.12.2010 mitteile, dass er diese Erhöhung nicht annehmen wolle (Anlage K 3).

Unstreitig erkrankte der Kläger im Herbst 2008 an multipler Sklerose. Nach einem weiteren Krankheitsschub im Januar 2010 bezog er nach Arbeitsunfähigkeitsmeldung zunächst Leistungen aus einer Krankentagegeldversicherung, die nach gutachterlicher Feststellung einer dauerhaften krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit (neurologisches Gutachten Dr. I vom 30.06.2010, Anlage K 4) eingestellt wurden, worauf der Kläger die Beklagte aus der Berufsunfähigkeitsversicherung in Anspruch nahm. Auf entsprechende Anfrage der Beklagten übersandte er unter dem 14.08.2010 eine Selbstauskunft zur Berufsunfähigkeit (Anlage B 1 zur Klageerwiderung) sowie einen Ergänzungsfragebogen für Selbständige (Anlage B 2) und zwei ärztliche Berichte des Krankenhauses Q (Anlagen B 3, B 4). Die Beklagte ließ unter dem 27.01.2011 von der B3 GmbH (N) einen berufskundlichen Bericht erstellen (Anlage K 6). Mit Schreiben 10.02.2011 teilte sie dem mittlerweile anwaltlich vertretenen Kläger mit, sie werde seinen Leistungsanspruch angesichts der „dürftigen Angaben zur berufskundlichen Sachlage“ erst prüfen, sobald er seine Angaben zur beruflichen Tätigkeit konkretisiere und substantiiere (Anlage K 9).

Der Kläger hat mit seiner Klage vom 14.03.2011 behauptet, er sei aufgrund seiner im Jahr 2008 festgestellten Erkrankung spätestens seit Juli 2010 zu mehr als 50 % nicht mehr in der Lage, seiner Tätigkeit als mitarbeitender Betriebsinhaber nachzugehen. Diese erfordere fast ausnahmslos körperliche Anstrengungen, zu denen er nicht mehr in der Lage sei. Er habe die in seinem Betrieb anfallenden Arbeiten mit seinen Mitarbeitern bei Schichtbeginn um 7.00 Uhr morgens aufgenommen und mindestens bis zum Produktionsschluss gegen 18.00 Uhr, regelmäßig darüber hinaus, fortgesetzt.  Für die Pulverbeschichtung der in seinem Betrieb zu bearbeitenden Stahlteile seien diese von ihrem Lagerort zunächst per Gabelstapler in die Betriebshalle zu befördern und je nach Gewicht (im Durchschnitt 35 kg) per Hand oder mit Maschineneinsatz dort an Schienen aufzuhängen. Dann seien die Schienen in den 2007 angeschafften Waschautomaten verbracht bzw. sperrige Teile von Hand abgewaschen worden, bevor sie zum Trocknen in den Ofen kämen. Dabei würden die Teile an den Schienen bis zu einem Gesamtgewicht von einer Tonne von Hand gezogen. Die Teile seien dann - teilweise von der Leiter aus - mit der Sprühpistole lackiert und sodann wiederum im Ofen gebrannt worden. Während des jeweiligen Ofenbetriebs seien weitere Schienen mit Stahlteilen zu befüllen bzw. abzuhängen und zu lackieren. Die fertigen und abgekühlten Teile seien schließlich  - vorzugsweise von Hand, um Verkratzungen zu vermeiden - abzuhängen, in Folie zu verpacken und für den jeweiligen Auftraggeber auf Paletten bereitzustellen, bzw. noch mit dem Gabelstapler zum Lagerort zu fahren.

Neben diesen rein körperlichen Arbeiten seien täglich allenfalls bis zu 30 Minuten an Büroarbeiten für ihn angefallen, etwa durch Telefonate oder Auftragsbesprechungen. Die Post hätte er regelmäßig erst nach Produktionsschluss zu Hause erledigt. Wegen der Einzelheiten des vom Kläger in erster Instanz geschilderten Tätigkeitsbildes wird auf seine Ausführungen auf Seite 3 und 4 der Klageschrift vom 14.03.2011 sowie im Schiftsatz vom 05.07.2011, (Bl. 36 ff d. A. mit entsprechenden beigefügten Photos) und im Termin vor dem Landgericht am 11.08.2011, Bl. 54 ff, verwiesen.

Der Kläger hat weiter vorgetragen, er könne die zu beschichtenden Teile nicht mehr auf- und abhängen bzw. lackieren, weil er insbesondere nicht mehr in der Lage sei, den rechten Arm längere Zeit hochzuhalten und weil er sehr unsicher auf den Beinen sei. Auch die Bedienung des Gabelstaplers sei wegen seiner Spastik in Armen und Beinen mit großer Unsicherheit behaftet, im Übrigen sei allenfalls eine Stunde täglich der Gabelstapler zu fahren.

Die von ihm geltend gemachten Ansprüche hat der Kläger weiter damit begründet, dass ihm eine Umorganisation des Betriebes bzw. der von ihm zu erledigenden Tätigkeiten nicht möglich sei, weil körperlich weniger fordernde Tätigkeiten (Telefonate, Post durchsehen, Angebote erstellen und besprechen etc.) nicht in ausreichendem Umfang, sondern für allenfalls eine gute halbe Stunde täglich  anfielen. Im Übrigen müsse er wegen seiner Erkrankung auch jegliche Aufregung vermeiden.

Aufgrund dessen habe er einen seiner Mitarbeiter zum Vorarbeiter ernennen müssen und sich selber von der Mitarbeit im Betrieb - bis auf Besprechungen mit dem Vorarbeiter - völlig zurückgezogen.

Der Kläger hat beantragt,

1.     die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Zeit vom 01.07.2010 bis zum 31.12.2011 50.456,78 Euro zzgl. Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 21.896,48 Euro seit dem 01.04.2011 zu zahlen;

2.     die Beklagte weiter zu verurteilen, an ihn ab dem 01.01.2012 bedingungsgemäße Leistungen aus der Berufsunfähigkeitspolice Nr. ...# zu erbringen, zur Zeit monatlich 2.856,03 Euro;

3.     festzustellen, dass er ab dem 01.07.2010 von der Beitragszahlungspflicht für die Berufsunfähigkeitspolice Nr. ...# befreit ist;

4.     die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche nicht anrechenbare Anwaltskosten iHv 1.249,90 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

              die Klage abzuweisen.

Sie hat sich primär auf die fehlende Fälligkeit der geltend gemachten Ansprüche nach § 14 Abs. 1 VVG berufen und dazu geltend gemacht, der Kläger müsse seine berufliche Tätigkeit im einzelnen stundenplanmäßig konkretisieren. Mangels genauer zeitlicher Eingrenzung und Beschreibung der einzelnen vom Kläger und von seinen Mitarbeitern zu erbringenden Arbeitsschritte könne sie bislang nicht in die Leistungsprüfung eintreten. Die noch fehlenden Erhebungen dürften nicht in den Prozess verlagert werden.

Hilfsweise hat die Beklagte die Behauptungen des Klägers zu seiner krankheitsbedingten Berufsunfähigkeit bestritten, auch im Hinblick auf Unmöglichkeit einer betrieblichen Umorganisation durch den Kläger als Betriebsleiter.

Im Übrigen könne der Kläger die verlangten Leistungen nach dem Vertrag allenfalls bis zum 31.10.2025 beanspruchen und nicht unter Zugrundelegung einer Dynamisierung, die erst für die Zeit nach Eintritt der Berufsunfähigkeit gelte.

Das Landgericht hat die Beklagte nach Einholung eines neurologischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. T vom 05.10.2011 mit Urteil vom 01.12.2011 antragsgemäß zur Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente für die Zeit seit dem 01.07.2010 verurteilt und die Beitragsbefreiung des Klägers seit diesem Zeitpunkt festgestellt. Ebenfalls antraggemäß hat es die Beklagte zur Zahlung der vorgerichtlichen Anwaltskosten des Klägers verurteilt.

Die geltend gemachte Berufsunfähigkeit des Klägers ergebe sich aus den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. T, wobei es weder ergänzend auf ein von der Beklagten beantragtes arbeitsmedizinisches Gutachten noch auf weitere Beweiserhebungen ankomme. Das Gericht habe die vom Kläger behaupteten Arbeitsabläufe bzw. die Unmöglichkeit der betrieblichen Umorganisation in eigener Verantwortung aufgrund der persönlichen Anhörung feststellen können. Die Überzeugung von der krankheitsbedingten Unfähigkeit des Klägers, die in seinem Betrieb von ihm zu erbringenden Tätigkeiten zu verrichten, stütze die Kammer auf das überzeugende Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. T, wobei dem Antrag der Beklagten auf Ladung des Sachverständigen wegen Bedeutungslosigkeit in entsprechender Anwendung von § 244 Abs. 3 StPO nicht nachzukommen sei.

Die Höhe der dem Kläger zustehenden Berufsunfähigkeitsrente richte sich nach der Dynamikerhöhung zum 01.11.2010, weil die Beklagte dies mit Schreiben vom 16.09.2010 angeboten und der Kläger insofern nicht widersprochen habe.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte im Wege ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlich verfolgten Klageabweisungsantrag aufrechterhält.

Sie rügt, dass sich das Landgericht mit der von ihr eingewandten fehlenden Fälligkeit der Berufsunfähigkeitsleistungen nicht auseinandergesetzt und so die Leistungsprüfung unzulässigerweise in den Rechtsstreit verlagert habe.

Zudem hält sie den klägerischen Vortrag zu der von ihm in gesunden Tagen ausgeübten Berufstätigkeit bzw. zur Frage einer zumutbaren Betriebsumorganisation weiterhin für unzureichend. Allein im Wege der persönlichen Anhörung des Klägers sei es diesem auch nicht gelungen, seine von der Beklagten weiterhin bestrittenen Behauptungen nachzuweisen.

Im Hinblick auf die medizinischen Voraussetzungen der Klageansprüche sei der erforderliche Nachweis einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit durch das eingeholte Sachverständigengutachten nicht erbracht. Die Beklagte beanstandet in diesem Zusammenhang, dass der Sachverständige trotz der von ihr gerügten Widersprüchlichkeiten insbesondere zu den Feststellungen des neuropsychologischen Sachverständigen Dr. D (nur 10%-ige kognitive Beeinträchtigung) nicht ergänzend angehört worden ist. Zudem hätten die Anknüpfungstatsachen auf ihren Antrag mittels eines arbeitsmedizinischen Zusatzgutachtens überprüft werden müssen.

Außerdem hätte das Landgericht der angefochtenen Verurteilung nicht die Dynamikerhöhung zum 01.11.2010 zugrundelegen dürfen, weil diese bedingungsgemäß nur im Falle bis dahin nicht eingetretener Berufsunfähigkeit wirksam würde. Eine davon abweichende Einigung der Parteien sei angesichts der nur einseitigen Mitteilung der Beklagten nicht begründbar.

Daneben hätte das Landgericht die Verurteilung der Beklagten zeitlich begrenzen müssen und schließlich mangels Fälligkeit bzw. Verzugseintritts vor Beauftragung der Klägervertreter die Kosten der vorgerichtlichen Anwaltstätigkeit nicht der Beklagten auferlegen dürfen.

Die Beklagte beantragt demgemäß,

die Klage unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er meint, an der Fälligkeit seiner Klageansprüche könne schon deshalb nicht gezweifelt werden, weil die Beklagte sich über einen Zeitraum von zehn Monaten vor Klageerhebung nicht zur Leistungserbringung habe durchringen können.

Im Übrigen habe er zur Frage der Berufsunfähigkeit hinreichend vorgetragen und schon durch das schriftliche Sachverständigengutachten den Nachweis der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit erbracht. Einer ergänzenden Anhörung des Sachverständigen bedürfe es nicht.

Der Senat hat den Kläger im Senatstermin am 24.08.2012 persönlich angehört sowie den von ihm benannten Zeugen M vernommen. Der gerichtlich bestellte Sachverständige Professor Dr. T hat sein schriftliches Gutachten mündlich erläutert. Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 24.08.2012 Bezug genommen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklag­ten bleibt in der Sache überwiegend erfolglos. Die Klageanträge sind im Wesent­lichen begründet, so dass das angefochtene Urteil des Landgerichts Arnsberg in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu bestätigen war.

1.

Der Anspruch auf Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 2.618,09 € monatlich seit Juli 2010 ergibt sich aus § 3 lit. a der AVB der Beklagten. Danach hat die Beklagte die vereinbarte Berufsunfähigkeitsrente im Falle der Berufsunfähigkeit der versicherten Person zu erbringen. Der Kläger ist als versicherte Person spätes­tens seit Juli 2010 berufsunfähig i.S.v. § 1 Abs. 1 AVB. Berufsunfähig ist danach, wer infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außerstande ist, seinem zuletzt vor Eintritt dieses Zustands ausgeübten Beruf ‑ so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war ‑ nachzugehen.

Der Kläger hat bewiesen, dass er die von ihm in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit als Betriebsleiter des von ihm geführten Pul­verbeschichtungsbetriebes aufgrund seiner Erkrankung an Multipler Sklerose nicht mehr zu mindestens 50 % ausüben kann.

a)

Entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht hat er hinreichend dargelegt, wie sein Tätigkeitsbild in gesunden Tagen aussah. Er hat bereits in erster Instanz unter Vorlage und Erläuterung von beispielhaften Fotos der in seinem Betrieb zu ver­richtenden Tätigkeiten anschaulich erläutert, welche Anforderungen an ihn als voll­schichtig im Betrieb mitarbeitenden Betriebsleiter gestellt waren. So ist aus dem Vor­trag zu den im Pulverbeschichtungsverfahren zu verrichtenden Einzeltätigkeiten, die der Kläger mit entsprechenden Fotos belegt hat, ersichtlich, welche Arbeiten im Ein­zelnen zu erledigen waren, insbesondere das Auf- und Abhängen der zu beschich­tenden Stahlteile an den in der Betriebshalle des Klägers montierten Aufhänge­schienen, das Bewegen der aufgehängten Teile in den Brennofen bzw. aus diesem heraus, das Lackieren der Teile mit einer Spritzpistole sowie auch die Folienverpackung bzw. die An- und Abfuhr und die Lagerung der Stahlteile. Es ist vom Klä­ger, der seine Tätigkeit als Betriebsleiter dargestellt hat, insbesondere nicht zu ver­langen, einen gleichbleibenden „Stundenplan“ zu seinen Tätigkeiten vorzulegen, so­weit sich aus seinem Vortrag ergibt, dass seine Tätigkeiten keinem gleich­bleibenden Muster unterworfen waren sondern ‑ gerade aufgrund seiner Stellung als Betriebsleiter ‑ der selbstbestimmten Einteilung unterlagen und zudem im Umfang vom Auftragsvolumen sowie von der (ebenfalls von der Auftragslage abhängigen) Mitarbeiterzahl abhing.

Der Senat ist nach Vernehmung des Zeugen M zudem davon überzeugt, dass die von dem Kläger zu bewältigenden Anforderungen sich so darstellten, wie er es vorgetra­gen hat. Der Zeuge M hat als langjähriger Mitarbeiter des Klägers sowohl die im Einzelnen anfallenden Tätigkeiten ebenso beschrieben und anhand der vorge­legten Fotos erklärt wie es sich aus dem streitigen Vortrag des Klägers ergibt als auch bestätigt, dass der Kläger als Chef in gesunden Tagen vollschichtig bei sämt­lichen Tätigkeiten mitgearbeitet hat. Zumindest bis zum Jahr 2008 habe der Kläger morgens gegen 6.00 bis 7.00 Uhr die Arbeit mit seinen Mitarbeitern aufgenommen und dabei sowohl beim Auf- und Abhängen der Teile bzw. beim Bewegen der Teile an den Schienen in den Brennofen hinein und aus diesem wieder heraus sowie bei den Lackier- und Verpackungsarbeiten mitgeholfen. Daneben habe der Kläger in geringem Umfang auch die ihm als Chef zukommenden Bürotätigkeiten erledigt, wobei der Zeuge M, der diese Tätig­keiten aus eigener Anschauung nicht beschreiben konnte, insoweit ausführte, dass der Kläger solche Arbeiten eher am Feierabend bzw. am Wochenende erledigt habe.

Angesichts der übereinstimmenden und vor dem Hintergrund der vorgelegten Fotos und der Geschäftsorganisation des Pulverbeschichtungsbetriebes nachvollziehbaren Ausführungen des Klägers und des Zeugen M ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger sein Tätigkeitsbild in gesunden Tagen zutreffend beschrieben hat. Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge M als loyaler Mitarbeiter des Klägers unrichtig zugunsten seines Chefs ausgesagt haben könnte, ergeben sich nicht. Viel­mehr hält der Senat die Schilderung des Zeugen auch deshalb für plausibel, weil die vollschichtige Mitarbeit des Klägers in dem von ihm erst im Jahr 2005 gegründeten Betriebes angesichts der nach aller Lebenserfahrung in den ersten Betriebsjahren erforderlichen Anstrengungen zur Etablierung eines neu gegründeten Geschäftes naheliegend sind. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang nachvollziehbar ausge­führt, dass er sich als ehemaliger Mitarbeiter der Firma W2, die seinem Hauptauf­traggeber, die Firma B2 nachgeordnet ist, gerade im Hinblick darauf selbständig gemacht hat, dass 80 % seiner Aufträge von der Firma B2 kommen würden. Er habe sich dafür in erheblichem Umfang finanziell verschuldet, was ebenfalls nach der Lebenserfahrung naheliegt. Dass der Kläger in einer solchen Situation, in der er die finanziellen Belastungen erst noch durch die der Finanzierung zugrundegelegten Geschäftserfolge abarbei­ten musste, mit großem persönlichen Einsatz in seinem Betrieb betätigen würde, ist glaubhaft und dem Klagebegehren damit uneingeschränkt zugrunde zu legen.

Vor diesem Hintergrund hält der Senat es auch nicht für geboten, zum Nachweis der Berufstätigkeit des Klägers ein arbeitsmedizinisches Sach­verständigengutachten einzuholen. Das Berufsbild des Klägers ist nach seiner per­sönlichen Anhörung und der des Zeugen M hinreichend gesichert. Die Beklagte kann mit ihrem Bestreiten die von ihr dargestellten Zweifel nicht weiter geltend machen.

Im Übrigen hat die Beklagte selbst einen berufskundlichen Bericht eingeholt (Anlage K 6) und den Betrieb besichtigen lassen.

b)

Der Senat ist weiter davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund seiner Erkrankung an Multipler Sklerose zu mindestens 50 % nicht mehr in der Lage ist, die von ihm als Betriebsleiter in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeiten zu verrichten. Auch dazu hat der Kläger nachvollziehbar dargelegt, weshalb er sich nicht mehr in der Lage sieht, im Betrieb wie seine Mitarbeiter tätig zu sein und allenfalls noch aufsichtsfüh­rende bzw. Kontrolltätigkeiten ausführen zu können. Der Kläger hat bereits erst­instanzlich vorgetragen und im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat nachvollziehbar dargelegt, welche Einschränkungen seine Erkrankung im Hin­blick auf seine Berufstätigkeit mit sich gebracht hat. So hat er zunächst plastisch geschildert, welche Auswirkungen die Erkrankung, insbesondere der zweite Krankheitsschub im Januar 2010 mit sich gebracht hat. Er habe insbesondere an einem spürbaren Kraftverlust in Armen und Beinen gelitten und sich nicht mehr in der Lage gesehen, die zu bearbeitenden Stahlteile auf- und abzuhängen bzw. an den Schienen zu bewegen. Ihm habe die Kraft in den Armen gefehlt und er habe sich nicht mehr gut auf den Beinen halten können. Auch sehe er sich den Konzentrations- und Belastungsanforderungen im Betrieb, der aufgrund des Drucks der Auftraggeber auch erheblichen Stress auslöse, nicht mehr so gewachsen wie früher.

Diese Schilderungen lassen sich mit den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. T ohne Weiteres in Einklang bringen. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die vom Kläger vorgelegte und von der Beklagten so auch nicht in Frage gestellten Diagnose einer Erkrankung an Multipler Sklerose gesichert sei. Sowohl aus den ärztlichen Belegen als auch aus der sachverständigen Untersuchung des Klägers ergebe sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass der Kläger an Multipler Sklerose erkrankt sei. Diese Erkrankung verlaufe klassischerweise in Schüben, wobei Entzündungen des zentralen Nerven­systems aufträten, die je nach Sitz des jeweiligen Entzündungsherdes ganz unter­schiedliche Auswirkungen haben könnten. Beim Kläger zeigten sich insbesondere die Auswirkungen des Entzündungsschubes, der im Januar 2010 aufgetreten sei. Der Kläger leide danach an einer ataktischen rechtsbetonten spastischen Parese. Damit sei eine vor allem die rechte Körperhälfte betreffende Lähmung gemeint, die eine erhebliche Reduktion der Muskelkraft sowohl in den Armen als auch in den Beinen mit sich bringe. Die damit bedingte Kraftverminderung gehe einher mit der als Ataxie beschriebenen Beeinträchtigung der Koordinationsfähigkeit, die die Gliedmaßen des Klägers betroffen habe. Hinzu komme zudem eine Spastik, die dadurch gekenn­zeichnet sei, dass die Muskeln nicht im Sinne einer schlaffen Lähmung geschwächt seien, sondern durch eine erhöhte Vorspannung, insbesondere auf der rechten Kör­perseite. Diese neurologischen Folgen des Entzündungsschubes beeinträchtigen sich nach den Ausführungen des Sachverständigen gegenseitig. Diese Symptomatik sei zudem noch dadurch verschärft, dass der Kläger an einer Fibromyalgie leide, einer typischen Folgeerscheinung der Erkrankung, die sich insbesondere in einer insgesamt verminderten Belastbarkeit sowohl körperlicher als auch mentaler Art auswirke.

Infolge dieser Krankheitssymptome sei der Kläger, dessen Muskelkraft als solche durchaus noch ausreiche, Gewichte von 10 - 20 kg anzuheben, im Ergebnis nicht mehr in der Lage sei, die in seinem Betrieb zu bearbeitenden Teile an die Schienen zu heben bzw. dort hin- und herzubewegen und zu bearbeiten und schließlich wieder herunterzuheben und zu verpacken. Insbesondere die Koordinationsstörungen der äußeren Gliedmaßen machten es dem Kläger unmöglich, im Zusammenhang mit der von ihm zu erbringenden Kraftanstrengung die zu beschichtenden Stahlteile richtig an die Aufhängepunkte zu heben bzw. von dort wieder herunterzubewegen. Entspre­chendes gelte für die Lackierarbeiten, die zwar als solche keinen erhöhten Kraftauf­wand verlangten, jedoch infolge der Koordinationsschwierigkeiten und der spasti­schen Lähmungen des Klägers von ihm nicht bewältigt werden könnten. Insbeson­dere sei es ihm nicht möglich, die anfallenden Arbeiten über einen ganzen Arbeitstag von acht bis neun Stunden auszuführen. Dabei dürfe auch nicht außer Acht gelassen werden, dass der Kläger neben den Auswirkungen der Fibromyalgie als verminderte Belastbarkeit unter nicht unerheblichen kognitiven Einschränkungen infolge seiner Erkrankung leide. Diese kognitiven Einschränkungen machten sich nicht nur bei rein verwaltungsmäßigen Tätigkeiten bemerkbar, sondern seien auch bei der Durchfüh­rung der körperlichen Arbeiten, die schließlich erhebliche Koordinationsleistungen verlangten, hinderlich. In diesem Zusammenhang sei auch das reine Bedienen des vom Kläger im Betrieb zu nutzenden Gabelstaplers nicht mehr uneingeschränkt möglich. Der Kläger sei zwar dem Grunde nach in der Lage, die Steuerungsinstru­mente des Gabelstaplers zu bedienen, er sei allerdings aufgrund seiner Koordina­tionsschwierigkeiten und seiner kognitiven Defizite nicht zuverlässig befähigt, auf unvorhergesehene Situationen zu reagieren und in Gefahrensituationen richtig zu handeln, so dass weder er noch Dritte zu Schaden kommen.

Der Senat ist im Ergebnis nach den Ausführungen des Sachverständigen davon überzeugt, dass die krankheitsbedingten Einschränkungen des Klägers zu einer Berufsunfähigkeit von mindestens 60 % führen. Dabei hat der Sachverständige Prof. Dr. T nachvollziehbar dargelegt, dass allein die kognitiven Einschränkungen des Klägers eine Einschränkung seiner Berufsfähigkeit um 10 % rechtfertigten. Dabei hat der Sachverständige das Berufsbild zugrunde gelegt, welches der Kläger darge­legt und im Wege der Beweisaufnahme auch nachgewiesen hat, das heißt eine überwiegend körperliche Mitarbeit im Betrieb und allenfalls halbstündige Befassung mit Büro- und Verwaltungstätigkeiten pro Tag. Trotz des geringen Anteils der Büro­tätigkeiten bedeuteten die kognitiven Defizite eine Einschränkung von immerhin 10 %, weil diese auch bei der körperlichen Tätigkeit wirksam würden. Hinzuzusetzen seien die Beeinträchtigungen infolge der beschriebenen Fibromyalgie, die der Sach­verständige nachvollziehbar mit mindestens weiteren 10 % bemisst, sowie mindestens 40 % im Hin­blick auf die körperlichen Beeinträchtigungen des Klägers.

Der Senat legt den so gefundenen Wert einer Berufsunfähigkeit von mindestens 60 % ab Juli 2010 seiner Urteilsfindung zugrunde. Der Sachverständige hat zur Frage des zeitlichen Umfangs der Berufsunfähigkeit ausgeführt, dass die Erkrankung Multiple Sklerose als solche nicht heilbar sei und sich nach jeweils eingetretenen Schüben innerhalb von drei bis sechs Monaten durch entsprechende Cortisongaben lediglich stabilisieren lasse. Es sei damit davon auszugehen, dass der im Januar 2010 erlittene Krankheitsschub sich bis spätestens Juli 2010 so stabi­lisiert hatte, dass er zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen im September 2011 im Wesentlichen unverändert geblieben sei. Es lasse sich mit Sicherheit sagen, dass die Krankheitssymptome des Klägers im Januar 2010 eine Berufsunfähigkeit von über 60 % bewirkt hätten. Angesichts der einge­schränkten medizinischen Möglichkeiten bei der Behandlung einer Multiplen Sklerose sei auszuschließen, dass es dem Kläger im Juli 2010 besser gegan­gen sei als zum Zeitpunkt der Untersuchung im September 2011. Möglich sei ange­sichts der individuell unterschiedlichen Verläufe der Multiplen Sklerose lediglich noch eine Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers infolge weiterer zu erwartender Krankheitsschübe.

c)

Vor dem Hintergrund der vom Kläger so nachvollziehbar beschriebenen und vom Sachverständigen vollumfänglich bestätigten Auswirkungen seiner Erkrankung kann die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit des Klägers auch nicht mit Blick darauf verneint werden, dass er als Selbständiger in der Lage sei, sein Tätigkeitsbild so ein­zurichten, dass er es gesundheitlich bewältigen könne. Zwar ist nach § 1 Abs. 3 lit. b AVB Berufsunfähigkeit nicht gegeben, wenn die versicherte Person nach Eintritt der Berufsunfähigkeit als Selbständiger mit Weisungs- und Direktionsbefugnis nach wirt­schaftlich angemessener Umorganisation innerhalb des Betriebes weiter tätig sein könnte. Allerdings ist dem Kläger eine solche Umorganisation nicht möglich. Er hat insofern nachvollziehbar ausgeführt, dass seine vollschichtige Mitarbeit im Betrieb schon aufgrund der angespannten Finanz- und Auftragslage zunächst dringend erforderlich war, um den Betrieb zu etablieren. Es liegt gerade bei Kleinbetrieben wie dem des Klägers nahe, dass eine Umorganisation in Form der Einstellung einer qualifizierten Ersatzkraft zu nennenswerten wirtschaftlichen Nachteilen führt und daher wirtschaft­lich unzumutbar ist (Beckmann/Matusche-Beckmann/Rixecker, Versicherungsrechts Handbuch 2. Aufl. 2009 § 46 Rdn. 29). Auch wenn sich der Betrieb des Klägers trotz seines Rückzugs aus der unmittelbaren Mitarbeit im Jahr 2010 wirtschaftlich positiv entwickelt hat, führt dies nicht zur Zumutbarkeit der Einstellung einer Ersatzkraft, wie sie der Kläger letztlich vorgenommen hat. Schließlich ist eine Umorganisa­tion nach § 1 Abs. 3 lit b AVB auch dann nicht zumutbar, wenn für den vormals mitarbeitenden Chef im Ergebnis kein angemessener Tätigkeitsbereich mehr verbleibt. Der Kläger hat hierzu plausibel und unter Vorlage von entsprechenden Unterlagen dargelegt, dass kaum Büroarbeiten für ihn anfallen, weil er 80 % seiner Aufträge von der Firma B2 bezieht, die mit der Auf­tragsvergabe bereits sämtliche für die Rechnungsstellung relevanten Daten über­mittele, so dass die Aufträge im Ergebnis nur noch abzuarbeiten seien. Soweit neben diesen Aufträgen noch individuelle Privataufträge von Dritten zu erledigen waren, hat der Kläger zwar ausgeführt, dass er diesbezüglich Akquise‑, insbesondere Fahr­tätigkeiten zu verrichten hatte. Diesen könne er allerdings aufgrund seiner Schwierig­keiten, die sich auch beim Führen eines Pkw, insbesondere in Konzentrationsdefizi­ten niederschlügen, auch nicht mehr nachkommen. Dies hat der Sachverständige Prof. Dr. T mit Blick auf die herabgesetzte Belastbarkeit sowie die Koordinationsstörungen des Klägers bestätigt. Der bloße Verweis auf ca. halb­stündige Büroarbeiten bzw. die Kontrolle und Überwachung der Mitarbeiter ist vor diesem Hintergrund nicht als angemessene Umorganisation i.S.v. § 1 Abs. 3 lit. b AVB anzusehen.

d)

Die Höhe der vom Kläger ab dem 01.07.2010 zu bemessenden Berufsunfähigkeits­rente beläuft sich auf monatlich 2.618,09 €. Zu Recht beanstandet die Beklagte, dass das angefochtene Urteil die Dynamikerhöhung zum 01.11.2010 zugrunde gelegt hat. Nach § 5 Abs. 4 der Besonderen Bedingungen zur Dynamikerhöhung wird eine sol­che Erhöhung gerade nicht durchgeführt, solange die Beitragszahlungspflicht wegen Berufsunfähigkeit ganz oder teilweise entfällt. Diese Regelung haben die Parteien nicht infolge des Schreibens der Beklagten vom 16.09.2010 abbedungen. Mit diesem Schreiben hat die Beklagte lediglich bedingungsgemäß angekündigt, dass und in welchem Umfang die nächste Dynamikerhöhung zum 01.11.2010 anstehe. Als Angebot zu einer Vertragsänderung bei bereits eingetretener Berufsunfähigkeit war dieses Schreiben nicht zu verstehen.

e)

Die vom Kläger geltend gemachten Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsrente sind ungeachtet der auf § 14 VVG gestützten Einwände der Beklagten auch fällig. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihre Feststellungen zum Versicherungsfall und zum Umfang der von ihr zu erbringenden Leistungen noch nicht beendet seien. § 14 VVG will dem Versicherer lediglich die Gelegenheit geben, seine Eintrittspflicht angemessen zu prüfen, bevor er mit einer Klage überzogen wird. Dafür hat der Versicherungsnehmer seinen Mitwirkungspflichten nachzukommen und neben der Meldung des Versicherungsfalls auch die vom Versicherer gestellten Fra­gen zu beantworten. Wenn allerdings der Versicherungsnehmer die einschlägigen Fragen beantwortet und sich auch ansonsten den Ermittlungen des Versicherers unterzogen hat, ist ihm ein längeres Zuwarten nicht mehr abzuverlangen, wenn ihm nicht konkret erklärt wird, welche weiteren Angaben bzw. Informationen erforderlich sind, um die Einstandspflicht abschließend beurteilen zu können. So liegt es hier: Der Kläger hatte die „Selbstauskunft zur Berufsunfähigkeit“ abgegeben und sich den Ermittlungen der von der Beklagten beauftragten B3 GmbH (N) unterzogen. Der bloße Verweis der Beklagten auf die „dürftigen Angaben zur berufskundlichen Sachlage“ im Schreiben vom 10.02.2011 verdeutlichten dem Klä­ger nicht, welche konkreten Angaben die Beklagte noch vermisste. Die vage Ankün­digung einer weiteren Prüfung des Leistungsanspruchs im Falle „entsprechender“ Konkretisierung und Substantiierung der klägerischen Angaben stellt damit aus Sicht des Klägers keine ernstzunehmende Fortführung der Leistungsprüfung dar und muss damit dieselben Folgen haben wie eine endgültige Leistungsverweigerung. In jedem Fall hätte die Beklagte ihre Feststellungen zur Leistungspflicht bis zur Klageerhebung abschließen können.

2.

Vor dem Hintergrund nachgewiesener Berufsunfähigkeit des Klägers war die Beklagte auf den nach § 258 ZPO zulässigen Antrag des Klägers auch zur Zahlung der künftig fällig werdenden Renten zu verurteilen. Auch insoweit bleibt es jedoch bei dem bei Eintritt der Berufsunfähigkeit geltenden Dynamikbetrag von monatlich 2.618,09 Euro.

3.

Der im Hinblick auf die Befreiung von der Beitragszahlungspflicht zulässige Feststellungs­antrag ist angesichts der nachgewiesenen bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit ebenfalls zulässig und begründet. Nach § 3 Abs. 1 b AVB ist der Kläger mit dem Eintritt der Berufsunfähigkeit i.S.d. § 1 Abs. 1 AVB von der Verpflichtung zur Beitragszahlung befreit.

4.

Der Zinsanspruch, der nur für den bei Klageerhebung fälligen Rentenbetrag geltend gemacht worden ist, ergibt sich aus §§ 291 S. 1, 288 Abs. 1 BGB.

5.

Ein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht nicht. Die Beklagte war zum Zeitpunkt der Beauftragung des Klägervertreters noch nicht in Verzug gesetzt.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO. Die streitentscheidenden Fragen sind solche des Einzelfalls.

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