VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.09.1996 - 4 S 2459/96
Fundstelle
openJur 2013, 10190
  • Rkr:

1. Zur gerichtlichen Prüfung der Auswahlentscheidung zur Ernennung eines Richters zum Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof im Rahmen eines von einem unterlegenen Bewerber zur Sicherung seines Bewerberanspruchs eingeleiteten vorläufigen Rechtsschutzverfahrens.

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig. Daß der angefochtene Beschluß dem Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers noch nicht zugestellt war, als die Beschwerde eingelegt wurde, ist unschädlich. Denn der angefochtene Beschluß war zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde dem Antragsteller bereits persönlich ausgehändigt worden.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Erlaß der vom Antragsteller beantragten einstweiligen Anordnung, dem Antragsgegner zu untersagen, die im Staatsanzeiger für Baden- Württemberg Nr 8 vom 19.2.1996 ausgeschriebenen zwei Stellen eines Vorsitzenden Richters am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einstweilen zu besetzen, mit Recht abgelehnt.

Der Antrag auf Erlaß der Sicherungsanordnung nach § 123 Abs 1 S 1 VwGO ist statthaft und auch sonst zulässig. Dem Antragsteller fehlt insbesondere nicht das Rechtsschutzinteresse insoweit, als er die einstweilige Freihaltung beider im Staatsanzeiger für Baden- Württemberg Nr 8 vom 19.2.1996 ausgeschriebenen Stellen eines Vorsitzenden Richters/einer Vorsitzenden Richterin am Verwaltungsgerichtshof bei dem Verwaltungsgerichtshof Baden- Württemberg begehrt. Zwar ist zur Sicherung eines Anspruchs des Antragstellers auf fehlerfreie Ausübung des Auswahlermessens die einstweilige Freihaltung nur einer der zu besetzenden Stellen erforderlich und regelmäßig auch ausreichend (vgl Senatsbeschluß v 20.3.1995 - 4 S 4/95). Die Zulässigkeit eines weitergehenden Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung kann damit freilich nicht in Frage gestellt werden.

Der Antrag auf Erlaß der einstweiligen Anordnung ist jedoch unbegründet. Der Antragsteller hat zwar den Anordnungsgrund für den Erlaß der begehrten Sicherungsanordnung glaubhaft gemacht. Dagegen ist es dem Antragsteller nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dh mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darzutun, daß der durch die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs 2 ZPO zu sichernde Anspruch besteht. Das Verwaltungsgericht hat den Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnung mit Recht und mit zutreffender Begründung abgelehnt. Der Senat weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 122 Abs 2 S 3 VwGO). Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Die Rüge der grundgesetzwidrigen Besetzung des Verwaltungsgerichts geht fehl. Nachdem das Verwaltungsgericht durch Beschluß vom 29.8.1996 die Selbstablehnungen der Mitglieder der nach A I § 16 des Geschäftsverteilungsplanes des Verwaltungsgerichts Karlsruhe für das Geschäftsjahr 1996 zur Entscheidung zuständigen 2. Kammer des Gerichts für begründet erklärt hatte, durften nach C § 19 des Geschäftsverteilungsplanes des Verwaltungsgerichts der Vorsitzende der 3. Kammer als Vertreter des Vorsitzenden der 2. Kammer und nach C §§ 20, 23 des Geschäftsverteilungsplanes die beiden dienstjüngsten Richter der 3. Kammer als Vertreter der Richter der 2. Kammer in der Sache entscheiden. Ein Zweifelsfall nach A I § 12 S 2 des Geschäftsverteilungsplanes, in dem das Präsidium über die endgültige Zuteilung zu entscheiden gehabt hätte, lag daher nicht vor. Im übrigen würde der beschließende Senat von dem ihm nach § 130 Abs 1 VwGO eingeräumten Ermessen in der Weise Gebrauch machen, daß er von der Zurückverweisung absieht und in der Sache selbst entscheidet.

Auch die nachträglich angebrachte Befangenheitsrüge gegen die an der Entscheidung mitgewirkt habenden Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts und Richter auf Probe greifen nicht durch. Denn abgesehen davon, daß die Rüge erst mit der Beschwerde erhoben wurde und damit unzulässig ist, wurde damit ebensowenig wie mit dem Hinweis auf "Querverbindungen" ein Sachverhalt dargelegt, der die Besorgnis der Befangenheit der genannten Richter begründen könnte. Im übrigen würde der Senat auch insoweit von dem ihm nach § 130 Abs 1 VwGO eingeräumten Ermessen in der Weise Gebrauch machen, daß er von der Zurückverweisung absieht und in der Sache selbst entscheidet.

Dem Antragsteller ist es auch mit der Beschwerde nicht gelungen, glaubhaft zu machen, daß sein Dienstherr das ihm bei der Entscheidung über seine Beförderung zu Gebote stehende Auswahlermessen fehlerhaft ausgeübt hat und ihm deshalb der geltend gemachte Anordnungsanspruch zusteht.

Wie der Senat in seinem Beschluß vom 7.8.1996 - 4 S 1929/96 - und - ihm folgend - das Verwaltungsgericht entschieden hat, hat auch ein Richter grundsätzlich keinen Anspruch auf Verleihung eines höheren statusrechtlichen Amtes. Vielmehr liegt die Entscheidung über eine Beförderung ebenso wie bei Beamten im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn, wobei die Bewerber nach Art 33 Abs 2 GG, § 8 LRiG, § 11 Abs 1 LBG (entsprechend) nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung auszuwählen sind (sogenannter Leistungsgrundsatz). Ausgehend von den zu beamtenrechtlichen Beförderungen entwickelten Grundsätzen verfügt der Dienstherr für die Einschätzung der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistungen über eine Beurteilungsermächtigung, in Anbetracht deren eine gerichtlichen Kontrolle sich darauf zu beschränken hat, ob der Dienstherr den rechtlichen Rahmen und die anzuwendenden Begriffe zutreffend würdigt, ob er richtige Sachverhaltsannahmen zugrunde legt und ob er allgemein gültige Wertmaßstäbe beachtet und sachfremde Erwägungen unterläßt. Der Richter, der seine Beförderung anstrebt, hat Anspruch darauf, daß der Dienstherr das ihm bei der Entscheidung über eine Beförderung zu Gebote stehende Auswahlermessen unter Einhaltung etwaiger Verfahrensvorschriften fehlerfrei ausübt (Bewerberanspruch). Dabei bleibt es der Entscheidung des Dienstherrn überlassen, welchen der zur Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung zu rechnenden Umständen er das größere Gewicht beimißt. Gelangt er bei der Beurteilung zu dem Ergebnis, daß mehrere Bewerber nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung für das Beförderungsamt im wesentlichen gleich geeignet sind, so kann er die Auswahl nach weiteren sachgerechten Kriterien treffen; hierbei steht ihm ein weites Ermessen hinsichtlich der Bestimmung des Auswahlkriteriums zu (vgl Senatsbeschluß v 7.8.1996, aaO, mwN). Daß der Antragsgegner danach den Bewerberanspruch des Antragstellers verletzt haben könnte, hat der Antragsteller auch mit dem Beschwerdevorbringen nicht glaubhaft zu machen vermocht.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers dürften vorliegend Verfahrensvorschriften nicht verletzt worden sein. Insbesondere dürfte das Verfahren bei der Beteiligung des Präsidialrats nach § 43 Abs 1 S 1 LRiG durch das Justizministerium verfahrensfehlerfrei eingeleitet und nach Abgabe der schriftlich begründeten Stellungnahmen des Präsidialrats über die persönliche und fachlich Eignung der Bewerber, die das Justizministerium zur Ernennung vorschlagen wollte, nach § 43 Abs 3 S 2 LRiG verfahrensfehlerfrei durchgeführt worden sein. Ob der Präsidialrat die nach § 43 Abs 3 S 2 LRiG abzugebende schriftlich begründete Stellungnahme über die persönliche und fachliche Eignung der Bewerber, die das Justizministerium zur Ernennung vorschlagen will, seinerseits verfahrensfehlerfrei beschlossen hat, dürfte dabei unerheblich sein, zumal da die oberste Dienstbehörde, nämlich das Justizministerium Baden-Württemberg, darauf keinen Einfluß hat. Dies dürfte jedenfalls dann gelten, wenn der Präsidialrat in der oder den abgegebenen schriftlichen Stellungnahme(n) die persönliche und fachliche Eignung des Bewerbers oder der Bewerber durch wirksamen Beschluß angenommen hat, wie das hier der Fall ist. Ob das gleichermaßen gilt, wenn der Präsidialrat in seiner Stellungnahme die persönliche und fachliche Eignung eines Bewerbers ablehnt, das Justizministerium sich dem Votum des Präsidialrats beugt und nicht das Verfahren nach § 43 Abs 4 und 5 LRiG durchführt, bedarf hier keiner Entscheidung, da ein solcher Sachverhalt nicht gegeben ist.

Dem Antragsteller ist es auch nicht gelungen, mit den mit der Beschwerde im wesentlichen wiederholten und vertieften Einwendungen gegen die Auswahlentscheidung in der Sache eine Verletzung seines Bewerberanspruchs glaubhaft zu machen, also mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darzutun.

Es spricht vieles dafür, daß der Antragsteller die dienstlichen Beurteilungen der Mitbewerber in ihrem Inhalt hinnehmen muß. Denn er dürfte sie mangels rechtlicher Regelung und mangels eigener Rechtsbetroffenheit im Regelfall nicht angreifen können. Im übrigen dürften die darin enthaltenen Wertungen bezüglich Leitung von Arbeitsgemeinschaften, Prüfungstätigkeiten und wissenschaftlicher bzw. vortragender Tätigkeiten im Hinblick darauf nicht zu beanstanden sein, daß damit die juristische Kompetenz der Mitbewerber, mithin Eignung und Befähigung für das angestrebte Amt, und ihre Leistungsbereitschaft unterstrichen werden durften.

Der Bewerberanspruch des Antragstellers ist hier auch nicht deshalb verletzt worden, weil keine bereits in Form eines Aktenvermerks festgehaltene Begründung für die getroffene Auswahlentscheidung vorhanden ist. Das hat das Verwaltungsgericht wiederum in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des beschließenden Senats zutreffend dargelegt, und die mit der Beschwerde dagegen vorgetragenen Gesichtspunkte geben dem Senat für die hier zu treffende Entscheidung keinen Anlaß, von seiner im Beschluß vom 7.8.1996 (aaO) entwickelten Rechtsprechung abzurücken.

Dem Antragsteller ist es schließlich nicht gelungen, mit der Beschwerde glaubhaft zu machen, daß sein Bewerberanspruch deshalb verletzt worden sei, weil die dienstliche Beurteilung des Präsidenten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 21.3.1996 fehlerhaft sei. Abgesehen davon, daß der Antragsteller die Beurteilung zum Zeitpunkt der Ergehens der Auswahlentscheidung nicht angegriffen hatte und dieser Zeitpunkt - worauf der Antragsgegner hinweist - für die Beurteilung maßgebend sein dürfte, dürfte auch die vom Antragsteller nach Ergehen des Widerspruchsbescheids des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 30.8.1996 rechtzeitig erhobene Klage auf Änderung der Beurteilung nach der hier allein möglichen summarischen Beurteilung keine Aussicht auf Erfolg haben. Denn die Klage enthält im wesentlichen keine neuen Gesichtspunkte, die nicht bereits mit dem Widerspruchsbescheid behandelt worden wären. Der Widerspruchsbescheid, dessen rasches Ergehen nicht beanstandet werden sollte, erweist sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig.

Jedenfalls dürfte die getroffene Auswahlentscheidung aber auch im Falle des Erfolges der vom Antragsteller erhobenen Klage auf Änderung der ihn betreffenden Beurteilung kaum zu beanstanden sein. Denn selbst wenn der Antragsteller - was freilich unwahrscheinlich ist - im Ergebnis eine Beurteilung erstreiten könnte, die mit denen der Beigeladenen vergleichbar wäre, gäbe es sachgerechte Kriterien, die die Auswahlentscheidung zugunsten der Beigeladenen, etwa der Vergleich der früheren Beurteilungen wie auch die Leitung von Arbeitsgemeinschaften und Prüfungstätigkeiten, gerechtfertigt erscheinen lassen könnten. Darauf hat der Antragsgegner in seiner Antragserwiderung vom 5.8.1996 hingewiesen. Einen Widerspruch zu den Ausführungen des Antragsgegners in dessen Schriftsatz vom 30.8.1996, wonach die Auswahlentscheidung nach dem Prinzip der Bestenauslese auf der Grundlage der aus Anlaß der Bewerbung erstellten dienstlichen Beurteilungen getroffen worden sei, sieht der Senat nicht. Zwar trifft es zu, daß die Anforderungen an Eignung, Befähigung und fachliche Leistungen von Vorsitzenden Richtern am Verwaltungsgerichtshof rechtlich nicht im Sinne eines Anforderungsprofils festgelegt sind. Ob es einer solchen Festlegung bedürfte oder ob die Anforderungen an Inhaber eines solchen Amtes überhaupt einer solchen Festlegung zugänglich sind, kann freilich nicht Gegenstand der hier zu treffenden Entscheidung sein. Ebensowenig kann es Aufgabe des Gerichts in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sein zu klären, ob bei der dienstlichen Beurteilung von Richtern Zwischennoten vergeben werden dürfen. Durch die Bestimmung II Nr 4 der AV des Justizministeriums vom 9.9.1994 über die dienstliche Beurteilung der Richter und Staatsanwälte (Die Justiz 1994, S 402) ist das jedenfalls nicht ausgeschlossen.