VG Köln, Urteil vom 09.10.2012 - 7 K 3567/12
Fundstelle
openJur 2012, 130118
  • Rkr:
Tenor

Die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 01.06.2012 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin ist Mieterin der Wohnung U. Straße 00, 1. OG, deren Vermieterin die Beklagte ist. Am 31.05.2012 wurde die Wohnung unter Zuhilfenahme der Polizei von Mitarbeitern der Beklagten zwangsweise geöffnet. Die Wohnung war völlig verwahrlost. In der gesamten Wohnung befanden sich Müll in Form von leeren Verpackungsmaterialien, Plastikflaschen und Lebensmittelreste sowie schmutzige Wäsche. In einigen Bereichen der Wohnung befand sich Katzenkot. Die Beklagte stellte zudem Ungeziefer in der Wohnung fest.

Mit Ordnungsverfügung vom 01.06.2012 forderte die Beklagte die Klägerin daraufhin auf, sämtliche Maßnahmen des Vermieters zur Entrümpelung und Desinfektion der Wohnung zu dulden und ordnete im öffentlichen Interesse die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung an. Gemäß § 14 OBG NRW könne sie die notwenigen Maßnahmen treffen, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren und in Verbindung mit § 17 Abs. 1-3 des Infektionsschutzgesetzes (IFSG) das Auftreten von Schädlingen umgehend bekämpfen. Gleichzeitig drohte die Beklagte ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 Euro an.

Die Klägerin hat am 04.06.2012 Klage erhoben und gleichzeitig die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Mit Beschluss vom 11.07.2012 hat die Kammer diesem Antrag entsprochen. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte 7 L 712/12 verwiesen.

Die Klägerin bestreitet die Darstellung der Beklagten. Der einzige "Müll" in der Wohnung seien Pappkartons, da sie bald umzuziehen beabsichtige. Es befinde sich keinerlei Katzenkot auf den Möbeln. Auch Lebensmittelreste habe sie nicht finden können. Ungeziefer befinde sich nicht in der Wohnung.

Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt und ist zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es habe zahlreiche Beschwerden anderer Mieter über erhebliche Geruchsbelästigungen gegeben. Als eine Wohnungsbesichtigung nicht zustande gekommen sei, hätten ihre Mitarbeiter mittels einer Leiter Einblick in die Wohnung genommen. Angesichts des ekelerregenden Zustandes der Wohnung habe man sich entschlossen, sich Zutritt zu verschaffen. Die gesamte Wohnung sei von Müll und Unrat übersät gewesen. Die Kochbehältnisse in der Küche seien von einer Fett- und Schimmelschicht überzogen gewesen. In dem ganzen Chaos habe sich eine Katze aufgehalten, die offenkundig über einen längeren Zeitraum weder gepflegt noch gefüttert worden sei.

Die Ordnungsverfügung sei inhaltlich hinreichend bestimmt. Sie finde ihre Rechtsgrundlage in § 16 InfSG. Aufgrund des Zustandes der Wohnung lägen Tatsachen vor, die zum Auftreten übertragbarer Krankheiten führen könnten. Solche Gefahren seien durch den Befall mit Fliegen und Maden zu besorgen. Der Katzenkot trage ein Óbriges bei. Insbesondere in sommerlichem Klima bestehe das Risiko sich ausbreitender Infektionen.

Sie sei nicht gehalten, auf das mietrechtliche Instrumentarium auszuweichen, da sie auf der Grundlage des Gefahrenabwehrrechts zwingend tätig werden müsse. Die Geruchsbelästigung werde immer schlimmer. Der Zustand der Wohnung habe sich bei einer polizeilichen Durchsuchung in anderer Angelegenheit bestätigt.

Zum Zustand der Wohnung hat die Beklagte mehrere Lichtbilder überreicht. Insoweit wird auf Bl. 30-49 des Verwaltungsvorgangs und Bl. 36-47 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie des Verfahrens 7 L 712/12 sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die angefochtene Ordnungsverfügung der Beklagten vom 01.06.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Wie die Kammer bereits in ihrem Beschluss vom 11.07.2012 im Verfahren 7 L 712/12 ausgeführt hat, trägt die in Anspruch genommene Ermächtigungsgrundlage des § 16 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) die angeordnete Duldung seuchenrechtlicher Maßnahmen nicht. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen. Die weiteren Ausführungen der Beklagten im Klageverfahren rechtfertigen keine abweichende Beurteilung. Vielmehr ist die Sachlage unverändert. In der mündlichen Verhandlung konnte zudem geklärt werden, dass sich die Katze seit Sommer dieses Jahres nicht mehr in der Wohnung befindet, sodass wenigstens eine Quelle der organischen Verunreinigungen in der Wohnung beseitigt ist. Darüber hinaus sind keine weitergehenden Anhaltpunkte für die Gefahr eines Auftretens übertragbarer Kennzeichen erkennbar.

Auch besteht kein Anlass zu einer Umdeutung des Bescheides in eine selbständige Ordnungsverfügung nach § 14 Abs. 1 OBG NRW. Für ein darauf gestütztes Eingreifen fehlte es trotz der unhaltbaren Zustände in der Wohnung an der erforderlichen konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

Die Zwangsmittelandrohung ist damit gleichfalls aufzuheben.

Hiervon unberührt bleibt ein Vorgehen der Beklagten gegen die Klägerin nach mietrechtlichen, mithin zivilrechtlichen Grundsätzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.