OLG Rostock, Beschluss vom 10.08.2010 - I Ws 193/10
Fundstelle
openJur 2010, 793
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 31 KLs 10/10
Tenor

1.

Der Beschluss des Landgerichts Schwerin vom 10.06.2010 - 31 KLs 10/10 - wird aufgehoben.

2.

Das Verfahren wird zur Entscheidung über den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls an das Amtsgericht Schwerin zurückverwiesen.

3.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Angeschuldigten auferlegt.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Schwerin hat beim Amtsgericht Schwerin in vorliegender Sache Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gestellt. Mit der Verfügung "U.mA. dem Landgericht Schwerin über die StA Schwerin mit der Bitte um Prüfung, ob das Verfahren wegen des Umfangs der Sache übernommen wird" vom 16.03.2010 hat das Amtsgericht das Verfahren dem Landgericht Schwerin zugeleitet.

Die Große Strafkammer hat das Verfahren mit angefochtenem Beschluss vom 10.06.2010 übernommen und die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Gegen diese ihr am 17.06.2010 zugestellte Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 22.06.2010, die am selben Tage beim Landgericht eingegangen ist.

II.

Die gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist binnen der Frist des § 311 Abs. 2 StPO angebracht und mithin zulässig.

Sie hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss war aufzuheben und das Verfahren zur Entscheidung über den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls an das Amtsgericht Schwerin zurückzuverweisen.

1.

Das Landgericht war für die von ihm getroffene Entscheidung nicht zuständig.

Das Amtsgericht hat das Verfahren wohl in entsprechender Anwendung des § 209 Abs. 2 StPO, jedoch ohne förmlichen Beschluss, der für sachlich zuständig erachteten Großen Strafkammer des Landgerichts vorgelegt. Diese Verfahrensweise ist im Strafbefehlsverfahren nach §§ 407 ff. StPO nach Bewertung des Senates nicht zulässig.

a)

Die Verweisung an ein Gericht höherer Ordnung gem. § 209 Abs. 2 StPO setzt zum einen einen förmlichen Beschluss voraus (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 209 Rn. 8).

b)

Zum anderen kann das Landgericht auf der Grundlage eines Strafbefehlsantrages keine (Nicht-) Eröffnungsentscheidung i.S.d. § 204 StPO treffen, denn das Strafbefehlsverfahren findet ausschließlich vor dem Amtsgericht statt (vgl. § 407 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Behandelt man - wie vorliegend das Landgericht - den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls vor dem Hintergrund des § 407 Abs. 1 Satz 4 StPO als "normale" Anklageschrift, hat dies die Unvollständigkeit einer solchen öffentlichen Klage zur Folge. Denn ihr fehlt das in einem solchen Fall stets erforderliche wesentliche Ergebnis der Ermittlungen (§ 200 Abs. 2 Satz 1 StPO).

Außer im Falle des § 200 Abs. 2 Satz 2 StPO, von dem auch nur bei einfacher Beweislage im Verfahren vor dem Strafrichter Gebrauch zu machen ist, ist das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zur Vorbereitung des rechtlichen Gehörs des Angeschuldigten im Sinne der § 201 Abs. 1, § 33 Abs. 3 StPO vor Erlass eines etwaigen Eröffnungsbeschlusses unerlässlich, da es der Realisierung eines wesentlichen Beschuldigtenrechts dient (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 01.10.2003 - 612 Qs 47/03 - zitiert nach juris).

Dies muss nach Bewertung des Senats auch dann gelten, wenn - wie vorliegend im Falle der Nichteröffnung des Hauptverfahrens - keine Entscheidung zum Nachteil des Angeschuldigten getroffen wird. Denn die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen soll neben dem Angeschuldigten und seiner Verteidigung auch das Gericht und den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in gedrängter Form über den Sachstand, die Beweislage und alle sonstigen für die Entscheidung relevanten, nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens erkennbaren Umstände informieren (Löwe-Rosenberg/Stuckenberg, StPO, 26.Aufl., § 200 Rdnr. 55; KK-StPO/Tolksdorf, 6. Aufl., § 200 Rdnr. 19).

Dabei verkennt der Senat nicht, dass auch der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls in Verbindung mit den Akten die richterliche Überzeugung von der Strafbarkeit des Angeschuldigten begründen kann (Löwe-Rosenberg/Gössel, a.a.O., § 408 Rndr. 14) und - wie durch die Verteidigung zutreffend ausgeführt - für den Strafbefehlsantrag die gleichen Voraussetzungen wie für die Einreichung einer Anklageschrift erfüllt sein müssen. Es ist jedoch unübersehbar, dass Anklageschriften zur Großen Strafkammer oder zum Strafsenat auch unter Außerachtlassung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen ungleich eingehender und gründlicher abgefasst zu werden pflegen als Strafbefehlsanträge. Für den Regelfall ist deshalb davon auszugehen, dass bei sachlicher Zuständigkeit eines höheren Gerichts als des Amtsgerichts die im Strafbefehlsantrag bezeichneten Taten nicht Gegenstand des Strafbefehlsverfahrens sein können (Löwe-Rosenberg/Gössel, a.a.O.).

Schließlich spricht gegen die Auffassung des Senats auch nicht § 407 Abs. 1 Satz 4 StPO, der klarstellt, dass im Zulässigkeitsbereich des Strafbefehlsverfahrens der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls die Wirkung der Erhebung der öffentlichen Klage hat. Diese Wirkung kann nicht in der Weise verallgemeinert werden und überall dort eintreten, wo das Gesetz generell eine Anklageerhebung voraussetzt (vgl. KMR-StPO/Fezer, § 408 Rdnr. 8).

c)

Würde daher die Sache von dem Strafrichter oder dem Beschwerdegericht lediglich an das von diesem für zuständig gehaltene höhere Gericht abgegeben werden, so müsste dieses Gericht sodann darauf hinwirken, dass die Staatsanwaltschaft eine vollständige, den gesetzlichen Anforderungen genügende Anklageschrift vorlegt. Bei der Entscheidung darüber, ob und wie eine Tat angeklagt wird, handelt es sich indes um eine originäre Aufgabe der Staatsanwaltschaft (§170 StPO), in welche das Gericht dann in nicht zulässiger Weise eingreifen würde.

Die Befürchtung des LG Hamburg (a.a.O., Ziff. 12), dass eine derartige Vorgehensweise - sofern die Staatsanwaltschaft auf Betreiben des Gerichts tatsächlich eine Anklageschrift einreicht - auch zur Konsequenz hätte, dass dem Gericht sowohl ein - unerledigter - Strafbefehlsantrag, als auch eine - weitere - Anklageschrift vorläge, teilt der Senat indes nicht. Naheliegender erscheint es in einem solchen Fall, dass die Staatsanwaltschaft dem Gericht eine "neue" Anklageschrift unter Rücknahme des (bisherigen) Antrages auf Erlass eines Strafbefehls vorlegt.

2.

Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und zur erneuten Entscheidung über den Strafbefehlsantrag an das Amtsgericht Schwerin zurückzuverweisen. Dieses wird, sofern es auch weiterhin die sachliche Zuständigkeit der Großen Strafkammer für gegeben erachten sollte, den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls (nur) wegen Unzuständigkeit abzulehnen haben.

a)

Soweit davon abweichend in der Literatur (KK-StPO/Fischer, 6. Aufl., § 408 Rdnr. 8; Meyer-Goßner, a.a.O., § 408 Rdnr. 4) die Auffassung vertreten wird, dass sich das Gericht im Beschlusswege für sachlich unzuständig zu erklären habe, scheidet eine solche Verfahrensweise nach Auffassung des Senats aus. Sie hätte ebenfalls zur Folge, dass dem dann als zuständig erachteten Gericht wiederum "nur" ein Antrag auf Erlass eines Strafbefehls vorliegen würde. Insoweit verweist der Senat auf seine diesbezüglichen Ausführungen zu Ziff. 1.

b)

Eine (etwaige) Ablehnung des Antrages der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls ausschließlich aus den Gründen seiner sachlichen Unzuständigkeit führt nicht zu einer eine erneute Anklage hindernden beschränkten Rechtskraft (so aber KK-StPO/Fischer, a.a.O.).

§ 211 StPO, wonach die unanfechtbar abgelehnte öffentliche Klage nur aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel wieder aufgenommen werden kann, enthält eine beschränkte Anwendung des Grundsatzes "ne bis in idem". Sie setzt den Verbrauch der Strafklage durch sachliche Erledigung voraus. Eine bloße Unzuständigkeitserklärung kann jedoch den Verbrauch der Strafklage nicht herbeiführen (LG Hamburg, a.a O. unter Hinweis auf RGSt 32, 50 ff.). Eine solche Rechtskraft kann lediglich die Ablehnung mangels hinreichenden Tatverdachts bewirken, nicht jedoch die keine Entscheidung in der Sache enthaltende Ablehnung wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit. Lehnt der Strafrichter einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls ab, weil er sich für sachlich unzuständig hält, so lehnt er hierdurch nicht den Antrag selbst, sondern nur die Entscheidung über den Antrag ab. Der Beschluss ist inhaltlich einer bloßen Unzuständigkeitserklärung sehr ähnlich, führt aber nach Bewertung des Senats in der vorliegenden prozessualen Situation zu sachgerechteren Ergebnissen.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus entsprechender Anwendung des § 467 StPO.

IV.

Die Entscheidung des Senats ist unanfechtbar, § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO.