FG München, Beschluss vom 02.10.2012 - 8 V 3233/11
Fundstelle
openJur 2012, 129426
  • Rkr:
Tenor

1. Der Bescheid über die Feststellung der Lohnsteuerklasse I für den Antragsteller zu 1) wird mit der Maßgabe ausgesetzt, dass mit Wirkung ab 1. Januar 2012 bei der Berechnung der Lohnsteuerabzugsbeträge von der Lohnsteuerklasse III auszugehen ist.

Die Aussetzung der Vollziehung endet:

a) mit Ablauf des 31. Mai eines jeden Jahres, wenn der Antragsteller zu 1) nicht bis dahin seine Einkommensteuererklärung für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum beim Antragsgegner eingereicht hat,

b) mit Eintritt der Bestandskraft jedes künftigen Einkommensteuerbescheides für den Antragsteller zu 1) oder

c) mit Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer den Einkommensteuerbescheid für 2012 für den Antragsteller 1) betreffenden Einspruchsentscheidung bzw. Teileinspruchsentscheidung zur Veranlagungsart.

2. Der Bescheid über die Feststellung der Lohnsteuerklasse I für den Antragsteller zu 2) wird mit der Maßgabe ausgesetzt, dass mit Wirkung ab 1. Januar 2012 bei der Berechnung der Lohnsteuerabzugsbeträge von der Lohnsteuerklasse V auszugehen ist.

3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

4. Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Tatbestand

I. Die Antragsteller begehren im Wege des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) die Änderung der Steuerklassen in ihren Lohnsteuerkarten.

Die beiden Antragsteller leben seit 2006 in einer Lebenspartnerschaft. Sie leben nicht getrennt und sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Die Lohnsteuerkarten der beiden Antragsteller weisen die Steuerklasse I (ledig) aus. Der Antragsteller zu 1) bezieht Arbeitslohn. Darüber hinaus hat er Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Lt. Schriftsatz vom 27. Juni 2012 hat er im ersten Halbjahr Einnahmen in Höhe von 2.100 € erzielt, denen nach eigenen Angaben geschätzte Ausgaben in Höhe von rd. 800 € gegenüber stehen. Für das zweite Halbjahr sei von den gleichen Daten auszugehen. Der Antragsteller zu 2) ist Student und hat keine eigenen Einkünfte.

Mit Schreiben vom 29. September 2011 beantragten die Antragsteller beim Antragsgegner - dem Finanzamt (FA) - eine Abänderung der für sie eingetragenen Steuerklasse I mit Wirkung ab 1. Januar 2012 und zwar beim Antragsteller zu 1) in III und beim Antragsteller zu 2) in V. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2011 lehnte das FA dies ab. Über den Einspruch hiergegen vom 27. Oktober 2011 ist noch nicht entschieden. Eine Abänderung der Lohnsteuerklassen im Wege der AdV hat das FA am 16. November 2011 abgelehnt.

Mit ihrem beim Gericht gestellten Aussetzungsantrag verfolgen die Antragsteller ihr Ziel weiter. Sie tragen vor, dass sie als Lebenspartner aus verfassungsrechtlichen Gründen bei der Lohnsteuer wie Verheiratete zu behandeln seien. Wegen der Ausführungen im Einzelnen wird auf das schriftsätzliche Vorbringen verwiesen. Zuletzt verweisen sie auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 5. März 2012 III B 6/12 (BFH/NV 2012, 1144).

Die Antragsteller beantragen sinngemäß, im Wege der AdV die auf ihren Lohnsteuerkarten eingetragene Steuerklasse I mit Wirkung ab 1. Januar 2012 dahingehend abzuändern, dass für den Antragsteller zu 1) die Steuerklasse III und für den Antragsteller zu 2) die Steuerklasse V gilt.

Das FA beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Es verweist auf die Gesetzeslage, welche die beantragte Steuerklassenwahl Verheirateten vorbehalte.

Gründe

II. 1. Der Antrag auf AdV ist statthaft.

Im finanzgerichtlichen Verfahren ist vorläufiger Rechtsschutz entweder gem. § 69 Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts oder durch eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO zu gewähren. Die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung ist gegenüber der einstweiligen Anordnung grundsätzlich vorrangig (§ 114 Abs. 5 FGO). Die Anforderungen für einen erfolgreichen Antrag nach § 114 FGO sind in der Regel deutlich höher. Denn während die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung schon bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes erreichbar ist, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich nur in Betracht, wenn der Antragsteller neben dem Anordnungsanspruch auch einen hinreichenden Anordnungsgrund geltend machen kann.

Die Abgrenzung der beiden Rechtsschutzmöglichkeiten richtet sich danach, welche Klage in einem Hauptsacheverfahren zu erheben wäre. Ist die zutreffende Klageart die Anfechtungsklage, wird vorläufiger Rechtsschutz in der Regel durch die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung gewährt (§ 69 FGO), bei Verpflichtungsklagen ist grundsätzlich eine einstweilige Anordnung (§ 114 FGO) zu beantragen (Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 05. März 2012 III B 6/12, BFH/NV 2012, 1144). Diese Differenzierung gilt auch, wenn die Änderung eines Grundlagenbescheides begehrt wird. Ist der Grundlagenbescheid selbst Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens (hier des Einspruchsverfahrens) und damit die Möglichkeit zur (späteren) Anfechtungsklage gegeben, ist einstweiliger Rechtsschutz durch AdV zu gewähren (vgl. zum negativen Grundlagenbescheid Beschluss des Großen Senats des BFH vom 14. April 1987 GrS 2/85, BStBl II 1987, 637 sowie BFH-Beschluss vom 27. März 1991 I B 187/90, BStBl II 1991, 643; BFH-Beschlüsse vom 16. Juni  2011 IX B 72/11, BFH/NV 2011, 1880, vom 12. April 1994 X S 20/93, BFH/NV 1994, 783 und vom 29. April 1992 VI B 152/91, BStBl II 1992, 752 betreffend Ablehnung des Antrags, erstmals einen Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen). Ist hingegen der Bescheid, mit dem ein Antrag auf Aufhebung oder Änderung eines bestandskräftigen Grundlagenbescheides (z.B. nach den §§ 172 ff. Abgabenordnung/AO) abgelehnt wurde, Gegenstand des Hauptsacheverfahrens, kann hiergegen nur Verpflichtungsklage eingelegt und vorläufiger Rechtsschutz nur im Wege der einstweiligen Anordnung gewährt werden (BFH-Beschluss vom 09. August 1994 IV S 8/94, BFH/NV 1995, 409, zum Bescheid, mit dem der auf § 164 Abs. 2 AO gestützte Antrag auf Aufhebung eines bestandskräftigen Gewerbesteuermessbetragsbescheides abgelehnt wurde).

Dem Betreff des Schreibens vom 25. Oktober 2011 nach richtet sich der Einspruch der Antragsteller zwar gegen den Bescheid vom 20. Oktober 2011, mit welchem das FA die Abänderung der bereits seit Beginn 2010 auf ihren Lohnsteuerkarten vermerkten Lohnsteuerklasse I gem. § 164 Abs. 2 AO bzw. § 39 Abs. 5 Satz 3 i.Verb.m. § 52b Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) abgelehnt hat. Der Senat ist der Auffassung, dass in diesem Fall einstweiliger Rechtsschutz nur im Wege der einstweiligen Anordnung möglich und ein entsprechender Antrag aber wegen fehlender Ausführungen zum Anordnungsgrund wohl als unzulässig abzuweisen wäre.

Mit dem gleichen Schreiben beantragten die Antragsteller jedoch vorläufigen Rechtsschutz im Wege der AdV und zwar wie im Fall der Ablehnung des erstmaligen Eintrags eines Freibetrages in die Lohnsteuerkarte. Die AdV eines Verwaltungsaktes kann aber nur gewährt werden, wenn dieser selbst Gegenstand des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ist. Der Senat geht daher davon aus, dass Gegenstand des vorliegenden Verfahrens der Bescheid über die Feststellung der Lohnsteuerklasse I in den Lohnsteuerkarten der Antragsteller für 2010 ist. Dafür spricht neben dem ausdrücklichen Hinweis der Antragsteller auf die Rechtsprechung des BFH zum vorläufigen Rechtsschutz im Fall der Ablehnung des erstmaligen Eintrags eines Freibetrages in die Lohnsteuerkarte auch der nunmehr bei Gericht gestellte Aussetzungsantrag, der eindeutig auf (unmittelbare) Abänderung der auf den Lohnsteuerkarten eingetragenen Lohnsteuerklasse I gerichtet ist. Da vorläufiger Rechtsschutz nach § 69 AO wiederum zwingend Identität zwischen dem im Hauptsacheverfahren angefochtenen und dem Verwaltungsakt voraussetzt, dessen AdV begehrt wird (BFH-Beschluss vom 01. April 1997  X S 3/96, BFH/NV 1997, 601), ist der Einspruch entsprechend, d.h. als gegen die Feststellung der Lohnsteuerklasse I in den Lohnsteuerkarten der Antragsteller für 2010 gerichtet, auszulegen (BFH-Beschluss vom 23. April 2009 X B 43/08, BFH/NV 2009, 1443; BFH-Urteil vom 23. April 2009 IV R 24/08, BFH/NV 2009, 1427). Einer solchen Auslegung steht nach Auffassung des Senats die Bezugnahme im Einspruchsschreiben auf den Ablehnungsbescheid vom 20. Oktober 2012 nicht entgegen. Es ist wohl davon auszugehen, dass sich die nicht beratenen Antragsteller bei der Formulierung ihres Einspruchs lediglich an der Rechtsbehelfsbelehrung zum Ablehnungsbescheid orientiert haben. Da sie mit dieser aber nicht auch auf die (nicht leicht erkennbare) Möglichkeit des Einspruchs gegen die Feststellung der Lohnsteuerklasse I auf ihren Lohnsteuerkarten für 2010 und dem nur dann eröffneten (einfacheren) einstweiligen Rechtsschutz im Wege der AdV hingewiesen wurden, ist ihr tatsächliches Rechtsschutzbegehren durch Auslegung entsprechend ihrem Rechtsschutzbedürfnis zu ermitteln. Der Senat hält den Einspruch gegen die „Lohnsteuerkarte 2010“ auch nicht für verfristet (§§ 355, 356 Abs. 2 Satz 1 AO i.Verb.m. § 52b Abs. 1 Satz 1 EStG; BMF-Schr. vom 06. Dezember 2011 zur Einführung des ELSTAM-Verfahrens, BStBl I S. 1254).

2. Die Zugangsvoraussetzungen für einen gerichtlichen Antrag auf AdV liegen vor. Das FA hat den dort gestellten Antrag auf AdV mit Schreiben vom 16. November 2011 gegenüber beiden Antragstellern abgelehnt (§ 69 Abs. 4 Satz 1 FGO).

3. Obwohl der Antragsteller zu 2) mit der Eintragung der Lohnsteuerklasse V – isoliert betrachtet – eine Schlechterstellung begehrt, kann auch er ein Rechtsschutzinteresse geltend machen. Er hat sich mit dem Antragsteller zu 1) zu einer „Klägergemeinschaft“ zusammengeschlossen, um für ihre Wirtschaftsgemeinschaft eine steuerliche Entlastung zu erstreiten (FG Münster, Beschluss vom 16. Januar 2012  6 V 4218/11 E, EFG 2012, 750, Rz. 26; sowie vergleichbare Fälle z.B. BFH-Beschluss vom 22. Oktober 1980 I S 1/80, BFHE 131, 455, BStBl II 1981, 99; vom 24. Februar 1977 VIII R 178/94, BFHE 125, 104, BStBl II 1978, 510).

4. Der Antrag ist begründet.

a) Nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO soll die AdV eines Verwaltungsaktes erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung des BFH dann der Fall, wenn bei einer summarischen Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage bewirken (BFH-Beschluss vom 23. August 2007 VI B 42/07, BStBl II 2007, 799).

Nach Auffassung des Senats ist im vorliegenden Fall von ernstlichen Zweifeln i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO auszugehen. In vergleichbaren Fällen gewährten bereits mehrere Finanzgerichte mit z.T. unterschiedlicher Begründung auch eingetragenen Lebenspartnern im Wege der AdV die nach § 38b Abs. 1 EStG Verheirateten vorbehaltenen Lohnsteuerklassen (vgl. FG Münster, Beschluss vom 16. Januar 2012  6 V 4218/11 E, EFG 2012, 750; FG Hamburg, Beschluss vom 29. Februar 2012 5 V 5/12, Juris; FG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 9. Dezember 2011 5 V 213/11, EFG 2012, 463; FG Köln, Beschluss vom 7. Dezember 2011 4 V 2831/11, EFG 2012, 361; FG Niedersachsen, Beschluss vom 7. Dezember 2011 7 V 56/11, Juris; FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. Dezember 2011 3 V 3699/11, EFG 2012, 461; anders FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. Dezember 2011 4 V 1910/11, EFG 2012, 459 sowie das FG Düsseldorf, Urteil vom 27. Oktober 2011 14 K 1890/11 E, EFG 2012, 746, Revision anhängig). Der BFH hat sich zur Lohnsteuerklassenwahl im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zwar in den Beschlüssen vom 8. Juni 2011 III B 210/10 (BFH/NV 2011, 1692), vom 24. April 2012 III B 180/11 (BFH/NV 2012, 1303) und vom 25. Mai 2012 III B 166/11 (BFH/NV 2012, 1605) geäußert, die die Lohnsteuerklassenwahl gewährenden einstweiligen Anordnungen der Finanzgerichte jedoch (nur) aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben.

Wegen des offenen Ausgangs der beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerden 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07 hat der BFH allerdings im Verfahren III B 6/12 die von der Vorinstanz wegen ernstlicher Zweifel an dem Ausschluss eingetragener Lebenspartner vom sog. Splittingverfahren (§ 26 EStG) verfügte AdV eines Einkommensteuerbescheides bestätigt (Beschluss vom 5. März 2012, BFH/NV 2012, 1144). Der Senat ist allerdings der Auffassung, dass im Lohnsteuerabzugsverfahren wegen der faktisch rechtsgestaltenden Wirkung einer im Wege der AdV ausgesprochenen Verpflichtung des FA zur Abänderung der Lohnsteuerklasse I in III trotz der gegebenen verfassungsrechtlichen Bedenken für jeden Einzelfall gesondert zu überprüfen ist, ob das öffentliche Interesse am Vollzug eines jeden formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes hinreichend berücksichtigt ist und AdV gewährt werden kann.

b) Im Falle von ernstlichen Zweifeln hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift ist nach gefestigter Rechtsprechung des BFH wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes eine besondere Interessenabwägung zwischen den gegen die Gewährung einer AdV sprechenden öffentlichen Belangen und den für eine AdV sprechenden individuellen Interessen des Steuerpflichtigen geboten (BFH-Beschluss vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558, vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226, 85, BStBl II 2009, 826, m.w.N.). Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer AdV hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an. Das Gewicht der ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betroffenen Vorschrift ist bei dieser Abwägung nicht von ausschlaggebender Bedeutung (BFH-Beschluss in BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558). Zu beachten ist allerdings, dass im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich keine Maßnahme getroffen werden darf, welche die Entscheidung zur Hauptsache vorwegnehmen würde (BFH Beschluss vom 17.12.2003 I B 182/02, BFH/NV 2004, 815).

Im vorliegenden Streitfall ist der Senat zu der Auffassung gelangt, dass die beantragte AdV in Hinblick darauf, dass der Antragsteller zu 1) zur Einkommensteuer zu veranlagen sein wird, nicht aus Gründen des öffentlichen Interesses abzulehnen ist.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Sicherstellung des Lohnsteuerabzugsverfahrens für den Fiskus von besonderer Bedeutung ist (vgl. hierzu auch § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO) und die Antragsteller mit ihrem Aussetzungsantrag letztlich die vorläufige Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses erreichen wollen, wie dies in seinen Wirkungen an sich nur im Wege einer einstweiligen Anordnung gem. § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO möglich ist. Der Senat sieht auch, dass das FA, sollte sich an das vorliegende Lohnsteuerabzugsverfahren nicht ein Einkommensteuerveranlagungsverfahren anschließen, im Falle einer die derzeitige Gesetzeslage bestätigenden Entscheidung seitens des BVerfG die beim Antragsteller zu 1) zu wenig erhobene Lohnsteuer wohl nur mittels eines Nachforderungsbescheides gem. § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG und wohl auch nur von ihm einfordern kann, dass für die dann vorzunehmende Schattenveranlagung (LStR R 41c.3) möglicherweise Unterlagen fehlen und vor allem dass ein Nachforderungsbescheid nur bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung erlassen werden kann (Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer LSt, „Nachforderung von Lohnsteuer“, Rz. 39).

Bei dem Nachforderungsverfahren gem. § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG handelt es sich um ein gegenüber dem Lohnsteuerabzug eigenständiges Verfahren, das erst durchgeführt werden kann, wenn feststeht, dass tatsächlich zu wenig Lohnsteuer einbehalten  wurde  (§ 41c Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 EStG), und für welches die vierjährige Festsetzungsverjährung für die einzelnen Lohnsteuervoranmeldungszeiträume bereits mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Voranmeldungen abgegeben wurden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Da die Bildung der Lohnsteuerabzugsmerkmale mangels einer den § 39b Abs. 2 Satz 8 und Abs. 3 Satz 7 sowie § 39e Abs. 4 Satz 2 EStG entsprechenden gesetzlichen Regelung keine Grundlagenbescheidsfunktion für einen ev. Nachforderungsbescheid gegenüber dem Arbeitnehmer gem. § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG hat (§ 179 Abs. 1 AO), kann nach Auffassung des Senats nach dem Ablauf der regulären Festsetzungsfrist durch eine erneute Änderung der Lohnsteuerklasse von III in I in der Lohnsteuerkarte des Antragstellers zu 1) keine Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 10 AO erreicht werden (das noch anders lautende BFH-Urteil vom 24. September 1982 VI R 64/79, BStBl II 1983, 60, ist durch die neuere Rechtsprechung des BFH zu § 179 Abs. 1 AO überholt, vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 11. April 2005 GrS 2/02, BStBl II 2005, 679).

Wird daher im Wege der AdV die vorläufige Eintragung der Lohnsteuerklasse III (anstelle von I) auf der Lohnsteuerkarte verfügt und stellt sich nachträglich heraus (z.B. nach einer Entscheidung des BVerfG), dass die Lohnsteuerklasse I zutreffend eingetragen war, kann das FA sowohl aus tatsächlichen Gründen (z.B. wegen für das Nachforderungsverfahren zwar erforderlicher, aber wegen Zeitablaufs nicht mehr existenter Unterlagen) wie auch rechtlich (wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung) an der Nachforderung der zu wenig erhobenen Lohnsteuer gem. § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG gehindert sein. Durch den dann unmöglich gewordenen Gesetzesvollzug würde die einstweilige Regelung den Rechtsstreit faktisch endgültig zu Gunsten des Antragstellers zu 1) erledigen. Hinzu kommt, dass ein ev. Nachforderungsbetrag weder nach § 233a AO noch nach § 237 AO zu verzinsen ist.

Diese eindeutige verfahrensrechtliche Schlechterstellung des FA bei Abänderung der Lohnsteuerklasse zu Gunsten eines Arbeitnehmers von z.B. I in III im Wege der AdV endet jedoch, sobald dieser zur Einkommensteuer veranlagt werden kann. Das FA kann dann die Einkommensteuer entsprechend seiner Auffassung festsetzen und im Rechtsbehelfsverfahren die Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheides (ggf. gegen Sicherheitsleistung) verfügen. Ist daher bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zwar gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der vorliegenden Unterlagen und des Sachvortrags der Beteiligten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es zur Einkommensteuerveranlagung kommen wird, ist nach Auffassung des Senats entsprechend dem BFH-Beschluss vom 5. März 2012 III B 6/12 (BFH/NV 2012, 1144), auf den zur weiteren Begründung Bezug genommen wird, bereits für das Lohnsteuerabzugsverfahren AdV zu gewähren. Nur so ist gewährleistet, dass die eingetragenen Lebenspartner, die dem Lohnsteuerabzug unterliegen, gegenüber den Einkommensteuervorauszahlern nicht schlechter gestellt werden (BFH-Urteil vom 27. Juni 1995 VI R 93/93, BFH/NV 1995, 1058)

c) Für das vorliegende summarische Verfahren kann nach Auffassung des Senats mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass zumindest der Antragsteller zu 1) für das Streitjahr zur Einkommensteuer veranlagt werden wird. Hierfür sprechen seine substantiierten Angaben zum Ergebnis seiner selbständigen Tätigkeit für das erste Halbjahr 2012 und insbesondere der Umstand, dass er offensichtlich bereits für das Vorjahr eine Einkommensteuererklärung mit einer detaillierten Gewinnermittlung abgab. Letzteres lässt wiederum auf eine ernsthafte und auf Dauer angelegte Nebentätigkeit schließen.

d) Nach Auffassung des Senats war der Ablauf der AdV zum 31. Mai eines jeden Jahres anzuordnen, falls der Antragsteller zu 1) nicht bis dahin seine Einkommensteuererklärung für das Vorjahr abgeben sollte. Diese Nebenbestimmung erscheint in Anbetracht der doch geringen Nebeneinkünfte des Antragstellers zu 1) – dieser hatte seinen Angaben nach im Jahr 2011  noch einen Verlust erwirtschaftet – notwendig und sachgerecht. Nur so kann sichergestellt werden, dass das FA – falls es doch nicht zur Einkommensteuerveranlagung kommen sollte – zeitnah die wegen der AdV nicht erhobene Lohnsteuer nachfordern kann.

5. Die Beschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO.

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