Bayerischer VGH, Beschluss vom 16.10.2012 - 1 CS 12.2036
Fundstelle
openJur 2012, 129287
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Die geltend gemachten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergeben nicht, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der mit Schreiben vom 26. Juli 2012 erhobenen Klage (M 9 K 12.3430) gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 27. Juni 2012 zu Unrecht abgelehnt hat. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung wird die Klage aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben.

Die Ausführungen im angefochtenen Beschluss zur Frage, ob die konkreten Festsetzungen des hier maßgeblichen Bebauungsplans Nr. 103E der Antragsgegnerin drittschützenden Charakter haben oder nicht, sind nicht zu beanstanden. Die Annahme der Antragsteller, der Bebauungsplan sehe „konkrete Abstandsflächen“ vor, trifft nicht zu. Er setzt vielmehr die „überbaubaren Grundstücksflächen“ (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB, § 23 Abs. 1 bis 3 BauNVO) fest und damit zugleich die nicht überbaubaren, mit dem Ziel, die Teile des jeweiligen Grundstücks im Baugebiet zu bestimmen, die von baulichen Anlagen überdeckt werden dürfen. Das Verwaltungsgericht weist unter ausdrücklicher Benennung von Rechtsprechung darauf hin, dass mit der Festsetzung von Bauräumen in aller Regel keine nachbarschützenden Vorschriften verbunden sind (vgl. auch: BayVGH vom 28.7.2011 Az. 1 CS 11.1444 nicht veröffentlicht; vom 6.11.2008 Az. 14 ZB 08.2327 <juris> RdNr. 9 m.w.N), und stellt zusammenfassend fest, dass sich im vorliegenden Fall weder aus den konkreten Festsetzungen noch aus der Begründung des Bebauungsplans ausnahmsweise ein andere Willensrichtung der Antragsgegnerin ergebe, zumal nicht einmal das Wort „Nachbarn“ verwendet werde. In diesem Zusammenhang geht der Vorwurf der Antragsteller fehl, das Verwaltungsgericht habe „automatisch“ schon allein wegen der „Nichterwähnung der Nachbarn im Text des Bebauungsplans“ eine drittschützende Wirkung der zeichnerischen Festsetzungen abgelehnt.

Weiter ist nicht zu erkennen, dass die erteilte Baugenehmigung die Antragsteller in dem sie schützenden nachbarrechtlichen Rücksichtnahmegebot (§ 15 BauNVO) verletzt. Zwar mag es zutreffen, dass das Verwaltungsgericht die örtliche Bebauung sowie verschiedene Maßangaben möglicherweise „falsch beschrieben“ hat und damit den Antragstellern im Zusammenhang mit dem Rücksichtnahmegebot „mangelnde Schutzwürdigkeit unterstellt“ hat. Allerdings kommt es nicht darauf an, ob die Antragsteller selbst die Festsetzungen des maßgeblichen Bebauungsplans (insbesondere im nördlichen Teil ihres Grundstücks) einhalten oder von ihnen befreit wurden. Auch die tatsächliche Einhaltung der maßgeblichen Abstandsflächen durch die Beigeladene stellt lediglich ein - wenn auch gewichtiges Indiz - dafür dar, dass Nachbarrechte unter dem Gesichtspunkt des Rücksichtnahmegebots nicht verletzt sind (BayVGH vom 15.3.2011 Az. 15 CS 11.9 <juris>); im Hinblick auf das bundesrechtliche Rücksichtnahmegebot ist es allerdings ohne Belang, ob das Vorhaben den (landesbaurechtlich) geregelten Abstand zur Grundstücksgrenze der Antragsteller einhält oder nicht (BVerwG vom 23.5.1986 Az. 4 C 34.85 BauR 1986, 542). Entscheidend ist, dass sich das Vorhaben der Beigeladenen deshalb nicht als „rücksichtslos“ darstellt, weil es gegenüber der Doppelhaushälfte der Antragsteller angesichts eines Abstandes zwischen beiden Gebäuden von 15 m (vgl. Auszug aus dem Katasterkartenwerk 1:1000 vom 10.5.2012) und einer Wandhöhe von 6 m keine „erdrückende“ Wirkung entfalten kann.

Allein die mögliche Verschlechterung des Lichteinfalls und eine weiter zunehmende Verschattung des Außenwohnbereichs reichen für die Bejahung einer „einmauernden“ Wirkung des geplanten Doppelhauses nicht aus. Derartige Folgen der Bebauung eines bislang nicht bebauten Nachbargrundstücks sind in aller Regel im Rahmen einer Veränderung der baulichen Situation hinzunehmen. Dass sich schon heute zwei offenbar mehr als 25 m hohe Bäume im Süden der Doppelhaushälfte des Antragstellers negativ auf die dortigen Lichtverhältnisse auswirken, muss für die Frage, ob das Bauvorhaben „rücksichtslos“ ist, außer Betracht bleiben. Der Senat sieht in der konkreten Grundstückssituation keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme einer Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens für das Wohnanwesen der Antragsteller, weshalb ihre Klage mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne Erfolg bleiben wird.

Eine Rechtsverletzung der Antragsteller durch die Baugenehmigung allein infolge abstandsflächenrechtlicher Mängel scheidet im Übrigen schon deswegen aus, weil sich die im einfachen Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO erteilte Baugenehmigung vom 27. Juni 2012 zu Recht nicht mit der Frage der Einhaltung der Abstandsflächen befasst (vgl. III. 1. der Baugenehmigung) und auch die erteilten Befreiungen von der Festsetzung der überbaubaren Grundstücksfläche nicht die Abstandsflächen betreffen. Damit muss auf den weiteren Vortrag der Antragsteller, der laut Planzeichnung 3,05 m betragende Abstand des Vorhabens zur südlichen Grenze ihres Grundstücks sei unrichtig berechnet, nicht mehr eingegangen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Es erscheint billig, dass die Antragsteller auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen, weil diese einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG. Der für eine Nachbarklage anzusetzende Streitwert in Höhe von 7.500,- Euro ist im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes zu halbieren (vgl. Nr. 9.7.1 und 1.5. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).