OLG Naumburg, Beschluss vom 09.05.2012 - 1 U 102/11
Fundstelle
openJur 2012, 136371
  • Rkr:

Im Gegensatz zur wohl noch mehrheitlichen Meinung schließt sich der 1. Zivilsenat der Ansicht an, dass bei Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO der Berufungskläger auch die Kosten einer wirkungslos gewordenen Anschlussberufung zu tragen hat. Ob das anders zu sehen ist, wenn die Anschlussberufung eingelegt wird, nachdem bereits ein Hinweis nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO ergangen ist, konnte offen bleiben.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 5. Oktober 2011 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg wird zurückgewiesen.

Die Anschlussberufung der Klägerin verliert damit ihre Wirkung.

Der Beklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels unter Einschluss der Kosten der Anschlussberufung.

Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 32.027,19 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten hat nach übereinstimmender Auffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg, ohne dass die Revision zuzulassen oder eine mündliche Verhandlung geboten ist (§ 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Zur Begründung wird auf den Hinweis des Vorsitzenden vom 13. März 2012 Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Die Stellungnahme des Beklagten vom 19. April 2012 wiederholt lediglich bekannte Argumente, mit denen sich der Senat bereits auseinandergesetzt hat und die dem Rechtsmittel angesichts der Feststellungen des Sachverständigen Dr. Dr. R. zu keinem Erfolg verhelfen können. Die eingeholten Gutachten und ihre Erläuterung tragen das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung zum Haftungsgrund. Mängel der sachverständigen Feststellungen zeigt der Beklagte nicht auf, womit insgesamt auch kein Anlass besteht, ein neues Gutachten einzuholen (vgl. zu den Voraussetzungen § 412 Abs. 1 ZPO). Dass das Gutachten des Sachverständigen Dr. Dr. R. mit seiner Ergänzung und mündlichen Erläuterung den Beklagten nicht überzeugt, führt zu keinen Anhaltspunkten für Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen i.S.v. §§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (BGH NJW 2003, 3480, 3481).

Mit der Zurückweisung der Berufung verliert die Anschlussberufung der Klägerin ihre Wirkung (§ 524 Abs. 4 ZPO), was der Senat deklaratorisch ausspricht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Beklagte hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen. Dazu gehören auch die Kosten der wirkungslos gewordenen Anschlussberufung der Klägerin.

Die Anschlussberufung ist kein selbständiges Rechtsmittel i.S.v. § 97 Abs. 1 ZPO, sondern nur ein Angriff innerhalb der fremden Berufung (Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 524 Rdn. 4). Der Anschlussberufungskläger unterliegt im Falle der Wirkungslosigkeit nach § 524 Abs. 4 ZPO auch nicht im Sinne von §§ 91 ff. ZPO (vgl. BGH NJW 1952, 384 f.). Vielmehr ergeht überhaupt keine Entscheidung über seinen Antrag, weil der Berufungskläger mit dem Rechtsmittel scheitert. Den Berufungskläger treffen daher grundsätzlich auch die Kosten der wirkungslosen Anschlussberufung (Musielak/Ball, ZPO, 9. Aufl., § 524 Rdn. 31a; Wulf, in: BeckOK-ZPO, Stand: 1. Jan. 2012, § 524 Rdn. 34; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 32. Aufl., § 516 Rdn. 10), was zumindest für die Fälle außer Zweifel steht, in denen der Berufungskläger durch eine in sein Belieben gestellte Prozesshandlung die Anschlussberufung hinfällig werden lässt (BGH NJW 1952, 384, 385; 1981, 1790, 1791; NJW-RR 2006, 1147 f.; Zöller/ Heßler, § 524 Rdn. 43).

Die Kosten der Anschlussberufung trägt der Berufungsbeklagte dann, wenn eine negative Entscheidung über seinen Angriff ergeht (BGH NJW 1987, 3263, 3264; NJW-RR 2005, 727, 728 m.w.N.), er sich einer unzulässigen, zurückgewiesenen oder verworfenen Berufung angeschlossen hat oder in Fällen des Missbrauchs. Für den Fall der Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO wird wohl noch mehrheitlich Gleiches, nämlich eine anteilige Kostenbelastung des Anschlussberufungsklägers vertreten, da dieser von vornherein wisse, dass sein Angriff im Falle der Zurückweisung der Berufung durch einstimmigen Beschluss seine Wirkung verliere (offen lassend BGH NJW-RR 2006, 1147, 1148; OLG Stuttgart NJW-RR 2009, 863, 864; OLG Köln NJOZ 2009, 4501, 4502; Zöller/Heßler, § 524 Rdn. 44 m.w.N.; Musielak/Ball, § 524 Rdn. 31a; Thomas/Putzo/Reichold, § 516 Rdn. 11; Hk-ZPO/Wöstmann, 4. Aufl., § 524 Rdn. 19). Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen (so bspw. auch OLG Hamm NJW 2011, 1520, 1521; OLG Frankfurt a.M. NJW 2011, 2671, 2672; OLG Köln NJW-RR 2011, 1435 f.; OLG Zweibrücken NJOZ 2010, 2574, 2575; PG/Lemke, ZPO, § 524 Rdn. 32).

Allen Fällen, in denen der Berufungsbeklagte unstreitig mit den anteiligen Kosten seiner wirkungslosen Anschlussberufung belastet wird, ist im Wesentlichen gemein, dass es an einer (zulässigen) Berufung fehlt oder es der Berufungsbeklagte auf eine Entscheidung über den wirkungslosen Anschluss ankommen lässt, also tatsächlich unterliegt. Die Anschlussberufung ist akzessorisch. Der Anschluss setzt stets ein schwebendes Rechtsmittel voraus. Wird dieses Rechtsmittel zurückgenommen, entfällt auch die Anschlussberufung (§ 524 Abs. 4 ZPO). Gleiches gilt dann, wenn die Berufung bereits unzulässig ist und dementsprechend verworfen wird. Soll die Anschließung zu einer Sachentscheidung führen, bedarf es also auch einer zulässigen Berufung. Nur eine zulässige Berufung gibt Raum für eigene Anträge des Berufungsbeklagten. Solange der Anschluss dieser Voraussetzung entbehrt, ist es nur konsequent, den Berufungsbeklagten mit den damit zusammenhängenden Kosten zu belasten, weil er es gerade nicht schaffte, Anträge innerhalb einer zulässigen Berufung des Gegners anzubringen. Dieses Risiko trägt er allein, weil es der Anschlussberufung immanent ist, die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Berufung leicht zu übersehen und die Parteien gehalten sind, die Kosten möglichst gering zu halten.

Ganz anders gelagert stellt sich die Situation aber bei der Zurückweisung der Berufung durch einstimmigen Beschluss dar. Die Berufung ist zulässig und sie ist auch nicht zurückgenommen. Alle Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache und damit über die Anschlussberufung sind erfüllt. Das Wirksambleiben der Anschlussberufung hängt allein davon ab, ob die Sachentscheidung durch Beschluss oder durch Urteil ergeht. Das geschieht ohne Einflussmöglichkeit des Berufungsbeklagten, der bis dahin alles richtig gemacht hat (die Fälle, in denen die Anschlussberufung eingelegt wird, nachdem ein Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO erging, einmal ausgeklammert). Es kommt nur deshalb nicht zur Entscheidung über die Anschlussberufung, weil der Berufungskläger in der Sache schon ohne mündliche Verhandlung unterliegt, was für ihn angesichts der Anschlussberufung durchaus vorteilhaft sein kann. Es gibt daher keinen Grund, die Kosten der Anschlussberufung nicht zu den vom Berufungskläger zu tragenden Rechtsmittelkosten zu zählen.

Die Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen zur unselbständigen Anschlussrevision vom 11. März 1981 (NJW 1981, 1790 f.), auf die der Beklagte mit der gegenteiligen Auffassung verweist, steht dem nicht entgegen. Dort wurde die teilweise Kostenlast des Anschlussrevisionsklägers aus dem Wesen der Anschließung und aus dem Annahmeverfahren hergeleitet. Nach § 554b Abs. 1 ZPO konnte bei einem 40.000,00 DM nicht übersteigenden Wert der Beschwer die Annahme der Revision abgelehnt werden, wenn die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hatte. Die Wirksamkeit des Anschlusses war damit ebenfalls mit dem Risiko behaftet, dass es zu keiner Sachentscheidung über das Rechtsmittel kam. Dieses Risiko der sich anschließenden Partei aufzuerlegen, ist angemessen. Das findet allerdings dort seine Grenze, wo es - wie im Falle des § 522 Abs. 2 ZPO - tatsächlich zu einer Sachentscheidung über das den Anschluss umfassende Rechtsmittel kommt. Bleibt es ohne Erfolg und auf Grund dessen eine Entscheidung über die Anschlussberufung aus, regelt sich die Kostenlast allein nach § 97 Abs. 1 ZPO.

Dies vermeidet zudem die paradoxe Situation, in der es dem Berufungskläger trotz der auf Grund eines Hinweises erkannten Aussichtslosigkeit seiner Berufung vorteilhafter erscheinen kann, einen Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergehen zu lassen, statt das Rechtsmittel kostensparend zurückzunehmen.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10 Satz 2, 713, § 522 Abs. 3, 543 Abs. 1, 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO und § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO.

Der Streitwert ist, wie im Hinweis vom 13. März 2012 angekündigt, festgesetzt worden.