BGH, Urteil vom 25.09.2012 - VI ZR 287/11
Fundstelle
openJur 2012, 129126
  • Rkr:
Tenor

Die Revision der Beklagten zu 1 gegen das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 22. September 2011 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der in der Türkei ansässigen Beklagten zu 1 (künftig: Beklagte) gesamtschuldnerisch mit den Beklagten zu 2 und 3, gegen die der Rechtsstreit inzwischen rechtskräftig beendet ist, Schadensersatz wegen des Erwerbs von Beteiligungen an der K. Holding S.A. 1929.

Nach Eingang der Klage am 28. August 2009 hat der Vorsitzende der mit der Sache befassten Zivilkammer des Landgerichts durch Verfügung vom 30. September 2009 in Zusammenhang mit der Zustellung nach § 183 ZPO angeordnet, dass der Beklagten im Hinblick auf das angeordnete schriftliche Vorverfahren eine Notfrist von zwei Wochen zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft gesetzt werde und dass sie innerhalb von zwei Wochen gemäß § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen im Inland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen habe. Auf die anderenfalls eintretenden rechtlichen Folgen der Zustellung von Schriftstücken durch Aufgabe zur Post unter der Anschrift der Beklagten 1 hat der Vorsitzende hingewiesen. Diese Verfügung und die Klageschrift sind der Beklagten am 18. Februar 2010 nach Maßgabe des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15. November 1965 (BGBl. 1977 II S. 1452, 1453; im Folgenden HZÜ) zugestellt worden. Nachdem der Kläger auf rechtlichen Hinweis des Gerichts seinen Antrag auf Zahlung Zug um Zug gegen Rückgabe der näher bezeichneten Aktien geändert hat, hat das Landgericht durch Urteil vom 22. Juli 2010 die Klage insgesamt abgewiesen. Das Urteil ist der Beklagten durch Aufgabe zur Post zugestellt worden. Gegen das Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsschrift ist am 20. Oktober 2010 zum Zwecke der Zustellung an die Beklagte zur Post im Inland aufgegeben worden. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 10. März 2011 ist am 18. Januar 2011 unter der Anschrift der Beklagten zur Post aufgegeben worden. Die Beklagte war im Termin nicht vertreten. Auf Antrag des Klägers hat das Berufungsgericht am 17. März 2011 Versäumnisurteil erlassen, durch das die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts gesamtschuldnerisch haftend mit dem Beklagten zu 2 zur antragsgemäßen Zahlung an den Kläger Zug um Zug gegen Übergabe im Einzelnen genannter Aktien verurteilt worden ist. Das Versäumnisurteil ist am 17. März 2011 im Inland unter der Anschrift der Beklagten zur Post aufgegeben worden. Am 17. Juni 2011 erfolgte die erneute Zustellung an die Beklagte im förmlichen Rechtshilfeweg. Die Beklagte hat am 28. Juni 2011 Einspruch eingelegt. Mit Urteil vom 22. September 2011 hat das Berufungsgericht den Einspruch verworfen und die Revision zugelassen. Die Beklagte begehrt mit ihrem Rechtsmittel die Aufhebung der Urteile des Berufungsgerichts vom 22. September 2011 und die Wiederherstellung des klagabweisenden Urteils des Landgerichts, hilfsweise, die Zurückverweisung des Rechtsstreits zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht.

Gründe

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Einspruch am 28. Juni 2011 gegen das Versäumnisurteil vom 17. März 2011 sei, weil nicht fristgemäß, gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Die zweiwöchige Einspruchsfrist sei am 14. April 2011 abgelaufen, weil das Versäumnisurteil zwei Wochen nach der Aufgabe zur Post am 17. März 2011, also am 31. März 2011 als zugestellt gelte. Gegen die Bestimmung des § 184 ZPO bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch verletze ihre Anwendung nicht das HZÜ. Sowohl die Klageschrift als auch die vom Vorsitzenden getroffene Anordnung zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten nach § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO seien ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Beklagte habe danach mit Zustellungen durch Aufgabe zur Post im weiteren Verfahren rechnen müssen. Sie hätte eine rechtzeitige Kenntnisnahme von beschwerenden Entscheidungen und Rechtsbehelfsmöglichkeiten sicherstellen können.

Die Anordnung nach § 184 ZPO erfordere nicht zwingend die Form eines Gerichtsbeschlusses. Es genüge die Anordnung des Vorsitzenden. Das Zustellungsreformgesetz vom 25. Juni 2001 (BGBl. I S. 1206), durch das § 184 ZPO an die Stelle des § 174 Abs. 1 ZPO a.F. getreten ist, habe lediglich die in § 20 Nr. 7 RPflG vorgesehene Zuständigkeitsübertragung auf den Rechtspfleger aufgehoben; ein Wille des Gesetzgebers, den gesamten Spruchkörper mit der Entscheidung zu befassen, lasse die Gesetzesbegründung hingegen nicht erkennen. Da der Vorsitzende auch sonst Zustellungen alleine anordne, sei nicht ersichtlich, warum gerade in Fällen des § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Spruchkörper entscheiden müsse. Auch wenn die Anordnung fehlerhaft wäre, weil sie 3 mangels einer Begründung nicht erkennen lasse, weshalb das Gericht sein Ermessen durch die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen, ausgeübt habe, wiege der Fehler nicht so schwer, dass dies zur Nichtigkeit der Anordnung führe. Die Ausführung der Zustellung durch Aufgabe zur Post sei ordnungsgemäß in die Wege geleitet und aktenmäßig dokumentiert worden. Die nochmalige Zustellung des Versäumnisurteils am 17. Juni 2011 habe die bereits verstrichene Einspruchsfrist nicht erneut in Lauf setzen können. Ein formell rechtskräftiges Urteil könne durch eine erneute Zustellung seine formelle Rechtskraft nicht verlieren.

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Die Beklagte habe infolge der Zustellung der Klageschrift und der Anordnung des Vorsitzenden, einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen, von zukünftig bevorstehenden Zustellungen Kenntnis gehabt. Dies sei bei der Frage des Verschuldens an der Fristversäumnis zu berücksichtigen.

II.

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

1. Das Berufungsgericht hatte auf den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil gemäß § 539 Abs. 3, § 341 Abs. 1 Satz 1 ZPO zunächst nur zu prüfen, ob der Einspruch an sich statthaft und in der ordnungsgemäßen Form und Frist eingelegt worden ist. Da die Beklagte die Einspruchsfrist nicht gewahrt hat, musste der Einspruch gemäß § 539 Abs. 3, § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO ohne Sachprüfung und ohne Rücksicht auf das ordnungsgemäße Zustandekommen des Versäumnisurteils verworfen werden (BGH, Beschluss vom 5 5. März 2007 - II ZB 4/06, NJW-RR 2007, 1363 Rn. 9 ff.; Saenger/Pukall, ZPO, 4. Aufl., § 341 Rn. 1).

2. Zutreffend hat das Berufungsgericht die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, durch den Vorsitzenden der zuständigen Zivilkammer des Landgerichts für wirksam erachtet. Die Regelung des § 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO, die eine Zustellung durch Aufgabe zur Post unter der Anschrift des außerhalb des Bundesgebiets und außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten ("Zustellung von Schriftstücken") und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 (ABl. 2007 L 327, S. 79; im Folgenden: EuZVO) ansässigen Zustellungsadressaten erlaubt, ist im Streitfall weder durch völkerrechtliche Vereinbarungen ausgeschlossen noch verletzt sie Verfahrensgrundrechte der Beklagten oder verstößt gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK. Rechtlich ist auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Zustellung des Versäumnisurteils im Inland durch Aufgabe zur Post für wirksam erachtet hat, obwohl der Vorsitzende und nicht der Spruchkörper der zuständigen Zivilkammer, die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, getroffen hat. Zur Frage, auf deren Klärungsbedürftigkeit die Zulassung der Revision gestützt worden ist, ob der Vorsitzende der zuständigen Kammer oder der Spruchkörper die Anordnung nach § 184 Abs. 1 ZPO zu treffen habe, hat sich der erkennende Senat zwischenzeitlich in mehreren Urteilen gegen die Beklagte umfassend geäußert (vgl. Urteile vom 26. Juni 2012 - VI ZR 241/11, WM 2012, 1499; vom 3. Juli 2012 - VI ZR 227/11 und - VI ZR 239/11 sowie vom 17. Juli 2012 - VI ZR 222/11, - VI ZR 226/11 und - VI ZR 288/11). Insoweit wird auf die entsprechenden Ausführungen in den Urteilsgründen (so - VI ZR 226/11, juris Rn. 14 bis 27 8 und - VI ZR 288/11, juris Rn. 18 bis 27, vom 18. September 2012 - VI ZR 223/11) zur Vermeidung gleichlautender Wiederholungen Bezug genommen.

3. Die erneute förmliche Zustellung vermag die bereits eingetretene Rechtskraft des Versäumnisurteils nicht zu durchbrechen. Die Anordnung der erneuten Zustellung lässt die Wirkung der zuvor erfolgten Zustellung gemäß § 184 Abs. 2 ZPO unberührt; sie setzt eine bereits abgelaufene Frist nicht nochmals in Lauf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2005 - IX ZB 147/01, NJW-RR 2006, 563, 564; vom 20. November 2006 - NotZ 35/06, juris Rn. 7; Urteil vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 27/09, NJW 2011, 522 Rn. 20; OLG Stuttgart, Beschluss vom 11. Mai 2011 - 5 W 8/11, NJW-RR 2011, 1631, 1632; OLG Hamm, Urteile vom 10. August 2011 - I-8 U 3/11, juris Rn. 40 und - 8 U 31/11, NJW-RR 2012, 62, 64).

4. Der Beklagten ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO zu gewähren. Sie hat keine die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vorgetragen. Solche sind auch nicht in der Weise offenkundig, dass von Amts wegen Wiedereinsetzung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO gewährt werden müsste (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2010 - XII ZB 334/10, NJW-RR 2011, 568 Rn. 6 f.). Die Regelung in § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO erfordert, dass alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung erforderlich sind, innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vorgetragen werden (Senatsbeschlüsse vom 29. Januar 2002 - VI ZB 28/01, juris Rn. 4; vom 13. November 2007 - VI ZB 19/07, juris Rn. 6; BGH, Beschluss vom 19. April 2011 - XI ZB 4/10, NJW-RR 2011, 1284 Rn. 7). Fristgerechten Vortrag zeigt auch die Revision nicht auf.

Galke Zoll Wellner Diederichsen von Pentz Vorinstanzen:

LG Köln, Entscheidung vom 22.07.2010 - 22 O 470/09 -

OLG Köln, Entscheidung vom 22.09.2011 - 18 U 144/10 -