VG Stuttgart, Urteil vom 18.12.2003 - 4 K 3363/03
Fundstelle
openJur 2013, 13113
  • Rkr:

Zur Frage der Zulässigkeit einer ausschließlichen Anwendung des Kriteriums der "Attraktivität" bei der Auswahl unter Marktbeschickern auf der Grundlage des dem Betreiber zustehenden Beurteilungsspielraums.

Tenor

Es wird festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 30.05.2003 und deren Widerspruchsbescheid vom 05.08.2003 rechtswidrig waren.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Tatbestand

Der Kläger ist Inhaber eines Standes mit glasierten Früchten. 2001 war er hiermit bereits einmal zum Volksfest der Beklagten zugelassen worden, 2002 hatte er sich vergeblich beworben.

Er bewarb sich erneut um Zulassung zum vom 27.09.2003 bis 12.10.2003 stattfindenden Volksfest mit seinem Geschäft „Candy-Früchte“.

Das Cannstatter Volksfest wird auf dem Cannstatter Wasen, einer öffentlichen Einrichtung der Beklagten, abgehalten und stellt einen Spezialmarkt im Sinne des § 68 Gewerbeordnung - GewO - dar. Die Vergabe der Standplätze erfolgt durch die VMS -Versorgungsmärkte und Marktveranstaltungen der Landeshauptstadt Stuttgart - nach den Richtlinien für die Zuteilung von Standplätzen am Cannstatter Wasen gemäß des Beschlusses des Gemeinderats vom 20.07.2001. Diese regeln die Vergabe bei Überangebot wie folgt:

4. Vergabe bei Überangebot

Gehen mehr Anmeldungen ein als Plätze verfügbar sind, so orientiert sich die Auswahl der Bewerber/innen ausschließlich am Veranstaltungszweck, Gestaltungswillen und den platzspezifischen Gegebenheiten. Hierbei sind die persönliche Zuverlässigkeit des Bewerbers, die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung und der reibungslose Festablauf von ausschlaggebender Bedeutung.

4.1 Geschäfte, von denen angenommen wird, dass sie wegen ihrer Art, Ausstattung oder Betriebsweise eine besondere Anziehungskraft auf die Besucher ausüben, können bevorzugt Platz erhalten.

4.2 Langjährige bekannte und bewährte Bewerber/innen haben bei gleichen Voraussetzungen Vorrang vor neuen Bewerber/innen. Der Vorrang gilt nur für ein Geschäft gleicher Art und gleichen Umfangs. Für ein Geschäft anderer Art oder ein im Umfang verändertes Geschäft kann der Vorrang nicht geltend gemacht werden.

4.3 Soweit nach Ziffer 4.1 in den einzelnen Branchen kein Neubeschickeranteil von in der Regel 20 % erreicht wird und objektiv feststellbare Unterscheidungsmerkmale fehlen, verliert dieser Vorrang (4.2) seine Gültigkeit.

Mit Bescheid vom 30.05.2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, in der Branche 6005 „Glasierte Früchte“ seien von sechs Bewerbern drei zugelassen worden, von denen zwei aus Attraktivitätsgründen, einer als bekannter und bewährter Bewerber vorgezogen worden seien.

Mit Schreiben vom 12.06.2003 erhob der Kläger dagegen Widerspruch.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.08.2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung gab sie nunmehr an, nach der Attraktivitätsbeurteilung sei drei Bewerbern ein Vorrang eingeräumt worden.

Der Kläger hat am 18.08.2003 Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben.

Zur Begründung seiner Klage trägt er vor, er sei mit demselben Stand 2001 und 2002 zum Volksfest und 2002 zum Frühlingsfest zugelassen worden. Sein Stand sei seinerzeit aus Attraktivitätsgründen Mitbewerbern vorgezogen worden, die heute -ohne Veränderungen- angeblich attraktiver sein sollten. Es fehle ferner an einer Darlegung, warum die Geschäfte der Mitbewerber attraktiver sein sollten. Es gebe hierfür keine nachvollziehbaren objektiven Kriterien. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf seine Schriftsätze vom 16.08. und 26.09.2003 verwiesen.

Nachdem der Kläger zunächst beantragt hatte, den Bescheid der Beklagten vom 30.05.2003 in Gestalt deren Widerspruchsbescheids vom 05.08.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Antrag neu zu entscheiden, beantragt er nunmehr

festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 30.05.2003 und deren Widerspruchsbescheid vom 05.08.2003 rechtswidrig waren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, sie habe von dem ihr eingeräumten Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht. Nachdem der Kläger in seiner Bewerbung „glasierte Früchte“ angegeben habe, sei er zu Recht der entsprechenden Branche 6005 zugeordnet worden. Die Bildung dieser Kategorie sei sachgerecht. Insbesondere unterscheide sich das Angebot in dieser Kategorie deutlich von dem der Kategorien „ Crepes, Waffeln, Dampfnudeln, Donuts“ (6001), „Kokosnüsse, Popcorn, Zuckerwatte“ (6002), „Süßwaren spezial“ (6003), „Eis“ (6004) und „Süßwaren mit Mandeln“ (6006). Die Entscheidung, in dieser Kategorie nur drei Bewerber zuzulassen, sei im Hinblick auf die Gestaltungsfreiheit des Veranstalters aus Platzgründen bzw., um ein Überangebot zu verhindern, nicht zu beanstanden. Bei ihrer Auswahl habe sie sich an den Richtlinien der Versorgungsmärkte und Marktveranstaltungen der Landeshauptstadt Stuttgart (VMS) für die Zuteilung von Standplätzen am Cannstatter Wasen vom 20.07.2001 orientiert, denen ein entsprechender Beschluss des Marktausschusses des Gemeinderats zugrunde liege. Nach Ziffer 4.1 dieser Richtlinien könnten Geschäfte, von denen angenommen werde, dass sie wegen ihrer Art, Ausstattung oder Betriebsweise eine besondere Anziehungskraft auf die Besucher ausübten, bevorzugt Platz erhalten, wobei nach Ziffer 4.2 Satz 1 langjährige bekannte und bewährte Bewerber bei gleichen Voraussetzungen Vorrang vor neuen Bewerbern hätten. Bei Beurteilung der Attraktivität der Bewerber gemäß Ziff. 4.1 der Richtlinien sei eine Entscheidung anhand der Kriterien „Erfüllung des gestalterischen Willens, Veranstaltungszweck“, „plastische Ausarbeitung Fassade“, „Vordach“, „Bemalung außen“, „Beleuchtung innen“ sowie „Verkaufsfront“ erfolgt. Für die Beurteilung seien Punkte vergeben worden. Für das Kriterium „Erfüllung des gestalterischen Willens, Veranstaltungszweck“ seien 20 Punkte erreichbar, für die anderen Kriterien jeweils 10. Die Auswertung dieser Kriterien habe dazu geführt, dass der Bewerber Nr. 553 68 Punkte, die Bewerber 554 und 555 jeweils 66 Punkte, Bewerber Nr. 558 62, Bewerber Nr. 556 und der Kläger (Nr. 557) 60 Punkte erreicht hätten. Nachdem die anderen Bewerber bereits aus Attraktivitätsgründen vorzuziehen gewesen seien, komme es auf die Frage, ob der Kläger bekannt und bewährt sei, nicht mehr an. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 05.09.2003 und 10.12.2003 verwiesen.

Die Unterlagen der Beklagten liegen dem Gericht vor. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf diese ebenfalls verwiesen.

Gründe

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr zulässig. Es erscheint konkret möglich, dass dem Kläger auch bei künftigen Bewerbungen unter Berufung auf die Richtlinie vom 20.07.2001 die Zulassung zum Volksfest versagt wird.

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 30.05.2003 und deren Widerspruchsbescheid vom 05.08.2003 waren rechtswidrig. Denn die Beklagte hat das ihr nach § 70 Abs. 3 GewO bei Platzmangel eingeräumte Ausschließungsermessen zum Nachteil des Klägers fehlerhaft ausgeübt.

Rechtsgrundlage für die Zulassung zum Volksfest ist § 70 Abs. 1 GewO, da es sich bei dem Markt um eine im Sinne dieser Vorschrift festgesetzte Veranstaltung handelt. Nach § 70 Abs. 1 GewO ist jedermann, der dem Teilnehmerkreis der festgesetzten Veranstaltung angehört, nach Maßgabe der für alle Veranstaltungsteilnehmer geltenden Bestimmungen zur Teilnahme an der Veranstaltung berechtigt. Nach Abs. 3 der Vorschrift kann der Veranstalter aus sachlich gerechtfertigten Gründen, insbesondere wenn - wie im vorliegenden Fall - der zur Verfügung stehende Platz nicht ausreicht, einzelne Aussteller, Anbieter oder Besucher von der Teilnahme ausschließen. Die Beklagte war danach gemäß § 70 Abs. 3 GewO ermächtigt, nach ihrem Ermessen unter den Bewerbern auszuwählen und damit notwendigerweise auch einzelne Anbieter auszuschließen. Im Rahmen dieser Entscheidung hat der Kläger grundsätzlich nur einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung dieses Ausschließungsermessens. Von diesem ihr eingeräumten Ermessen hat die Beklagte jedoch in rechtsfehlerhafter Weise Gebrauch gemacht.

23Grundlage für die Ermessensausübung der Beklagten sind die Richtlinien der Versorgungsmärkte und Marktveranstaltungen der Landeshauptstadt Stuttgart (VMS) für die Zuteilung von Standplätzen am Cannstatter Wasen i.d.F. vom 20.07.2001, denen ein entsprechender Beschluss des Marktausschusses des Gemeinderats der Beklagten vom 20.07.2001 zugrunde liegt. Diese Richtlinien dienen dazu, die Verwaltungspraxis der Beklagten bei der Ausübung des Ausschließungsermessens zu bestimmen. Wird ein Auswahlverfahren durch Richtlinien gesteuert, kann sich der einzelne Bewerber nicht auf die Richtlinien direkt berufen, sondern nur im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf eine durch die Richtlinien begründete Selbstbindung der Verwaltung. Die in Richtlinien enthaltenen Zulassungsbedingungen bei Platzmangel müssen - entsprechend der Regelung des § 70 Abs. 3 GewO - sachlich gerechtfertigt sein und deren Handhabung durch die Verwaltung allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechen. Hiervon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden.

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung ergeben sich aus dem Grundsatz der Marktfreiheit zwingende Schranken für das Verteilungsermessen des Veranstalters. Dieses kann nur dann fehlerfrei ausgeübt werden, wenn bei der unumgänglichen Beschränkung der Marktfreiheit ausschließlich marktrechtliche und marktspezifische Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Dabei ist es grundsätzlich auch zulässig, einen Verteilungsmaßstab zu wählen, der etwa Attraktivitätsgesichtspunkte als positiven Auswahlgesichtspunkt einsetzt (vgl. Urteil der Kammer vom 20.02.2003 - 4 K 3673/02 -). Hierbei ist Folgendes zu beachten:

25Die Beurteilung der Attraktivität der einzelnen Bewerber, die sich am Veranstaltungszweck zu orientieren hat, hängt letztendlich von der subjektiven Bewertungsentscheidung des Veranstalters ab, dem insofern ein Beurteilungsspielraum zukommt. Welche konkreten Gesichtspunkte er hierbei, ggf. für die einzelnen Sparten gesondert, heranzieht, liegt in seinem Ermessen, das sich jedoch an der in § 70 Abs. 3 GewO geforderten Sachbezogenheit orientieren muss. Das Gericht kann insoweit keine Vorgaben zur Auslegung der Attraktivität machen, sondern ist auf die rechtliche Überprüfung der maßgeblichen Kriterien im Rahmen des eingeräumten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums beschränkt (vgl. VG Oldenburg, B.v. 03.09.2003 -12 B 1761/03 - juris -). Bei der somit zu treffenden Auswahlentscheidung ist jedoch zu verlangen, dass der Veranstalter die für die Wertungsentscheidung maßgeblichen, für alle Bewerber geltenden Gesichtspunkte, die aus seiner Sicht die Attraktivität des Geschäfts und des Marktes bestimmen, offen zu legen hat, um eine einheitliche Anwendung des Verteilungsmaßstabs und dessen Überprüfbarkeit zu gewährleisten (VG Oldenburg aaO).

Diesen Grundsätzen wird die von der Beklagten getroffene Auswahlentscheidung nicht gerecht.

Die Beklagte hat ihre Auswahl- und Vergabeentscheidung ausschließlich nach Ziffer 4.1. der Richtlinien unter Attraktivitätsgesichtspunkten getroffen und dabei ein differenziertes und komplexes Bewertungsmodell zugrunde gelegt. Diese Form der Vergabepraxis hat jedoch keine nachvollziehbare Grundlage im Wortlaut der genannten Richtlinie Ziffer 4. 1, da hierin lediglich sehr allgemein bestimmt wird, dass Geschäfte, von denen angenommen wird, dass sie wegen ihrer Art, Ausstattung oder Betriebsweise eine besondere(Hervorhebung durch die Kammer) Anziehungskraft auf die Besucher ausüben,bevorzugt(Hervorhebung durch die Kammer) Platz erhalten können. Der Wortlaut der Ziffer 4.1. legt mit Rücksicht auf die verwendeten Begriffe „besondere“ und „bevorzugt“ nach Auffassung der Kammer ein Verständnis nahe, dass vorab nur solche Bewerber berücksichtigt werden sollen, die aus dem Bewerberfeld signifikant herausragen. Das von der Beklagten geteilte Verständnis kann auch nicht aus den folgenden Ziffern 4.2. und 4.3. der Richtlinie abgeleitet werden. Zwar ist in Ziffer 4.2. von „gleichen Voraussetzungen“ und in Ziffer 4.3. von „objektiv feststellbaren Unterscheidungsmerkmalen“ die Rede. In beiden Fällen wird jedoch lediglich vorausgesetzt, dass ein Vorrang nicht nach Ziffer 4.1. festgestellt werden konnte, es wird dabei nichts Näheres darüber ausgesagt, nach welchen Kriterien und nach welchem Modell dieser Vorrang ermittelt werden soll. Anders als bei der Auslegung einer Rechtsnorm ist für das Verständnis des Inhalts einer Richtlinie bzw. Verwaltungsvorschrift allerdings die Interpretation maßgeblich, die der Richtliniengeber für richtig hält und tatsächlich vornimmt. Die Beklagte vertritt die Auffassung, der richtliniengebende Versorgungs- und Marktausschuss habe über den engen Wortlaut von Ziffer 4.1 hinausgehend eine Vergabe aller Standplätze in erster Linie und vornehmlich unter Berücksichtigung der Attraktivität der Bewerber regeln wollen, was dann ein komplexes Bewertungsmodell der hier verwendeten Art erfordere und auch rechtfertige. Konkrete Belege für diese Auffassung sind dem Gericht jedoch nicht vorgelegt oder sonst erkennbar geworden. Der Beschlussvorlage für die Entscheidung des Versorgungs- und Marktausschusses vom 20.07.2001 lässt sich nichts entnehmen; eine entsprechende Begründung ist hierin nicht enthalten. Eine erneute Stellungnahme des beschließenden Ausschusses hat die Beklagte trotz entsprechender Aufforderung im Parallelverfahren 4 K 3625/03 nicht herbeigeführt. Sie trug in der mündlichen Verhandlung lediglich vor, Telefongespräche ihres Prozessbevollmächtigten mit einigen (der Zahl nach nicht einmal näher spezifizierten) ehemaligen Ausschussmitgliedern hätten ergeben, dass eine generelle Vergabe anhand von Attraktivitätskriterien beabsichtigt gewesen. Dass die Ermittlung des damals tatsächlich Gewollten nicht anhand einzelner Gespräche erfolgen kann, liegt auf der Hand.

Letztendlich kann die Frage nach dem zutreffenden und maßgeblichen Verständnis von Ziffer 4.1 der Richtlinien dahingestellt bleiben, da sich die tatsächliche Verwaltungspraxis auch von einer ursprünglich anders verstandenen Richtlinie weg entwickeln kann mit der Folge, dass möglicherweise dann über Art. 3 Abs. 1 GG mit diesem Inhalt eine Berufung auf die Richtlinie möglich wäre. Denn die von der Beklagten vorgenommene Umsetzung dieser Ziffer in ihre Vergabepraxis durch einen stark differenzierten Kriterienkatalog und ein zehn bis zwanzig Abstufungen umfassendes Punktesystem stellt in dieser Form kein für die Beschränkung der Freiheit der Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG geeignetes und rechtstaatlich handhabbares Bewertungsverfahren dar. Die Anwendung des von der Beklagten angewandten Kriterienkatalogs verbunden mit dem hierauf bezogenen sehr stark gespreizten Punktesystem kann ohne weiteres dazu führen, dass bereits bei äußerst geringfügig abweichenden Beurteilungen innerhalb der einzelnen Bewertungskriterien sich die vergebenen Punkte in einer Weise aufaddieren, dass der für die ausschließliche Anwendung der Ziffer 4.1. maßgebliche Attraktivitätsvorrang von mehr als drei Punkten eintritt. Es genügt hiernach, dass etwa in vier Kategorien nur jeweils ein Punkt mehr vergeben wird. Bei einer Punkteskala von 10, noch viel mehr aber bei einer solchen von 20 Punkten ist eine Differenzierung von einem, aber auch zwei Punkten praktisch nicht mehr nachzuvollziehen und entzieht sich einer rationalen Vermittlung zwischen den Verfahrensbeteiligten untereinander wie auch zwischen der Beklagten und dem Gericht, das dazu berufen ist, deren Entscheidung zu kontrollieren.

Dass die Praxis der Beklagten zu problematischen Ergebnissen führen kann, zeigt eindrücklich auch gerade ein Vergleich der jeweiligen Punktdifferenzen im vorliegenden Vergabeverfahren für das Frühlingsfest 2003 einerseits und dem Verfahren zum Cannstatter Volksfest 2003 andererseits (4 K 3364/03). So betrug die Differenz hinsichtlich des Erscheinungsbilds zwischen dem Geschäft des Klägers und den Geschäften der Konkurrenten K. und B. beim Volksfest 2003 acht, beim Frühlingsfest hingegen fünf Punkte, ohne dass relevante Veränderungen bei den verschiedenen Geschäften ersichtlich wären.

30Die Beklagte verkennt mit der Aufstellung dieses Bewertungsmodells den eigentlichen Sinn und Zweck einer derartigen Marktveranstaltung. Die ausdifferenzierte Anwendung des Auswahlkriteriums „Attraktivität“ führt nämlich letztlich zu einer Prämierung der schönsten und besten Geschäfte der Marktbewerber nach im Wesentlichen alleinvon der Beklagten entwickelten und angewandten Maßstäben. Nicht berücksichtigt wird dabei, dass sich Veranstaltungen der vorliegenden Art an ein nach Alter, Herkunft, Bildung und Interessenlage heterogenes Publikum wendet, weshalb auch bei diesem unterschiedliche Vorstellungen darüber, was nun schön bzw. attraktiv ist oder nicht, als selbstverständlich vorausgesetzt werden müssen. Diese unterschiedlichen „Geschmacksvorstellungen“ müssen letztlich auch bei einer Attraktivitätsbewertung in irgendeiner Art und Weise Eingang finden. Die von der Beklagten vorgenommene Ausdifferenzierung des Attraktivitätsmerkmals vermittelt jedoch den Eindruck, dass die Zulassung anhand „objektiver“ Entscheidungskriterien erfolgt, was das immer stark subjektiv eingefärbte Auswahlkriterium der Attraktivität in weiten Bereichen gerade nicht zu leisten vermag. Hinzu kommt, dass sich in diesem Zusammenhang Sinn und Zweck der von der Beklagten der Entscheidung zu Grunde gelegten einzelnen Auswahlkriterien unter dem Stichwort der „Attraktivität“ nicht auf den ersten Blick erschließen, so etwa wenn Gesichtspunkte wie Erfüllung des gestalterischen Willens/Veranstaltungszweck gesondert bewertet werden.

Hierdurch entzieht die Beklagte einer durch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG geforderten effektiven gerichtlichen Überprüfung der Auswahlentscheidung jede Grundlage, die durch den ihr im Ausgangspunkt - verfassungsrechtlich unbedenklich - eingeräumten Bewertungsspielraum (vgl. hierzu Tettinger/Wank, GewO, 6. Aufl., § 70 Rn. 39 f. und 48 m.w.N.; Schönleitner, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 70 Rn. 19 m.w.N.) ohnehin schon eingeschränkt ist. Zur Gewährleistung wirksamen Rechtsschutzes gehört nämlich vor allem, dass das Gericht - bezogen auf das als verletzt behauptete Recht- eine hinreichende Prüfungsbefugnis über die tatsächliche und rechtliche Seite des Rechtsschutzbegehrens hat (vgl. BVerfG, B.v. 08.07.1082 - BvR 1187/80 - E 61,82 <109>).

Die von der Beklagten gewählte Form der Vergabe ist ferner auch für die betroffenen Marktbeschicker, namentlich für Neubewerber nicht mehr in einer Weise vorhersehbar und durchschaubar, dass sie ihre maßgeblichen Entscheidungen, was die Ausgestaltung der Geschäfte betrifft, vor einer Bewerbung hieran ausrichten können, zumal die Beklagte die Kriterien auch nicht im Kontext der Ausschreibung der Veranstaltung offen gelegt und transparent gemacht hatte (vgl. zum Erfordernis der Transparenz und Nachvollziehbarkeit auch Tettinger/Wank, GewO, 6. Aufl., § 70 Rn. 41).

Hinzu kommt ein Weiteres: Das von der Beklagen gewählte Modell ist auch strukturell nicht darauf angelegt, den verfassungsrechtlich verbürgten Zugang von Neubewerbern zumindest durch Eröffnung einer realistischen Zulassungschance (vgl. BVerwG, U.v. 27.04.1984 – 1 C 24.82NVwZ 1984, 585; VGH Baden-Württemberg, U.v. 30.04.1991 – 14 S 1277/89NVwZ-RR 1992, 132; Tettinger/Wank, a.a.O., § 70 Rn. 44) in dem gebotenen Maße in den Blick zu nehmen. Denn es bleibt dem reinen Zufall überlassen, ob Neubewerber überhaupt zum Zuge kommen, geschweige denn mit einer bestimmten Quote, mit der erst über die Größe der Zulassungschance entschieden wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist gemäß § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO für notwendig zu erklären.