VG Freiburg, Beschluss vom 02.01.2004 - 8 K 2283/03
Fundstelle
openJur 2013, 13200
  • Rkr:
Tenor

Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Abschiebung der Antragsteller auszusetzen und ihnen vorläufig eine Duldung zu erteilen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 14.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO) ist bei sachdienlicher Auslegung darauf gerichtet, den Antragsgegner zu verpflichten, die Abschiebung der Antragsteller auszusetzen und ihnen eine vorläufige Duldung zu erteilen. Bei dieser Auslegung ist der Antrag begründet. Die Antragsteller haben einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Ein Anordnungsgrund ergibt sich daraus, dass der Antragsgegner, auch nachdem die Abschiebung der Antragsteller am 10.11.2003 auf dem Flughafen in München letztlich wohl wegen deren passiven Widerstands abgebrochen wurde, weiterhin die Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina beabsichtigt. Insbesondere der Antragserwiderung vom 21.11.2003 kann Gegenteiliges nicht entnommen werden.

Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Bei der im hier anhängigen einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Abschiebung der Antragsteller nach Bosnien und Herzegowina aus rechtlichen Gründen unmöglich und deshalb eine Duldung zu erteilen ist (§ 55 Abs. 2 AuslG). Auf die Frage, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Duldung im Hinblick auf die in Betracht kommende Abschiebung nach Serbien und Montenegro vorliegen, kommt es zum jetzigen Zeitpunkt nicht an, da der Antragsgegner eine Abschiebung dorthin - soweit ersichtlich - derzeit nicht beabsichtigt.

Die Voraussetzungen für eine Abschiebung der Antragsteller nach Bosnien und Herzegowina liegen (derzeit) nicht vor, weil eine diese Abschiebung deckende Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht existiert. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - Bundesamt - hat die Antragsteller Ziff. 1 bis 5 nach Stellung von Asylfolgeanträgen mit Bescheid vom 04.09.2002 zur Ausreise innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung aufgefordert und ihnen für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo) oder in einen anderen Staat angedroht, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei. Die Abschiebungsandrohung ist vollziehbar. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der noch anhängigen Klage - A 8 K 11853/02 - gegen den Bescheid wurde mit Beschluss des erkennenden Gerichts vom 07.10.2002 - A 8 K 11854/02 - abgelehnt. Die Antragstellerinnen Ziff. 6 und 7 waren mit Bescheid des Bundesamtes vom 09.06.1998 zur Ausreise innerhalb eines Monats nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides aufgefordert worden. Gleichzeitig war ihnen für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien oder in einen anderen Staat angedroht worden, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei. Auch diese Abschiebungsandrohung ist vollziehbar, da die gegen den Bescheid erhobene Klage mit Urteil des erkennenden Gerichts vom 15.06.1999 - A 8 K 11354/98 - abgewiesen worden war. An der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht hat sich auch nichts geändert aufgrund der im Dezember 1999 durch die Antragstellerinnen Ziff. 6 und 7 gestellten Asylfolgeanträge und der gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes vom 02.04.2003 erhobenen Klage (A 8 K 10601/03), die noch anhängig ist.

Die genannten Bescheide stellen jedoch keine Grundlage für eine Abschiebung der Antragsteller nach Bosnien und Herzegowina dar, da dieses Land nicht als Zielstaat der Abschiebung genannt ist. Auch in der mit Schreiben des Antragsgegners vom 29.09.2003 gem. § 56 Abs. 6 AuslG erfolgten Ankündigung der Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina ist nicht die nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 50 Abs. 2 AuslG erforderliche Zielstaatsbezeichnung zu sehen.

Wurde in einer Abschiebungsandrohung ein Zielstaat nicht oder nicht namentlich bezeichnet, muss der konkrete Zielstaat dem Betroffenen vor der Abschiebung in einer Weise mitgeteilt werden, dass er einen den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Rechtsschutz erlangen kann. Etwas anderes kann auch nicht dem nach § 50 Abs. 2 AuslG vorgeschriebenen allgemeinen Hinweis in den gegenüber den Antragstellern ergangenen Abschiebungsandrohungen entnommen werden, dass sie auch in einen anderen Staat abgeschoben werden konnten, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei. Dieser Hinweis hat keinen Regelungscharakter. Er entbindet die Behörde nicht davon, dem Ausländer einen konkret ins Auge gefassten neuen Abschiebezielstaat rechtzeitig vorher mitzuteilen, um ihm Gelegenheit zu geben, etwaige Abschiebungshindernisse bezüglich dieses Staates geltend zu machen und gegebenenfalls Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.12.2001, BVerwGE 115, 267 und Urt. v. 25.07.2000, BVerwGE 111, 343). Wurde der Hinweis, dass auch in einen anderen aufnahmebereiten Staat abgeschoben werden könne, im Asylverfahren durch das Bundesamt erteilt, so obliegt die nachträgliche Benennung eines (anderen) Zielstaates dem Bundesamt (vgl. Hailbronner, AuslR, § 34 Rn. 67 ff.; GK-AuslR § 50 AuslG Rn. 32; VG Stuttgart, Beschl. v. 25.07.2001 - 3 K 2278/01 -; ausdrückl. offengelassen durch das BVerwG im Urt. v. 25.07.2000, aaO.). Denn es muss der insbesondere mit der Novellierung des Asylverfahrensgesetzes 1992 erfolgten klaren gesetzlichen Kompetenzverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde Rechnung getragen werden. Dem Bundesamt obliegt insbesondere die Entscheidung über alle zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse. Die Ausländerbehörde muss sich darauf beschränken, inlandsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.11.1997, BVerwGE 105, 322). Auch verfolgt die Zielstaatsbezeichnung den Zweck, das vorrangige Abschiebezielland für die vollziehende Behörde eindeutig zu kennzeichnen und möglichst frühzeitig die Prüfung von Abschiebungshindernissen bezüglich dieses Staates vorzunehmen (vgl. BVerwGE, Urt. v. 25.07.2000, aaO.). Die nach § 24 Abs. 2 AsylVfG durch das Bundesamt zu treffende Feststellung zu § 53 AuslG hat ebenso wie die Zielstaatsbezeichnung in der Abschiebungsandrohung die Funktion, eine für die Ausländerbehörde eindeutige und verbindliche Regelung (vgl. § 42 AsylVfG) zu schaffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.12.2001, aaO.). Diese Grundsätze gebieten es, dass die Zielstaatskonkretisierung durch das Bundesamt zu erfolgen hat. Daran fehlt es vorliegend. Offen bleiben kann, in welcher Form die Konkretisierung des Zielstaates zu erfolgen hat (vgl. dazu Hailbronner, aaO. § 34 Rn. 69, wonach das Bundesamt eine - anfechtbare - Feststellungsentscheidung nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG zu treffen hat) und ob eine Zielstaatskonkretisierung ausnahmsweise durch die Ausländerbehörde erfolgen kann oder gar entbehrlich ist, wenn das Bundesamt im Asylverfahren - zulässigerweise (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.12.2001, aaO.) - „auf Vorrat“ eine Entscheidung über Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich des später durch die Ausländerbehörde benannten Zielstaates vorgenommen hat. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Das Bundesamt ist in den vorangegangenen und noch anhängigen  Asyl-(folge)verfahren stets davon ausgegangen, dass die Antragsteller (ausschließlich) die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Jugoslawien bzw. von Serbien und Montenegro besitzen und hat nur im Hinblick auf diesen Staat zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse geprüft.

Offen bleiben kann, ob die Antragsteller glaubhaft gemacht haben, dass die Antragstellerin Ziff. 6 im Hinblick auf ihre Herzerkrankung nicht reise- bzw. flugfähig ist und deshalb ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis - hinsichtlich der übrigen Antragsteller aufgrund Art. 6 GG - vorliegt. Nach Auffassung des Dr. XXX (vgl. ärztliche Bescheinigung v. 11.11.2003) besteht aufgrund der Herzerkrankung der Antragstellerin Ziff. 6 ein hohes gesundheitliches Risiko bei einer zwangsweisen Abschiebung der Familie, insbesondere auf dem Luftweg, ohne fachkardiologische Kontrolle vor dem Transport. Auch bestehe unter diesen Bedingungen insbesondere durch die damit verbundenen starken psychischen Belastungen ein hohes Risiko der cardiopulmonalen Dekompensation.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus den §§ 25, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.