LG Köln, Urteil vom 27.10.2011 - 6 S 282/10
Fundstelle
openJur 2012, 128014
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 25.10.2010 - 142 C 153/10 - wird zurückgewiesen

 

Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung gegen sich durch Sicherheitsleistung Höhe von 2.600,- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Mit der Klage macht die Klägerin Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs.1c, Art. 5 Abs.1c VO(EG) 261/2004 geltend.

Wegen eines betriebsinternen Streiks bei der Beklagten ist der für den 22.10.2010 gebuchte Rückflug vom Miami nach Düsseldorf annulliert worden. Die Klägerin und ihr Lebensgefährte, der seine Forderung an die Klägerin abgetreten hat, sind erst zwei Tage später in Düsseldorf angekommen.

Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 25.10.2010 der Klage in Höhe von 1.200,- € nebst Zinsen stattgegeben. Es hat dahinstehen lassen, ob es sich bei einem betriebsinternen Streik überhaupt um ein außergewöhnliches Ereignis im Sinne von Art. 5 Abs.3 der VO handelt, und hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, dass die Beklagte nicht hinreichend dargetan habe, alles Zumutbare zur Vermeidung der Annullierung getan zu haben.

Gegen dieses ihr am 15.11.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit bei Gericht am 15.12.2010 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 07.02.2011 mit bei Gericht am 07.02.2011 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie wendet ein, dass es sich auch bei einem betriebsinternen Streik um ein außergewöhnliches Ereignis im Sinne der VO handeln würde und sie ausreichend dargelegt und unter Beweis gestellt habe, alles Zumutbare zur Vermeidung der Annullierung getan zu haben.

Die Beklagte beantragt,

                     das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 25.10.2011  - 142 C 153/10 -     

                     abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

                     die Berufung zurückzuweisen.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Klägerin steht gemäß Art. 5 Abs.1 c, 7 Abs.1 c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 1200,- € zu. In Höhe von 600,- € ist die Klägerin aufgrund der Abtretung nach § 389 BGB aktivlegitimiert.

Die Kammer vertritt die Auffassung, dass als außergewöhnliches Ereignis im Sinne von Art. 5 Abs.3 VO (EG) 261/2004 nur externe Streiks anzusehen sind, nicht jedoch - wie hier - ein betriebsinterner Streik durch Mitarbeiter des ausführenden Luftfahrtunternehmens.

Diese Frage wird in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Der Wortlaut der Entscheidung unterscheidet insoweit nicht. Auch in Ziff. 14 der Erwägungen zur VO ist ausdrücklich von “den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigende Streiks“ die Rede, ebenfalls ohne Unterscheidung zwischen extern und betriebsintern. In der Rechtsprechung werden beide Meinungen gleichermaßen vertreten (z.B.: außergewöhnliches Ereignis: AG Köln, Urteil v. 04.08.2009, Az.: 133 C 191/09; kein außergewöhnliches Ereignis: AG Köln, Urteil v. 12.01.2011, Az.: 143 C 275/10).

Die Kammer schließt sich insoweit der Meinung an, dass kein außergewöhnliches Ereignis anzunehmen ist. Hierbei ist zu bedenken, dass durch die VO (EG) 261/2004 die Rechte der Fluggäste gestärkt werden sollten und insoweit bei der Beurteilung, welches Ereignis als außergewöhnlich anzusehen ist, enge Maßstäbe anzulegen sind (vgl. auch Prof. Dr. T in RRa 2006, 254). Bei einem Streik einer deutschen Gewerkschaft, mit der die Beklagte in Tarifverhandlungen steht, handelt es sich um äußere Umstände, die als Betriebsrisiko dem normalen Geschäftsbetrieb der Beklagten zuzurechnen ist. Mit Streiks muss grundsätzlich bei jeder Tarifverhandlung gerechnet werden und damit auch mit dem Ausfall und der Annullierung von Flügen. Insoweit handelt es sich um ein typisches, in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit zu erwartendes und nicht um ein außergewöhnliches Ereignis im Sinne der VO.

Entgegen der Meinung der Beklagten wird auch nicht in unzulässiger Weise in die Tarifautonomie (Art. 9 Abs.3 GG) eingegriffen. Ob die Beklagte durch das Eingehen auf Tarifforderungen einen Streit vermeidet oder abkürzt, ist ihre Entscheidung und ihr Risiko mit den sich naturgemäß daraus ergebenden Folgen im Hinblick auf mögliche Ausgleichs- und Schadensersatzansprüche gegenüber den Kunden.

Die Zinsen stehen der Klägerin gemäß §§ 286, 288 BGB zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO war wegen der grundsätzlichen Rechtsfrage, ob auch betriebsinterne Streiks ein außergewöhnliches Ereignis im Sinne von Art. 5 Abs.3 VO(EG) 261/2004 darstellen, veranlasst. Diese Frage ist auch entscheidungserheblich, weil die Beklagte nach Auffassung der Kammer hinreichend dargetan hat, alles Zumutbare zur Vermeidung der Annullierung getan zu haben.

 Berufungsstreitwert: 1.200,-€