OLG Hamm, Beschluss vom 17.07.2009 - 25 W 259/09
Fundstelle
openJur 2012, 127436
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Vorsitzenden der 12. Zivilkammer beim Landgericht Dortmund abgeändert.

Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Zahlungsbefehls des Amtsgerichts Gliwice (Polen) vom 4.3.2008 (XGNc 19/08) wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gegenstandswert: 35.700,01 EUR.

Gründe

I.

Am 4. März 2008 erließ das Amtsgericht Gliwice in Polen gegen die Antragsgegnerin einen Mahnbescheid über 35.700,01 EUR und Kosten. Der der Antragsgegnerin am 13.5.2008 zugestellte Bescheid enthielt die Belehrung, dass binnen zwei Wochen gegen den Mahnbescheid Widerspruch eingelegt werden könne.

Die Antragsgegnerin ließ durch ihren Anwalt Einspruch einlegen. Der Schriftsatz (mit Übersetzung in die polnische Sprache) ging am 23.5.2008 beim polnischen Gericht ein. Ihm war keine Vollmacht beigefügt, auch hatte die Antragsgegnerin keinen Zustellungsbevollmächtigten in Polen benannt. Das polnische Gericht wies die Antragsgegnerin auf das Fehlen der Vollmacht hin. Das Hinweisschreiben wurde in den Gerichtsakten niedergelegt. Dies ermöglicht das polnische Recht dann, wenn eine im Ausland ansässige Partei keinen Zustellungsbevollmächtigten in Polen benannt hat, wie im vorliegenden Verfahren unstreitig, dem Senat aber auch aus zahlreichen anderen Verfahren bekannt ist.

Am 20.8.2008 verwarf das Amtsgericht Gliwice den Einspruch der Antragsgegnerin, weil der Einspruchsschrift keine Vollmacht beigefügt und diese trotz Hinweises auch nicht nachgereicht worden sei. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Der Vorsitzende der 12. Zivilkammer beim Landgericht Dortmund hat den Zahlungsbefehl auf Antrag der Antragstellerin für in Deutschland vollstreckbar erklärt.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, die sich auf ihren Einspruch gegen den Mahnbescheid beruft. Einen Hinweis auf das Fehlen einer Vollmacht habe sie nicht erhalten. Dies sei, meint sie, evident rechtswidrig und widerspreche rechtsstaatlichen Grundsätzen.

Die Antragstellerin begehrt unter Berufung darauf, dass das Verfahren polnischem Recht entspreche, Zurückweisung der Beschwerde.

II.

Die Beschwerde ist nach Art. 43 und Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000 - EuGVVO -  iVm. § 11 Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz vom 19.2.2001 - AVAG - zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden.

Sie ist auch begründet. Die polnische Entscheidung kann gem. Art. 34 Nr. 1 EuGVVO nicht anerkannt und deshalb auch nicht für vollstreckbar erklärt werden.

1.

Gem. Art. 34 Nr. 1 EuGVVO wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde. Dies ist der Fall, wenn das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach inländischer Vorstellung untragbar erscheint (BGH NJW 1993, 3269, 3270). Es muss sich um eine offensichtliche Verletzung einer wesentlichen Rechtsnorm oder eines als grundlegend anerkannten Rechts handeln (EuGH, Urteil vom 11.05.2000 - ("Renault/Maxicar"), GRUR Int 2000, 759, 761 (Tz. 30)). Besondere Bedeutung haben dabei Grundrechtsverletzungen (Musielak/Stadler, ZPO, 6. Aufl. 2008, Art. 34 EuGVVO Rn. 2).

Der Grundsatz rechtlichen Gehörs kann nur unter Berücksichtigung des Systems und der Struktur des ausländischen Verfahrensrechts gewährleistet werden. Dabei ist lediglich auf die Grundwerte abzustellen, die durch Art. 103 Abs. 1 GG geschützt werden. Dies ist zum einen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, das grundsätzlich verbietet, eine Entscheidung zu treffen, bevor der Betroffene Gelegenheit hatte, sich zu äußern. Zum anderen kann eine relevante Verletzung vorliegen, wenn einem Verfahrensbeteiligten nicht die Rolle eines Verfahrenssubjekts eingeräumt worden ist, das aktiv die Gestaltung des Verfahrens beeinflussen kann (BGH NJW 1990, 2201, 2201 f.).

2.

Das polnische Gericht hat den Einspruch der Antragsgegnerin gegen den Mahnbescheid nicht beachtet und ihr schriftsätzliches Vorbringen nicht berücksichtigt. Dies stellt nach den zitierten Grundsätzen des BGH eine Verletzung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit und eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar. Diese ist nicht durch die konkrete Anwendung des polnischen Verfahrensrechts gerechtfertigt.

2.1.

Nicht zu beanstanden ist auch im Vergleich zum deutschen Recht, dass das Vorbringen wegen Nichtvorlage einer Vollmacht unberücksichtigt geblieben ist. Dies ist auch dem deutschen Recht nicht fremd. Bis zum Inkrafttreten der Vereinfachungsnovelle vom 3.12.1976 (BGBl. I S. 3281) am 1.7.1977 war auch im deutschen Parteizivilprozess die Vorlage einer Vollmacht durch einen Anwalt obligatorisch. Sie ist es gem. § 88 ZPO auch noch heute für einen Bevollmächtigten, der nicht Anwalt ist.

2.2.

Es stellt aber eine Verletzung des Anspruchs des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) dar, wenn ein erforderlicher rechtlicher Hinweis unterbleibt und dies dazu führt, dass Vorbringen einer Partei nicht berücksichtigt wird (z.B. BGH NJW 1999, 1867, 1868). Die Hinweispflicht besteht auch dann, wenn eine Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten ist und dieser die Rechtslage falsch einschätzt (BGH a.a.O.; BGH NJW 2002, 3317, 3320).

Dem Anwalt der Antragsgegnerin (im jetzigen und) im polnischen Verfahren war das Erfordernis der Vollmacht offensichtlich nicht bekannt. Sonst hätte er sie beigefügt oder, wie es vor dem 1.7.1977 üblich war, das Nachreichen der Vollmacht zugesagt. Dies erforderte einen rechtlichen Hinweis des polnischen Gerichts.

3.

Den rechtlichen Hinweis auf die fehlende Vollmacht, den es offenbar selbst für erforderlich hielt, hat das polnische Gericht aber nicht (wirksam) erteilt. Dazu reichte es nicht aus, das Hinweisschreiben in den polnischen Gerichtsakten zu hinterlegen.

3.1.

Der Senat hat schon Zweifel an der Gemeinschaftskonformität des Art. 1135 § 2 der polnischen ZPO, der eine Zustellung oder Bekanntmachung durch Niederlegung in den Gerichtsakten zulässt, wenn der im Ausland wohnende Beklagte nach Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks keinen Zustellungsbevollmächtigten benennt.

Jedenfalls dann, wenn es um eine erforderliche Zustellung in einem Mitgliedstaat geht, stellt eine solche Vorschrift aus Sicht des Senats eine Umgehung der Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EuZustVO) dar. Die Vorschrift (wie auch § 184 ZPO) macht aus einer an sich erforderlichen Auslandszustellung eine (fiktive) Inlandszustellung; auf eine Inlandszustellung findet die EuZustVO keine Anwendung. Für den Fall der Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftsatzes hat der EuGH (Urteil vom 13.10.2005 - „Scania“ - NJW 2005, 3627 f.) dies für unzulässig erklärt. Auch wenn die Entscheidung nur zu Art. 27 EuGVÜ (jetzt Art. 34 Nr. 2 EuGVVO) ergangen ist, dürfte sie für jede Art der erforderlichen Zustellung gelten (so auch Heiderhoff EuZW 2006, 235 ff.; ähnlich Heidrich EuZW 2005, 743, 745; Thomas-Putzo/Hüßtege, ZPO, 29. Aufl. 2008, § 184 Rn. 10; Stein-Jonas/Roth, 22. Ausl. 2005, § 184 Rn. 2; OLG Düsseldorf NJW-RR 2008, 1522 f.).

Auch spricht Einiges dafür, dass die Vorschrift gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV verstößt. Art. 12 EGV ist ein spezifischer Ausdruck des allgemeinen Gleichheitssatzes des Gemeinschaftsrechts und verbietet jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit (EuGH, Urteil vom 23.1.1997 - „Pastoors“ -, NZV 1997, 234, 235 [Tz. 14.] noch zu Art. 6 EGV), worunter auch versteckte Diskriminierungen fallen (EuGH a.a.O. Tz. 16).

Die polnische Regelung verlangt von im Ausland ansässigen Personen, damit meist Bürgern mit anderer als der polnischen Staatsangehörigkeit, die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten, dessen Beauftragung regelmäßig mit Mühe und Kosten verbunden sein wird. Dies verlangt sie von in Polen lebenden Bürgern, meist polnischer Staatsangehörigkeit, auch dann nicht, wenn sie nicht am Ort des Gerichts ansässig sind. Eine nationale Regelung, die eine Entscheidung aufgrund des Kriterium des Wohnsitzes trifft, kann diskriminierend sein, wenn sie Gebietsfremde benachteiligt, weil es meistens Ausländer trifft (EuGH a.a.O. Tz. 17).

Eine solche versteckte Diskriminierung führt zu einer Unvereinbarkeit mit Art. 12 EGV, wenn die Regelung nicht durch objektive Umstände gerechtfertigt ist (EuGH a.a.O. Tz. 19). Solche Umstände liegen jedenfalls nach Inkrafttreten der EuZustVO (im vorliegenden Rechtsstreit ist noch die VO (EG) Nr. 1348/2000 maßgeblich) nicht mehr vor. Die vom BGH (Urteil vom 10.11.1998, NJW 1999, 1187, 1190) in einem vergleichbaren Fall herangezogenen Gründe sind im Geltungsbereich der EuZustVO nicht tragfähig. Seit die Auslandszustellung per Post durch Einschreiben mit Rückschein möglich ist, sind nennenswerte „Erschwernisse und Verzögerungen“, die den „Justizgewährungsanspruch des Klägers beeinträchtigen würden“ (BGH a.a.O.), nicht mehr zu sehen.

3.2.

Letztlich kann die Frage der Gemeinschaftskonformität des Art. 1135 § 2 der polnischen ZPO aber dahinstehen.

Einmal muss ein erforderlicher rechtlicher Hinweis nicht förmlich zugestellt werden, so dass nur die Frage der Verletzung des Diskriminierungsverbots relevant wäre (bei einem Einwohner Polens, meist polnischer Nationalität, der nicht am Gerichtsort wohnt, wird nicht durch Niederlegung in der Gerichtsakte bekanntgegeben).

Zum anderen führt schon die konkrete Ausgestaltung des Verfahrens des polnischen Gerichts, auch wenn es dem polnischen Zivilprozessrecht entspricht, zu einer Versagung der Anerkennung, weil es rechtsstaatlichen Grundsätzen offensichtlich widerspricht.

a) Die Antragsgegnerin hatte durch Anwaltsschriftsatz Einspruch eingelegt und keinen Zustellungsbevollmächtigten benannt. Daraus ergab sich zumindest die Möglichkeit, eher die Wahrscheinlichkeit, dass ihr die polnische Vorschrift nicht bekannt war. Es wird kaum jemand freiwillig die Mühe auf sich nehmen, sich (abgesehen von den Sprachproblemen) durch periodisch wiederholende Anrufe auf der Geschäftsstelle davon zu vergewissern, ob ein Schriftstück in der Gerichtsakte niedergelegt wurde, und dann nach Polen zu fahren, um es abzuholen, oder dann erst einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Einer telefonischen Auskunft über den Inhalt des Schriftstückes dürften im Übrigen datenschutzrechtliche Vorschriften entgegenstehen.

b) Die Antragsgegnerin hatte keine Vollmacht für den Anwalt beigefügt und die Nachreichung nicht versprochen. Daraus ergab sich wiederum zumindest die Möglichkeit, eher die Wahrscheinlichkeit, dass ihr auch Art. 89 § 1 der polnischen ZPO nicht bekannt war.

c) Wenn in dieser Situation ein erforderlicher und für erforderlich gehaltener rechtlicher Hinweis durch Niederlegung in der Gerichtsakte bekanntgegeben wird, musste es auch für möglich, eher für wahrscheinlich gehalten werden, dass dieser rechtliche Hinweis die Antragsgegnerin nicht erreichen würde.

d) Hinzukommt, dass das für das polnische Gericht erkennbare Unwissen der Antragsgegnerin nicht nur zu einer Zurückweisung ihres Einspruchs führte. Da auch die Zustellung des Beschlusses durch Niederlegung in der Gerichtsakte erfolgte, war auch wahrscheinlich, dass die Entscheidung, sofern sie durch Rechtsmittel anfechtbar war, rechtskräftig werden würde.

e) Es ist nach Auffassung des Senats nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen zu vereinbaren, wenn in dieser Situation der Antragsgegnerin der rechtliche Hinweis nicht zumindest parallel zur Niederlegung in den Gerichtsakten durch ein Schreiben an ihre Anwälte bekanntgemacht wurde. Es ist kein wesentlicher Unterschied zu der Situation zu sehen, dass ein per Post gesandtes Schriftstück eine Partei nicht erreicht. In diesem Fall hat der BGH es zu Recht mit dem im Rechtsstaatsgebot wurzelnden Grundsatz des fairen Verfahrens für unvereinbar gehalten, einer Partei die Wiedereinsetzung zu versagen (BGH, Beschluss vom 24.7.2000, NJW 2000, 3284, 3285).

4.

Der Senat verkennt nicht, dass die Antragsgegnerin (fremd-)schuldhaft in die gegebene Situation geraten ist. Ihr Anwalt hätte sich, wenn er das Mandat annimmt, über das polnische Recht informieren müssen. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte er sowohl von der Notwendigkeit der Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten als auch von der der Vollmachtsvorlage wissen müssen. Er hätte auch wissen können und müssen, dass es bei Missachtung der Vorschriften und Beachtung des polnischen Rechts genau zu der Situation kommen musste, in welche die Antragsgegnerin geraten ist. Das Verschulden ihres Anwalts hat die Antragsgegnerin sich nach deutschem Recht gem. § 85 ZPO zurechnen zu lassen.

Dies ändert aber am Ergebnis nichts. Wie bereits ausgeführt, sind rechtliche Hinweise auch bei anwaltlicher Vertretung erforderlich. Allenfalls kann darüber diskutiert werden, ob ein Gericht nicht eine erhöhte Hinweispflicht hat, wenn ein Anwalt, der offensichtlich das ausländische Recht nicht kennt, die Vertretung einer Partei im ausländischen Staat übernimmt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.