VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.07.1994 - 14 S 527/94
Fundstelle
openJur 2013, 9262
  • Rkr:

1. (Sonder-)Beiträge, die von der Handwerkskammer für eine bestimmte Aufgabe erhoben werden (hier: Kosten für die überbetriebliche Ausbildung) müssen sich weder am Kammerbeitrag und dem hier angewandten Vorteilsmaßstab orientieren, noch müssen sie unterhalb des Kammerbeitrags liegen.

2. Es verletzt nicht die Aufklärungspflicht, wenn das Verwaltungsgericht zahlenförmige Angaben der Handwerkskammer zu einem Beitragsberechnungsmodell unter Hinweis darauf ungeprüft übernimmt, daß diese vom Kläger nicht substantiiert in Zweifel gezogen worden sind.

Gründe

Die - zulässige - Beschwerde ist nicht begründet. Denn weder hat die Rechtssache die behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 131 Abs. 3 Nr. 1 VwGO), noch greift die Divergenzrüge (§ 131 Abs. 3 Nr. 2 VwGO) oder die Rüge eines Verfahrensmangels (§ 131 Abs. 3 Nr. 3 VwGO) durch.

Die Rechtssache besitzt nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung, die nur dann vorliegt, wenn die Streitsache über den entschiedenen Fall hinaus Bedeutung für die einheitliche Auslegung und Anwendung oder die Fortbildung des Rechts besitzt. Nach Auffassung des Klägers stellt sich vorliegend als rechtsgrundsätzlich die Frage, "ob im Rahmen einer Sonderumlage bei gleichem Beitragsmaßstab eine wesentlich andere Verteilung der Beitragslast bestimmt werden darf, als dies für die allgemeine Beitragspflicht gilt." Angegriffen wird, daß die lineare Steigerung des Beitrags der Handwerkskammer nach der Ertragsstärke der Handwerksbetriebe im Bereich der höchsten Beitragsklasse 6 bei der Bemessung des Sonderbeitrags für die Kosten der überbetrieblichen Ausbildung nicht übernommen wird, die Parallelität hier vielmehr zu Gunsten der ertragsstärksten Betriebe verlassen wird.

Es bedarf keiner Durchführung eines Berufungsverfahrens um festzustellen, daß die hier geltend gemachten Bedenken nicht durchgreifen. In der Rechtsprechung ist hinreichend geklärt, daß die Beitragsbemessung sich am Äquivalenzprinzip und dem Gleichheitssatz zu orientieren hat. Die Höhe des Beitrags darf danach nicht in einem Mißverhältnis zu dem Vorteil stehen, den er abgelten soll, und einzelne Mitglieder dürfen nicht im Verhältnis zu anderen übermäßig hoch belastet werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.6.1990, Buchholz 430.3 Nr. 22; Beschl. v. 25.7.1989, Buchholz 430.3 Nr. 19 und Urt. v. 3.9.1991, Buchholz 451.45 § 73 HwO Nr. 1). Nach dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG wiederum darf niemand im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt werden, ohne daß zwischen ihnen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen (BVerwGE 80, 233, 243 f.). Daraus ergibt sich insbesondere, daß die Beiträge im Verhältnis der Beitragspflichtigen zueinander grundsätzlich vorteilsgerecht bemessen werden müssen (BVerwGE 74, 149, 151).

Diese Grundsätze hat das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil hinsichtlich des hier strittigen Sonderbeitrags angewandt und dargelegt, daß die Parallelität der linearen Steigerung aus Rechtsgründen durchbrochen werden kann, weil der Nutzen der Einrichtung einer überbetrieblichen Ausbildung für einen Betrieb nicht messbar genau mit der Ertragsstärke des Betriebs zunehme, während die Vorteile aus der Tätigkeit der Handwerkskammer, die mit dem Kammerbeitrag abgegolten werden, mit der Ertragsstärke und der wirtschaftlichen Bedeutung des Betriebes weiter anwachsen würden. Es liegt in der Natur des Beitrags, daß er nach der zu finanzierenden Aufgabe und nach den sich hieraus ergebenden Vorteilen bemessen wird. Einen Rechtssatz, wonach Beiträge die gesondert für eine bestimmte Aufgabe der Handwerkskammer erhoben werden, sich am Kammerbeitrag und dem hierbei angewandten Vorteilsmaßstab orientieren müßten, kann es nicht geben; ein solcher Rechtssatz verstieße gerade gegen das Gebot, daß die Beiträge im Verhältnis der Beitragspflichtigen zueinander grundsätzlich entsprechend dem jeweils erlangten Vorteil bemessen werden müssen. Dies schließt es auch aus, ein Gebot des Inhalts anzunehmen, daß Beiträge, die gesondert für eine bestimmte Aufgabe erhoben werden, unter den allgemeinen Kammerbeiträgen liegen müßten. Der Sonderbeitrag kann vielmehr den allgemeinen Kammerbeitrag übersteigen (so auch OVG Münster, Urt. v. 15.9.1993, DVBl. 1994, 416; abweichend ohne Begründung als obiter dictum: OVG Lüneburg, Urt. v. 30.7.1974, GewArch 1974, 388).

Eine die Berufung eröffnende Divergenz ist gleichfalls nicht gegeben. Denn dies würde voraussetzen, daß das Urteil des Verwaltungsgerichts von einer Entscheidung des erkennenden Gerichtshofs oder des Bundesverwaltungsgerichts abweicht. Die geltend gemachte Abweichung vom Urteil des OVG Lüneburg vom 30.7.1974, a.a.O., ist danach nicht ausreichend. Es ist anerkannt, daß es sich bei dem in § 131 Abs. 3 Nr. 2 VwGO genannten Oberverwaltungsgericht um das dem Verwaltungsgericht, dessen Urteil angegriffen wird, im Rechtszug übergeordnete Berufungsgericht handeln muß (vgl. Kopp, VwGO, § 131 RdNr. 16).

Schließlich greift weder die Aufklärungsrüge noch die Gehörsrüge durch. Die Aufklärungspflicht gem. § 86 Abs. 1 VwGO ist verletzt, wenn das Gericht seine Überzeugung ohne ausreichende Erforschung des Sachverhalts gebildet hat. Der Sachverhaltsaufklärung im Rahmen der Amtsermittlung sind jedoch auch Grenzen gesetzt. Sie liegen dort, wo vernünftige Zweifel an der Richtigkeit des Vorbringens einer dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit verpflichteten Behörde nicht gegeben sein können, dem Gericht sich demgemäß die Notwendigkeit weiterer Aufklärung nicht aufdrängt (Kopp, VwGO § 86 RdNr. 12 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht ist in seiner Entscheidung von der Richtigkeit der von der Beklagten angegebenen Zahl von 80 Betrieben ausgegangen, die dadurch begünstigt würden, daß beim Sonderbeitrag nicht parallel wie beim allgemeinen Kammerbeitrag eine 6. Beitragsklasse für Betriebe mit einem höheren Gewerbesteuermeßbetrag als 8.749,-- DM gebildet würde. Es hat dazu ausgeführt, daß sich die Zahl der begünstigten Betriebe unschwer anhand der Erhebung der allgemeinen Kammerbeiträge feststellen und ggf. überprüfen ließe. Es hat aber schließlich auch darauf hingewiesen, daß insoweit vom Kläger Zweifel nicht geltend gemacht worden sind. Auch im nachgereichten Schriftsatz vom 22.10.1993 sind hiergegen Einwendungen nicht erhoben worden. Es wurde hierin nur ausgeführt, daß der Kläger sich nicht für verpflichtet halte, den offensichtlichen Fehlberechnungen in der Aufstellung der Beklagten im einzelnen weiter nachzugehen und daß jedenfalls die Beklagte den Nachweis schuldig geblieben sei, daß sich eine Beitragsberechnung ergebe, welche den Kläger besser stelle als eine Berechnung, die im linearen Verhältnis zum allgemeinen Kammerbeitrag stehe. Schließlich wurde in diesem Schriftsatz systemwidrig - da ein anderes Berechnungsmodell - ein Vergleich zu den Sonderbeiträgen für das Jahr 1989 und dem damals geltenden Höchstbetrag von 3.800,-- DM gezogen. Auch die Nichtzulassungsbeschwerde stellt wiederum diesen Vergleich an, indem sie die damalige Höchstgrenze von 3.857,-- DM zum Höchstbeitrag 1990 von DM 577,-- in Beziehung setzt und von einer Begünstigung von 1000 Betrieben spricht. Ein unterschiedlicher Beitragsmodus kann indessen derart nicht verglichen werden. Für eine weitere Erforschung des Sachverhalts war danach für das Verwaltungsgericht kein Raum, da sich eine Notwendigkeit hierzu nicht aufdrängte. Im übrigen ist tragend für die Begründung des Urteils des Verwaltungsgerichts, daß auch ein Beitragsausfall bei den begünstigten Betriebe um das Zehnfache höher sein könne, ohne daß hierdurch eine nennenswerte Mehrbelastung der unteren Beitragszahler eintreten würde. Schließlich ist tragend auch die Erwägung, daß eine übergebührliche Belastung des Klägers auch angesichts der Privilegierung ertragsstärkerer Betriebe nicht angenommen werden könne, weil der Beitrag des Klägers in Höhe von DM 458,-- noch unterhalb des Mittelwerts von 478,-- DM liege, der sich durch die Teilung des zu finanzierenden Gesamtaufwands von 2,2 Mio. DM mit der Zahl von rund 4.600 Mitgliedsbetriebe ergebe.

Auch die Gehörsrüge kann nicht zum Erfolg führen. Gemäß Art. 103 Abs. 1 GG muß das zur Entscheidung berufene Gericht die Ausführungen der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen (BVerfG, Beschluß vom 14.06.1960, BVerfGE 11, 218; Beschluß vom 30.10.1990, BVerfGE 83, 24, 35; st.Rspr.). Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Nur dann, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, daß ein Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen oder zu erwägen, nicht nachgekommen ist, ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (BVerfG, Beschlüsse vom 15.01.1969, BVerfGE 25, 137, 140; vom 02.12.1969, BVerfGE 27, 248, 251 ff.; vom 08.10.1985, BVerfGE 70, 288, 293; vom 25.03.1992, BVerfGE 85, 386, 404). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Denn das Verwaltungsgericht hat die wesentlichen der Rechtsverfolgung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen verarbeitet. Das Verwaltungsgericht hat den nach der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz des Klägers vom 22.10.1993 zur Kenntnis genommen und ohne Rechtsfehler dahingehend gewürdigt, daß wegen dieses Schriftsatzes die mündliche Verhandlung nicht wiederzueröffnen ist. Wie oben ausgeführt, konnte dem Schriftsatz nicht entnommen werden, daß substantiiert die von der Beklagten gemachte Angabe von 80 begünstigten Betriebe in Zweifel gezogen worden ist. Danach war eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht geboten. Im übrigen fehlt es an einem Verstoß gegen das rechtliche Gehör, wenn sich ein Beteiligter nicht der ihm zu Gebote stehenden prozessualen Möglichkeiten bedient, um sich das rechtliche Gehörs zu verschaffen (BVerfG, Beschluß vom 25.05.1956, BVerfGE 5, 9; Beschluß vom 01.02.1967, BVerfGE 21, 132, 137; Beschluß vom 28.01.1970, BVerfGE 28, 10, 14; Beschluß vom 10.02.1987, BVerfGE 74, 220, 225; BVerwG, Urteile vom 15.12.1976, Buchholz 448.0 § 12 WPflG Nr. 113, vom 22.08.1985, Buchholz § 108 VwGO Nr. 175 und vom 03.07.1992, BayVBl. 1993, 412). Der anwaltlich vertretene Kläger hat ersichtlich in der mündlichen Verhandlung weder Beweisanträge gestellt noch hat er um eine Vertagung nachgesucht, um gegenüber neuem Vorbringen der Beklagten zu erwidern. Damit scheidet ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör aus.