LG Dortmund, Urteil vom 10.06.2009 - 8 O 272/07
Fundstelle
openJur 2012, 127405
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Streitwert: bis zu € 900,00.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen von der Beklagten zum 1. Januar und 1. Oktober 2005 vorgenommene Gaspreiserhöhungen.

Der Kläger bezieht seit Jahren Erdgas von der Beklagten. Der Aufnahme des Gasbezugs liegt keine schriftliche Vereinbarung der Parteien zugrunde. In den Jahren 2004 und 2005 wurde der Gasbezug des Klägers nach dem Tarif "naturgas optimo maxi" der Beklagten abgerechnet.

Zum 1. Januar und 1. Oktober 2005 erhöhte die Beklagte durch einseitige Erklärung ihre Gaspreise und stellte dem Kläger mit der Jahresrechnung 2004/2005 einen unter Berücksichtigung dieser Preiserhöhungen errechneten Gesamtbetrag in Rechnung. Wegen ihrer auf diese Rechnungsperiode folgenden Gaslieferungen reklamiert die Beklagte ebenfalls das Recht, nach den unter Berücksichtigung der streitgegenständlichen Preiserhöhungen gebildeten Preisen gegenüber dem Kläger abzurechnen.

Der Kläger ist der Ansicht, den sich aus den streitgegenständlichen Preiserhöhungen ergebenden Mehrpreis für das von ihm bezogene Erdgas nicht zu schulden. Er hält die Preiserhöhungen für unwirksam. Der Beklagten stehe schon kein einseitiges Preisbestimmungsrecht zu; insbesondere folge dieses nicht aus § 4 Abs. 2 AVBGasV, weil er nicht Tarif-, sondern Sonderkunde sei. Zunächst hat der Kläger zudem die Auffassung vertreten, die Preiserhöhungen seien - wenn man der Beklagten denn ein einseitiges Preisbestimmungsrecht zugestehe -unbillig im Sinne des § 315 BGB und folglich jedenfalls aus diesem Grunde unwirksam. Diesen Einwand der Unbilligkeit hat der Kläger jedoch mit nachgelassenem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 12.05.2009 fallen gelassen.

Der Kläger beantragt

festzustellen, dass die von der Beklagten in dem zwischen den Parteien bestehenden Gaslieferungsvertrag zum 01.01.2005 und 01.10.2005 vorgenommenen Erhöhungen der Gastarife unbillig und unwirksam ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie stützt die streitgegenständlichen Preiserhöhungen auf § 4 AVBGasV. Allerdings sei § 315 BGB auf Gaspreise unanwendbar; gleichwohl entsprächen ihre Gaspreise der Billigkeit im Sinne dieser Vorschrift.

Der Rechtsstreit war zunächst bei dem Amtsgericht Dortmund anhängig gemacht und von dort an das erkennende Gericht nach § 281 ZPO verwiesen worden mit der Begründung, das Landgericht sei wegen § 102 EnWG sachlich streitwertunabhängig ausschließlich zuständig. Gegen die Verweisungsentscheidung, die als Urteil ergangen war, hatte die Beklagte Berufung eingelegt, die durch Urteil des Landgerichts Dortmund vom 28.08.2007 verworfen worden ist (Gesch.-Nr.: 1 S 136/07).

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Die Klage ist zulässig.

1.

Das erkennende Gericht ist zwar an sich für die Entscheidung sachlich unzuständig. Der Streitwert der Sache liegt unbestritten nicht oberhalb von € 5.000,00 (s. näher unten). Auch ergibt sich die Zuständigkeit entgegen der Auffassung des verweisenden Amtsgerichts nicht streitwertunabhängig aus § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG, da sich der vorliegende Rechtsstreit unter keinem Gesichtspunkt aus dem EnWG ergibt.

An die also objektiv unrichtige Verweisung ist die Kammer gleichwohl wegen § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO gebunden.

2.

Die Klage ist auch als - negative - Feststellungsklage statthaft, da der Kläger die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt (§ 256 Abs. 1 ZPO).

Bei verständiger Würdigung des Klageantrags will der Kläger festgestellt wissen, dass die Beklagte insoweit keinen Anspruch auf Entgelt für Gaslieferungen habe, als dieser Anspruch auf die zum 1. Januar und 1. Oktober 2005 vorgenommenen Preiserhöhungen gestützt werde.

Eine ausdrückliche Feststellung der Unbilligkeit der Preiserhöhungen begehrt der Kläger dagegen nicht. Die vom Kläger zusätzlich im Klageantrag genannte Unbilligkeit der Preiserhöhungen ist lediglich als ein besonders hervorgehobener Rechtsgrund für die angenommene Unwirksamkeit der Preiserhöhungen anzusehen. Ein originär auf Feststellung der Unbilligkeit im Sinne von § 315 BGB gerichteter Klageantrag wäre auch als unzulässig anzusehen, da die Unbilligkeit kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis, sondern lediglich eine Vorfrage darstellt; auch die auf eine Unbilligkeit im Sinne von § 315 BGB gestützte Feststellungsklage hat die Feststellung der Unwirksamkeit der Leistungsbestimmung zum Gegenstand (Staudinger-Rieble, 2004, § 315 BGB, Rn. 292).

Das Feststellungsinteresse des Klägers ergibt sich aus dem Umstand, dass die Beklagte sich des Bestehens der Forderung - zum Teil bereits unter Rechnungslegung - berühmt.

II.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

Der Kläger schuldet gemäß § 433 Abs. 2 BGB auch denjenigen Teil des Entgeltes für die Gaslieferungen der Beklagten, der sich aus den hier streitgegenständlichen Preiserhöhungen ergibt.

1.

Der Beklagten stand das Recht zu, durch einseitige Bestimmung das Entgelt für ihre Gaslieferungen zu erhöhen.

a)

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 13.06.2007 mit umfänglicher und überzeugender Begründung klargestellt, dass sich aus dem früheren § 4 Abs. 1, 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden v. 21.06.1979 (AVBGasV) ein Recht der Gasversorger zur einseitigen Bestimmung des Entgeltes ergab (BGH v. 13.06.2007, BGHZ 172, 315 ff., Rn. 16 f.). Dem folgt die Kammer.

b)

Die Regelung des § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV war im maßgeblichen Zeitpunkt auch kraft gesetzlicher Anordnung in § 1 Abs. 1 Satz 2 AVBGasV Bestandteil des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages.

Der zeitliche Anwendungsbereich der Rechtsverordnung ist eröffnet. Die AVBGasV ist erst am 08.11.2006 außer Kraft getreten.

Auch der persönliche Anwendungsbereich ist eröffnet. Die AVBGasV regelte zwar nur das Verhältnis der Gasversorger zu sogenannten Tarifkunden (§ 1 Abs. 2 AVBGasV). Der Kläger war entgegen seiner Auffassung im Jahr 2005 jedoch Tarifkunde in diesem Sinne.

Eine gesetzliche Definition des "Tarifkunden" bzw. des Gegenbegriffs (des sogenannten Sonderkunden oder Sondervertragskunden) fehlt. Der Begriff ist also auszulegen. Danach wird als Tarifkunde im Sinne der AVBGasV anzusehen sein, wer aufgrund der allgemeinen Bedingungen und Tarife der Energieversorger im Sinne des seinerzeit maßgeblichen § 10 Abs. 1 Satz 1 EnWG 1998 und nicht aufgrund abweichender besonderer Vertragsbestimmungen beliefert wurde (ebenso: Nill-Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2001, S. 94, 96). Insoweit kommt es auch nicht entscheidend auf die Vertragsbezeichnung an, sondern ist ebenfalls ein solcher Abnehmer als Tarifkunde einzuordnen, dessen Vertrag mit "Sonder-Gaslieferungsvertrag" überschrieben ist, wenn zwischen den Parteien keine besonderen Bestimmungen vereinbart waren (OLG Frankfurt/M. v. 29.05.2008, 15 U 47/07, juris-Dokument, Rn. 16).

Hier verbindet den Kläger und die Beklagte kein schriftlicher Vertrag. Der Vertrag ist entweder mündlich geschlossen worden oder durch Gasentnahme seitens des Klägers zustande gekommen (§ 2 Abs. 2 AVBGasV). Im letzteren Fall fehlt es aufgrund der Natur der Sache an besonderen Vertragsbedingungen. Aber auch für den ersteren Fall sind irgendwelche besonderen, von den allgemeinen Bedingungen und Preisen abweichende Abreden der Parteien nicht vorgetragen worden.

Der Kläger kann sich für die von ihm favorisierte Einordnung als Sonderkunde auch nicht mit Erfolg auf die Beschreibungen der Beklagten zu der Preisgestaltung für den gegenüber dem Kläger abgerechneten Tarif "naturgas Optimo" berufen. Danach unterfällt dieser Tarif zwar in vier Kategorien, sich jeweils aus der Koppelung eines Grundpreises und eines verbrauchsabhängigen Arbeitspreises zusammensetzen: die Kategorie "mini", die in dem Preisblatt als "Kleinverbrauchstarif" bezeichnet ist, die Kategorie "midi", die als "Grundpreistarif" bezeichnet ist, die Kategorie "maxi" - zu der der Kläger beliefert wurde, die als "Sonderpreis I" bezeichnet ist, und die Kategorie "maxi plus", die als "Sonderpreis II" bezeichnet ist. Auf solche Bezeichnungen kommt es - wie oben bereits ausgeführt - ohnehin nicht entscheidend an. Zudem ist hier die Kategorie "maxi" selbst gar nicht besonders vereinbart worden, sondern unstreitig einseitig allein aufgrund der Verbrauchshöhe des Klägers erfolgt: die Beklagte stuft ihre Kunden automatisch in die für den jeweiligen individuellen Verbrauch günstigste Preiskategorie ein.

Schließlich spielt es für die rechtliche Bewertung des hier streitgegenständlichen Zeitraums keine Rolle, dass die Beklagte inzwischen dem Kläger den Abschluss eines schriftlichen Sondervertrags angetragen hat. Denn die Beklagte war durch das neue EnWG 2005 gehalten, mit dem Kläger einen neuen Vertrag abzuschließen (§ 115 Abs. 2 EnWG 2005).

2.

Ob hier die Preisbestimmungen der Beklagten der Billigkeit entsprachen, war nicht zu entscheiden.

Zwar findet § 315 BGB entgegen der Ansicht der Beklagten auf die Bestimmung des Gaspreises gemäß § 4 AVBGasV (unmittelbare) Anwendung (BGH v. 13.06.2007, a.a.O., Rn. 17 f.).

Die Billigkeit ist jedoch nicht von Amts wegen zu untersuchen, sondern nur dann, wenn der der Leistungsbestimmung Unterworfene ausdrücklich deren Unbilligkeit rügt, indem er sie entweder - aktiv - zum Gegenstand einer Klage macht oder - passiv - eine entsprechende Einrede erhebt (Palandt-Grüneberg, 68. Aufl., § 315 BGB, Rn. 16). Hieran fehlt es, nachdem der Kläger den ursprünglich erhobenen Einwand der Unbilligkeit fallen gelassen hat.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

IV.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert war hier mit bis zu € 900,00 zu bemessen. Der Streitwert der negativen Feststellungsklage entspricht dem vollen Wert einer entsprechenden Leistungsklage (hier: auf Rückzahlung zuviel gezahlten Entgeltes). Die angegriffenen Preiserhöhungen haben nach dem Vortrag des Klägers im Jahr 2005 zu einem um € 88,70 erhöhten Gesamtentgelt geführt. Da die Preiserhöhungen in der Höhe des von der Beklagten auch für die Folgejahre verlangten Entgeltes fortwirken, war für die Bemessung des Streitwertes allerdings nicht allein auf die Mehrbelastung des Jahres 2005 abzustellen. Weil die zweite Preiserhöhung erst zum letzten Quartal 2005 erfolgt ist, schätzt die Kammer die jährliche Mehrbelastung des Klägers auf bis zu € 120,00 und setzt diesen Jahreswert für insgesamt 5 Jahre an. Insoweit orientiert sich die Kammer an der Vorschrift des § 42 GKG, die in der Spitze auf den fünffachen Jahreswert abstellt. Ein längerer Zeitraum scheint der Kammer auch deswegen als unangemessen, weil der Entgeltanspruch der Beklagten der regelmäßigen, also dreijährigen Verjährungsfrist unterliegt. Dieser Zeitraum dürfte sich bei einer abstrakten Betrachtungsweise auch unter Berücksichtigung von Hemmungszeiten wegen Verhandlungen kaum einmal auf mehr als fünf Jahre verlängern.