LG Siegen, Beschluss vom 20.05.2010 - 4 T 102/10
Fundstelle
openJur 2012, 125339
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde wird nach einem Wert von 229,00 € zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

Für die Betroffene, welche laut ärztlicher Bescheinigung infolge einer Demenzerkrankung große Unruhe, unkontrollierte Bewegungen und erhöhte Sturzgefahr zeigte und dadurch erheblich gefährdet war, wurde vom Amtsgericht Siegen am 05. März 2010 die zeitweise Beschränkung der Freiheit betreuungsgerichtlich genehmigt, soweit dazu eingesetzt werden: am Tage und in der Nacht während der Bettruhezeiten Bettgitter.

Zum Pfleger für das Verfahren ist der Beteiligte zu 2) bestellt worden.

Dazu heißt es in den Gründen:

"Hier liegen die Voraussetzungen einer Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz für den anwaltlichen Verfahrenspfleger vor, da ein als Verfahrenspfleger bestellter Laie in gleicher Lage wegen besonderer rechtlicher Anforderungen (besonders schützenswertes Rechtsgut betroffen, so dass Verfahren gegebenenfalls auf formell- und materiellrechtlicher Fehler zu überprüfen ist) einen Rechtsanwalt hinzugezogen hätte (Vgl. LG Mönchengladbach 5 T 481/04 und OLG München 33 Wx 205/05 und 33 Wx 85/09...)."

Der Beteiligte zu 2) hat die Betroffene aufgesucht und mit Schreiben vom 10. März 2010 mitgeteilt, dass nach seinem Eindruck von deren Gesundheitszustand und einem Gespräch mit der anwesenden Tochter der Betroffenen die Voraussetzungen der zeitweisen Beschränkung der Freiheit der Betroffenen vorlägen.

Unter dem 09. April 2010 hat der Beteiligte zu 2) seine Leistungen nach Nr. 6300 VV RVG mit 172,00 € zuzüglich Auslagen nach Nr. 7002 VV RVG und Umsatzsteuer - insgesamt 228,48 € - in Rechnung gestellt.

Durch den angefochtenen Beschluss hat die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Siegen den Antrag des Beteiligten zu 2) auf Festsetzung der Vergütung unter Anwendung der Vorschriften der VV 6300 ff RVG zurückgewiesen.

Die Beschwerde ist zugelassen worden.

Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt:

Eine Abrechnung nach dem RVG könne hier nicht erfolgen; die Vergütung sei nach dem VBVG zu gewähren. Im vorliegenden Falle sei eine Beiordnung des Verfahrenspflegers in der Eigenschaft als Rechtsanwalt nicht notwendig gewesen. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 7. Juni 2000 (FAMRZ 2000, 1280 ff) sei die Verfahrenspflegschaft grundsätzlich keine anwaltsspezifische oder dem Anwaltsberuf vorbehaltene Tätigkeit. Vielmehr solle dem Betroffenen ein gesetzlicher Vertreter zur Durchsetzung von tatsächlich formulierten oder auch nur zu ermittelnden Interessen und Wünschen im Verfahren zur Seite gestellt werden. Eine Vergütung nach RVG komme nur dann in Betracht, wenn Tätigkeiten erbracht würden, bei denen ein Laie in gleicher Lage vernünftigerweise einen Rechtsanwalt zuziehen würde.

Schließlich habe der Gesetzgeber auch in § 317 Abs. III FamFG zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der Verfahrenspflegschaft nicht um eine originär anwaltsspezifische Tätigkeit handele. Vorliegend sei die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes nicht notwendig gewesen.

Auch aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes könne der Beteiligten zu 2) hier keine Vergütung nach RVG bewilligt werden. Sämtlichen beim Amtsgericht Siegen als Verfahrenspfleger tätigen Rechtsanwälten sei die Gesetzeslage, die ständige Rechtsprechung und die Auffassung der Rechtspfleger, die für die Festsetzung der Vergütung zuständig seien, bekannt. Der Passus im Beschluss vom 05. März 2010 "Hier liegen die Voraussetzungen einer Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vor….:" sei nunmehr im Falle der Bestellung eines Rechtsanwaltes zum Verfahrenspfleger standardmäßig im Programm "Betreutex" eingegeben, so dass von einer konkreten Einzelfallprüfung nicht auszugehen sei. Dies sei den regelmäßig bestellten Verfahrenspflegern bekannt. Die im Beschluss des Amtsgerichts Siegen zitierte Rechtsprechung stütze die Auffassung, dass im Regelfall nach dem VBVG und nur ausnahmsweise nach dem RVG zu vergüten sei, so dass es den festsetzenden Organen überlassen bleiben müsse, die Abgrenzung vorzunehmen. Darüber hinaus habe das Amtsgericht keine auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen mitgeteilt, die die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes begründen könnten.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 2) ist gemäß § 61 Abs. 2 FamFG zulässig, da das Amtsgericht das Rechtsmittel gegen den Beschluss vom 15. April 2010, welcher den Beteiligten zu 2) mit weniger als 600,00 € beschwert, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen hat.

Die Beschwerde ist in der Sache selbst nicht begründet.

Grundsätzlich ist ein Verfahrenspfleger, welcher sein Amt berufsmäßig führt, nach den Vorschriften des VBVG zu vergüten, §§ 318, 277 FamFG.

Ob ein in einer Unterbringungssache zum Verfahrenspfleger bestellter Rechtsanwalt seine Tätigkeit als berufsspezifische Dienstleistung ausnahmsweise nach dem RVG abrechnen kann, hängt nach herrschender Meinung davon ab, ob ein qualifizierter Laie als Verfahrenspfleger anwaltlichen Rat gesucht hätte. Insoweit muss die zu bewältigende Aufgabe besondere rechtliche Fähigkeiten fordern und daher eine originär anwaltliche Dienstleistung darstellen. Es muss sich also um eine Aufgabe handeln, für die ein anderer Verfahrenspfleger in vergleichbarer Lage vernünftigerweise einen Rechtsanwalt herangezogen hätte. Dabei ist darauf abzustellen, ob gerade auch ein Verfahrenspfleger mit einer Qualifikation, die ihm Anspruch auf Honorierung seiner Tätigkeit nach der höchsten Vergütungsstufe gibt, im konkreten Fall einen Anwalt zu Rate gezogen hätte.

Das Amtsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der Konzeption des Gesetzes - § 317 Abs. III FamFG - die in Unterbringungsverfahren angeordnete Verfahrenspflegschaft keine anwaltsspezifische oder dem Anwaltsberuf vorbehaltene Tätigkeit darstellt.

Entscheidend ist vielmehr, dass die ausgewählte Person angesichts der Schwere des mit einer Unterbringung verbundenen Grundrechtseingriffs Erfahrungen im Bereich der Psychiatrie hat, um die Rechte des Betroffenen effizient wahren zu können (vgl. OLG München FGPrax 2008, 207).

Der Beteiligte zu 2) hatte die Rechte der Betroffenen im Verfahren betreffend die Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen zu vertreten. Das vorliegende Verfahren wies die jedem derartigen Verfahren immanenten Schwierigkeiten auf.

Es war zu prüfen, ob angesichts des ärztlich bescheinigten Krankheitsbildes - Gefahr der Selbstschädigung infolge körperlicher Unruhe aufgrund der Demenz - bei der gerichtlichen Entscheidung die Interessen der Betreuten gewahrt wurden.

Besondere rechtliche Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Notwendigkeit von freiheitsentziehenden Maßnahmen - Bettgitter - zeichneten sich nicht ab. Eine anwaltsspezifische Tätigkeit war mithin nicht veranlasst.

Daran ändert auch nichts der Hinweis im Beschluss des Richters des Amtsgerichts vom 25. Januar 2010, wonach hier die Voraussetzungen einer Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorlägen.

Denn insoweit hat erkennbar keine Einzelfallprüfung stattgefunden. Konkrete, auf den Einzelfall bezogen Umstände wurden nicht mitgeteilt. Der Passus ist - worauf bereits die zuständige Rechtspflegerin hingewiesen hat - standardmäßig im Sinne eines Textbausteins eingearbeitet und lautet in vergleichbaren Fällen identisch.

Ob aber tatsächlich im konkreten Falle die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes notwendig war, hätte unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Anhörung und des gesamten Akteninhaltes mit entsprechender Begründung entschieden werden müssen.

Dies war vorliegend nicht der Fall.

Auch aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes besteht hier kein Anspruch auf Vergütung nach dem RVG. Zwar wurde in dem Beschluss vom 05. März 2010 ausdrücklich festgestellt, dass die Voraussetzungen einer Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorliegen. Gleichwohl kann sich der Beteiligte zu 2. nicht darauf berufen, er habe nur im Vertrauen auf eine entsprechende Vergütung die Aufgabe als Verfahrenspfleger wahrgenommen. Wie die zuständige Rechtspflegerin in dem angefochtenen Beschluss zutreffend erwähnt hat, ist den als Verfahrenspfleger tätigen Rechtsanwälten im Bezirk des Landgerichts Siegen - zu denen auch der Beteiligte zu 2. gehört - bekannt, dass die Rechtspfleger des Amtsgerichts Siegen nur in bestimmten Einzelfällen die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Verfahrenspfleger für notwendig erachten und dementsprechend auch nur in den Fällen eine Vergütung nach dem RVG bewilligen. Weiter ist ihnen bekannt, dass die Kammer diese Auffassung der Rechtspfleger des Amtsgerichts teilt. Hinzu kommt, dass der entsprechende Passus in dem Beschluss vom 05. März 2010 außer dem standardmäßigen Satz keine nachvollziehbare Begründung dafür enthält, warum in diesem konkreten Fall, bei dem es "nur" um eine zeitweise Beschränkung der Freiheit der Betroffenen geht, anders als in vergleichbaren Fällen, in denen - wie der Beteiligte zu 2. wusste - eine Vergütung des als Verfahrenspfleger tätigen Rechtsanwaltes nach dem RVG abgelehnt worden ist, entschieden werden soll.

Danach ergibt sich vorliegend kein Anspruch des Beteiligten zu 2), nach dem RVG vergütet zu werden.

Da ein Vergütungsantrag nach §§ 318, 277 FamFG in Verbindung mit §§ 1,2 und 3 Abs. 1 und 2 VBVG bislang nicht gestellt worden ist, konnte eine entsprechende Vergütung noch nicht gewährt werden.

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Die Wertfestsetzung beruht auf § 131 Abs. 2, 30 KostO.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung findet die Rechtsbeschwerde statt, die binnen eines Monats nach der schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses durch Einreichung einer Beschwerdeschrift durch einen beim Bundesgerichtshof (BGH) zugelassenen Rechtsanwalt beim BGH in 76125 Karlsruhe einzulegen ist.